(Von Oliver Hochkeppel) Passport, Tatort und Das Boot – mit Klaus Doldinger ist eine prägende Gestalt der deutschen Nachkriegskultur gestorben.
Ein richtiger Bühnenabschied blieb Klaus Doldinger verwehrt. Die wohl letzte große Tour zum 85. Geburtstag fiel Corona zum Opfer, den Nachholtermin im Prinzregententheater im Jahr darauf machte ein kleiner Sturz des zunehmend wackelig und vergesslich Gewordenen zunichte. Wobei das so ziemlich das Einzige gewesen sein dürfte, was im Musikerleben des Klaus Doldinger nicht geklappt hat. Ansonsten war er einer der erfolgreichsten Deutschen in dieser Branche, der erfolgreichste deutsche Jazzer sowieso.
Große Liebe Jazz
Denn dem Jazz galt immer seine größte Liebe, seit er in den ersten Nachkriegstagen als Neunjähriger eine GI-Band durch ein offenes Fenster proben gehört hatte. „Das war unerhört! Ich war hingerissen und konnte einfach nicht glauben, dass es so eine Art von Musik gibt. Ich kannte Musik ja vorher nur aus dem Zirkus und aus dem Volksempfänger. Aber dieser Swing, dass da eine Spannung aufgebaut wird, die auch eine Lebensfreude weckt, das kannte ich nicht.“ Im oberbayerischen Schrobenhausen fand dieses Schlüsselerlebnis statt, dahin hatte sich die ursprünglich Berliner Familie (in der Hauptstadt wurde Doldinger 1936 geboren) nach einigen Jahren in Wien bei Kriegsende zu einem Onkel abgesetzt.
In Düsseldorf, wo die Familie schließlich gelandet war, ging Doldinger dann von 1947 bis 1957 aufs Jacobi-Gymnasium. Und gleichzeitig schon ab 1947 auch als Jungstipendiat aufs Robert-Schumann-Konservatorium. Zunächst studierte er Klavier, ab 1952 Klarinette. Ganz klassisch selbstverständlich, denn Jazz war in diesen Jahren an den Konservatorien komplett verpönt und undenkbar. Und so spielte er neben der Schule und dem Studium abends und nachts noch in der mit Freunden gegründeten Dixie-Band The Feetwarmers (in der übrigens auch der kürzlich gestorbene spätere Kabarettist Ben Süverkrüp und der spätere Bundesminister Manfred Lahnstein saßen). Da dann am Saxofon, dem klassischen Jazzinstrument, das sein Ding wurde. Die erste Schallplatte machte er zwei Jahre, bevor er sein Abitur machte.
Fleiß, Ehrgeiz, Gründlichkeit
Denn hinter der stets lässigen und fröhlichen Erscheinung des sehr lange sehr jung aussehenden Klaus Doldinger („Klausi“ riefen seine Kollegen den auch nicht sehr großen Musiker früher) verbarg sich nämlich ein gar nicht lässiges Erfolgsrezept: Fleiß, Ehrgeiz und Gründlichkeit. Wenn es um die musikalische Sache ging, konnte der sonst so Unverbindliche und Höfliche durchaus streng werden, wie seine ehemaligen Begleiter bekunden können. Freilich hatte er sich seine „Leadership“ mit einem breiten Qualifikationsspektrum hart erarbeitet: Nach Abitur und Konservatorium schloss er – wieder gleichzeitig – ein Musikwissenschaftsstudium und eine Tonmeisterausbildung an. Während er bereits richtig mit seinen Bands wie Oscar‘s Trio eingespannt war, Preise gewann (den „Coup Sidney Bechet“ in Brüssel etwa) und erste großen Erfolge feierte.
1960 ging er auf seine erste USA-Tournee und bekam prompt die Ehrenbürgerwürde von New Orleans für seinen stilistisch wie technisch herausragenden New-Orleans-Jazz – mit 24 Jahren. Mit diesem klassischen Jazzstil war Doldinger auch schon zur Institution beim „Internationalen Amateur-Jazz-Festival Düsseldorf“ geworden, damals einer der wichtigsten Jazz-Veranstaltungen Deutschlands. Dort sah ihn auch ein blutjunger Phillips-Plattenverkäufer namens Siggi Loch, der so begeistert war, dass er ihm – ohne das Mandat dafür zu haben – einen Plattenvertrag anbot. Mit dem Klaus Doldinger Quartett und einer Hinwendung zu einem eigenen, sozusagen deutschen Bebop wurde das dann durchgezogen: Das 1963 erschienene Album „Doldinger – Jazz Made in Germany“ wurde zum international beachteten Ausrufezeichen eines eigenständigen deutschen Jazz abseits des Kopierens der amerikanischen Vorbilder.
Kultur-Botschafter
Dies war auch der Startschuss für die langjährige Kooperation Doldingers mit dem Goethe-Institut, das ihn als deutschen Kultur-Botschafter in alle Welt verschickte. Im Umkehrschluss beeinflussten besonders die Reisen nach Marokko (sehr schon zu hören schon auf der Platte mit dem programmatischen Titel „Doldinger – The Ambassador“, die live im Münchner Jazzclub Domicile mitgeschnitten wurde) und Brasilien stark die musikalische Entwicklung Doldingers. Ein weiterer Baustein für den eigentlichen Durchbruch, der erst noch kommen sollte. Und zwar mit der Entstehung des Fusion-Jazz oder auch Jazzrocks Ende der Sechziger, die Doldinger vorausgeahnt hatte. Motherhood hieß sein erster, schon 1969 wieder für Siggi Loch bei Liberty gestartete Versuch, der noch nicht so recht zog.
Passport – die deutsche Antwort auf Weather Report
Passport wurde dann ab 1971 die europäische Antwort auf Weather Report, wie man schon damals lesen konnte. Eine wahrhaft innovative Band, die vieles in den bis heute unerreichten Aufbruch-Jahren der frühen Siebziger mitgestaltete. Wie weithin bekannt, anfangs mit Udo Lindenberg am Schlagzeug, bevor dann sehr schnell der später bestbezahlte Drummer der Welt Curt Kress für ihn übernahm. Mit Kristian Schultze an den Keyboards und Wolfgang Schmid am Bass machte man Weltkarriere, unter anderem mit zwei gewaltigen USA-Tourneen. Auf einer Station kroch Jaco Pastorius auf der Bühne um Schmid herum, um zu sehen, was er da am noch nicht lange erfundenen E-Bass treibt. Auf einer anderen hatte man eine damals noch weithin unbekannte australische Vorband. Sie hieß AC/DC.
Bis zuletzt ist Passport Doldingers sicherer Hafen geblieben. 28 Alben entstanden, mit den stilistischen Änderungen gingen auch neue Besetzungen einher. In diesem Punkt kann man Doldinger den deutschen Miles Davis nennen: Auch er hatte ein sicheres Gespür für Talent und holte sich stets die besten jungen Musiker. Einen Wolfgang Haffner, einen Andi Haberl, einen Christian Lettner zum Beispiel, um nur mal Schlagzeuger zu nennen. Mehrere Passport-Generationen ergaben sich so, zuletzt trat Doldinger bei Jubiläen mit mehreren auf.
Melodien, die hängen bleiben
So außergewöhnlich erfolgreich diese Jazz-Karriere war, so war sie doch nur eine künstlerische Seite des Klaus Doldinger. Schon der Erfolg von Passport beruhte nicht zuletzt auf einem besonders herausragendem Talent: „Ich hatte bis heute das Glück, Melodien zu erfinden, die bei den Menschen hängen bleiben,“ erklärte Doldinger stets. Was den meisten Jazzern schwer fällt, fiel ihm zu. Und er nutzte das früh für Ausflüge in den Pop. Schon in den Sechzigern mit „Easy Listening“- und ähnlichen Produktionen unter dem Pseudonym Paul Nero – insgeheim ging bei der damaligen „Jazzpolizei“ das Schimpfwort vom „Jazzverräter“ herum.
Dabei war Doldinger nicht nur neugierig und heute würden man sagen genreoffen, er war gleichzeitig ein extrem treuer Mensch. Dem Jazz blieb er treu, obwohl das, wie wir gleich noch sehen werden, nicht mehr nötig gehabt hätte. Seiner alten Heimat Düsseldorf blieb er ebenso treu verbunden wie seiner neuen Heimat ab 1968 in Icking. Treu blieb er seinem Entdecker Siggi Loch. Und selbst befreundeten Journalisten, die er eisern und regelmäßig anrief. Vor allem aber natürlich seiner Familie. Den drei Kindern und seiner Frau Inge, einem ehemaligen Mannequin, die er 1960 geheiratet hatte und die bis zuletzt unzertrennlich an seiner Seite stand.
Tatort Werbe Jingles
Nachdem sich in seinem Ickinger Haus ein eigenes Studio eingerichtet hatte, arbeitete er zunehmend für Fernsehen und Film. Zahllose Werbe-Jingles von Pril und Fa bis Nescafe stammen aus seiner Feder. Zahllose Fernseh-Melodien, angefangen mit dem Trailer zur Einführung des Farbfernsehens und überragt vom unsterblichen „Tatort“-Vorspann, seine wohl berühmteste Arbeit überhaupt.
Und schließlich kam auch noch das Kino dazu. Die Filmmusik für Wolfgang Petersens Buchheim-Verfilmung „Das Boot“ machte ihn – diesmal weit über den Jazz-Bereich hinaus – 1981 endgültig weltberühmt, die unverwechselbare Titelmelodie gehört gewissermaßen zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit. Andere Werke wie die „Unendliche Geschichte“ folgten. Als wäre all das noch nicht genug, engagierte sich Doldinger auch viele Jahre lang im Vorstand der GEMA, über deren Notwendigkeit er ausführlich referieren konnte. Und er betätigte sich als Förderer, Produzent und Schirmherr, etwa der Düsseldorfer Jazz Rallye.
Breit gefächert
Eine konkurrenzlos breit aufgefächertes Lebenswerk, das Klaus Doldinger in einer fast 75-jährigen Karriere aufgebaut hat. Für das er dementsprechend nicht nur Musikpreise wie mehrere Echos und Deutsche Schallplattenpreise oder die German Jazz Trophy erhielt, sondern auch den Deutschen Musikautorenpreis, den Bayerischen und den Deutschen Filmpreis, den Grimme-Preis, den Maximiliansorden oder mehrere Bundesverdienstkreuze. Und auf das er stolz war, ohne sich je darauf auszuruhen. Einen klaren Blick verband er mit klaren Positionen. Da konnte er einen jungen Journalisten schon einmal höflich, aber mit Argumenten zurechtweisen, wenn der hochmütig die aufstrebende Diana Krall für überschätzt erklärte. Seine Neugier und Experimentierlust war bis kurz vor seinem Ende ungebrochen. Wie seine Frau mitteilte, ist Klaus Doldinger am Donnerstag friedlich im Kreis der Familie entschlafen. Er wurde 89 Jahre alt. Sein Werk wird bleiben.
Fotos von Thomas J. Krebs – Titel 2018 Unterfahrt München