Lorenz Kellhuber. Foto: Michael Scheiner
Lorenz Kellhuber. Foto: Michael Scheiner

Lorenz Kellhubers Trio „Standard Experience“ interpretiert Klassiker auf ganz neue, eigene Weise

Heimspiel. Wenn in Regensburg ein Konzert des Pianisten und Komponisten Lorenz Kellhuber im Veranstaltungskalender steht, sehen Kulturaficionados das automatisch als ein Heimspiel mit entsprechendem Vor(ur)teil an. Obwohl der Musiker selbst in Berlin und seine beiden Mitmusiker, mit denen er beim Jazzclub im Leeren Beutel gastierte, in Brooklyn in den Vereinigten Staaten leben. Bei einem Studienaufenthalt in New York City hat der in Regensburg aufgewachsene Kellhuber 2014 den Schlagzeuger Obed Calvaire und den britischen Bassisten Orlando Le Fleming kennengelernt und mit ihnen ein Trio gegründet. Ergebnis war das Album „The Brooklyn Session“, das die drei im legendären System Two Studios zu Jahresbeginn 2015 aufgenommen haben. Veröffentlicht wurde es im darauffolgenden Herbst bei Blackbird mit sechs – von insgesamt 15 aufgenommenen – Standards aus dem „Great American Songbook“.

Bei einer gestern zu Ende gegangenen, achttägigen Europatour stellte das Trio Stücke vor, die bis auf den Broadway-Song „All the things you are“ nicht auf dem Album enthalten sind. Nach einer etwas strapaziösen Fahrt von Krakau kommend, spielte es im gut besuchten Leeren Beutel, beim augenblicklichen Sommerwetter ein erfreuliches Resultat. Mit „Stella By Starlight“, „Caravan“ und „Mayden Voyage“ hatten die drei mehrere Klassiker der Pop- und Jazzgeschichte im Programm, die zu den meistgespielten und -gecoverten Standards überhaupt gehören. Eigentlich sind diese Kompositionen olle Kamellen, auf Sommerfesten, als Partyhintergrund oder bei Produktpräsentationen vielfach abgenudelt und zu akustischen Gebrauchsgütern degradiert. Dann gibt es immer wieder Musiker wie das Lorenz Kellhuber Trio, die sich dieser abgenutzten Melodien annehmen und daraus wieder Perlen machen. Sie verleiben sie sich in einem kreativen Schaffensprozess ein und geben ihnen mit ihrer eigenen Interpretation Glanz und Würde zurück.

Bei Kellhuber und Co. ist dieses Einverleiben schon abgeschlossen, lange bevor sich die jungen Männer überhaupt kennenlernten. Als Studenten haben sie die alten Melodien und Songs aus dem „Great American Songbook“ in- und auswendig gelernt, können die Harmonien auf Knopfdruck abrufen. Was sie dann aber daraus machen, wie sie in einem intensiven Prozess von Improvisationen und Umformungen, rhythmischen Verschiebungen, von Duetten und solistischen Einlagen etwas Neues erwachsen lassen, ließ sich bei ihrem großartigen Auftritt hautnah erleben. Horace Silvers Blueshymne „Peace“ gab Kellhuber nach der Pause mit einem intimen, respektvollen Piano-Intro genau diese Haltung mit dem Weg, die dem Titel – Frieden – bis in die letzte Gefühlsnuance hinein entspricht. Dieses große Wort, das unter dem erdrückenden Anspruch, der sich damit verbindet, leicht zerbrechen kann, bekam auch durch ein äußerst fein und zurückgenommenes Spiel des Schlagzeugers eine Intensität, die nur aus einer leidenschaftlichen und offenen Auseinandersetzung erwachsen kann. Duke Ellingtons flotten „Caravan“ beschleunigten die drei dagegen auf ein geradezu boppig-rasendes Tempo, das den Pulsschlag nach oben trieb. Wie am Schnürchen präzise verdichteten Kellhubers schnelle Läufe das Material, während Obed Calvaire zusätzliche Akzente in einem spannenden Solo setzte. Gegen Schluss bekam der alte Gassenhauer über  repetitive Formen gar eine magnetische Wirkung, die ihn in die Nähe elektronischer Clubmusik rückte.

Überhaupt der Schlagzeuger – ein Phänomen! Zeitweise sind in seinem hochgradig eindringlichen, dynamisch ausdifferenziertem Spiel weder ein Rhythmus, noch ein genauer Puls zu erkennen gewesen. Dennoch war immer wieder hörbar, dass er sich exakt im Grundbeat bewegt, auch wenn er noch soweit davon entfernt erschien. Häufig hält Bassist Le Fleming den Rhythmus, hielt damit das musikalische komplexe Geschehen in der Spur. Gelegentlich kappelten sich die beiden auf wunderbar vergnügliche Weise, forderten sich in verzwickten Figuren gegenseitig heraus – und hatten ihren Spaß, wenn der eine den anderen aus dem Rennen warf. Diesem hinreißenden Treiben konnte das begeisterte Publikum, darunter viele jüngere Zuhörer, nur mit einer lautstark eingeforderten Zugabe begegnen – eine Ballade, die tief unter die Haut ging. Ein begeisterndes Konzert, mit dem der Jazzclub seinen Höhenflug fortsetzte.

Text und Fotos: Michael Scheiner

Infos: www.lorenzkellhuber.com

 

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