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Jazzzeitung

2010/02  ::: seite 4

berichte

 

Inhalt 2010/02

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Fletcher Henderson Farewell: Ed Thigpen


TITEL -
Gutes Echo auf den Jazz
Vom Überlebenswillen einer schlanken Musikrichtung


Berichte

Zweiter BMW Welt Jazz Award // Women in Jazz in Halles Oper // Pat Methenys „Orchestrion“-Auftritt in München // Preview: Zur Premiere des Festivals Elbjazz Hamburg // 28. Südtirol Jazzfestival Alto Adige


Portraits

Arbor Records Party und „Echoes of Swing“ in Florida – Teil 2 // Matthias Bublath // Harry Carney // Ornette Coleman // Rigmor Gustafsson und das radio.string.quartet.vienna // Herbie Hancock // Dieter Ilg // Mike Seltzer von „Manhattan Brass“ // Christoph Stiefel und sein Inner Language Trio // Die Augsburger Band „Swing tanzen verboten!“


Jazz heute und Education
Fünf Jahre Messe jazzahead // Christian Sommerer über seinen Posten als Leiter der Uni-Jazzensembles // Abgehört: Richard Bonas Bass-Solo zu „Play“ von Mike Stern

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

An den Frauen führt kein Weg vorbei

Women in Jazz stößt mit seiner fünften Auflage in neue Dimensionen vor – Workshops begeistern in Halles Oper

So weit ist es also schon gekommen. „Vor gut einem Jahr haben wir?in einem der dritten Fernsehprogramme einen Beitrag über das Women in Jazz-Festival gesehen und spontan gedacht: Das ist doch was für uns“, erzählt Doris Hebauf. Also packte sie ein bisschen Demo-Material zusammen und schickte es an Halles Festival-Chef Ulf Herden. Der war begeistert, die Einladung für die fünfte Auflage des Frauen-Festivals beschlossene Sache.

Legten los wie die Feuerwehr: „Pitch the Fork“ aus Frankfurt am Main beigeisterten das Publikum. Foto: Roland Heinrich

Bild vergrößernLegten los wie die Feuerwehr: „Pitch the Fork“ aus Frankfurt am Main beigeisterten das Publikum. Foto: Roland Heinrich

Und dann standen sie, die sich sonst hauptsächlich auf Straßenfesten im Raum Frankfurt am Main tummeln, plötzlich und sichtlich nervös auf der großen Bühne des Opernhauses. Und auch das Publikum schaute erst einmal skeptisch drein, nicht nur wegen des ulkigen Namens Pitch the Fork, sondern auch wegen?einer völlig unbekannten Band, die dazu noch so ungewöhnlich daher kam. Nein, die sechs sind wahrlich durch keine Casting-Show gegangen. Sie kommen im Hausfrauen-Look, die eine mit Dauerwelle, die andere mit einer knallbunt bestickten Militärjacke, und legen los wie die Feuerwehr, nahezu alle Bühnen-Erfolgsregeln missachtend. Ab und an streut die aus London eingeflogene Sängerin April King sogar noch?eine nicht ganz jugendfreie?Ansage ein und hat Glück, dass ihr Slang nicht bis zur letzten Silbe verstanden wird. Sei’s drum, das Publikum ist sichtlich begeistert. Erst?an vergleichsweise zahmen Horace Silver-Melodien, dann am immer derber werdenden Blues. Dafür sorgt dann eine zweite Gastmusikerin, eine mit durchaus bekanntem Namen: die 51 Jahre alte Deirdre Cartwright. Die Gitarristin ist durch eine harte Schule gegangen, hat sich in den frühen 80er-Jahren in der Rockschool, einem Fernsehlehrgang der BBC, der in Großbritannien bis zu zwei Millionen Zuschauer erreichte, durchgesetzt und tourt seitdem als Solistin und in ständig neu zusammengesetzten Bands rund um den Erdball. Electric Landladies heißt eine ihrer Gruppen, in direkter Anspielung an die Jimi Hendrix-Vorzeigeplatte Electric Ladyland. Hendrix hätte vor Cartwright den Hut gezogen, Pitch the Fork setzte noch einen drauf mit mitreißenden Trompetenbeiträgen von Megumi Makabe und dem in tiefsten Tönen einsteigenden Saxofon der Bandleaderin Hebauf. Nach nur zwei Stunden Probe war das alles natürlich nicht perfekt, dafür ungekünstelt und unverbraucht, das pralle Leben eben. „Ich vermisse in meinem Job oft den Spaß, hier habe ich ihn gehabt und in vollen Zügen genossen“, strahlte Cartwright.

Halle hatte seine Publikumslieblinge gefunden und Ulf Herden konnte anschließend zugeben, dass er sich „nicht sicher war, ob das Experiment aufgeht. Schließlich war man in Halle bislang ausschließlich an die großen Namen gewöhnt“. Workshops, extra für das Festival zusammengestellte Formationen, das war seine Idee für 2010 und bleibt sie für künftige Jahrgänge. Pitch the Fork war dafür ebenso der Mutmacher?wie die Session-Band des Energiebündels Saskia Laroo, die es fertig bringt, ihre Trompete ausschließlich mit einer Hand zu spielen, weil sie mit der zweiten ständig damit beschäftigt ist, an irgendwelchen Verstärkerknöpfen herumzudrehen. Das allein würde sich auf Dauer ebenso schnell abnutzen wie der Blick auf die wenigen Stoffteile an ihrem schlanken Körper. Das weiß die Holländerin natürlich und deshalb ist sie schlau genug, ihre Band mit Hochkarätern zu besetzen. Der polnischen Schlagzeugerin Dorota Piotrowska zum Beispiel, die alles unter Kontrolle hat, oder dem McCoy Tyner-Double Warren Byrd am Klavier, der dazu auch als Sänger glänzt. Die Höhenflüge kommen, als die 29 Jahre alte, im Saarland geborene und jetzt in der Schweiz lebende Nicole Johänntgen mit ihrem Sopransaxofon hinzukommt, sich selbst und der Band mit dem Wayne Shorter-Stück Footprints und Herbie Hancocks Maiden Voyage Höchstleistungen abverlangt.

Und siehe da, Saskia Laroo besteht daneben, obwohl immer noch einhändig spielend. Pascal von Wroblewsky, das inzwischen 47 Jahre alte und in allen Stilformen zurechtkommende Gesangswunder, gesellt sich auch noch dazu und bringt mit Night in Tunesia oder Sophisticated Lady die Oper endgültig zum Kochen – bei zehn Grad Minus draußen. „Das Wetter war schuld, wir sind alle mit Verspätung hier in Halle zu unserem ersten gemeinsamen Konzert angekommen. Deshalb blieb zum Proben nicht viel Zeit. Wir mussten uns auf unser Improvisationstalent verlassen“, versucht sich die Sängerin an einer Entschuldigung, die gar nicht nötig gewesen wäre.

„Vier ausverkaufte Konzerte in der Oper, das gab’s noch nie“, freute sich Ulf Herden über den Erfolg des fünften Jahrgangs Women in Jazz. Dazu trugen erstmals auch die Jazzlounge, in?der auch getanzt werden durfte, und der City-Jazz als musikalischer Stadtrundgang in Kaufhäusern, Kneipen, im Bahnhof und in der Straßenbahn bei. Und die erst 17 Jahre alte Saxophonistin Grace Kelly. Die heißt wirklich so, hat koreanisches Blut in ihren?Adern und das Zeug dazu, in wenigen Jahren Starruhm zu erlangen. Und natürlich auch die eigentlichen Stars des Festivals, die norwegischen Sängerinnen Solveig Slettahjell und Torun Eriksen, die bewiesen, dass sie nicht nur auf CD bezaubernd schön klingen.
Herden könnte sich auf dem Erfolg ausruhen, sein Konzept hat sich trotz jeder Menge Zweifler als tragfähig erwiesen und Halle zur deutschen Frauenhauptstadt im Jazz gemacht. Und er ist noch lange nicht am Ende seiner Ideen: „Australien soll im nächsten Jahr im Mittelpunkt stehen und dann wollen wir auch ein paar Frauen aus Osteuropa nach Halle holen.“ Und sicher landen bis dahin auch noch ein paar Demobänder auf seinem Schreibtisch. Von Musiker/-innen, die bis heute kein Mensch kennt.

Gottfried Schalow

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