Ins Horn stoßen statt ins Boxhorn jagen lassen – das Outreach-Festival in Schwaz

Auch und gerade in Coronazeiten begeisterte das innovative Outreach-Festival in Schwaz

„Der Bürgermeister hat mir das Festival acht Mal abgesagt“, erzählt der Trompeter, vor allem aber Gründer und Leiter des „Outreach“ Festivals im österreichischen Schwaz Franz Hackl, „aber ich hab‘ ihm gesagt, dass er das gar nicht entscheiden kann; er kann uns nur nicht in den Saal des SZentrums lassen. Am Ende war unser Konzept überzeugend und wir haben uns prima zusammengerauft.“ Hackl ist keiner, der sich leicht ins Boxhorn jagen lässt, weder von einem Virus noch von Politikern. Dafür stehen schon sein Lebenslauf und die Geschichte seines Festivals, beides gewissermaßen Gegenentwürfe zu alpinen Klischees.

 

Als Sohn eines erfolgreichen klassischen Trompeters und Trompetenbauers trat Hackl zunächst in die Fußstapfen des Vaters und wurde schon mit 14 Solotrompeter bei den Original Tiroler Kaiserjägern. Die Blasmusik-Tradition Tirols war aber nur der Ausgangspunkt. Richtig Feuer fing er bei seinen Besuchen der „Eremitage“, einem kleinen Schwazer Café, in dem Jazz gespielt wurde. Fasziniert von der Freiheit dieser Musik, „zu der es nie nur den einen Zugang gibt“, wie er sagt, führte ihn der Weg bis nach New York, das seit Jahrzehnten sein Hauptwohnsitz ist. Doch die Verbindung in die alte Heimat ließ er nie abreißen, schon wegen des Familienbetriebs „Hacklmusic“, in dem er mit seinem Vater bis heute hochwertigste Trompeten baut.

Aber eben auch wegen des stets Anfang August stattfindenden „Outreach Festival“, zu dem von Beginn an eine dreiwöchige „Academy“ gehört, mit Workshops aller Art für Musiker und solche, die es werden wollen. Mit der radikalen Mischung aus Erfahrung und jugendlichem Feuer, aus Tradition und deren Brechung sowie der Verschränkung von Jazz, bildender Kunst, Spoken Word und Theater hat Hackl das Outreach zu einer herausragenden Kreativplattform für Musiker, Zuhörer und Lernbegierige gemacht. Dies heuer in der Corona-erschütterten 28. Auflage – das wie immer ebenfalls sehr kreative Motto „Infinite Plan B“ gab Hackl schon im Oktober 2019 aus, und weil das jetzt unverhofft aktuell klang, kam noch ein „20/20 Perfect Vision“ dazu – zu bewahren und fortzuführen, stellte unabhängig von Genehmigungen und Zusagen des Bürgermeisters natürlich eine besondere Herausforderung dar. Aber weil der Jazzer Hackl es seit jeher liebt, Herausforderungen kreativ und improvisierend zu begegnen, fand er Lösungen, die durchaus Modellcharakter für andere Festivals haben könnten.

Die größten Probleme waren klar: In den 800er-Saal (mit Rang sogar 1100) durften nur 280 Leute rein, und dies täglich nur zu einen einzigen, nicht zu mehreren Konzerten. Schlimmer noch, für die Auftritte fielen die vielen New Yorker Musiker von Adam Holzman bis Gene Pritzker aus, die in der Academy wie im Outreach Orchestra seit Jahren gewissermaßen das Rückgrat des Festivals bilden, ebenso wie interkontinentale Künstler generell. Also ließ Hackl die Konzerte von einer jungen und dementsprechend engagierten, zugleich hochprofessionellen Hamburger Crew mit fünf Kameras parallel zum Live-Publikum auch für die Internet-Gemeinde streamen. Durchschnittlich 4500 Zuschauer sahen sich das pro Tag an – mehr als das Festival üblicherweise insgesamt hat. Von den normalerweise vier Konzerten im Saal wurde das erste als „Schaufensterkonzert“ in den genau auf der anderen Innseite gelegenen Showroom der Hacklschen Instrumentenschmiede verlegt, mit Beschallung der geradezu ideal davorliegenden Terasse, Parkplätze und Straße.

Hier durften die einheimischen Tiroler Talente mit drei Bands ran, die zugleich einen Überblick über die stilistische Breite der jungen Szene verschafften: das Gesangs- und Schlagzeug-Duo Low Potion überzeugte mit intelligentem, jazzunterfüttertem Pop; das Gitarren- und E-Bass gestützte und mit Mundharmonika und Tuba garnierte Quartett Saltbrennt mit druckvoller Tiroler Blues-Fusion (samt „Skilehrer-Blues“); und das klassische Jazztrio Drehwerk mit erstaunlicher Reife und einer herausragenden jungen Bassistin (Anna Reisigl). Die anderen drei Tages-Konzerte wurden, um die Vorgaben einzuhalten, schlicht zusammengepackt: Auf der großen Bühne des SZentrum-Saales standen nun also alle drei Acts gleichzeitig und wechselten sich mit je drei Sets ab.

Wie sich zeigte, war diese eine geniale, durchaus bei passender Gelegenheit für die nach-Corona-Zeit adaptierbare Idee. Zum einen entfielen die Umbaupausen, was den Tag gegen 23 oder 23.30 Uhr statt wie sonst üblich gegen eins oder zwei Uhr nachts enden ließ – ohne letzte Auftritte vor ermattetem oder bereits heimgegangenem Publikum. Vor allem aber schlugen die ganz unterschiedlichen Bands so einen abwechslungs- und spannungsreichen Bogen, in dem die Eigenarten der jeweiligen Musiker noch klarer zutage traten. Und die neun Ensembles, die dies meisterten, gehörten nicht nur zur kreativen Elite vor allem des deutschsprachigen Raums, es kam auch noch das amerikanische Element zum Tragen, dazu gleich mehr.

Schon beim Auftakt prallten funkenstiebend Welten aufeinander. Das britische Sextett Led Bib des Wahl-Wieners und Drummers Mark Holub mit dichten, mitunter prog-rockigen Klangwolken, denen der neu dazugestoßene Elliott Galvin, ein Jungstar der europäischen Szene, am Flügel die Glanzlichter aufsetzte. Das österreichisch-südtiroler Klarinetten- und vor allem Bassklarinetten-Quartett Woody Black 4 mit der ganzen Bandbreite an Sounds, die sich dem dunklen Holz entlocken lassen. Und die Klassik-Stars Benjamin Schmid und Andreas Martin Hofmeier als Publikumsfavoriten mit dem spieltechnisch eigentlichen schon Unmöglichen, was ihre ungewöhnliche Kombination Geige und Tuba im Crossover-Segment hergibt.

Am zweiten Abend konnte man dank dieses Formats ein faszinierendes Frage- und Antwortspiel zwischen den Metropolen New York und Wien erleben. Hier mit dem ganz klassischen Big-Apple Klavierjazz von Peter Madsens CIA-Trio, auf der anderen Seite mit dem Kabarett- Jazz des Wiener E-bassisten (und Ex-Vienna Art Orchestra-Mitglieds) Robert Riegler, der in seinen Songs druckvolle 80er-Jahre-Fusion und -Latin mit kuriosen Mundarttexten kreuzt. Als Bindeglied fungierte das Duo des (normalerweise in New York lebenden) Saxofonisten Dennis Brandner und des Kontrabassisten Matthias Pichler mit nicht direkt zu verortenden filigranen Stücken, die spieltechnisch herausragten und sicher das Modernste des Abends waren.

Und auch das in dieser Form hier uraufgeführte neue Werk des eigentlich in New York lebenden Schweizer Holzbläsers, Flötisten, Komponisten und Genre-grenzgängers Daniel Schnyder „Mozart in Manhattan“ wäre zwar von den Musikern wahrscheinlich lieber am Stück gespielt worden, hätte dann aber in seiner die Persönlichkeit seines Schöpfers widerspiegelnden überbordenden Vielfalt, Opulenz, Tiefgründigkeit und Finesse das Publikum vielleicht überfordert. So konnte man kurioserweise beim gesellschaftskritischen Performance-Act durchatmen, den Hackl eisern in jede Festivalausgabe integriert. Wobei dies gleich ein Doppelpack war, einmal der vom Festivalorchester souverän grundierte Sprechgesangs-Blues des Schauspielers und Multiinstrumentalisten Thorsten Wilrodt, vor allem aber die an „Black Lives Matter“ anknüpfende Spoken Word- und Tanz-Performance der jugendlichen Hamburger Multikulti-Truppe Lukulele, deren ausschließlich eigene, größtenteils autobiografisch gefärbten und popkulturell unterfütterten Texte nur ganz selten in den Zeigefinger-gestus oder ins „Gut gemeint“ abrutschten, ansonsten aber das Publikum berührten und (auch am Applaus ablesbar) überzeugten. Die das ganze Festival durchziehenden Verbindungsströme zwischen alter und neuer Jazzwelt, zwischen Amerika und Europa flossen auch im dritten Ensemble des Abends, in dem das Trio des Düsseldorfer Saxofonisten Reiner Witzel auf den aus New York stammenden Starpianisten Richie Beirach traf. Und sie kulminierten im großen Finale.

Da nämlich spielte Hackls europäische Festivalband noch als nicht im Programm stehende Zugabe fünf kurze Stücke, die die New Yorker Freunde Mark Egan, Gene Pritsker, David Taylor, John Clark und Jane Getter teilweise erst tags zuvor geschickt hatten. Das demonstrierte, was nur der Jazz kann: Zuvor einmal kurz durchgespielt, gerannen diese Stücke auf der Bühne zum fulminanten Höhepunkt mit echtem Bläser-Wahnsinn, insbesondere mit Christoph Schweizers Posaunen-„Solo of the Festival“ bei Taylor grandioser Schubert-Doppelgänger-Bearbeitung „Double D“.

Mit Blick darauf wie auf das gesamte Festival war man hinterher jedenfalls beglückt, wie Hackl aus der Not eine Tugend gemacht und sein Diktum mit Leben erfüllt hatte: „Man muss nicht im trauernden Notprogramm erstarren, sondern kann einen kreativen Prozess einleiten.“ Nachzuschauen übrigens auf den von hamburg.stream auf Facebook eingestellten Streams (Link auf www.outreachmusic.org). Oder für die, die einen Ausflug nach Österreich einplanen können, noch einmal live am 13. August, wenn Hackl mit dem herausragenden argentinischen Pianisten Leo Genovese und dem Stepptänzer Max Pollak die Schwazer Innenstadt bespielt.

Oliver Hochkeppel

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