Pianistische Entdeckung zwischen Orient und Okzident: Der aserbaidschanische Pianist Elchin Shirinov im Düsseldorfer Schauspielhaus

DSC_1212Von Stefan Pieper:   Als der aserbaidschanische Pianist Elchin Shirinov von der Bühne kam, hielt er einen Zettel mit Buchstabenkombinationen in der Hand. Es sind die notierten Akkordfolgen, die seine Mitmusiker als Leitfaden auf den Notenständern haben – das muss genügen, denn wahrer echter Jazz, lebt von der Improvisation. Und in dieser Hinsicht bot dieser Ausnahme-Tastenkünstler sowie seine aserbaidschanisch-britische Band im Düsseldorfer Schauspielhaus Weltklasse!

Es kann kein Zufall sein, dass die Jazz-Szene von Baku zu den lebendigsten weltweit gezählt wird. Die Volksmusik des Landes, jene Mugham-Tradition besteht doch im Kern aus modalen Tonskalen, über welche die Sänger und Spieler nach Herzenslust improvisieren – von kleinauf. All dies ist mit dem Jazz wohlverwandt, der in diesem Land trotz Islam und Sowjetdiktatur fast schon seit 100 Jahren enthusiastisch betriebene kulturelle Praxis ist.

Nach Düsseldorf hatte die aserbaidschanische Botschaft in Zusammenarbeit mit der Heydar Äliyev-Stiftung geladen. Letztere wurde von der First Lady Aserbaidschans ins Leben gerufen, um den kulturellen Reichtum zwischen kaspischem Meer und Kaukasus auch im Rest der Welt viel bekannter zu machen. Und deswegen kam es vor fast 800 teilweise handverlesenen Gästen im Düsseldorfer Schauspielhaus zu dieser Sternstunde des Jazz:

Also Bühne frei: Was für eine großartig filigrane Anschlagskultur zaubert dieses Ausnahme-Talent aus Baku aus den Flügeltasten! Er drückt sie auf sehr unangestrengte Weise herunter, was in ruhigen Passagen extrem sensibel, fast bescheiden wirkt. Wenn er jedoch kurz darauf virtuoseste Temperamentsstürme entfesselt, bleibt jeder noch so fantasievolle Weg über die schwarzen und weißen Tasten glasklar nachvollziehbar. Eine getragene Cooljazz-Ballade liefert zu Beginn eine Hommage an eines der großen aserbaidschanischen Jazzidole: Vagil Mustafazadeh, hat das Jazzleben Aserbaidschans maßgeblich geprägt. Auch die nächste Nummer stammt von diesem Künstler – und da ließ die Band mit entfesselter Wucht und schwindelig ungeraden Metren den Sturm losbrechen!

Elchen Shirinov. Foto: Christopher Adolp
Elchen Shirinov. Foto: Christopher Adolph

Und aus diesem lebt, swingt, groovt eine leidenschaftliche Weltsprache. In der müssen sich Okzident und Orient in keinem Moment zueinander hin verbiegen, sondern berühren sich um so selbstverständlicher. Elchin Shirinovs rasant-federleichte und sich oft auch ekstatisch aufbäumende Tastenkunst hat Einflüsse von New Yorker Jazzern wie Bill Evans oder Jason Moran. Zugleich blitzen ständig diese subtil-orientalischen Farben auf – die melancholischen Tonskalen der Mugham-Musik, aus der Shirinov von Kindesbeinen an seine Ideen geschöpft hat!

Bassist Sam Lasserson schwärzt die Hintergrundfarben solcher Klangbilder, aber seine Läufe treiben auch gerne knackig funky vorwärts. Die spontane Ideenfülle ist in jedem Moment immens! Schlagzeuger Dave Hamblett lässt es spannungsgeladen überkochen und legt auf dem Becken feinste Gischtnebel über intensiv swingende, oft auch impulsiv stürmischen Wellen. Oft Note gegen Note interveniert er direkt in die rasanten Tongirlanden von Elichin Shirinov. Aber auch letzterer wird auf dem Klavier nur zu gern zum brachial auftrumpfenden Perkussionisten, wenn beide in wüsten Duellen irgendwelche repetitiven Rhythmusfiguren umspielen, verdichten.

Die Symbolkraft von ineinander aufgehenden Spielkulturen geht an diesem Abend noch weiter. Immer wieder kommen Landsleute von Shirinov ins Spiel, improvisieren in der Stilistik ihres Heimatlandes – und lassen sich dabei von einer mächtig in Fahrt gekommenen Rhythmusgruppe befeuern: Shirzad Fataliyev lässt seine Luftströme auf der Balaban im melismatischen Klagegesang erbeben – viel schneidender ist sein Sound auf einer Art Ghaita, einem schalmeien-ähnlichen Instrument mit eine Oboen-Mundstück. Wieder verblüfft es, wie selbstverständlich sich solche Klänge im hellhörig-urbanen Jazz zuhause fühlen. Die beiden Oud-Spieler Shirazad Fataliyev und Mirjavad Gafarov lassen es regelrecht rocken. Selten hat man diese orientalischen Saiteninstrumente so expressiv und druckvoll gehört. Derart kraftvoll geerdete Saitenklänge bilden immer wieder ganz kompakte Einheiten mit dem Bassspiel. Und es geht hoch hinaus auf schwelgerische Höhenflüge im Wettstreit mit Shirinovs eloquentem Ideenstrom auf den Tasten.

Minutenlanger stehender Beifall krönt schließlich dieses kulturenvereinigende Engagement seitens derart begnadeter Musiker. Zum Dank spielte Shirinov mit einem der Oud-Spieler zum Abschied ein ergreifend zartes Duett. Wo sich nochmal ganz poetisch die Musiksprachen vereinten, so wie es in   Aserbeidschan seit Jahrhunderten vorbildhaft zu funktionieren scheint…

Nach dem Blick auf die Tabellen mit den Akkordfolgen ist der Rezensent neugierig auf die Geschichte dieser Band. Und die ist aus dem Mund von Schlagzeuger Dave Hemblett schnell erzählt: „Wir kennen uns erst seit ein paar Tagen und haben nur ein paar kurze Male vor diesem Auftritt hier zusammen geprobt, und dann lief es. Wir verstehen uns einfach gut.“ That`s Jazz!

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