John Wolf Brennan – von Nacht I Gallen und anderen Tieren

Kein bisschen leise sagt man manchmal über Ältere, die entgegen äußerer Erwartungen auch in höherem Alter noch aktiv sind. Auf Musiker:innen und andere Kunstschaffende trifft dies fast immer zu. John Wolf Brennan, der irisch-schweizerische Pianist und Musikpädagoge, macht da keine Ausnahme. Der Output des Komponisten und Improvisationsmusikers ist fast schon spektakulär. Alleine in den letzten zwei Jahren sind es mehr als ein halbes Dutzend, insgesamt zählt sein Gesamtwerk über 80 CDs/Einspielungen. Aktuell gehören dazu Aufnahmen mit neuer Musik mit der Groupe Lacroix, mit weit gespanntem musikalischen Horizont mit den Pilgrims, mit dem Langzeitprojekt Pago Libre und gemischten Besetzungen.

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„Wild Card – Songs For A Farm“ ist nach dem erfrischend uncoolen 24er Album „FriendShip – Riffs ahead!“ mit tausenderlei Zitaten der Pop- und Rockgeschichte jüngstes Pago-Libre-Werk und Album Nummer 83. Es ist das 15. Album des renommierten Jazz-Quartetts und musikalisch und von seiner Entstehung her etwas ziemlich Ausgefallenes.  „Songs From A Farm“ ist kein  einfacher Gimmick, die Musik wurde tatsächlich auf einem Bauernhof eingespielt, was dem Album eine erdige Atmosphäre verleiht.

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Wilde Tänze mit Kobolden

Tatsächlich regten Hühner, Raben, Zwergziegen und Alpacas die Musikanten an und stachelten sie zu wilden Tänzen mit Kobolden, einschmeichelnd schönen Melodien, verzwickten rhythmischen Eskapaden und einer seltsamen Meditation an. „Yogi Riding a Bicycle on Top of a Hill“ lässt einen über wenigen Klaviertönen und auf den zarten Klängen der Geige Florian Mayers und einem malerischen Flügelhorn in eine kontemplative Stimmung gleiten, aus der man nach viereinhalb Minuten geradezu fallen gelassen wird.

Zum Glück fängt einen der geheimnisvolle langsame Walzer „Goldseeli“ wenig später auf, nur um anschließend mit „3×7=21+9=30“ eine volksmusikalische Stolperfalle einzubauen, in die man unbedarft hineintappt. Völlig verwirrend um nicht zu sagen durchgedreht wird des mit „Sisponysynopsis“. Der dreiminütige Dreher-Walzer-Tango-Irgendwas verdient es weit eher als versteckter Hinweis auf berauschende Mittel gelesen – und natürlich gehört – zu werden, als es dem Beatles-Song „Lucy in the Sky with Diamonds“ hartnäckig an den Fersen hing.

Grenzensprengend

„Wild Card“ ist wie von Brennan und Pago Libre erwartbar ein grenzensprengendes Album voller Leichtigkeit, Charme und gleichzeitig tiefer Ernsthaftigkeit. Gespeist durch die kulturellen Wurzeln und Hintergründe der Vier (Deutschland, Russland, Irland, Schweiz) ist wieder eine erfrischende Mischung aus kammermusikalisch klangvollem Jazz und experimentierfreudigem Spielwitz zwischen Komposition und Improvisation entstanden.

Mit zur Hälfte gleicher Besetzung, Brennan und Shilkloper, erweitert um die zwei Vokalisten/Sänger Marcello Wick und Christian Zehnder, bleibt auch das Album „Night in Gale“ zumindest äußerlich der Natur verhaftet. Letztlich bieten natürlich die beiden „Nachtigallen“ weniger Naturklang, als vielmehr hinreißend kunstvolle Stimmakrobatik vom Obertongesang bis zum fröhlichen folkloristischen Jodeln. Für die beiden Instrumentalisten ist es die erste Aufnahme als Duo. Vor allem improvisierte Stücke lassen eine fast symbiotische Verbindung zwischen ihnen erkennen. Seltsame Instrumente wie das Alperidoo, ein modifiziertes Alphorn, Tamburopia und Mini-Moog tragen zum  überraschend vielgestaltigen Sound bei.

Vergnügliche Geschichten

Vergnüglich die Geschichten, die sich mit einigen Stücken verbinden.  So befasst sich „Tü-da-do“ in 49 starken, witzigen und heiteren Variationen mit dem allen SchweizerInnen geläufigen Dreiklang des Horns der schweizerischen Postautos. Ein wilder 13/8tel Takt ist mit „Föhnsturm“ den warmen Fallwinden an den Alpen gewidmet. Die von diesen Winden häufig ausgelöste Konfusion setzt Wick lautmalerisch ganz köstlich in Szene. Geradezu andächtig wird es mit Shilklopers „A Valley Tale – Alpine Story“, wenn Stimme und Horn sich in flächigen Sounds überlagern und durchdringen. Nach der Hälfte nimmt der Song auch rhythmisch Fahrt auf und leitet mit langem Nachhall zu einer verrückten Nummer Zehnders über. „Sträng 7er“ beruht auf einem alten archaisch anmutenden Yodel aus der Innerschweiz.

In Zehnders Interpretation entwickelt es im Dialog mit Shilklopers Gebläse eine magische Kraft. Endend mit dem eindringlichen „Lullaby – Pastille Kalimba“ und dem reichlich schrägen „Neozoen – A Palimdromatic Synopsis“ zwischen mystischem Kehlkopfgesang, Yodelfetzen und Alphornflehen hilft alles Warten nichts – man muss wieder von vorne anfangen und sich in diesem Kosmos vertiefen.

Michael Scheiner

Wild Card, Leo Records LR 945, 2025

John Wolf Brennan, Piano/Melodica
Arkady Shilkloper, Horn/Flügelhorn
Florian Mayer, Violine
Raetus Flisch, Kontrabass

 

Night In Gale, Leo Records LR 944, 2025

John Wolf Brennan, Piano/Melodica, Kalimba, Aeropiano u.a.
Arkady Shilkloper, Horn/Flügelhorn, Alphorn
Christian Zehnder – voice, overtone singing, global yodeling, mini-moog

Marcello Wick – voice, overtone and throat singing, natural yodeling

 

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