Wo der Jazz tanzt: die 41. Leipziger Jazztage haben begonnen

Mit ihrem Konzept verfolgen die Leipziger Jazztage eine kluge Doppelstrategie: Neue Spielstätten im gesamten Stadtgebiet erweitern die Wahrnehmbarkeit des Traditionsfestivals und erschließen neue Publika. Trotz lokaler Ausprägung mutieren die Jazztage deswegen aber nicht zum harmlosen Stadtfest, sondern bieten das gewohnte – und auch erwartete – Qualitätsprogramm erster Güte. Auf den 41. Jazztagen geben sich internationale Stars wie Pat Metheny (21.10.), Dominic Miller (19.10.) oder Miroslav Vitous die Klinke in die Hand. Bekannte Namen prägen das Programm, aber man kann auch echte Entdeckungen machen, wie auf den Konzerten der beiden Preisträgerbands. Die Big Band „Jazzrausch“ von Bandleader Roman Sladek, der für sein innovatives Konzept mit dem BMW Welt Young Talent Jazz Award 2017 ausgezeichnet wurde, spielte bereits dieses Wochenende. Das Quintett des Leipziger Schlagzeugers Philipp Scholz, der 2017 den Jazznachwuchspreis der Marion Ermer Stiftung erhält, wird am 17. Oktober im UT Connewitz zu hören sein. Während der zehn Festivaltage bis zum 21. Oktober bewegen sich die Jazztage mit 22 Konzerten, Film, Vortrag, Kino und DJ Set höchst unterhaltsam und anspruchsvoll zugleich zwischen Innovation und  Tradition. Im Folgenden einige Impressionen vom ersten Festivalwochenende.

Der alte Westen Leipzigs ist heute ein jugendliches Szeneviertel. Hier produziert in den Räumen des Heizwerks Lindenau an der Saalfelder Straße das Kunstkraftwerk Neues: Auf über 2.000 Quadratmetern Nutzfläche finden Ausstellungen, Symposien, Lesungen, Konzerte und Partys Platz. Und seit der 41. Ausgabe der Jazztage Leipzig hat hier auch die improvisierte Musik ein neues Domizil gefunden. Der erst 23-jährige Bertram Burkert traf mit seinem Quartett in einem Doppelkonzert im Kunstkraftwerk auf große Namen wie den polnischen Saxophonisten Adam Pieronczyk im Duo mit dem tschechischen Bassisten Miroslav Vitous. In seinen Kompositionen kombiniert Burkert die klassische Gitarre mit dem Jazzquartett und überwältigte seine Zuhörer mit feinen Linien, leisen Melodien, motivischer Improvisationskunst und außerdem mit dem kongenial unisono mit der Gitarre spielenden Hayden Chisholm am Altsaxophon.

Den abgeklärten Gegenpart boten im Anschluss zwei Meister des Instant Composing: Adam Pieronczyk und Miroslav Vitous sorgten nicht nur für einen ausverkauften Saal und Nachbestuhlung, sondern auch für das unbeschreibliche Gefühl, das einen überkommt, wenn man Zeuge der Entstehung großer Musik wird. Vitous mit  viel Hall und tiefem, warmen Ton sowie bekannt virtuosem Spiel war ein idealer Counterpart zum klaren, beinahe spröden Saxophonspiel eines Pieronzyk. Dieser zeichnete auf den Hintergrund von Vitous Harmonieflächen markante Linien, setzte sparsam Ausrufezeichen und trat mit dem Tieftöner in einen lebendigen Dialog, dem zu folgen eine Freude war.

Bertram Burkert war nicht die einzige Entdeckung des Festivals. Die Sängerin Jorinde Jelen hatte mit einem Kinderliederprogramm „Jollis wilde Welt der Worte“ Festivalpremiere und CD-Release-Party zugleich. Ein bemerkenswertes Musikvermittlungsprogramm, das eben keines ist, sondern eine durchkomponierte Unterhaltungsshow für Kinder. Die zahlreich anwesenden Nachkommen bekamen kein Jazz-Curriculum verpasst, sondern eher ein musikalisiertes Kasperletheater vorgeführt.

Jorinde Jelens Kinderkonzert war der Auftakt eines ganzen Jazztages in der Leipziger Kulturfabrik Werk 2, ebenfalls eine neue Spielstätte des Festivals. Auf den lebendigen Auftakt am Morgen folgten spät Nachts zwei Club-Events, die sich explizit die Tanzbarkeit von Jazz auf die Fahnen geschrieben hatten. Electro Deluxe aus Frankreich gaben die versierten Einheizer – ihre Mischung aus Funk, Soul und Showeinlagen rissen das Publikum mit und animierten die Zuhörer zum Mitmachen. Wäre man gegen Ende des Deluxe-Auftritts unvorbereitet in den Saal gekommen, hätte man glauben können, hier träfen sich eine überdimensionierte, aber hochmotivierte Gymnastik- und Aerobic-Gruppe.

Nach dieser Lockerungsübung a la Deluxe folgte eine weitere Festival-Premiere und -Entdeckung: „Jazzrausch“, die Residence Band des Techno Clubs Harry Klein in München feierte ihre Leipziger Premiere. Bandleader Roman Sladek und Komponist Leonhard Kuhn bauten ins massive Techno-Gerüst feine, ausgefeilte  Bläsersätze und Soli ein. War man einmal im „Jazzrausch“, dann kann man sich nach dessen Abklingen gar nicht mehr vorstellen, dass Techno nicht schon immer so lebendig geklungen haben soll. Bruckners Klangkathedralen treffen auf Techno-Futurismus – extrem vertrackte Grooves fordern von den Musikern Höchstes und bieten dem Publikum vergnügliche Reibungsfläche. Und das man zu Techno auch inspirierte Soli spielen kann, bewiesen insbesondere die Trompeterin Angela Avetisyan sowie die Holzbläser Daniel Klingl, Moritz Stahl, Raphael Huber und Florian Leuschner.

Das Konzertwochenende war ein vielversprechender Festivalauftakt – das jazzorientierte Publikum goutierte den Club und die Clubgänger waren offen für Jazzklänge – ein Wochenende, das Sinnbild für die neue Offenheit Leipzigs ist – wenigstens in den Kiezen, in denen sich die junge Szene zuhause fühlt.

  • Text: Ellen Tal
  • Fotos: Susanne van Loon

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