Das Jazzfestival Saalfelden als Weekender – Durchhaltewillen kann so schön klingen

Man lernt viel in diesen Tagen. Über die Blechlawinen des Individualverkehrs zum Beispiel, die die An- und Abreise zu einem an sich dezentral gelegenen Ort umfassend verlängern können. Oder über rudelweise auftretende Kubikrentner, die ihren Ruhestand alpentälerweise mit knatternd akustischer Umweltverachtung zu krönen versuchen. Man lernt auch etwas über Quarantäneverordnungen, die kurzfristig Konzertpläne über den Haufen werfen, über Sicherheitsbestimmungen, die ein 32-seitiges Konvolut in Bürokratenösterreicherisch umfassen oder über die Segnungen von QR-Codes, die eine weitgehend lückenlose Erfassung des Publikumsgeschehens ermöglichen.

Man lernt aber auch anderes. Zum Beispiel, dass ein Publikum belastbar sein kann und sich nicht nur ohne Murren in lange Schlangen reiht, das eigene Konterfei bereitwillig mit vielfältig gestalteten Masken verhängt, Hände in Desinfektionslösungen badet, Tanzschritte domestiziert, entgrenzende Sitzordnungen akzeptiert, ja sogar den eigenen Rausch im Griff zu haben scheint. Man erfährt, dass Veranstalter über alle Schatten springen können und aus havarierenden Programmplänen neue Konstellationen improvisieren, die sich als inhaltlich stimmig und stellenweise sogar grandios herausstellen. Man bekommt vor allem mit, dass sich Künstler gegen die pandemische Absurdität zu stemmen verstehen, indem sie sich der Resignation mit einer Mischung aus Wut, Gestaltungslust und Selbstbewusstsein verweigern.

Das haben die Jazzmusiker und verwandte Seelen im österreichischen August nicht nur beim Weekender vom 20. bis 23. August 2020 in Saalfelden gezeigt, sondern zuvor auch bei den beiden erfolgreich veranstalteten Festivals der Bezau Beatz im Bregenzerwald und der Inntöne bei Diersbach. Als einem der renommiertesten Sommertreffpunkte des üblichen Festivalrundlaufs, der in guten Jahrgängen schon mal 25.000 Besuchen ans Steinerne Meer lockte, war man sich in Saalfelden aber der besonderen Bedeutung eines vorbildlichen Rundummanagements bewusst. Also wurde penibel auf die Details vor allem der Hygienevorschriften geachtet, auch wenn sich nicht jede Maßnahme unmittelbar erschloss (In der Bar des Nexus, süffeln ohne Maske, im Saal hören nur mit Mundnasenbedeckung. Was macht Musik gefährlicher als einen Cocktail?).

Vor allem aber versuchte Mario Steidl mit dem Programm den Fallgruben der Zukunft vorzubeugen. „Wir haben bewusst auch Künstler wie Voodoo Jürgens eingeladen, der ja für das moderne Wienerlied steht, oder Ankathie Koi, die in Österreich ein Superstar im Pop ist,“ erklärte der künstlerische Leiter des Festivals und ergänzte, dass damit auch ein womöglich neues Publikum in die Säle und auf die Wiesen gelockt werden soll, das Konzerte als Mehrwert wahrnimmt, bevor eine denkbare Entfremdung des Live-Erlebens durch zunehmenden Digitalkonsum oder auch die drohende Elitisierung einer erzwungenen Publikumsverkleinerung einsetzen könnte. Schließlich ist nicht nur das Virus eine Bedrohung für Musik vor Ort, sondern auch der Mensch in seiner Bequemlichkeit, der sich der Chaiselongue hingibt.

Der Weekender des Jazzfestivals Saalfelden war daher in vielfacher Hinsicht ein Mittel gegen die Trägheit. Für den Veranstalter, weil er mehr denn je vorausschauend und spontan zugleich reagieren musste. Für das Publikum, weil es trotz Hygienekatalog die Erfahrung gemeinsamen Musiklebens machen konnte. Und für die Künstler selbst, weil sie spielen durften und jede Band für sich die Gelegenheit nutzte, endlich wieder Resonanz zu generieren. Dabei erwies sich die Stadtpfarrkirche als eleganter Ort für kammermusikalische Klänge. Der Trompeter Lorenz Raab beispielsweise genoss zusammen mit Vibraphonist Franck Tortiller und Gitarrist Philipp van Endert die hallschöne Weite des Sakralbaus für schwelgenden Balladenton. Lucia Cadotsch ging noch einen Schritt weiter und wirkte im Trio mit Bassist Peter Eldh und Saxophonist Otis Sandsjö wie eine Kassandra der Introspektion, dunkel und distanziert in der Klarheit ihrer Stimme. Duos wie das des für pandemisch verhinderte Gäste aus Norwegen eingesprungenen Geigers Klemens Bittmann mit dem Holzbläser Georg Gratzer oder auch des Akkordeonisten Christian Balkanic mit der Sängerin Marie Spaemann brachten weltmusikalische Momente und die Lust an der sich gegenseitig anstachelnden Kommunikation mit in die Kirche, während das Ensemble Manu Delago sich als typisch volltönendes Kollektiv des durchdachten Gegenwartsjazz empfahl.

Wirklich nach vorne wiesen aber drei kleinere Formationen. Das Duo 4675 der Schwestern Astrid und Beate Wiesinger brauchte nur Altsaxophon einen Hauch Elektronik, Kontrabass und Stimme, um den Bogen von schräg verschraubtem, freiem Spiel zu skurrilem Songpop und zeitgemäß groovendem Monk zu schlagen. Lukas König machte aus seinem Solo-Schlagzeug in Kombination mit pulsierendem Laser und Sounddesign ein zwischen Beat, Textur, Poetry und Installation changierendes Gegeneinander der Sinnesimpulse, das in seiner Wucht in rauschhafte Konzerterfahrungen mündete. Und Drummer Jim Black unterfütterte als EmC Splinter das wütend energische Poetry-Universum der Diseuse und Posaunistin Josephine Nagorsnik, genannt Chinzilla, mit mächtigem, groovefundiertem Pathos. Das war Punk auf Ebene zwei, ein futuristisches Projekt, das über die pandemische Trance mit exzessivem Intellekt hinwegfegte.

Noch ein Nachtrag. Was man nicht lernte, war das Allheilmittel gegen die Aporien der Monetarisierung. Die Konzerte des Weekenders waren kostenlos bei rechtzeitiger Registrierung. Damit wird kein Cent verdient, im Gegenteil. Die Diskussionen der Cashflows in der Kultur in Zeiten nach der Krise werden noch geführt werden müssen. Derweil aber geht es um das Durchhalten, auf den Bühnen und in den Köpfen.

Text und Fotos: Ralf Dombrowski

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