  | 
            | 
            | 
         
         
          |   | 
           
            Jazzzeitung
               2011/05  ::: seite 15
              rezensionen
             | 
            | 
         
         
            | 
            | 
         
         
            | 
            | 
            | 
         
         
       
       
       
    
  
  | 
     
      
       Art Pepper: The Club Art Pepper at Ronnie Scott’s
          1980 
      7 LPs: Pure Pleasure Records 
        Die Diskographie Art Peppers ist groß, vor allem was Aufnahmen
        aus den letzten fünf Jahren seines Lebens anbelangt. Er war nach
        einem wegen Drogendelikten weitgehend hinter Gittern geführten Leben
        wieder auf der Höhe seines Ruhmes angelangt und spielte mit einer
        Intensität, die in ihrer Leidenschaftlichkeit eben Lebenshunger
        verriet, wie sie in der Zerquältheit des einst so ebenmäßigen
        Sounds, in der Gebrochenheit der einst so klar proportionierten Linien
        das durchgemachte Leid nicht verhehlen konnte, aber auch nicht die Freude,
        vor einem neuen Anfang zu stehen. Die Aufrichtigkeit seiner Musik gewann
        ihm viele Freunde in der nun endlich vielbetourten Welt, und der wohltätige
        Einfluss seiner Frau Laurie schlug sich auch direkt in Aufnahmesituationen
        nieder. Die Witwe ist heute Nachlassverwalterin. In ihrem Besitz befanden
        sich noch Bänder der am 27. und 28. Juni 1980 mitgeschnittenen Konzerte,
        die Pepper mit dem Pianisten Milcho Leviev, dem Bassisten Tony Dumas
        und dem Drummer Carl Burnett im Londoner Club Ronnie Scott’s gab.
        Zu ihrem Erstaunen waren es 17 (!) Stücke mehr als die 8, die seinerzeit
        auf den Alben „Blues For The Fisherman“ und „True Blues“ auf
        dem Label Mole erschienen und ohnehin schon selten aufzutreiben waren.
        Die Fundstücke sind auf dem hohen Niveau der bekannten Aufnahmen.
        Das Beiheft enthält drei interessante Interviews mit dem Saxophonisten,
      der übrigens gelegentlich zur Klarinette greift.        
       Inge Brandenburg 
        Sing! Inge, Sing! 
        Silver Spot Records 
        Inge Brandenburg war im dritten Viertel des 20. Jahrhunderts die bedeutendste
        deutsche Jazzsängerin und wurde 1960 sogar auf dem Festival im südfranzösischen
        Juan-les-Pins zur „besten europäischen Jazzsängerin” gekürt.
        Und doch: Suchte man bislang nach Dokumenten ihrer Kunst, die diesen
        Ruf rechtfertigen, hatte man es schwer: Die Bear-Family-CD „Why
        Don’t You Take All Of Me“ enthält nur wenige echte Jazzstücke,
        im übrigen zum Teil dürftige Schlager, denen sie immerhin in
        homöopathischen Dosen ein gewisses Jazzfluidum verleihen durfte.
        Und auf „It’s Alright With Me“, ihrer einzigen LP,
        wird zwar kompromisslos gejazzt, doch ist das Album eine nicht unbedingt
        repräsentative Momentaufnahme. Nun hat Marc Boettcher, ein Spezialist
        für Sängerinnen, der zum Beispiel Streifen über Alexandra
        und Gitte gedreht hat, sein ganzes Können und Herzblut in den Dokumentarfilm „Sing!
        Inge, Sing“ gesteckt, in dem Inge Brandenburg, die weit häufiger
        gefilmt und aufgenommen wurde, als man zu träumen gewagt hätte,
        nicht nur in ihrer Tragik, sondern auch in ihrer künstlerischen
        Größe plastisch in Erscheinung tritt. Als „Nebenprodukt“ erscheint
        nun dieses Juwel: Inge in Aufnahmen (überwiegend aus ihrer besten
        Zeit) mit kongenialen Kollegen wie Goykovich oder den Mangelsdorffs!
        Endlich besitzen wir ein würdiges Denkmal für die bewegende
        Ausdruckskraft ihrer dunklen warmen Stimme, ihrem geradezu genialen Gespür
      für Timing und blue notes.       
       Stan Getz And J. J. Johnson 
        At The Opera House 
        Poll Winners Records 
        Nicht immer kam ein befriedigendes Ergebnis heraus, wenn Norman Granz
        Musiker, die sonst kaum etwas miteinander zu tun hatten, gemeinsam vor
        das Publikum stellte. Aber im Herbst 1957 schuf so eine All-Star-Formation
        im vielleicht vollendetsten JATP-Konzert reine Magie. Jay Jay Johnson,
        der ein Jahrzehnt zuvor die Neuerungen des Bebop auf die dafür scheinbar
        ungeeignete Posaune übertragen hatte, traf auf einen anderen Stammvater,
        das Cool-Idol Stan Getz, dem meist imitierten weißen Saxophonisten.
        Obwohl man sie immer gerne in stilistische Schubladen steckte, transzendierten
        sie längst modische Unterscheidungen wie Hot und Cool. Ihr kontrapunktisches
        Stimmengeflecht in „My Funny Valentine“ muss man gehört
        haben, um zu wissen, was Kreativität bedeutet, wenn man mit Musikern
        spielt, die nicht zur eigenen Band gehören: Gedankenlesen. Und Oscar
        Peterson (p), Ray Brown (b), Herb Ellis (g) und Connie Kay (dr) swingten
        fast noch mehr, als man es von ihnen ohnehin erwartet. Ein Album für
        die einsame Insel – das sagt sich so leicht. Mein erstes Exemplar
        erhielt ich nie mehr zurück. Dann schaffte ich mir zwei Lps an,
        eine zum Abspielen und Verleihen sowie eine Reserve für Sendungen
        und für alle Fälle. Höre und staune: Hinter dem Titel „At
        The Opera House“ verbergen sich zwei ganz verschiedene Lps. Eine
        Stereo-Version wurde in der Tat im Chicagoer Opera House aufgenommen,
        die Mono-Version im Shrine Auditorium, L.A. Hier sind beide vollständig
      vereint.       
       Freddie Hubbard: Pinnacle.
          Live & Unreleased from Keystone Korner 
        Resonance Records 
        Wer Freddie Hubbard in den letzten Jahren seines Lebens live oder auf
        einer seiner mittlerweile nur noch spärlich erscheinenden Alben
        hörte, stand fast fassungslos vor einem Trompeter, der, ein Schatten
        seiner Selbst, viel von seinen technischen und gestalterischen Fähigkeiten
        eingebüßt hatte. Das schiefe Bild wieder zurechtzurücken,
        kommen posthume Aufnahmen aus guten Tagen gerade recht. Als er im Juni
        und Oktober 1980 im Keystone Korner, San Francisco,
        auftrat, seinerzeit, was Fülle und Qualität der dort entstandenen
        Aufnahmen angeht, eine Art Village Vanguard des Westens, da spielte er
        rückhaltlos auftrumpfend mit dem Feuer eines Jünglings und
        der Kraft eines erfahrenen, virtuosen Vollprofis im Zustand inspirierter
        Besessenheit. Mit Feuereifer dabei waren auch Billy Childs (p, ep), Larry
        Klein (b) und je nach Konzert Phil Ranelin (tb), Hadley Caliman (ts),
        David Schnitter (ts), Sinclair Lott (dr) und der 2011 verstorbene Eddie
        Marshall (dr). Das Repertoire besteht hauptsächlich aus Hubbard-Kompositionen,
        doch findet sich auch eine furiose Version eines Stückes, das Hubbard
        sonst nie aufnahm: „Giant Steps“ von John Coltrane, einer
        der ersten, dem jungen Hubbard die Chance zu Plattenaufnahmen gab. Eine
        seriös produzierte CD, die mit Erinnerungstexten aus vier Federn
        und Bildern von Kathy Sloane, die jahrelang im Keystone Korner fotografiert
        hat, auch ansprechend aufgemacht ist, und bei der auch die Aufnahmequalität
      passt.       
       Jan Johansson with Georg Riedel 
        In Hamburg 
      ACT 
        Jan Johanssons Bedeutung für den schwedischen Jazz könnte man
        mit der Griegs für die norwegische Spätromantik vergleichen:
        Er erschloss der Musik seiner Epoche den reichen Schatz an Liedern und
        Tanzweisen seiner Heimat, besaß als Pianist so viel Können
        und Originalität, dies auf exemplarische, einflussreiche und auch
        im Ausland erfolgreiche Weise zu tun und sorgte damit dafür, dass
        innerhalb einer internationalen Musiksprache die Verbindung zu den eigenen
        roots eine große Rolle spielt. Der europäische Jazz verdankt
        diesem virtuosen Tastenpoeten, der „auf amerikanischem Niveau“ spielte
        und doch skandinavisch klang, einen Teil seiner Emanzipation. 2011 wäre
        er 80 Jahre alt geworden, doch nur 37 Lebensjahre waren Jan Johansson
        vergönnt, und das macht ein Album mit unveröffentlichtem Material
        erster Güte zu einem Ereignis. Es sind überwiegend 1964 bis
        1968 für den NDR entstandene Perlen, bei denen der Bassist Georg
        Riedel mitwirkt, der auch als Komponist der Musik zu „Pippi Langstrumpf“ Johanssons
        Erbe weiterführte. „In Hamburg“ ist ein evorbildliche
        Produktion, zeigt sie doch, wie man aus Aufnahmen, die in verschiedenen
        Jahren und in verschiedener Besetzung (von Duo bis zur Bigband, mit und
        ohne Johansson) entstanden und ein von Originals über schwedische
        Folklore bis zu amerikanischen Standards ein breites Repertoire abdecken,
      ein homogenes, im Ablauf stimmiges Gesamtwerk komponieren kann. 
      Marcus A. Woelfle  |