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          |  | Jazzzeitung 2010/02  ::: seite 13rezensionen |  |   
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 | Stefano Battaglia – Michele RabbiaPastorale
 ECM 2120 2713764
   „Pastorale“ von Stefano Battaglia und Michele Rabbia ist
        nicht nur ein Fest für alle Fans von Piano-Drum Duos. Nach seinen
        beiden ECM Veröffentlichungen „Raccolto“ und „Re:Pasolini“ beschreitet
        Battaglia gemeinsam mit seinem vertrauten Percussionisten Rabbia auf „Pastorale“ nun
        wieder Duo-Pfade, die er bereits vor Jahren (mit Tony Oxley und Pierre
        Favre) begann. Eindrucksvoll ruft Battaglia dem Hörer mit seinem
        Spiel ins Gedächtnis, dass das Klavier auch eine Art Perkussionsinstrument
        ist, während Rabbia seinen Becken und Trommeln wiederum luzide Töne
        und Klänge entlockt. „Pastorale“ besticht im Höreindruck
        vornehmlich durch lyrische, tonal vielschichtige Klanginseln, die schwebend
        luftig, fast sakral, daherkommen und trotzdem geprägt sind durch
        einen freien experimentell improvisatorischen Ansatz. Dabei wirkt das
        Zusammenspiel der beiden niemals zerrend oder aufgesetzt, trotz enormer
        Komplexität der Kompositionen. Es wird mit Pausen und Stille gearbeitet,
        präpariertem Klavier und/oder zum Teil, sparsam eingesetzten, elektronischen
        Klängen. Das Spektrum der Themen wechselt zwischen folkloristischen
        Motiven, abstrakten Soundscapes, frei angelegten Improvisationen und
        zum Teil meditativ rhythmisch melodischen Phrasen. Beeindruckend: mit
        dem Titelstück „Pastorale“, inspiriert von Rilkes erstem
        Sonett aus dem Zyklus „Die Sonette an Orpheus“, und „Tanztheater“,
        einer als Suite angelegten Hommage an Pina Bausch, verbeugen sich beide
        Musiker ehrfürchtig vor zwei großen Meistern. Thomas J. Krebs
 Pascal Schumacher & Jef NeveFace to Face
 enja 2010
   Konzerthäuser sind zurzeit sehr engagiert, die Grenzen zwischen
        Jazz und E-Musik aufzubrechen. Da kommt ihnen der Vibraphonist Pascal
        Schumacher gerade recht, denn dieser vermag so vieles, um sich jeder „jazzpolizeilich“ korrekten
        Schablonenhaftigkeit erfolgreich zu verweigern. Zusammen mit seinem Landsmann
        Jef Neve am Piano hat er sich nun auf eine Duo-Begegnung eingelassen.
        Der Titel „Face to Face“ könnte nicht programmatischer
        sein. Vielversprechend markiert der Auftakt die hohe Spielkunst, aber
        auch die künstlerischen Ideale der beiden: Weit sind die Tore offen
        zur Minimal Music mit ihren ruhelos pulsierenden Pattern und Texturen.
        Erstaunlich, wie sich beide Klangwelten hier vereinen und nie miteinander
        in Konkurrenz treten – wie es in der Besetzung Klavier plus Vibrafon
        nur zu oft passiert. Aus der stilistischen Hommage entwickeln sich expressive
        Ausbrüche, tosende Crescendi und pulsierende Synkopengrooves. Das
        treibt voran, wirkt aber zuweilen auch wie impressionistisch aufgeladene
        Filmmusik. Vereinzelt wird es jedoch gar zu süßlich – dabei
        ist ein Wohlklang um jeden Preis wirklich nicht das, was dieses Duo nötig
        hätte. Doch schon im nächsten Moment geht es wieder auf konzentrierte
        Höhenflüge. Ganz groß, wie sich Pascal Schumachers vertrackte
        Tongirlanden mit Jef Neves virtuosen Flügelstürmen in pochender,
        vibrierender Rhythmik immer wieder verzahnen! Und ein nicht minder beflügelter
        melodischer Erfindungsgeist kreiert so manches Thema, das auch für
        einen schönen Popsong taugen würde, weil es schon beim ersten
        Hineinhören sehr vertraut wirkt. Stefan Pieper
 Mulo Francel & Evelyn HuberSongs of Spices
 GLM/Fine Music FM 142-2
   Wer Mulo Francel von Quadro Nuevo ist, das weiß ein einigermaßen
        Musikkundiger inzwischen mit 100-prozentiger Sicherheit. Dass der Saxophonist
        und Multiinstrumentalist aber auch bereits seine vierte CD mit der Harfenistin
        Evelyn Huber aufgenommen hat, das sollte auf alle Fälle bekannt
        werden. „Songs of Spices“ ist nämlich wie die übrigen
        Alben ein überaus hörenswertes und ungewöhnliches Werk
        geworden. Wie der Titel aussagt, geht es den beiden hier um die Welt
        der Gewürze: Kakao, Koriander, Paprika, Safran, Rosmarin, Lavendel,
        Knoblauch und so manch anderem wohl riechendem Kraut erweisen die beiden
        eine musikalische Referenz. Das gelingt manches Mal mit schmissiger Treffsicherheit – zum
        Beispiel im feurig-scharfen „Paprika“, einem Lied, das man
        sich in geselliger Runde in Ungarn ausdachte, mal etwas rätselhaft
        wie beim sowieso etwas weniger bekannten „Liebstöckel“,
        dem so genannten Maggi-Kraut, dem eine Hommage an die Kindheit gewidmet
        wird. Das von Evelyn Huber komponierte „Lavendel“-Lied bezaubert
        mit einer beruhigenden Saxophonlinie, durchsetzt mit konturiert gezupften
        Harfentönen: rein und frisch wie das blau blühende Kraut. Überhaupt – was
        die Weltmusik-Harfenistin ihrem ansonsten eher klassisch verwendeten
        Instrument für Töne entlockt, das ist absolut bemerkenswert:
        mal glaubt man, eine Gitarre zu hören, mal benutzt sie die Seiten
        rhythmisch wie ein Schlagzeug, mal klingt es wie eine Lyra. Ein akustischer
        Ohrenschmeichler, der den hoffentlich lauen Frühlingsabenden sicherlich
        die nötige Würze verleihen wird. Ursula Gaisa
 Colin Towns & HR-BigbandVisions of Miles – The Electric Period of Miles Davis
 In + Out Records 77101-2
  Reduktion auf aphoristische Sentenzen ist die
        Signatur für „The
        Electric Period Of Miles Davis“ zum Ende der 1960er, als er mit „Bitches
        Brew“ die Rockbeats in den Jazz holte. Einige von diesen hypnotischen
        Motiven hat Colin Towns zu seinen „Visions Of Miles” für
        die HR-Bigband arrangiert. Den eigentlich relativ kargen Lineaturen hat Colin Towns mehr harmonisches
        Rückgrat hinzu gefügt, dem er sukzessive sozusagen orthopädische
        Stabilität gibt. So wird das Riff zu „Black Satin“ durch
        die Reprisen wie in einem Kanon verdichtet, wobei der hart pulsierende
        Rhythmus von Wolfgang Haffner an den Drums und Farouk Gomati an diverser
        Perkussion nachhaltigen Druck bekommt. Die Trompetensektion ist dabei
        zentrales Klangorgan, multipliziert mit den Aktionen am Elektropiano
        von Vladislav Sendecki den Trance-Effekt der Phrasen, so die Echosignale
        des „Spanish Key“. Solisten wie Axel Schlösser imitieren
        nicht den Stil von Miles Davis, sondern treiben die asketischen Floskeln
        etwa in „Moja“ zu ekstatischen Empfindungen. Außer
        um elektrische Aufladungen hat sich Colin Towns aber auch um lyrische
        Ruhepole wie „He Loved Him Madly“ gekümmert und das
        Ensemble in kontemplative Momente aus raffiniert verteilten Klangfarben
        geführt. Er hat ein untrügliches Sensorium für die expliziten
        und vor allem impliziten Facetten dieser Musik, weshalb seine Retrospektive
        einer äußerst kreativen Zeit in Miles Davis‘ Biographie
        nicht anders als kongeniale Aktualisierung zu bezeichnen ist.
 Hans-Dieter Grünefeld
 Tord Gustavsen EnsembleRestored, Returned
 ECM
   Zunächst war er nur der Begleiter. Als sich der norwegische Pianist
        Tord Gustavsen dann von Silje Nergaard emanzipierte, merkte man erst,
        welches Kaliber da wieder einmal aus dem hohen Norden kam: Ein magischer
        Melodiker, ein Großmeister eines bittersüßen Wohlklangs,
        der doch jede Klippe des Klischees traumwandlerisch umschifft. Und ein
        Klangstrukturalist, der dem klassischen Klaviertrio eine Alternative
        zur stilbildenden Dynamik des Esbjörn Svensson Trios aufwies. Nach
        drei Trio-Alben bei ecm und einigen persönlichen Verwerfungen aber
        suchte Gustavsen nach neuen Wegen, experimentierte mit Big Band, Streichern,
        und als Begleiter ganz unterschiedlicher Projekte. Nun ist er mit seinem
        vierten ecm-Album „Restored, Returned“ sozusagen am Ausgangspunkt
        angelangt, an dem er für seine wie immer hörbar dem Innersten
        entsprungenen Geschichten nun erweiterte Ausdrucksmöglichkeiten
        gefunden hat, indem er sie in seinem nicht zufällig „Ensemble“ benannten
        Quintett auch anderen überantwortet: dem warmen Tenorsaxophon Tore
        Brunbergs; der eigenwillig betörenden, zugleich nordisch wie schwarz
        klingenen Stimme von Kristin Asbjørnsen; und nicht zuletzt den
        Gedichten des englischen Poeten W.H. Auden, die den gesungenen Stücken
        wie dem sehr treffenden CD-Titel zugrundeliegen. Was alles zusammen Gustavsen
        erst recht als einen der ganz großen kreativen Köpfe des europäischen
        Jazz in Szene setzt. Oliver Hochkeppel
 Matthias GoebelQ-Train, Brooklyn Bounce
 Jazzsick 5029 JS
   Einige Fäden der Jazzgeschichte sind noch nicht zu Ende gesponnen
        und werden für Muster der Gegenwart wieder aufgehoben. So ist Matthias
        Goebel, Vibraphonist aus Deutschland, bei seinem Debüt-Album vom
        Dave Pike Set beeinflusst, dessen melodischer Jazz-Rock-Stil aus den
        70ern schon zu Beginn „C-aro“ bis in typische Harmoniewechsel
        hervor scheint. Nur, Philipp van Endert setzt durch verzerrten Gitarrensound
        eigene Kontraste zu den dezenten Vibraphonlineaturen. Auch Trance-Akkorde
        aus Punk-Reservoir über dem rapiden Bassostinato von André Nendza
        und den Staccato-Punkten vom Vibraphon zu „This Is Edgar W.“ haben
        einen ähnlichen Effekt. Doch die Spannungsbögen bleiben meistens
        relativ flach, sind von diskreten Rhythmen, insbesondere beim Wiegenlied „Good
        Night And Good Luck“, stabil gestützt. Zumal Kurt Billker
        am Schlagzeug, außer bei seinem impulsiven Solo während der
        turbulenten U-Bahnfahrt im „Q-train, Brooklyn Bounce“, mehr
        integrativ als fordernd spielt. Darüber hinausweisendes Energiepotenzial
        zeigt sich allerdings in der abstrakten Free Jazz Episode in „Beyond
        My Faces“ und der offenen Latinstruktur von Marimba/Vibraphon Interplays
        für „Friends?“, bei denen das Quartett am besten individuelles
        Profil erreicht. Hier wird Jazzgeschichte produktiv weiter entwickelt,
        hat Matthias Goebel als Komponist und Solist klare Eigenständigkeit.
        Sein Vibraphon-Stil orientiert sich eben an langsamer Evolution. Hans-Dieter Grünefeld
 Hans Lüdemann – Trio IvoireAcross the Oceans
 enja
   Als der deutsche Pianist Hans Lüdemann vor elf Jahren in Abidjan
        erstmals mit dem von dort, also der Elfenbeinküste, stammenden Balafon-Spieler
        Aly Keita spielte, war das die Keimzelle für ein bemerkenswert unaufgeregtes,
        wohlklingendes und stimmiges Weltmusikprojekt. Das „Trio Ivoire“ – bis
        vor zwei Jahren mit dem britischen Schlagzeuger Steve Argüelles,
        nun mit dem Holländer Chander Sardjoe – lebte und lebt vor
        allem von der spielerischen Freude am gegenseitigen Aufgreifen und Fortspinnen
        von einfachen Melodien, bunten Klangfarben und Rhythmen. Der erfreulich
        respektvolle Austausch der Kulturen bedeutet allerdings auch eine Harmonisierung.
        Und so kommt auch auf dem neuen Album „Across The Oceans“ manches
        recht schaumgebremst und harmlos daher, nicht zuletzt, wenn es bei „The
        Virtual Piano“ auch mal über den Atlantik in Richtung USA
        und Jazz geht. Statt einer bedächtigen Schau aller Facetten der
        Band wie schon auf den Vorgängeralben hätte sich eine pointiertere,
        engagiertere Gangart nicht zuletzt deswegen angeboten, weil „Across
        The Oceans“ nicht nur geografisch gemeint ist: Das Album ist „dem
        Volk von Zimbabwe gewidmet“, wo man noch 2007 und 2008 unter schwierigsten
        Bedingungen spielte; das Traditional „Siwo“ mit der Sängerin
        Chiwoniso deutet an, dass die CD mehr als eine nur halbherzig genutzte
        Chance, mehr als ein wieder unzweifelhaft klangvolles, „schönes“ Album
        hätte werden können. Oliver Hochkeppel
 HiromiPlace to be
 TELARC CD 83695
   Seit mehr als sieben Jahren begeistert die 1979
        geborene Pianistin Hiromi Uehara nun die Jazzszene. Bekannt geworden
        durch virtuose Jazz-Rock-Fusion
        Grooves, zeigte sie sich in den nachfolgenden Jahren auch bereits von
        ihrer akustischen, „leisen“ Seite im Duo mit Chick Corea
        oder im Trio mit Stanley Clarke und Lenny White. Nun ist es an der Zeit,
        auch mit einer Soloaufnahme aufzuwarten. Kein einfaches Unterfangen,
        sind die Erwartungen aller an eine solche Aufnahme und an die Auswahl
        von Kompositionen hoch gesteckt. Bis auf „Berne, Baby, Berne!“,
        einem Louie Bellson Standard, stammen alle Songs der Solo-CD „Place
        To Be“ aus Hiromis Feder. Sie erzählt mit ihrem Spiel wundervolle
        Geschichten von den portugiesischen „Island Azores“, widmet
        dem quirligen Verkehr des Brooklyn Queens Expressway „BQE“ verrückt
        virtuose Läufe oder erinnert sich an Situationen mit Freunden, Chips
        und Süßigkeiten, die sie einfach mag. Melodien sind ein wichtiger
        Bestandteil ihres Spiels und stehen, unabhängig von technischen
        Finessen, bei Hiromis Kompositionen im Vordergrund. Ihr Stil groovt hier
        im Fusion-Sinn weniger, dafür perlen Läufe und Harmonien am
        Yamaha CFIIIS Concert Grand, dem Hiromis Anschlag eine ungeheuere Dynamik
        entlockt, und der eine fantastische Plattform bietet. Mit begeisterlichem
        Spiel stellt Hiromi unter Beweis, dass virtuose Technik zwar wichtig,
        Musik ohne Seele oder ohne Melodie aber wenig Sinn macht. Thomas J. Krebs
 Rigmor Gustafsson & radio.string.quartett.vienna:
          Calling YouACT 9722-2
   Das Wiener Radio String Quartet ist schon eine Schau. Mit ihrem Mahavishnu-Programm
        haben sie – live noch zwingender als auf CD – einen neuen
        Maßstab in Sachen Jazz für Streicherensemble gesetzt. Nahe
        liegend, dass man bei ACT die vier großartigen Musiker nun mit
        einer der vielen erfolgreichen Sängerinnen aus dem eigenen Stall
        zusammenbringen wollte. In den ersten drei Nummern ergibt das auch gleich
        eine feine Mischung: Rigmor Gustafssons Stimme schmiegt sich ganz natürlich
        in die harmonisch und klanglich erstklassigen Arrangements („Still
        crazy after all these years“) ein, einen herrlich altmodischen
        Stampf-Swing zupft das Quartett zu „Goodbye for now“, der
        besten Nummer auf der Scheibe. In den Vokalisen von „Makin’ Whopee“ deuten
        sich freilich die vokalen Grenzen der charmanten Schwedin an, eine Tendenz
        zum Säuseln oder zum Nachdrücken, die sich in einigen gefühligen
        Pop-Songs unangenehm bemerkbar macht („I just don’t know…“, „If
        it’s magic“, „Wherever we go“). Am Titelsong „Calling
        you“, das Jevetta Steele für „Out of Rosenheim“ so
        unnachahmlich gesungen hatte, scheitert sie entsprechend. Herrlich dann
        aber wieder die locker hingeworfenen Nummern „Please don’t
        stop“ oder „Nothing’s better than love“, und
        für jene, die’s ein wenig abgedrehter mögen, spielt das
        RSQ im „Dry Cleaner from Des Moines“ noch einmal so richtig
        auf. Juan Martin Koch
 Pablo HeldMusic
 Pirouet-Records 2010
   Pablo Held strotzt vor Selbstbewusstsein – sonst würde er
        sein aktuelles, zweites Album wohl kaum einfach nur „Music“ nennen.
        Die wahre Essenz, das authentische Aufgehen im Ganzen will sich offenbaren.
        Und dafür bietet der 23-jährige Pianist zusammen mit seinen
        ebenbürtigen Mitstreitern einiges auf in Sachen modernem Klavierjazz,
        der sich aus der Flut zahlloser Jazz-Klaviertrio-Einspielungen mit gutem
        Wiedererkennungswert heraushebt. ? Robert Landfermann am Bass und Schlagzeuger Jonas Burgwinkel bilden die
        perfekte Verzahnung mit dem in Witten-Herdecke geborenen und heute in
        Köln bei Hubert Nuss studierenden Überflieger-Pianisten. Held
        wollte schon von kleinauf? Jazzpianist werden. Schon im zarten Alter
        räumte er die „Jugend jazzt“-Preise nur so ab. Souverän,
        wendig und kraftstrotzend ist seine Tastenkunst. Viele bevorzugte harmonische
        Färbungen und Tonskalen zeugen von Pablo Helds großem Respekt
        vor der amerikanischen Jazz-Moderne. Mit Miles Davis, Herbie Hancock
        oder auch – vor allem in punkto unermüdlichem Forschergeist – Wayne
        Shorter im Zentrum.
 „Music“ legt nun eindrücklich Pflicht und Kür offen. Erstere
        liegt im Verarbeiten, Weiterentwickeln, Hinterfragen eines immer weiter
        wachsenden musikalischen Erfahrungsschatzes. Die Kür vollführt
        das Pablo-Held-Trio im Anreichern eines solchen Kapitals mit eigener
        Persönlichkeit. Hier ist überbordende Kreativität, ja
        manchmal schwärmerische Emotionalität die Folge. Die Kompositionen
        sind reich an raffinierten Details. Das garantiert entsprechende Kontrastprogramme:
        Aus verspielten Arpeggien erwächst vertracktes modales Spiel, anderswo
        markieren feinfühlige Klangmeditationen einen Prozess des Suchens,
        bevor tiefempfundene Themen zu inneren Wesenskernen vordringen. Und es
        rockt manchmal richtig, wenn die drei ein dynamisches Crescendo entfalten. „Music“ demonstriert überdies
        ein raffiniertes Crossover. Jene verträumte „Ballade“ mit
        ihrem verklärten, mystischen Farbenspiel scheint der sensiblen Ausdruckskunst
        dieses Trios originär auf den Leib geschrieben. Dabei ist „O
        Sacrum Convivum“ ursprünglich ein Chorstück von Olivier
        Messiaen!
 Stefan Pieper
 A-Train:
        Take the A-TrainCHAOS CACD 8324 rec. 12.–14.3.09
   „A-Train“ ist der Name der „Landes-Akkordeon-Big-Band Hessen“,
        heute aus 31 MusikerInnen bestehend, die Wolfgang Russ im Jahr 2000 auf
        Initiative des Landesverbandes Hessen im Deutschen Harmonika Verband
        gründete und seither leitet. Kein herkömmliches Akkordeonensemble
        mit traditionellem Repertoire, sondern ein an Big Bands orientiertes
        Orchester mit in Jazz/Rock/Pop-Workshops geschulten Mitgliedern, einer
        guten Rhythmusgruppe, einem Sänger mit Stimme und Feeling und einem
        Gast (Trompete), die Jazzstandards und andere Titel spielen. Wolfgang
        Russ, im Jazz sehr versierter Musiker und Dozent, hat alle Stücke
        bis auf zwei arrangiert und ein überzeugendes Ergebnis zustande
        gebracht. Die Band geht richtig los. Zur „Nachahmung“ empfohlen. Joe Viera
 Manu KatchéThird Round
 ECM
   Anstatt Mutmaßungen darüber anzustellen, warum immer wieder
        Alben mit Bezug zu den 1980er-Jahren auftauchen, ist anzunehmen, dass
        Manu Katché freiwillig keinen Hehl daraus macht, in diesem Jahrzehnt
        musikalisch sozialisiert worden zu sein. Seit den Lehrjahren in den Bands
        von Sting und Peter Gabriel beherrscht er das Schlagwerk des Pop erfolgssicher.
        Von erstklassigen Jazzern umgeben hat er bei ECM bereits mit zwei Alben
        bewiesen, dass er seinem Instrument vielschichtigere Klänge abgewinnen
        kann. Diese dritte Runde als Bandleader wird Erwartungen an improvisationsgeleitete
        Ensemblearbeit jedoch enttäuschen. Folgerichtig attestiert das Label
        dem Album unverblümt ein „Jazz-Feeling“. Dass der Franzose
        eine komplett neue Band mit Musikern aus Norwegen, London und den USA
        um sich versammelt, wirkt eher unverbindlich und so will es auch nach
        einem Dutzend Durchläufen nicht gelingen, einen einzigen Song im
        Gedächtnis zu behalten. Wohl sind verschiedene Rhythmen und Arrangements
        auszumachen, ebenso wie Spuren der Funk-Grooves, die Katché live
        so genussreich ausspielt. Aber wenn die Sängerin Kami Lyle vom Mond
        und den Sternen piepst und ihre Trompete auch nur mit Dämpfer dahinschweben
        darf, sei die Frage angebracht, ob eine Öffnung zum Pop hin der
        Musik wirklich einen Dienst erweist. Ebenso scheinen die Saxofone an
        den Hintergrundmusiken amerikanischer Vorabendserien geschult. Einzig
        der englische Pianist Jason Rebello bewahrt seine Integrität mit
        eigenem Anschlag und Melodieführung.
 Franziska Buhre
 Fjoralba Turku QuartettJoshua
 Traumton
   Sie ist noch jung, hat erst spät zum Gesang gefunden und dennoch
        schon etwas Eigenes zum Jazz beizutragen: das albanische Element könnte
        man nennen, was die bis zum neunten Lebensjahr in Albanien aufgewachsene,
        heute in München lebende Fjoralba Turku da ins Great Songbook einführt. Archaisch und melancholisch, in unseren Ohren mitunter fast wortspielerisch
        klingen die albanischen Volkslieder und eigenen Texte, die Turku – aufgelockert
        durch ein paar Stücke und Standards auf Englisch – auf ihrem
        bei Traumton erschienenen Debütalbum „Joshua“ vorträgt,
        benannt nach ihrem kleinen Sohn. Erstaunlich ist die Kraft und die Reichweite
        der zierlichen jungen Frau, die mal nordisch hell, dann wieder sehr dunkel,
        fast wie eine südosteuropäische Zarah Leander („Beautiful
        Man“) klingen kann. Für den überraschenden und erfrischenden
        Eindruck von Turkus Gesang dürfte außerdem keine geringe Rolle
        spielen, dass sie aus einer Geigerfamilie stammt und zunächst selbst
        Violine lernte. „Ich denke beim Singen immer daran, wie ich es
        auf dem Instrument intonieren würde, ich singe sozusagen wie eine
        Geige”, sagt sie selbst. Nicht minder eindrucksvoll sind die Arrangements,
        für die meist die Pianistin (und auf zwei Stücken kongeniale
        Gesangspartnerin) Andrea Hermenau verantwortlich zeichnet.
 „Max.bab“-Bassist Benny Schäfer und der polyrhythmisch sehr
        versierte junge Drummer Johannes Jahn runden den positiven Gesamteindruck
        ab.
 Oliver Hochkeppel
 Carsten Daerr TrioWide Angle
 Traumton 4537
   Seit seinem Debüt-Album 2003 bricht das Carsten Daerr Trio die vielfach
        herrschende Trennung von Solist und Begleiter auf; 2009, auf der vierten
        CD, ist es nicht anders. Nur, dass bereits alle Ecken der Welt bespielt
        wurden und unterschiedliche Erfahrungen aufgenommen. Mit Notizbuch und
        Kamera festgehalten, dienen sie den neuen Aufnahmen, wie es heißt,
        als „Assoziationsanker“. Komplexer ist das Spiel des Berliner
        Trios nicht, eher transparenter, klarer strukturiert. Eng verzahnt sind
        nach wie vor Komposition und Improvisation, die Klangsprache bleibt eigen.
        Da die elektrische Orgel nicht mehr zum Einsatz kommt, ist Daerrs Spielweise
        auf dem Klavier flächiger, perkussiver. Sounds und Stimmungen erzeugt
        er jetzt eher mit minimalistischen Motiven, die ihre magische Wirkung
        selten verfehlen. Cluster lösen sich in perlende Melodiegirlanden
        auf, stehen neben gezielter Rücknahme der Opulenz und hingetupften
        Motiven. Gestreift werden wieder alle möglichen Spielarten des Jazz,
        von Bop oder Free bis Swing oder Ethno. Die Stücke, die oftmals
        Reiseeindrücke vom Orient bis Hinterasien reflektieren, gerieren
        vielfältige Atmosphären und machen den schillernden Klangcharakter
        des Albums aus. Neben Leader Daerr sind selbstredend Oliver Potratz (b)
        und Erich Schaefer (dr) gleichberechtigte Partner mit eigenen Ideen.
        So wie letzterer keinen Stillstand kennt, von straightem Spiel bis zu
        frei flottierenden Rhythmen, kann Potratz rhythmisch mithalten. Alles
        andere als ein erstarrtes Klavier-Trio geben die Mannen um Carsten Daerr
        ab. Reiner Kobe
 
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