Wie langweilig, einen Festivalbericht mit dem Wetter zu beginnen. Aber seit Paul Zauners Inntöne-Festival, der „Jazz auf dem Bauernhof“ in Diersbach bei Schärding, während und wegen der Corona-Zeit von Pfingsten auf Juli und von der Scheune aufs freie Feld wanderte, ist das Wetter natürlich ein wichtiges Thema. Wie bei allen Open Airs braucht man Glück, und das hatten die Inntöne bisher stets, von minimalen Gewitter-Unterbrechungen abgesehen. Auch heuer blieb es die gesamten drei Tage trocken, schön und warm. Alles war also wieder angerichtet für das kleine Jazz-Woodstock: Dieses fröhlich-freundliche Kampieren, Flanieren und sich Delektieren rund um die Musik. Anders als vor 55 Jahren in Bethel ohne Regenschlacht und Verkehrs-Chaos, dafür mit allen nötigen Facilities und kulinarischer Rundum-Versorgung.
Das ebenfalls fast immer glückliche Händchen von Paul Zauner beim Festival-Line-Up setzte sich fort. Jeder, selbst ein ausgewiesener Jazz-Experte, konnte hier wieder Entdeckungen machen. Schon am Freitag zum Beispiel die trotz langer Karriere und Kollaborationen mit The Brand New Heavies, Bobby McFerrin oder auch Till Brönner hierzulande weitgehend unbekannte britische Sängerin Heidi Vogel, die zeigte, dass es auch in der wilden Londoner Szene ganz klassischen Jazzgesang rund um das Great American Songbook gibt – das Liam Noble am Piano immerhin auf seine Art modernisierte.
Oder am Samstag der deutsch-britische Pianist Hans Koller, in dessen Quintett freilich sein Sohn Louis an Horn und Ventilposaune die eigentliche Sensation war. Die große Liebe des 13-Jährigen (!) gehört dem klassischen Bebop. Was er, geschult an diesen Vorbildern, bereits an Technik, Ton und Timing vorzuweisen hat, war nicht weniger als verblüffend. Die Zukunft gehört ihm, darin waren sich alle einig. Was ganz sicher auch für den 24-jährigen Tyreek McDole gilt. Der aus Florida stammende, jetzt in der New Yorker Szene empor-rasende Sänger präsentierte sich mitsamt seinem drei Wochen zuvor erschienenen Debüt-Album „Open Up Your Senses“ als ein neuer Joe Williams und konnte damit sogar als Starter am Mittag das Publikum erobern (nach seinem Auftritt beim Münchner „Jazz Sommer“ zwei Tage später wurde er dort von der Kritik endgültig zur Entdeckung des Jahres geadelt).
Höhepunkt: Tenore de Orosei mit Ernst Reijsegger
Außerdem fanden sich wie gewohnt auch Genre-erweiternde oder -überschreitende Acts im Programm. Von den afro-poppigen Klängen eines Steward Sukuma mit dem österreichischen Chamäleon Orchestra über den klassischen Gospel eines von Roland Guggenbichler an der Hammond begleiteten Dean Bowman bis zu den betörenden traditionellen sardischen A-Capella-Gesängen der Tenore de Orosei, dies sich hier unter dem Namen The Face of God mit dem Cellisten Ernst Reijsegger zusammen getan hatten. Übrigens ein Inntöne Höhepunkt, nicht nur wegen des Wiedersehens mit dem immer virtuosen, überraschenden und witzigen Ernst Reijsegger, der sich zuletzt etwas rar gemacht hatte.
Und dann gab es natürlich auch noch die bekannten, mithin berühmten Namen. The Messthetics überzeugten zusammen mit Saxofon-Shooting-Star James Brandon Lewis mit dem vielleicht druckvollsten und modernsten Auftritt. Francesca Tandoi brachte sich als italienische Diana Krall in Stellung. Und Yaron Herman demonstrierte im All-Star-Quartett mit Maria Grand, Haggai Cohen-Milo und Ziv Ravitz, dass er nach wie vor in die erste Riege der weltbesten Pianisten gehört.
Damit ist über ein Drittel der Konzerte noch nicht einmal erwähnt. Bei allen, insbesondere bei der Powerhouse Band als Finale des zweiten Abends oder Anthony Joseph am dritten, zeigte sich überdies wieder Zauners Talent für die richtige Dramaturgie, also die Reihenfolge der Bands an den drei Tagen. Und wenn die Scheune nach dem Umzug nach draußen zunächst ganz dem Jumping Jungle, der Festival-Kinderband, gehörte, so musste sie sich die Bühne diesmal teilen. Mit dem vom Londoner Jazz-Impresario Oliver Weindling kuratierten Kollektiv Vortex London Whirlpool und den Unknown Tales der Wiener Sängerin Kathi Angerer kamen ungleich interessantere Talente dazu. Und auch im St. Pigs Pub, dem ehemaligen, nun zur Weinschänke und Kaffeebar umfunktionierten Schweinestall wirbelten abwechselnd vier Bands, eine davon mit keinem Geringeren als Mario Rom, dem sonst inzwischen auf den ganz großen Bühnen spielenden Star-Trompeter.
Das letzte kleine Jazz-Woodstock?
Eine geradezu beglückende Inntöne-Ausgabe also. Vom Programm, von der Betreuung, vom Ambiente wie von der Stimmung her blieben eigentlich keine Wünsche offen. Trotzdem könnte es das letzte kleine Jazz-Woodstock hier gewesen sein. Zauner plant nämlich, in den August und zurück in die Scheune zu gehen. Natürlich ist das zu verstehen, denn ein Open-Air-Festival ist immer ein großes Risiko. Wäre es heuer statt an diesem an einem der früheren oder späteren Wochenenden angesetzt gewesen, wäre es wohl ausgefallen: Die aufgeweichten Wiesen hätten weder Camping noch Parken erlaubt. Und Zauner fürchtet nicht nur den Regen, sondern auch die immer extremeren Hitzephasen im Sommer. So verständlich es ist, das Glück nicht überreizen zu wollen, so schade wäre das doch. Vielleicht finden sich Ideen und Leute, die das Ganze absichern und den Zauners diesen Rückzug noch ausreden können.
Text & Fotos: Oliver Hochkeppel