CD-Rezension: Nils Kugelmann Trio – „Stormy Beauty“

Im Süden der Republik ist der Bassist Nils Kugelmann längst kein Unbekannter mehr. Das wird sich mit seiner Trio Debut-CD „Stormy Beauty“, erschienen auf dem Münchner ACT Label, jetzt auch bundesweit ändern. Kurz vorweg genommen: Was Kugelmann mit seinem Trio anstellt, sprengt die musikalischen Grenzen. Sein Bassspiel ist absolut getrieben, trotzdem eingängig und von seinem individuell unverkennbaren, eigenen Ton geprägt.   Nils Kugelmann ist zu Recht der Senkrechtstarter in der deutschen Jazzszene und hat in letzter Zeit so ziemlich alles an wichtigen Jazzpreisen abgeräumt, was Rang und Namen hat: vom Jungen Münchner Jazzpreis über den Förderpreis des bayerischen Jazzverbands, den BMW Young Artist Jazz Award, den Biberacher Jazzpreis, das Musikstipendium der Landeshauptstadt München und im März diesen Jahres gerade den Burghauser Nachwuchs-Jazzpreis – mehr als verdient! Konzentration, Aufmerksamkeit und Inspiration sind für ihn der Antriebsmotor, der sein schöpferisches Schaffen ausmacht und in seinem Spiel die Attribute „Schönheit, Spannung und Leidenschaft“ vereint. Dabei muss man bedenken, dass Kugelmann vorrangig zwar als Bassist auftritt, aber in Wirklichkeit ein universeller Musiker ist, der parallel zu seinem Hauptinstrument auch Piano, Klarinette oder Synthesizer spielt, damit seinen kompositorischen Horizont erweitert …

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CD-Rezension: Burkard Kunkel & Bob Degen – Two Geese By The River

Für die beiden Protagonisten war es wohl eine noch größere Überraschung als für ihr musikalisches und Publikumsumfeld. Für ihr im Selbstverlag produziertes und vertriebenes Album „Two Geese by the River“ haben der im Spessart lebende Holzbläser Burkard Kunkel und der Wahl-Frankfurter Bob Degen am Piano einen Platz auf der Bestenliste (2. Quartal 2023) vom Preis der deutschen Schallplattenkritik ergattert. Wohlverdient, mag man schon ins Horn stoßen, bevor die musikalischen „Gänse“ schnatternd gewürdigt worden sind. Dafür spricht ein kurzer Rückblick auf das vor neun Jahren erschienene Duo-Album „Down By The Harbour“. Selbiges bewegt sich in seiner lyrischen Intensität und musikalisch-künstlerischen Qualität auf dem gleichen hohen Niveau wie das Veröffentlichte. Die Idee zum neuen Album, schreibt Kunkel in den knappen Linernotes, ist bei einem Italientrip im Frühjahr 2022 entstanden, wovon auch einige der Fotos zeugen. Die zeigen die beiden noch gut verpackten Musikerfreunde in aufbrechender Natur, Kunkel mit dem selten im Bereich des Jazz zu hörenden Bassetthorn in der Hand. Erneut sind einige der zwischen drei und sieben Minuten langen Stücke gemeinsam entwickelt worden, drei hat Degen und fünf Kunkel beigesteuert. Lyrische Kathedralen und Seen Nahezu beschwingt …

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CD-Rezension: Brad Mehldau – Your Mother Should Know: Brad Mehldau Plays The Beatles

Mit zwei Minuten, 18 Sekunden bleibt Brad Mehldau sogar noch unter der Länge des offiziellen „Your Mother Should Know“-Videoclips, der die lächelnden Beatles, in weiße Fräcke gekleidet, in einem kitschigen Filmsetting zeigt. Hemdsärmelig – jedenfalls im Video – folgt der amerikanische Pianist dem leichten Retroswing des Originals, bei dem sich Paul McCartney von einer familiären Szene inspirieren ließ. Einen swingenden Boogie-Sound verwendet Mehldau auch für „I Saw Her Standing There“, wobei diese feine Interpretation fröhlicher und freier klingt als das eher melancholisch angehauchte Titelstück. Live in Paris aufgenommen Mehldaus neues Soloalbum ist während der Coronazeit live vor reduziertem Publikum in der Philharmonie de Paris aufgenommen worden. Verschiedene Titel der einflussreichen Fab Four hatte er schon längere Zeit solo und mit seinem Trio im Programm, bis dahin aber noch kein einziges davon auf Tonträger veröffentlicht. Auf einen Vorschlag seines Labels ließ er sich schließlich ein, beschloss aber, keine der bereits von ihm interpretierten Stücke, sondern eine Auswahl weniger bekannter Songs zusammenzustellen. Eine Ausnahme bildet lediglich David Bowies etwas schwermütig klingendes „Life On Mars?“, das Mehldau allerdings ein wenig aufrichtet und von dem er sagt, es sei …

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CD-Rezension: Jakob Bänsch – Opening

Ein in der Tat gelunges „Opening“ präsentiert Rising Star Trompeter Jakob Bänsch mit seinem gleichnamigen Debutalbum, das gerade auf dem Label Jazzline erschienen ist. Beeindruckend, was Bänsch auf der Trompete, resp. seinem Flügelhorn, spielt. Neben seiner beiläufig perfekten Technik begeistert er mit vielschichtigen Sounds und abwechslungsreichen Kompositionen. Musik begleitet ihn von Kindesbeinen an. Im zarten Alter von acht Jahren begann er bereits Trompete zu spielen. Bänsch studierte an der HMDK in Stuttgart, der Kölner HfMT und ist seit 2020 Mitglied im Bundesjazzorchester. Seit  letztem Jahr spielt er mit seinem eigenen Quartett und belegte beim Münchner Jazzpreis 2022 gleich den 2. Platz. Gemeinsam mit Niklas Roever am Klavier, dem Bassisten Jakob Obleser, Schlagzeuger Leo Asal und Simon Bräumer an den Percussions legen die Musiker zu Beginn des Albums auf dem Titelstück „Opening“ sphärisch meditativ los. Auf „Partida“, „Under Stars“ & „Exosphere“ entfaltet sich Bänschs kompositorisches Talent. Die Stücke „Repression“ und „Yearning Variation II“ präsentieren sein klassisches Jazz-Quartett. Besonders hervorzuheben dabei ist das geniale, engmaschig verzahnte Zusammenspiel mit dem Pianisten Niklas Roever. Jakob Bänsch stellt auf seinem Debut die gesamte Bandbreite seines Schaffens und Könnens unter Beweis. …

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Deutscher Jazzpreis. Foto: Oliver Hochkeppel

Desaströs in vielerlei Hinsicht: Der Deutsche Jazzpreis 2023

Ein Kommentar von Oliver Hochkeppel Im vergangenen Jahr, bei der zweiten, erstmals in Bremen an die jazzahead! gekoppelten Verleihung des Deutschen Jazzpreises, war man im Vergleich zur zähen Halb-Corona-Premiere in vier Clubs auf einem guten Weg. Umso unbegreiflicher, wie man jetzt von der Straße gerutscht ist. Als erschütterter Beobachter weiß man gar nicht, wo anfangen mit der Mängelliste dieser Veranstaltung. Beginnen wir mit dem Offensichtlichsten. Rein handwerklich war die Veranstaltung dilettantisch. Man erwartet beim Deutschen Jazzpreis sicher nicht die Halftime-Show des Super Bowl, aber eine derartige Aneinanderreihung von Pannen und Peinlichkeiten leistet sich nicht mal mehr der schlichteste Blogger-Podcast. Von der hanebüchenen Live-KI-Übersetzung von Claudia Roths doch lange vorbereitetem Grußwort und falschen Titelansagen reichte das über die nie funktionierende Verteilung der (größtenteils in Floskelsprache erstickenden) Laudationes auf zwei Sprecher und ein improvisierendes Quartett bis zu fehlenden Inserts oder hakender Drehbühne. Bis auf das starke Finale mit dem Lebenswerk-Preis an Joachim und Rolf Kühn mit Till Brönner als Überraschungslaudator war so gut wie jede Emotion sorgsam aus dem Ablauf entfernt worden – also das, weswegen ein nicht nur aus Fachleuten bestehendes Publikum eine Preisverleihung anschaut. Die …

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Tobias Hoffmann Jazz Orchestra – Conspiracy
Tobias Hoffmann Jazz Orchestra – Conspiracy

Verschwörungen, Steinblumen und Illusionen – Jazz-CDs in der HörBar

Aktuelle Platten von Benjamin Schaefer, Kaan Bulak, dem Tobias Hoffmann Jazz Orchestra, den Hotties und Enso. Neuere Jazz-Rezensionen in der HörBar der neuen musikzeitung. Benjamin Schaefer – Stone Flowers Kaan Bulak – Illusions Tobias Hoffmann Jazz Orchestra – Conspiracy Enso – Strings & Percussion Hotties – #happyorsad Mehr zu den Platten, hinter dem Titellink in der HörBar (meistens mit Musikbeispielen von einem Streaming-Anbieter oder Bandcamp etc). Benjamin Schaefer – Stone Flowers Ich habe selten eine Platte aus diesem Bereich gehört, bei der diese Durchwirkung musikalischer Parameter auf so umfassende Art und Weise passiert wie hier. Also sowohl Rhythmus, Metrum, Melos und Harmonik,… Kaan Bulak – Illusions … Bulaks Kunst liegt dabei in dem Aufbau der Details der Klanggestaltung, bei der sich hinter Türen weitere Türen öffnen … . Wer dies tut, wird immer wieder Neues entdecken, bzw…. Tobias Hoffmann Jazz Orchestra – Conspiracy … Man könnte das jetzt Stück für Stück bewundernd weiterführen. Alles sitzt! Nix klemmt! Die Band ist großartig, die Kompositionen sind voller Raffinesse und mit genug Platz für genügend Freiheiten. Alle charaktervoll gesetzt, mal Schönbergs Komposition mit 12 nur aufeinander bezogenen Tönen …

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Mathias Rüegg – The Advantage of Writing Music

Trios, Ensembles, Big Band, Orchestras – Jazz-CDs in der HörBar Januar 2023

Eine bunte Mischung durch Aufnahmen aus den letzten Monaten mit Big Bäng! Trio, Magnus Mehl, Mathias Rüegg, Theo Croker, Axel Kühn Trio und Chris Torkewitz. Die Jazz-Rezensionen in der HörBar der neuen musikzeitung. Für die kompletten Rezensionen mit den Hörbeispielen folgen Sie den Links in den Überschriften. Big Bäng! Trio – Singularity … Keine Frage, auch diese drei Jungs spielen sauber und feinsinnig, mal grob, mal luftig und mal eng. Dafür ist die CD mit ihren 18 Tracks auch umfangreich genug. Da kann man schon mal die ganze aktuelle Poetik des Triospiels abgrasen. Da darf es eben alles sein. Das ist gekonnt, aber es ist auch «nur» gekonnt. … Magnus Mehl – Upside Down And In Between … Schon mit dem ersten Track «Punchline» kocht die klingende Materie hoch. Wirkt anfangs die Themenbildung arg konstruiert mit ihren Sprüngen, verwinden sich im Laufe des Stück die Linien der beteiligten Musiker zu einem echt geilen Ding. … Mathias Rüegg – The Advantage of Writing Music Der Leiermann bettelt nicht mehr … Das alles hat seinen Charme und seine eigene Qualität. Vielleicht sind es sogar schon Denkmäler der Tonkunst …

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„Rainbow Bubbles“ zum Staunen

Von Mathias Bäumel Immer mal wieder kann man in CD-Begleittexten lesen, dass die Musik vollständig ohne Overdubs, also live ohne irgendwelche „künstlichen” Zusätze, in einem Rutsch eingespielt worden sei. Solche Hinweise sind verräterisch. Tendenziell unterstellen sie, dass eine Musik ohne nachträglich im Studio hinzugefügter Klangelemente authentischer und somit künstlerisch wertiger sei. Oder sie heben heraus, dass das spieltechnische Vermögen des Musikers so frappierend groß ist, dass eine studiotechnische Nachbearbeitung nicht nötig sei. Beides kann zutreffend sein und die Qualität der betreffenden Musik verdeutlichen. Aber könnte ein gegenteiliges Konzept nicht auch zu einer brillanten Musik führen? Einer der ersten, der einen solchen Weg im Bereich des zeitgenössischen Jazz beschritt, war 1969 Miles Davis mit seiner LP „In A Silent Way”. Hier wurden die Stücke durch Schneiden, Zusammenfügen, Kopieren und Wiederholen aus etwa 80 Minuten Material zurechtgeschnitten. In einem solchen Fall ist die Jazz-LP ganz wesentlich ein Produkt von Studioarbeit, nicht mehr bloß eine Dokumentation von Live-Musik (im Studio oder beim Konzert). Der Ausnahmegitarrist Samo Salamon veröffentlicht mit „Rainbow Bubbles” wieder eine ganz spezielle Platte. Während im Falle von „In A Silent Way” Produzent und Musiker das …

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Album „ABSTRAKT“ – Leo Betzl Trio besinnt sich auf den Jazz

(von Stefan Pieper) LBT – hinter diesem Kürzel verbirgt sich das Münchener Leo Betzl Trio – und die machen seit einigen Jahren mit ihrer rein akustisch gespielten Techno-Fusion mächtig Furore. Auf ihren neuen Album „Abstrakt“ zeigen sie sich aber auch als zeitloses Jazz-Pianotrio auf kreativer Höhe. Nach eigenem Bekunden ziehen Leo Betzl (piano), Sebastian Wolfgruber (Schlagzeug) und Maximilian Hirning (Bass) heute eine klarere Trennlinie zwischen ihrem spektakulären Acoustic Techno und ihrer Jazz-Linie. Heraushörbar und spürbar bleibt die verbindende große Sache. Ob Jazz oder Techno, LBT haben ihren typischen, unverkennbaren Sound, hinter dem eine eingeschworene Rollenverteilung in dieser Band steht. Los geht „Abstrakt“ in fließendem Puls, wenn das Schlagzeug dezente Klangtupfer wie bei einer Tabla setzt. Aber daraus erwachsen viele Verästelungen und Entwicklungen, die auch mal rockig aufbrausen und immer wieder neu mit ihrem verfeinerten Ideenreichtum verblüffen. Bassist Maximilian Hirning tut eben das, was der Rolle des Bassisten idealtypisch entspricht: Führen und dabei zentriert sein. Vielschichtigkeit als Markenzeichen. Untenrum klare, kraftvolle Muster vorgeben, gleichzeitig und in höheren Lagen eine effektvolle Sound-Dramaturgie. Einen Hybrid aus guten Aspekten zu erzeugen, gehört zur Philosophie der Münchener Leo Betzls Klavierspiel …

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Plötzlich Hip(p) – Ilona Haberkamps Jutta-Hipp-Biografie

Sie war die erste deutsche Jazzpianistin und weltweit eine Pionierin des weiblichen Jazz: die Rede ist von Jutta Hipp. Das Multitalent wurde 1925 in Leipzig geboren, lernte vier Jahre klassisches Klavier, und fand während des Zweiten Weltkriegs durch den Jazz erst wieder zu ihrem Instrument. Während ihres Studiums an der Akademie für graphische Künste (1942-1945) begann sie zu improvisieren und trat als Amateurin in einer Jazzband im Leipziger „Hot Club“ auf. Heimlich hörte sie die von den Nazis verbotenen Radiosender, vor allem Radio Hilversum und BBC London. 1945/46 entstanden Demo-Aufnahmen mit Freunden aus dem „Lime City Jazz Club“ in Leipzig (unter anderem mit Rolf Kühn), die 2015 erst veröffentlicht wurden. 1946 ging sie mit ihrem damaligen Verlobten Teddie Neubert und Thomas Buhé in den Westen, um in amerikanischen Offiziersclubs und Tanzlokalen am Tegernsee zu spielen. Ihr 1948 geborener Sohn Lionel, ein sogenanntes Brown Baby, wuchs in einem Kinderheim und bei Pflegeeltern auf, er suchte als Erwachsener nie Kontakt zu ihr. Ihr abenteuerlicher musikalischer Weg führte sie nach Stationen in München und Frankfurt am Main schließlich 1955 nach New York als „Europe’s First Lady of Jazz“. …

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