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Jazzzeitung

2012/01  ::: seite 17

rezensionen

 

Inhalt 2012/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig no chaser: Totenkult Farewell: Frank Foster Paul Motian

TITELSTORY: Töne, Schweiß und Ohrenkitzel
Warum der Jazz wieder Kritiker braucht, die über Augenblicke schreiben

GESCHICHTE - Basies Weggefährten (2)
Am 2. März wäre Eddie „Lockjaw“ Davis 90 Jahre alt geworden...

Berichte
20 Jahre ACT // Zum Deutschen Jazzfestival Frankfurt 2011 // Martin Schmitt startet mit „Aufbassn“ neu durch // 10 Jahre Unerhört Festival – die aktuelle Musik in Zürich

Portraits
Eva Cottin // Jutta Hipp // Alexandra Lehmler // Lizzy Loeb // Jens Thomas

Jazz heute und Education
Hans Lüdemann – ein Jahr Unterricht an einem US-College und die Folgeng // Nachrichten // Fortbildungskalender 2012 (pdf) // Abgehört: Fusion goes Bebop: Larry Coryells Gitarrensolo auf „Tadd‘s Delight“ von Tadd Dameron

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Jazz in der Illegalität

Monica Ladurners und Wolfgang Beyers Film und Buch über den Swing und die Nazis

Im Jazz konzentrierte sich für die Nazis ein guter Teil der Übel dieser Welt: Niggermusik, Judenmusik, Kulturbolschewismus, sexuelle Aufreizung, rhythmische und weltanschauliche Unzuverlässigkeit, Ungehorsam, Wehr-unwilligkeit. Der Jazz wurde verfolgt, anfangs durch sozialen Druck, später durch zunehmend massive Gewalt.

In ihrem reaktionär unterfütterten Musikgeschmack waren die deutschen Machthaber zwischen 1933 und 1945 allerdings weitgehend einig mit Konservativen, und nicht nur auf dem europäischen Kontinent, wenn man etwa einen Artikel der New Orleans Times aus dem Jahre 1917 würdigt, in dem Jazzbands als „Manifestationen der untersten Schublade des schlechten Geschmacks, die noch nicht vom Zivilisationsprozess weggeschwemmt wurden“, bezeichnet werden. Die Nazis haben den heftigen Affekt gegen den Jazz also nicht erfunden, sie haben ihn nur mit staatlicher Gewalt exekutiert. Aber Monica Ladurner und Wolfgang Beyer geht es in ihrem Buch weniger um die nationalsozialistische Musikpolitik als vielmehr um die subkulturellen Tendenzen, die sich in den dreißiger Jahren um den anfangs als verdächtig-anrüchig und später nur noch als kriminell behandelten Jazz bildeten. Denn womöglich war die jugendliche Swing-Szene jener Zeit, die es in vielen europäischen Ländern in verschiedener Ausprägung gab, auch ers- ter Vorschein einer eigenständigen und durchaus nicht politikfernen Jugendkultur, wie sie erst wieder in den sechziger Jahren auf der historischen Bühne erschien. Ladurner und Beyer haben dieser europäischen Swing-Subkultur ein Buch gewidmet, das nicht im engeren Sinne eine his-torische Untersuchung ist, sondern eher die lesbare Frucht eines Films, den die beiden für den Österreichischen Rundfunk gedreht haben.
Das Wort „Schlurf“, das man sich unbedingt im Wiener Dialekt intoniert vorstellen muss, spielt dabei eine zentrale Rolle. Denn die Geschichte dieses schillernd-pejorativen Wortes, das sich nach wie vor einer gewissen Geläufigkeit erfreut, ist zugleich ein klarer Verweis auf die Kontinuität der damit verbundenen Affekte, die sich mit dem Kriegsende 1945 nicht erledigt hatten.

Monica Ladurner und Wolfgang Beyer zeichnen in ihrem sorgfältig erzählten Werk die anti-nationalsozialistische Swing-Jugendkultur der 30er- und 40er- Jahre kenntnisreich nach. Sie richten ihre Blicke nicht nur nach Deutschland, wo sie ein besonderes Augenmerk auf die mörderische Repression der Nazis gegen die selbstbewusste Mittelschicht-Bewegung der Hamburger Swingjugend richten; sie berichten aus der Tschecho- slowakei, wo in Sachen Jazz viel mehr Leben herrschte als im restlichen Europa; sie berichten von Frankreich und der Entwicklung der Subkultur der Zazous zum Nachkriegs-Existentialismus; und sie berichten ausführlich und materialreich aus Österreich. Man erfährt unter anderem, dass – bei aller Gemeinsamkeit in Sachen Dresscodes, Neudefinition von Geschlechterrollen und lebendigen Beziehungen zum illegalen internationalen Tonträgerhandel – auch bemerkenswerte Unterschiede zwischen nationalen Swing-Jugend-Ausprägungen bestanden. Die Wiener Schlurfs zum Beispiel waren, im Gegensatz zu ihren deutschen Seelenverwandten, eher proletarischer Herkunft und behaupteten durchaus mit aktiver Gegengewalt gegen die Hitlerjugend die nächtliche Dominanz im Prater.

Sehr präzise und bitter fallen in dem Buch die Geschichten der Verfolgung aus, die nachbarschaftliche Milieus mit Misstrauen und Hass durchsetzen und nicht weniger mörderisch waren als in Deutschland.

Hans-Jürgen Linke

Buch und Film-Tipp

  • Wolfgang Beyer/Monica Ladurner: Im Swing gegen den Gleichschritt. Die Jugend, der Jazz und die Nazis. Residenz-Verlag, St. Pölten – Salzburg, 242 Seiten, 21,90 Euro
  • Der Film „Schlurf – Im Swing gegen den Gleichschritt“ ist auf DVD erhältlich.

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