Musikalischer Gang durch die Jahreszeiten – neue CD von Mic Oechsner

Boschs „Garten der Lüste“ darf man bei Mic Oechsners vielseitigem Werk, dem öffentlichen (Klang-)Garten „Giardino pubblico“, nicht erwarten. In diesem akustischen Garten des gebürtigen Münchners mischen sich vielmehr orchestrale Werke mit kammermusikalischen Episoden, fusionartige Klänge mit Modern-Jazz-Kompositionen und groovigem Quartettsound. Die insgesamt 24 Stücke sind entsprechend ihrer Entstehung in einem Zeitraum von fast einem Jahrzehnt sehr unterschiedlich und von Oechsner in einer Art Jahreszeitenzyklus zusammengestellt worden. Eine üppige Natur jazzt in klanglicher Großzügigkeit durch Frühling und Sommer. Stimmen, Geplänkel. Die Rhythmen verlangsamen sich – Herbst, Winter. Dann wieder Leichtigkeit, Flow, der Zyklus beginnt von Neuem. Wahre Gefühle in kleinen Klangsystemen, eingebettet in stimmige Kreisläufe. Da tanzen Geige und Cello (Clemens Samitzer) in entrückender Berauschtheit, „Clemic Emotions“. In der „Kleinen Hirschmusik“ mischen sich die entspannte Gesprächskulisse eines Frühstückstisches mit angedeuteten Brunftrufen, unbestimmten Keyboardsounds, Geige und Schlagzeug (Joe Resl). In der „Scottish Fantasy“ werden die fusionartigen, trunkenen Melodien von folkigen Sackpfeifensounds und sehnsuchtsvollen Klanglandschaften abgelöst. Neue Horizonte öffnen sich auch mit somnambulen Walzermelodien auf dem Akkordeon, mit dem Oechsner ein heiter-seliges „Salute Italia“ im Mehrspurverfahren als Multiinstrumentalist anstimmt. Thematisch geht das auf zwei Cds publizierte Werk mit …

Weiterlesen

„1.000 Kilo Schwein(s)“-Vergnügen mit Nicole Johänntgen

Von Michael Scheiner. Selbst in New Orleans, der Wiege des Jazz, wie die Stadt am Mississippi gern bezeichnet wird, würde Nicole Johänntgen mit ihrem Bandprojekt „Henry II“ die Szene kräftig aufmischen und jedes Publikum zum Tanzen bringen. Damit haperte es beim Auftritt der Saxophonistin und ihren Musikern im Leeren Beutel leider ein wenig. Die gemütliche Sitzordnung mit Tischchen und das zumindest teilweise etwas fortgeschrittene Alter des Auditoriums verlockte nur eine Handvoll begeisterter Zuhörer die Stühle wegzuschieben und Hüften und Beine in schwungvolle Bewegung zu versetzen. Der mitreißende Groove und die ansteckende Fröhlichkeit der Musik waren aber auch zu verlockend. Das mit drei Bläsern und Schlagzeug besetzte Quartett um die 37-jährige Musikerin ist eigentlich ein Zufallsprodukt. Vor zwei Jahren unternahm Johänntgen während eines Stipendiumsaufenthaltes in New York einen Abstecher nach New Orleans. „Um mehr als ein bloßes Mitbringsel mitzunehmen“, erzählte sie nach einer Zugabe dem begeisterten Publikum, „wollte ich mit einigen Musikern ein paar Stücke aufnehmen, die ich im Stil eines modernen New Orleans Jazz komponiert hatte“. Sie fand die Musiker, den Posaunisten Jon Ramm, Tubaspieler Steven Glenn aus Colorado und den Schlagzeuger Paul Thibodeaux, einen echten …

Weiterlesen

Multikulturelle Atmosphäre: das Bayerische Jazzweekend 2018

Ein Streifzug von Michael Scheiner (Text und Fotos) – Je genauer man hinschaut, desto länger wird die Küste eines Landes. Dieses Phänomen wendet das europäische Kollektiv „Coastline Paradox 5“ um die beiden Bläser Richard Köster (tp) und Damian Dalla Torre (ts, bcl) in einer Mischung aus langen Spannungsbögen und subtilen, intuitiven Nahaufnahmen an. Im Arkadenhof entfalteten die fünf Musiker ihre musikalische Landschaften zwischen zarten, versponnenen Unisono-Linien, repetitiven Pianomotiven, sirrenden Sounds und klaren kraftvollen Attacken, die manchmal wie Warnsignale wirkten. Je näher man da mit den Ohren ranrückte, desto gehaltvoller und ergiebiger wurde das Erlebnis – und entfaltete von einer fast meditativen Ruhe, über versteckten Witz, bis zu unheimlichen Momenten und märchenhaft-romantischen Stimmungen ein faszinierendes Klangpanorama. Vom Quartett, mit dem sie vor zwei Jahren zu hören war, ist Nathalie Elwoods Projekt auf ein Duo mit dem Pianisten Josef Reßle geschrumpft. Im lüftungverrauschten Degginger präsentierte die Münchner Sängerin eigene Songs, wie das nachdenklich „Many Moons Ago“, und eigens arrangierte moderne Jazzsongs. Atemberaubend wie die beiden durch verzwickte Wendungen ihrer ungemein spritzigen Version von Chick Coreas „Spain“ rasen, das Publikum rast begeistert mit. Was Stimmumfang, die Fähigkeit federleicht …

Weiterlesen
Werbung

Grooves aus Röntgenbildern und Poesie: Rim Bannas letztes Werk

Zwei Tage vor seinem Tod ist David Bowies Album „Blackstar“ erschienen. Es wurde als finale Inszenierung des Mannes „der vom Himmel fiel“ empfunden, der selbst zum Kunstwerk geworden war, als sein künstlerisches Vermächtnis. Die heuer im März verstorbene Sängerin Rim Banna hat die Veröffentlichung ihres letzten Albums nicht mehr erlebt. Wie der Popstar hat die 51-jährige Musikerin bis zuletzt an ihren Texten und der Musik gearbeitet. Sie hat sich ihre künstlerische Integrität bewahrt und die Fäden in der Hand behalten. „Voice of Resistance“ ist somit ebenfalls zum Vermächtnis geworden, ein kraftvolles und trotziges Zeichen sich angesichts eines vorhersehbaren Todes nicht unterkriegen zu lassen. Zugleich ist es aber auch ein phänomenales musikalisches Statement. Auf höchst vitale und faszinierende Weise verbindet es elektronische Sounds und komplexe Beats mit akustischem Pianojazz, Poesie und „Datensonifikation“ zu mitreißenden clubtauglichen Grooves. Der Widerstand, die „Resistance“, geht bei diesem letzten Album weit über eine politische Haltung hinaus, wie sie lebenslang zu der Aktivistin gehört hat. 2009 war bei Rim Banna eine Krebserkrankung diagnostiziert worden. Sechs Jahre später setzte eine langsame Lähmung der Stimmbänder ein, da arbeitete sie gerade an ihrem 13. Album …

Weiterlesen

Energiebündel China Moses überzeugt mit funky Jazzsoul im Stadttheater Regensburg

Von der Bühne in die Bar – Die in Paris lebende Sängerin China Moses brachte das Publikum im Theater Regensburg mit Souljazz, Funk und erotischen Balladen zum tanzen. Wer sich schütteln muss, wenn er etwas von „Powerfrau“ oder noch schlimmer „Powerfrauen“ hört, war bei China Moses goldrichtig. Der Auftritt der Sängerin mit ihrer Band im Theater Regensburg war die „pure Energie!“ Mit dieser Einschätzung unter einem Videoausschnitt auf Facebook war die Autorin nicht lange allein. „Super“ mit riesigem Ausrufezeichen und „das Konzert war der Hammer“ lauten weitere Kommentare. Ähnlich enthusiastische Äußerungen waren auch direkt nach dem Konzert in den Gängen und Foyers des prunkvollen Hauses am Regensburger Bismarckplatz zu hören, quer durch alle Altersgruppen. Werbung Tatsächlich waren es wenige Minuten, in denen Moses auf der Bühne nicht in Bewegung war. Da saß sie neben dem Flügel auf einem Barhocker und interpretierte mit rauhem Gefühl ruhige Balladen. Aber selbst da hielt es die quirlige Frau nur solange aus, wie sie selbst sang. Beim ersten Solo eines Bandmitglieds stand sie bereits wieder auf den Beinen und wippte oder tanzte im Takt einer coolen Improvisation. Und von denen …

Weiterlesen
Werbung

„Tiptons“ widmen Song dem Präsidenten

„Humans in tiny lower case“, Menschen in winzigen Verhältnissen, ist ein bissig-vergnügter Song mit nachdenklich stimmendem Kern. Die menschliche Hybris und Beschränktheit gegenüber der Größe des Universum sollte „uns kleine dummen Menschen“ etwas bescheidener machen, singen die „Tiptons“ bei ihrem Auftritt im Leeren Beutel. Die vier Musikerinnen widmen den Song ganz explizit ihrem eigenen, „dem amerikanischen Präsidenten“. Es ist nicht die einzige – musikalische – Frechheit, die das singende und blasende Saxophonquartett mit lustvollem Vergnügen und hinreißender Leidenschaft aus dem Hut eines zehn CDs umfassendes Œuvres zieht. Neben engagierten Songs, in denen sie mit Witz und Scharfsinn Stellung beziehen, stecken darin Walzer und Reggaerhythmen. Aber auch überschäumende italienische Melodik und knackiges, vierstimmiges Jazzgebläse, leichtfüßige Latinstücke, Soulfunk und handfester Blues beinhaltet ihre Musik. Vervollständigt wird die Band durch den österreichischen Schlagzeuger Robert Kainer, der es lächelnd aushält, wenn er als Quotenmann bezeichnet wird. Beim ersten Jazzclub-Konzert vor einem Vierteljahrhundert war noch ein anderer Drummer mit dabei. Damals nannten sich die Saxophonistinnen, die sich an ihr Regensburgdebüt gut erinnern konnten, noch „The Billy Tipton Memorial Saxophone Quartet“ nach einer Musikerin, die in den 40er Jahren nur als …

Weiterlesen

„Fränkisches Weißbrot“ Wolfgang Haffner lobt Regensburg

In der Muppets-Show sitzt „Das Tier“ am Schlagzeug und drischt mit wilder Lust und leidenschaftlicher Energie auf die Felle und Becken seines Drumsets ein. Selbiges passiert auch bei Wolfgang Haffner, wie bei seinem heftig umjubelten Auftritt am Wochenende im Leeren Beutel zu erleben war. Haffner trägt zwar keinen ungezähmten Bart und sein hoch differenziertes Spiel lebt auch nicht allein von purer Energie und emotionaler Kraft. Der 52-jährige Schlagzeuger aus Franken gehört heute zu den erfahrensten und vielseitigsten Musiker weltweit. In seinem delikaten Spiel stecken sowohl die eruptive Energie des entflammten Meisters, als auch die feinsten Klangzaubereien eines Ziseleurs der Besen und Stöcke. Dennoch hat ihm einer der Musiker seines Quartetts beinahe die Show gestohlen, zumindest bildlich gesehen. Der aus Darmstadt stammende Vibraphonist Christopher Dell macht äußerlich den Eindruck eines einfachen Beamten in der Kfz-Zulassungsstelle und entwickelte in seinem fulminanten Solospiel eine musikalische Ekstase und einen flirrenden Ideenreichtum wie sie jedem Minister mehr als gut anstehen würden. Gleich anfänglich im eher gemächlichen „Hippie“ brillierte er mit einem Solo, dass manchem begeisterten Zuhörer im voll besetzten Saal der Mund offen stehen blieb. Nach einem kurzen Break wechselte …

Weiterlesen

CD-Rezension: Joachim Kühn New Trio – Love & Peace

„Love & Peace“, das liest sich wie Hippietum und Happening oder steht für esoterische Erleuchtungsrituale. Zutaten also, die bei vielen Menschen  Abwehr- oder gar Fluchtreaktionen auszulösen imstande sind. „Love & Peace“ steht aber auch für das Festival auf Fehmarn, bei dem Jimi Hendrix seinen letzten Festivalauftritt hatte, und ist – wie so vieles andere – längst zu einem glatt gebügelten Marketingbegriff verkommen. Es ist anzunehmen, dass dem gebürtigen Leipziger Joachim Kühn, der in den wilden 60er Jahren „rübergemacht“ hat, diese Umstände bewusst sind, als er sein neues Album mit eben diesem Begriffspaar überschrieben hat. Hat er, Jahrgang 1944, doch selbst Wurzeln in dieser Zeit, die heute so fern erscheint. Weit weniger fern erscheint dagegen der semantische und erst recht der emotionale Gehalt dieser Phrase – dem heute ein größeres Gewicht zukommt als vor einem halben Jahrhundert. Wohl deshalb überbrückt Kühn den Raum zwischen heute und gestern und stellt – nach dem 2016er Erstling „Beauty & Truth“ – im zweiten Kapitel mit seinem „New Trio“ die überfällige Verbindung her. Eines fällt dabei ganz besonders auf: Kühn klingt wie Kühn, aber gleichzeitig auch anders als gewohnt. Unter …

Weiterlesen

Bluesgetränkt und frei im Geist – „A Love Electric“ im Leeren Beutel in Regensburg

Oldfashioned, altmodisch, ist der erste Gedanke beim klassischen Rocktrio-Lineup von „A Love Electric“. Auch die ersten Takte der Mixed-American-Band im Leeren Beutel scheinen diesen Eindruck zu bestätigen. Bluesgetränkt baut sich eine leicht schattige, von Todd Clousers lässigem Spiel auf der E-Gitarre befeuerte Spannung auf. Aber nicht nur die bis in die Augen gezogene Wollmütze des aus Argentinien stammenden Drummers Hernan Hecht und die Loops, die Bassist Aaron Cruz mit der Mundharmonika unter sein filigranes Spiel legt, stellen sich dem Schablonendenken grinsend in den Weg. Mit jedem Song den Clouser anstimmt wird deutlicher, dass die musikalischen Wurzeln der Band zwar im Blues, Rock, Jazz und Soul liegen. Rückwärts gewandt allerdings ist dieses großartige Trio ganz und garnicht, im Unterschied zu vielen faden Retro-Bands. Die gleichberechtigt auftretenden Musiker machen keinen Hehl daraus, wo ihre popgeschichtlichen Referenzpunkte verankert sind. Da klingt Curtis Mayfield, dem sogar ein Song auf einem ihrer Alben gewidmet ist, ebenso an, wie der künstlerische Gestus Tom Waits‘ oder Edgar Winters Vielfalt. Weit im Hintergrund scheinen hie und da die „Doors“ und die „Electric Prunes“ mit ihren psychedelischen Sounds auf. In den verkanteten Rhythmen und …

Weiterlesen
Frontmann Jan Zehrfeld spottet über "erzwungene Besinnlichkeit". Foto: Michael Scheiner

Panzerballett zerschreddert weihnachtliche Innerlichkeit

Panzerballetts komplexer Streifzug durch die Welt des Weihnachtslieds im instrumentalen Tarnanzug von harten Metal-Riffs und krummen Rhythmen. Ende der 70er Jahre plärrte die österreichische Rockband EAV „Ihr Kinderlein kommet (verdammt noch einmal)“ auf ihrer gleichnamigen Tour. Es war eine schneidend böse Häme auf weihnachtlichen Konsumzwang und Heuchelei, garniert mit schlüpfrigen Bosheiten. Für Jan Zehrfeld ist das seit 1997 jedes Jahr im Herbst wieder in den deutschen Charts vertretene „White Christmas“ nur auf eine Weise, nämlich „so erträglich“: Auf der Bühne im Leeren Beutel lässt er kurz seine siebensaitige Gitarre von Ibanez aufheulen. Er habe den Song des Popsängers George Michael „mit schönen Harmonien“ – er spielt wieder einen schrägen Akkord an – und „neuen Taktarten, also 11/4 und auch 11/16“ aufgemotzt. Die Melodie aber habe er „ganz und gar unangetastet gelassen“. Einige wuchtige Gitarrenakkorde peitschen durch den historischen Saal, als das sechsköpfige Panzerballett, Zehrfelds Band, mit der fast komplett neu zusammengesetzten Weihnachtsschnulze loslegt – die fetten Steinsäulen halten stand. Werbung Minutenlang fliegen einem höchst heterogenen Publikum heftige Schlagzeugkaskaden, mächtig treibende Basslinien und peitschende Gitarrenklänge um die Ohren. Ob alt oder jung, es scheint allen richtig …

Weiterlesen