Der Nicht-Gemütliche: Joachim Kühns „80th Birthday“-Konzert in der Elbphilharmonie Hamburg

Was für ein Applaus! Rauschender Jubel von einem Publikum, das in weiten Teilen stehend applaudiert. Und auf der Bühne ein erfreut strahlender Lockenkopf, der nach allen Seiten zum Abschied winkt – und dann schwungvoll zum seitlichen Bühnenausgang strebt. So erlebte man jetzt den Pianisten Joachim Kühn – den vermutlich weltweit bekanntesten lebenden deutschen Jazzmusiker – am Ende eines Doppelkonzerts im Großen Saal der Hamburger Elbphilharmonie. Zuerst im Duo mit seinem Klavier-Kollegen Michael Wollny und dann im Trio mit Chris Jennings am Kontrabass und Eric Schaefer am Schlagzeug, spielte Kühn in dem bis auf ganz wenige Sitze vollen, 2100 Besucher fassenden Hamburger Edel-Konzertort – und bot dem Publikum eine enorme Energie-Leistung.

Kühns Comeback

Noch vor einem Jahr hatten viele Jazzfans sich schon damit abgefunden, dass Kühn sich möglicherweise vom Konzertbetrieb zurückzieht. Einige Konzerte wurden damals als Abschiedskonzerte angekündigt, und in Interviews hatte der Pianist gesagt, dass er nicht mehr gern reise. Zum Glück sind Künstler manchmal inkonsequent – und so konnte man Joachim Kühn jetzt an drei deutschen Orten in nachgezogenen Konzerten zu seinem 80. Geburtstag (der war am 15. März 2024) erleben: im Theaterhaus Stuttgart, im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie (wo Bundeskanzler Olaf Scholz dem Musiker einen Besuch in der Garderobe abstattete) und in der Elbphilharmonie.

Freude am Gelingen: Joachim Kühn und Michael Wollny. Foto: Walter Schmitz

Das letzte der drei Konzerte, veranstaltet und aufgezeichnet vom Norddeutschen Rundfunk (Redaktion: Stefan Gerdes), war ein kleiner Marathon von deutlich über zwei Stunden Netto-Musikzeit. Die erste Hälfte mit dem 34 Jahre jüngeren Kollegen Michael Wollny ließ sich als ein langes, knisternd intensives Zwiegespräch auf zwei, einander gegenüber stehenden Konzertflügeln an: mit Wollny rechts und Kühn links (gesehen vom größten Teil des Publikums aus). Noch eben war in der Bühnenansage der Moderatorin Sarah Seidel von „Tonwirbeln“ die Rede gewesen, die einst Michael Wollny in seiner Diplomarbeit in der Musik Joachim Kühns analysierte, schon waren diese „Wirbel“ auch im Spiel der beiden Pianisten zu hören. In lustvoll aufbrausenden und zwischen beiden hin und her schäumenden Tönen bauten sie eine energiegeladene Stimmung auf – die bald in ein impressionistisches Innehalten und zartes Dialogisieren mündete, um sich danach erneut aufzubäumen.

Musikalische Handkantenschläge und kontemplative Momente

Bringen Magie ins Klavierspiel: Joachim Kühn und Michael Wollny. Foto: Walter Schmitz

Faszinierend, dieses Duo zu erleben: Das sind nicht zwei Alpha-Jazzer, die einander übertrumpfen wollen, sondern zwei große Respektvolle, die mit ihrer eigenen Tonsprache so behutsam wie kraftvoll in die Musik des jeweils anderen eindringen. Und es entsteht ein packender Zauber der Kommunikation. Fast wundert man sich, dass die beiden Musiker Notenblätter vor sich liegen haben, die sie auch nach jedem Stück wechseln; denn die Stücke scheinen ganz aus dem Moment heraus zu erwachsen. Kompositionen von beiden sind im Programm, darunter Kühns „Some Strokes of Folk“. Besonders eindringlich spielen sie gerade in einer der leisesten Passagen, einem Stück voller lyrischer und kontemplativer Momente mit liedhaft eingängigen Stellen. Doch auch da lassen kantige Akzente und ein genussvoll-wildes gemeinsames Lospreschen nicht lange auf sich warten. Die Ausbrüche, die musikalischen Handkantenschläge, das Rumoren in grollenden Tiefen und die klirrende Intensität in den Höhen wirken aber nie wie Selbstzweck, sondern sind Mittel einer gemeinsamen Trance: Zwei Musiker heben ab und nehmen ganz offenbar das Publikum dabei mit.

Der zweite Teil im Trio: ganz andere Musik. Und doch Klänge im spürbar selben Geist. Es verblüfft vom ersten Stück an, wie eng verzahnt die Kommunikation der drei Musiker ist – selbst wenn man sie schon erlebt hat und eigentlich weiß, was für eine wesentliche Rolle die Interaktion hier spielt. Vielleicht fällt das aber auch auf der breiten Elbphilharmonie-Bühne, auf der Musiker viel sichtbarer sind als etwa in einem Club, so besonders auf. Die Töne fliegen wie kleine Energie-Partikel zwischen den Dreien hin und her, in Themen von splitternder Unruhe und Improvisationen von enormer Dichte. Packend schon allein, wie der Linkshänder-Bassist Chris Jennings in der Mitte zwischen Klavier und Schlagzeug die Impulse der beiden anderen aufzufangen und zu bündeln scheint. Die für klassische Konzerte ideale, wach reagierende Akustik des Saals hat bei solchem Power-Jazz auch Nachteile, denn es scheint spürbar, dass Schlagzeuger Eric Schaefer hier seine Wucht auch immer wieder bremsen muss, weil sie sonst zu viel ist für den Saal. Eines der Trio-Stücke, darunter die Kühn-Kompositionen „Salinas“ und „Missing a Page“, ist der Mal-Waldron-Klassiker „Warm Canto“, der in seinem langsamen Dahinschreiten, das viel Luft zwischen den Tönen erlaubt, eine besondere Magie im Spiel des Trios entstehen lässt.

Ausklang mit „The End“

Für eine vielsagende Zugabe kommt Michael Wollny nochmal auf die Bühne, aus dem Trio wird ein Quartett mit zwei Flügeln – und Joachim Kühn kündigt im einzigen Konzert-Augenblick, in dem er auch mal spricht, den düster-hypnotischen Rock-Klassiker „The End“ von The Doors an. Die Vier spielen ihn so, dass einem der kalte Schweiß ausbrechen konnte: ein nervöses Kreisen und Suchen, eine sich immer mehr steigernde Spannung, bis sich nach mehreren Minuten doch noch der charakteristische Beat und das Thema des Stücks herausschälen. Glück fürs Publikum, dass dieses „Ende“ noch nicht ganz das Ende des Konzerts bedeutet. Es folgt noch ein Jazz-Evergreen: Hoagy Carmichaels Ballade „Stardust“ als Klavier-Solostück Joachim Kühns, das zeigt, wie bewegend und doch wie wenig kitschig dieser Spezialist für Tasten-Heftigkeit Melodien spielen kann. Eine elegante Schlusspointe im musikalischen Halbmarathon eines gar nicht gemütlichen 80-Jährigen.

Text: Roland Spiegel
Alle Fotos: Walter Schmitz

NDR-Kultur sendet die Audio-Aufnahmen dieses Konzerts am 2. und 9. Juli um 22.33 Uhr.

 

Der tägliche
JazzZeitung.de-Newsletter!

Tragen Sie sich ein, um täglich per Mail über Neuigkeiten von JazzZeitung.de informiert zu sein.

DSGVO-Abfrage *

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.