Der Kritiker weiß nicht. Foto: Hufner
Der Kritiker weiß nicht. Foto: Hufner

Jazz im ARD-Radiofestival: Milestones der Herzlosigkeit

Ich gebe zu, ich hatte mich sehr gefreut über die Ankündigung, Miles Davis und sein Bitches Brew-Album auch im Radiofestival-Sommer hören zu können. Die Ankündigung versprach viel.

Cut & Paste & zurück – Miles Davis im Jahr von Bitches Brew

Vom 19. bis 21. August 1969 nahm der Trompeter Miles Davis im New Yorker Columbia Studio das epochale Album „Bitches Brew“ auf. Das Besondere war aber die Post-Production, in der erst die Musik endgültig zusammengeschnitten wurde.

Nicht nur wegen des elektrifizierten Klangbildes und des Grooves, der Brücken zu Rock und afrikanischer Musik schlug, nicht nur wegen des Cover-Designs im Geiste der Pop-Art markierten die Aufnahmen, zu denen Miles Davis eine erweiterte Band vom 19. bis zum 21. August 1969 ins Columbia Studio in New York rief, ein neues Zeitalter im Jazz. Zusammen mit dem Produzenten Teo Macero nahm Davis anschließend die im Studio entstandenen Aufnahmen unters Skalpell und montierte aus einer Unzahl von Bruchstücken, Motiven, Rhythmen eine so nie gespielte Symphonie im Geist einer radikalen Moderne.

Doch bevor „Bitches Brew“ im März 1970 schließlich das Licht der Schallplattenläden erblickte, unterzog Davis das auf dieser Aufnahme verwendete Material einem harten Belastungstest. Im ARD-Radiofestival Jazz präsentiert Stefan Hentz den Auftritt des Miles Davis Quintet vom 7. November 1969 bei den Berliner Jazztagen, bei dem Davis „Bitches Brew“ der gleichen Behandlung unterzieht wie beispielsweise die Standard-Ballade „I Fall in Love Too Easily“.

Aber, ehrlich, was kann man denn in knapp 30 Minuten da schon senden? Vom im dritten Absatz genannten Konzert in Berlin gab es drei Ausschnitte, die grob beschnitten worden sind, um dann auf Bitches Brew einzugehen von dessen Album am Ende der Sendung dann der Anfang von Pharaoh’s Dance erklang. Doch: Ganze zwei Minuten lang, ehe die Abspannmusik sich drüber legte. Das ist alles nur traurig. Überhaupt wirkten die 30 Minuten eher herzlos zusammengestrickt und eine Blende, um zum nächsten Stück überzuleiten, geradezu wie abgewürgt.

„… eine so nie gespielte Symphonie im Geist einer radikalen Moderne …“

Drumherum zu Beginn und am Ende der Sendung dann dieses ARD-Geklingel. Wie man den Jazz bettet, so schläft er. Das mal hier gerafft zusammengeschnitten, damit auch diejenigen einen Eindruck bekommen, die es am Montag abend nicht gehört haben (die ganze Sendung gibt es noch hier bis zum 2.9.2019 zum Nachhören und mit einer deutlich längeren Passage aus Pharaoh’s Dance (ca. 8 Minuten !) und ohne das absurde Festival-Bett).

Das Radiofestival Jazz in den Rundfunkanstalten der ARD ist ein reiner Notnagel, der zumindest in diesem Fall ein bisschen auch wie eine Grablegung von Jazz im Rundfunk klingt.  Das Thema „Cut & Paste & zurück“ wird in der Moderation nur kurz gestreift, kein Beispiel vorgeführt. Lern- und Erkenntniseffekt: Null. Dabei hatte man ja die Liveversion des Stücks Bitches Brew von den Jazztagen ausschnittsweise zur Verfügung. Vergebene Chance. Das hat man von 30 Minuten Radiofestival Jazz. Ein Trauerspiel.

Kleine Anmerkung am Rande zu „Bitches Brew“. Das Album war natürlich vielleicht weniger epochal als epochemachend. Ekkehard Jost hat 1978 die Veröffentlichung in einem Beitrag als Anpassung an die Forderungen der Musikindustrie aufgefasst (Ekkehard Jost: Divergierende Tendenzen im Jazz der 70er Jahre, in: Avangarde, Jazz, Pop – Tendenzen zwischen Tonalität und Atonalität, Mainz 1978, S. 60-74.) Darin zitiert er David Holland, der zu der Zeit mit Miles Davis zusammengearbeitet hat:

„Dem Publikum, dasin Massen zu den Auftritten der Miles Davis Gruppe strömte, nachdem mit Bitches Brew ein durchschlagender Erfolg erzielt worden war, konnte man anmerken, mit welch oberflächlicher Haltung es der Musik zuhörte. Die meisten verstanden nicht, was wirklich gespielt wurde, und nahmen nur einige Aspekte der Musik wahr … Solange wir etwas spielten, was einen Rock-Beat hatte, gingen sie mit, sobald wir uns aber auf ein anderes Gebiet wagten, dann verloren wir sie blitzartig und fingen an zu reden.“ (Jost: S. 69, zitiert nach: Gudrun Endress: Circle, in: Jazz Podium 2/1971, 53, 55, 68.)

All diese auch mitlaufende Kritik fällt mittlerweile weitgehend unter Tisch, es bleibt dieses „Meisterwerk“ eines Jazzmeisters übrig. So ganz genau ist das alles aber auch nicht erfasst worden, denn aus heutiger Sicht kann man sich nicht vorstellen, dass bei Bitches Brew tatsächlich die Rockelemente dem Werk allein den Verkaufsdrive gegeben haben können. Das lässt sich wohl nur aus dem musikalischen Umfeld im Jazz und der Popkultur der frühen 70er und späten 60er Jahre begreifen – mit all den psychedelischen Komponenten sowie bewusstseinserweiternden Substanzen, die damals weiter verbreitet gewesen sein dürften. Und dem Zerfall der Avantgarde-Jazz-Szenen druch Tod und Ausweitung, Globalisierung etc. Es ist hier nicht der Platz, das in seiner Komplexität zu analysieren.

Wäre hier aber interessant, zu erfahren, wie unsere Leserinnen und Leser Bitches Brew im Laufe der Zeit jeweils gehört und erlebt haben.

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