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Jazzzeitung

2008/05  ::: seite 1, 19

titelstory

 

Inhalt 2008/05

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig / Die Abenteuer des Werner Steinmälzl, Teil 5 / Roy Brooks / Abschied von „Little Giant“ Johnny Griffin


TITEL -
Schüler und Meister
Ein Interview mit dem Pianisten John Taylor


DOSSIER
- Diese Musik tanzt mich
Über die Lindy Hop- und Swing Dance-Welle berichtet Dietrich Schlegel

Berichte
„A European Jazz Jamboree“ // Swing Festival Elmau // Jazzopen in Stuttgart // 32. Leipziger Jazztage


Portraits

Sonny Rollins im Interview // Sheila Jordan wird 80 // Bassist Wolfgang Schmid wird 60 // Das Münchner Quintett Carte Blanche // Mo’ Blow // Helge Lien // Thilo Wolf: Big-Band-Leader mit „altmodischen“ Helden


Jazz heute und Education
BMW Welt Jazz Award 2009 // Premiere des neuen JazzOrchesters Regensburg // John Taylors Komposition „In Cologne”

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

Schüler und Meister

Ein Interview mit dem Pianisten John Taylor

Wie wird man zu dem Künstler, der man ist? Wie entwickelt sich Persönlichkeit? Welchen Einfluss hat die persönliche Biografie, das Studium, der Professor auf die Entwicklung eines Personalstils? Im Jazz erhält man auf diese Fragen nach wie vor so viele individuelle Antworten wie es Musiker gibt. Der Pianist Ron Cherian, der seit vielen Jahren für die jazzzeitungs-Kolumne „abgehört“ zuständig ist, beschäftigt sich in einem Interview mit seinem ehemaligen Lehrer, dem englischen Pianisten John Taylor, mit solchen Fragen. 2007 beendete dieser seine 14 Jahre währende Unterrichtstätigkeit als Professor für Jazzklavier an der Hochschule für Musik Köln. Ron Cherian hatte die Gelegenheit, mit Taylor aus diesem Anlass ein ausführliches Interview zu führen.

Foto: W. Patrick Hinely Work/Play/ECM Records

Bild vergrößernFoto: W. Patrick Hinely Work/Play/ECM Records

jazzzeitung: John, darf ich mit ein paar persönlichen und biografischen Fragen beginnen, für die im Unterricht oft die Zeit fehlte? Ich nehme an, du bist sehr früh mit Musik in Berührung gekommen, erinnerst du dich?
John Taylor: Meine 15 Jahre ältere Schwester Catherine war Pianistin. Sie spielte Chopin, Bach und Schubert, was mich auf wunderbare Weise in den Schlaf wiegte. Es machte einen so großen Eindruck auf mich, dass ich später wie selbstverständlich zum Klavier ging und versuchte zu spielen. Mein Vater, der sich das Klavierspiel selbst beigebracht hatte, erklärte mir schließlich das Notensystem, denn ich spielte natürlich alles nach Gehör. Als ich etwa zehn Jahre alt war, ermutigten mich meine Eltern, eine Klavierlehrerin in Hastings aufzusuchen – eine sehr nette ältere Dame namens Ethel Pepper. Sie spornte mich an, ließ mich Tonleitern und Übungen spielen, während sie dabei strickte. Ich ging für etwa ein Jahr jede Woche zu ihr, das war der einzige formale Unterricht in meinem Leben. Ich begann, mich auch für die neue Art von Popmusik zu interessieren, die in den 50er-Jahren aufkam. Mit meiner ersten Band trat ich regelmäßig in einem Jugendzentrum auf. Das Publikum tanzte meist zu unserer Musik, während wir das Zusammenspiel lernten. Gelegenheit zu improvisieren gab es auch ein wenig.

jazzzeitung: Was hat schließlich dein Interesse am Jazz geweckt?
Taylor: Dazu habe ich unterschiedliche Erinnerungen, aber ich weiß, dass ich damals ein Stück von Humphrey Lyttelton gerne hörte, einem britischen Jazztrompeter: „Bad Penny Blues“. Es war sogar ein Hit in den Pop Charts. Das Klavier spielte eine Boogie-Woogie-Basslinie, das Schlagzeug dazu im Double Time Feel. Rhythmisch war das Stück recht ungewöhnlich für mich, was mich besonders begeistert hat.

jazzzeitung: Wie nahm dein musikalischer Weg Gestalt an? Welche Jazzmusiker haben dich zu Beginn beeinflusst?
Taylor: Zunächst war das insbesondere Oscar Peterson. Bei einem Wochenend-Jazz-Seminar empfahl mir dann ein anderer Teilnehmer, unbedingt Bill Evans zu hören, so kaufte ich mir das Album „Explorations“, das einen tiefgreifenden Einfluss auf mich hatte. Ich hörte dann Chick Corea und Herbie Hancock und viel später Keith Jarrett.
Als ich 22 Jahre alt war, nahm ich für etwa sechs Jahre einen Bürojob in London an. Dort hatte ich die Gelegenheit, viele andere Musiker zu treffen und bekam Lust, mehr zu spielen.
Im alten Club von Ronnie Scott gab es viele Jamsessions. Jeder spielte dort, es war eine großartige Zeit. Ich traf damals auf John Surman, Alan Skidmore, Mike Gibbs, Kenny Wheeler, Tony Oxley, Dave Holland und heiratete sogar eine Musikerin, die Sängerin Norma Winstone.
Es war eine umwälzende, fruchtbare Phase für die Musik. Post-Bebop machte freieren Elementen Platz.
Als ich mich entschied, Profimusiker zu werden, folgte daraus natürlich auch Musik zu spielen, die nicht unbedingt Jazz war. Ich hatte die Gelegenheit, ungefähr zweieinhalb Jahre mit John Dankworth und Cleo Laine zusammenzuarbeiten, die bereits sehr bekannt waren. In der Zeit lernte ich sehr viel.

jazzzeitung: Es folgte 1970 deine erste Plattenaufnahme, mit John Surman …
Taylor: … für sein Album „How Many Clouds Can You See”. Es wurde gerade auf CD wiederveröffentlicht. Mit kleiner Bigband und Arrangements von John Warren, sowie einem Quartett mit John Surman, Barre Philips, Tony Oxley und mir.

jazzzeitung: Du hast in der Zeit bereits eigene Musik geschrieben, wie verläuft der Prozess des Komponierens bei dir? Ist die Melodie stets der Ausgangspunkt?
Taylor: (überlegt) Ich denke, die Melodie ist wirklich wichtig. Manchmal gehe ich von einem harmonischen Gerüst aus, über das ich dann die Melodie höre. Oder aber das Stück entwickelt sich aus einem rhythmischen Muster, über dem sich dann Melodie und Harmonie formen lassen. Ich versuche hauptsächlich innerhalb einer Songform zu komponieren. Das Komponieren kam in Gang, indem ich für bestimmte Musiker schreiben musste, ein wichtiger Faktor.
1971 ermöglichte mir John Surman eine Sextett-Aufnahme, „Pause And Think Again“, für die ich Kenny Wheeler, Stan Sulzman, Chris Pyne, Chris Laurence und Tony Levin engagierte.
Es machte mir viel Spaß, die Musik für sie zu schreiben, und ich tat dies auch fortlaufend für einige Jahre. Bei „Azimuth“, dem Trio mit Kenny Wheeler und Norma Winstone, bestand die Herausforderung darin, Musik zu schreiben und zu spielen, die ohne Rhythmusgruppe auskommt.

jazzzeitung: Aufgaben wie diese führten ja auch dazu, dass du sehr nach Dir klingst und stets wieder erkennbar bist, was wohl die größte Verwirklichung für einen Jazzmusiker darstellt.
Taylor: Vielen Dank! Nun ja, wenn ich mir die Anfänge jetzt anhöre, gibt es da recht eindeutige Querverbindungen, wie ich finde. Vieles klingt von anderen abgeleitet.
Ich weiß nicht, an welchem Punkt man selbst wahrnimmt, dass man mehr ist als ein Bündel von Einflüssen und beginnt, mit dem eigenen Spiel einen Hinweis darauf zu geben, wer man selbst ist. Ich bin beeinflusst von all den Kollegen, mit denen ich zusammengearbeitet habe und die ich bewundere …

jazzzeitung: … und andersherum!
Taylor: Vielleicht, ja. Ich hoffe …(lacht). Wir sind alle inspiriert und beeinflusst voneinander. Das trägt dazu bei, dass die Musik voranschreitet. Die Studenten, mit denen ich hier in Köln während der letzten Jahre gearbeitet habe, begannen damit, ihre eigene Stimme auszubilden. Das war auch zwangsläufig ein Einfluss auf mich, da bin ich sicher. Genau das habe ich am Unterrichten immer genossen: Dieser Prozess des Austauschs von Können und Wissen. Es sollte nämlich nicht so sein: Hier ist der Lehrer, dort der Student.

jazzzeitung: 14 Jahre warst du Professor für Jazzklavier an der Kölner Hochschule für Musik. Während der Unterrichtsstunden wurde viel gemeinsam gespielt!
Taylor: Ja, mit meinen Studenten in der Hochschule auf zwei Flügeln zusammen zu spielen war immer eine große Freude und ein Privileg! Man kann über die musikalischen Dinge reden, sie betrachten oder anhören, aber nur durch das gemeinsame Spielen befindet man sich unmittelbar im Prozess des Erschaffens.
Im Laufe der Jahre habe ich viel Material gesammelt, das ich im Unterricht verwenden konnte. Ich ging nicht so sehr nur die technischen Details durch, die allgemeine musikalische Sprache, sondern konnte die Musik vermitteln, mit der ich selbst lange gearbeitet hatte. Meine Arbeit, die ich mein Leben lang verfolgt habe, setzte sich gewissermaßen im Unterrichtsraum fort.
Ich behaupte, man kann viel erreichen, wenn man den nötigen Enthusiasmus mitbringt, eine Vision, und wenn man ein ehrliches und dringendes Bedürfnis hat die Herausforderung anzugehen. Doch jeder ist anders, es gibt verschiedene Beweggründe Musik zu machen.
Der Prozess besteht darin, nicht nur herauszufinden, wie man die Musik spielt, sondern zu lernen, was man mit dem machen möchte, was man selbst mitbringt.

jazzzeitung: Was auch dazu führen kann, dass junge Menschen mitunter mehr Zeit benötigen, um sich zu entwickeln, so sehe ich es bei mir selbst …
Taylor: … oh ja, da geht jeder einen unterschiedlichen Weg. Nicht jeder springt sofort auf die Bühne und ruft: „Hallo, da bin ich! Ihr habt doch nur auf mich gewartet!“ (lacht). Manche sind sehr zurückhaltend, so dass sie etwas mehr Ermutigung brauchen.

jazzzeitung: Was würdest du einem jungen Musiker für seinen eigenen Weg raten?
Taylor: Ich denke, besonders das Zuhören ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die es zu entwickeln gilt. Sich darauf zu konzentrieren, den Klang wahrzunehmen, den man selbst hervorbringt.
Offen zu sein hinsichtlich der vielen Aspekte der Musik(-schöpfung). Wichtig ist, seine eigene musikalische Sprache zu erweitern um seine eigenen Ideen klar ausdrücken zu können.
Geduld ist dabei ein wichtiger Aspekt, denn Fortschritt braucht Zeit.
Als ich zu spielen begann, fand ich es sehr hilfreich mit Musikern zu spielen, die viel erfahrener waren als ich.

jazzzeitung: In einer BBC-Kritik zu deinem Solo-Album „Insight“ las ich: „Dies ist ein wunderschönes Statement eines bescheidenen Stars“. Außerdem beklagte sich die BBC: „Heutzutage wird die Jazzwelt mehr und mehr dominiert von Spielern, die mehr Erfahrung darin besitzen sich zu vermarkten als in der Musik selbst.“ Wie denkst du darüber?
Taylor: Es wird immer Jazzmusiker geben, die wirklich daran interessiert sind, ihre Musik zu spielen und zu entwickeln. Und es wird dafür immer Zuhörer geben. Jazz ist heutzutage ja eine sehr vielseitige Musik-Form. Einiges kann sehr anspruchsvoll sein und einiges fast schon „Easy Listening“.
Irgendwie soll ja alles sein Publikum erreichen und einige Musiker sind talentierter als andere ihre Musik zu vermarkten. Ich bin heute glücklich, einen Manager zu haben der genau weiß was ich tue und mir ermöglicht vor Publikum zu spielen, das meine Musik wirklich hören möchte.
Vor dieser Zusammenarbeit erinnere ich mich an ein Jazz Festival in Sardinien, bei dem ich mit einer kleinen Jazzband eröffnen sollte. Doch der Headliner für den Abend war dann Jerry Lee Lewis! Das war gewiss ein musikalisch sehr abwechslungsreicher Abend! (lacht)

jazzzeitung: Wenn man sich auf Jazzfestivals wie Montreux oder Den Haag umhört, so treten dort immer häufiger Bands auf, die nicht dem Genre Jazz zuzuordnen sind. Wie ist das Verhältnis von Jazz zur Pop-Musik heute aus deiner Sicht?
Taylor: Aus meiner Sicht ist Popmusik in melodischer und rhythmischer Hinsicht immer uninteressanter geworden und austauschbar, mit ein paar Ausnahmen. Und wirklich interessante Harmonik gibt es kaum noch. Die Pop-Industrie scheint sich tatsächlich hauptsächlich um Image und leichte Wiederverwertbarkeit zu sorgen.

jazzzeitung: Gibt es eine Berechtigung für die oft vorgenommene Abgrenzung von „Europäischem Jazz“ gegenüber „Amerikanischem Jazz“? ECM versus Blue Note? du spielst sowohl mit Dave Holland, der als Brite in die USA gezogen ist und mit Kenny Wheeler, der sich als Kanadier in England niedergelassen hat.

Taylor: Nun ja, ich bin sehr froh, dass ich die Möglichkeit habe mit ihnen zu spielen und sie bereits so lange kenne. Keine Frage, beide sind großartige Jazzmusiker – so kraftvoll und eigen in ihrem Spiel und ihrem Umgang mit der Musik.
Wir wissen, dass Jazz in den USA entstanden ist und heute von Musikern überall auf der Welt gespielt wird. Jazz hat so viele andere Musikstile beeinflusst und selbst so viel von anderen Musikformen absorbiert.
Ich denke, die Bezeichnungen „Europäischer Jazz“, „Amerikanischer Jazz“ etc. dienen lediglich als bequemes Mittel dazu, die Musik in Kategorien einzuteilen. Doch wie man sie auch immer nennt, ihre Hauptcharakteristik bleibt, ob sie von Jan Garbarek, Mike Nock, John Surman, Brad Mehldau, Ralph Towner oder anderen gespielt wird: Sie haben alle ihre eigene, einzigartige Weise entwickelt zu spielen, zu improvisieren.
Wir alle verarbeiten unsere Herkunft und die Eindrücke, die wir in unserem Leben erfahren haben, um auszudrücken wer wir sind, was wir tun.
Ich wurde während des Krieges in England geboren, in meinen frühen Tagen war ich sehr beeinflusst von der klassischen Musik, die meine Schwester spielte und später von der Musik, die ich auf BBC Radio hörte.
Wenn man nur mal auf die Hunderte Künstler schaut, die von überall herkommen und für das europäische Label ECM über die Jahre aufgenommen haben, sieht man diese unglaubliche Vielfalt an musikalischen Persönlichkeiten und individuellen Stilen.

jazzzeitung: Nehmen Glaube oder Religiosität eine Rolle in deinem Leben ein?
Taylor: Man muss selbst nicht religiös sein, um dennoch würdigen zu können, dass andere ihren Glauben und ihre Spiritualität dazu nutzen können um großartige Musik zu schöpfen. Ich denke da an Johann Sebastian Bach und Olivier Messiaen. Um die Frage zu beantworten: Nein, aber ich glaube ganz fest an das Gute im Menschen!

Der englische Pianist John Taylor, geboren 1942 in Manchester, verbindet lyrische Spielart mit hoher Anschlagskultur, komplexe Harmonik und Rhythmik. Taylor zeichnet außerdem ein tiefes Verständnis von Melodien, Klang und Raum aus. Neben seinem eigenen Sextett gründete Taylor 1977 mit der Sängerin Norma Winstone und dem kanadischen Trompeter und Flügelhornisten Kenny Wheeler das Trio Azimuth, das große Anerkennung und den Eingang in den Katalog von Manfred Eichers ECM-Label fand. Als langjähriger musikalischer Partner von Kenny Wheeler arbeitete Taylor an vielen seiner Aufnahmen in großer und kleiner Besetzung mit, etwa Double, Double You (1983, ECM) mit Michael Brecker, Dave Holland, Jack DeJohnette und What now? (2005, CAM Jazz) mit Chris Potter und Dave Holland. Taylors derzeitigem Trio gehören Bassist Palle Danielsson und Schlagzeuger Martin France an (Angel of the Presence 2005, Whirlpool 2007, beide CAM Jazz). Weitere Weggefährten seines musikalischen Schaffens waren unter anderem Joey Baron, Peter Erskine, Gil Evans, Jan Garbarek, Charlie Haden, Marc Johnson, Lee Konitz, Charlie Mariano, Chris Potter, Enrico Rava, Ralph Towner, Miroslav Vitous. Für seine Komposition The Green Man Suite, die er mit dem Creative Jazz Orchestra aufführte, wurde ihm 2002 der BBC-Preis in der Kategorie „Best New Work“ verliehen.

 

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