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Jazzzeitung

2008/05  ::: seite 23

jazz heute

 

Inhalt 2008/05

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig / Die Abenteuer des Werner Steinmälzl, Teil 5 / Roy Brooks / Abschied von „Little Giant“ Johnny Griffin


TITEL -
Schüler und Meister
Ein Interview mit dem Pianisten John Taylor


DOSSIER
- Diese Musik tanzt mich
Über die Lindy Hop- und Swing Dance-Welle berichtet Dietrich Schlegel

Berichte
„A European Jazz Jamboree“ // Swing Festival Elmau // Jazzopen in Stuttgart // 32. Leipziger Jazztage


Portraits

Sonny Rollins im Interview // Sheila Jordan wird 80 // Bassist Wolfgang Schmid wird 60 // Das Münchner Quintett Carte Blanche // Mo’ Blow // Helge Lien // Thilo Wolf: Big-Band-Leader mit „altmodischen“ Helden


Jazz heute und Education
BMW Welt Jazz Award 2009 // Premiere des neuen JazzOrchesters Regensburg // John Taylors Komposition „In Cologne”

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

On the road again

Die Abenteuer des Werner Steinmälzl – 5. und letzter Teil

Ein paar Monate später ging es dann los: Die „Enhance“-Tour des Werner Steinmälzl Quartetts umfasste insgesamt acht Konzerte im Zeitraum von zwei Monaten. In der Tat konnte man aber nicht wirklich von einer Tour sprechen, weil die vier jungen Jazzmusiker eigentlich nach jedem Gig wieder heimfuhren. Aber die meisten Konzerte auf der „Enhance“-Tour liefen toll.

Werner konnte insgesamt 23 CDs losschlagen und bekam beim Auftritt bei den Musikfreunden Unterbiberg sogar einmal eine eindeutige Offerte der 48-jährigen und 189 Pfund schweren Kulturamtsleiterin Ursula Wellnhofer, die bei der After-Show-Party im Unterbiberger Schlosskeller einige Male bemerkte, wie sinnlich sie doch Werners Spiel fände:

„Du, wenn du nich mehr heimfahre willscht, des wär kei Problem, ich hab a Gäschtezimmer, da kannsch dir ganz gemütlich mache“, hatte sie mit einem Zwinkern bemerkt, während sie ihr Knie an Werners Schenkel rieb.

Werner fuhr natürlich heim. Und dachte dabei, dass es Groupie-technisch wohl doch viel cleverer gewesen wäre E-Gitarre zu studieren als Jazztrompete.

Natürlich gab es auch einzelne Einbrüche wie den Gig im Kulturcafé Weidenhausen – an just jenem Dienstagabend, an dem zeitgleich das Champions-League-Spiel Arsenal London gegen Bayern München übertragen wurde.

Nicht nur, dass der Laden mit nur vier Leuten, einem dauerhaft knutschenden jungen Pärchen und zwei älteren Lehrerinnen des Frauenkulturstammtisches Weidenhausen eher spärlich besetzt war, auch der Clubbesitzer Kalle Würschinger war leidenschaftlicher Bayern-Fan und mit seinem eigenen Booking für diesen Abend nicht sonderlich glücklich.

Aus diesem Grund hatte Kalle während des gesamten Konzertes hinterm Tresen einen Fernseher mit der Fußballübertragung laufen. Um auch wirklich nichts vom Spiel zu verpassen und gleichzeitig das Konzert nicht zu stören (Kalle war und ist ein sehr sensibler Clubmanager), hatte er einen geschlossenen Funkkopfhörer auf.

Bei „Round Midnight“, der Ballade im zweiten Set, schoss Bayern an diesem Abend den Eins-zu-Null-Siegestreffer, und eines der schönsten Soli, die Werner jemals über dieses legendäre Thema geblasen hatte, ging in tosendem „Eyo eyo Eyo – Bayern wird Meister“ eines überwältigten Kalle Würschingers unter.
Ein weiteres Erlebnis der besonderen Art gab es beim Konzert in Rendelstein bei Nürnberg beim Kunst- und Kulturverein „Ausblicke“. Diesmal war nicht Werner selbst betroffen, sondern sein Bandkumpel, der Saxophonist Utz Wernberger.

Unter Vorsitz des Gymnasiallehrers für Deutsch und Geschichte, Wolfram Sittauer, und Hans Peter Fletz, Rechtsanwalt, veranstaltet „Ausblicke“ etwa alle drei Monate einen Jazzabend im Havanna, einem Café am Marktplatz.

Die Konzerte werden mit jeweils 400 Euro jährlich von der Stadtsparkasse Rendelstein, dem ortsansässigen Lions-Club sowie durch eine Ausfallbürgschaft des Kulturamts Rendelstein unterstützt.

Nach dem Konzert entwickelte sich zwischen Utz Wernberger, 25, Student an der Hochschule für Musik Nürnberg sowie zweiter Tenorist beim Tuesday Night Orchestra Nürnberg, und einem Konzertbesucher, dem Rendelsteiner Gynäkologen Harald Scheim, 52, Hobby-Sommelier mit einer besonderen Affinität zur mediterranen Lebensart sowie Saxophonist beim Royal Garden Swingtett Rendelstein, folgender Dialog, als Utz Wernberger auf dem Weg zur Bar war, um sich ein Pils zu holen.

Dieses Gespräch sei stellvertretend dafür erzählt, was Jazzmusiker bei der Pflege ihrer Fans, die oft genug selbst, zumindest hobby-mäßig, ein Instrument spielen, erdulden müssen:

Scheim: Junger Mann, ich muss schon sagen, wunderbar …
Wernberger: Ah, Danke.

Scheim: Nein, also oft hört man das nicht so gefühlvoll und trotzdem irgendwie neu und frisch, also ganz eigen, sehr gut, wirklich …
Wernberger: Danke, vielen Dank, freut mich, dass es Ihnen gefallen hat.

Scheim: Ja, ja, Walter, das hier ist Walter, ein alter Freund, spielt Fagott.

Walter (alter Freund von Scheim, Kieferchirurg): Hallo.
Wernberger: Hallo.

Scheim: (zu beiden) Wie hab ich vorhin gesagt, Walter, da kommt eine junge Generation an Tenoristen auf uns zu, ihr Jungs habt ja das gesamte Standardrepertoire drauf und trotzdem noch so was Eigenes dabei, also ganz außergewöhnlich, schade dass der Laden nicht richtig voll war …
Wernberger: Ja, aber ist schon O.K., da haben wir schon vor weniger Leuten gespielt, aber danke noch mal. (macht sich zum Gehen bereit)

Scheim: Wissen Sie, das würde mich jetzt noch wirklich interessieren, kennen sie eigentlich den Harald Bösenbauer?
Wernberger: Wie?

Scheim: Bösenbauer, Harald, auch ein ganz glänzender Tenorist, natürlich schon ein paar Jährchen mehr auf‘m Buckel als Sie und ihre Kollegen, aber auch sensationell, an den haben sie mich erinnert, so ansatzweise, haha, ansatzweise. Walter, hast du kapiert, kleiner Saxophonistenwitz … (Walter lacht)
Wernberger: (gequält) Haha, ja also nee, kenn ich jetzt nich’ wirklich.

Scheim: Aaaaahhhh (bewundernd), den sollten sie mal hören. Spitzen-klasse! Wissen Sie, ich spiele ja auch ein bisschen, nur so zum Hausgebrauch, hier in Rendelstein mit ‘ner gepflegten Altherren-Combo, haha, dem Royal Garden Jazz Orchestra. Wir spielen so alte Thad-Jones- und Mancini-Arrangements, aber alles original – die Originalarrangements …
Wernberger: Ja, klasse, O.K. dann. (will gehen)

Scheim: Vorletzten Monat haben wir hier gespielt, da war die Bude so was von bummsvoll, da konnte sich keiner mehr umdrehen, und eine Stimmung, da steppte der Bär, fast wie damals zu meiner Studienzeit, hab ich mir da so einiges dazuverdient, wissen Sie, wir waren jetzt nicht so modern wie was ihr da so macht mit so frei und so, halt richtigen ganz gepflegten Jazz (spricht das Wort deutsch aus wie Jatz), aber glauben Sie mir, damit hab ich damals mein Studium verdient, nicht Walter, das waren noch Zeiten, heute gibt’s ja Jazzschulen und Hochschulen und was weiß ich, aber wir, wir mussten das alles noch von den Platten runterhören, Platten kennen Sie wahrscheinlich gar nicht mehr, haha.
Ein Bandkollege zu Wernberger: Hey Utzi, kommst du mal, wegen dem Schlagzeug rausschleppen …
Wernberger: Ja, ich komm.

Scheim: Wissen Sie, früher war das ja alles einfacher, schon die ganze Technik und so, die Sie rumschleppen, ist ja Wahnsinn, in so einem Raum, früher Mikrofone, ha, das hätt‘s nicht gegeben, wir sind einfach rein, das Horn zusammengeschraubt, und dann wurde gejazzt, bis sich die Balken bogen … so mit Mikrofonen und so ist halt lautstärkemäßig schon immer ein bisschen grenzwertig, vor allem bei den hohen Geschichten, bei ääh, wie hieß der Titel noch, schnell, der Monk-Titel …
Wernberger: Sie meinen „Tinkle Trinkle“.

Scheim: Genau, starke Nummer, aber da hat es schon ganz schön gescheppert im Gehörgang …
Wernberger: Hmmm, ja klar, also ich … (wird von Scheim unterbrochen)

Scheim: Jedenfalls, den Bösenbauer, den müssen Sie sich unbedingt mal besorgen, ich sage Ihnen, ein Ton, nicht wahr, Walter, der hat, ich glaub es war 2002, hier gespielt, war eines unserer ersten Konzerte hier in Rendelstein, Wahnsinn, so lyrisch, aber wenn der wollte, dann konnte der loslegen und alles akustisch, kein Mikrofon weit und breit …
Wernberger: Ja, ja. (leicht genervt)

Scheim: Also der ist schon wirklich unglaublich, nicht von dieser Welt, wie schon gesagt, ziemlich ähnlich wie Ihr Ton, nur ein bisschen weicher noch in den unteren Lagen, beim Beck am Marienplatz, wenn Sie mal sind, der hat ja ‘ne riesen Jazzabteilung, in München den Beck, kennen Sie doch sicher …
Wernberger: Klar, kenn ich…

Scheim: … und Sie schauen bei B wie Bösenbauer, könnte sein, dass Sie da noch was finden. Den müssen sie auschecken, wie ihr Youngsters so sagt, ha ha … Der spielte damals mit, pah, wie hieß der, mein Namensgedächtnis, Walter, wie hieß dieser Pianist, du erinnerst dich schon, diese wahnsinnigen Blockakkorde …
Walter: Keine Ahnung, du.

Scheim: Ahhh, verflixt, es liegt mir auf der Zunge
Wernberger: (versucht die Gedankenpause zur Flucht zu nutzen) Äh, hey, noch mal vielen Dank für den Tipp und schön dass Sie da waren…

Scheim: Kurz noch, eine Frage noch, ich weiß schon, an der Bar ist es interessanter als bei uns alten Säcken, ha ha, aber ich hätt‘ bloß noch gern gewusst, dieses Mundstück, dass sie spielen, das ist doch ein Selmer, richtig?
Wernberger: Nein, das ist nur ein altes Keilwerth.

Scheim: Na, das überrascht mich jetzt, ich hätte definitiv auf ein Selmer getippt. Aber vielleicht ist das auch mit dem Sound bei Ihnen deshalb ein bisschen anders als bei Bösenbauer, hast du gehört, Walter, kein Selmer-Mundstück, also Bösenbauer hat damals mal gesagt, die Hälfte des Sounds ist das Mundstück. Ich selbst hab ein Selmer-Mundstück von 1954. Wie Bösenbauer. Ein Traum, kann ich Ihnen sagen.
Wernberger: Ja, Selmer ist schon klasse, also noch mal, ich muss jetzt wegen den Drums…

Scheim: Nur eine Frage noch, im B-Teil der letzten Nummer vor der Zugabe, also eigentlich im letzten Lied, da haben sie so eine Skala gespielt …
Wernberger: (entschlossen) Entschuldigen Sie, aber die anderen warten, ich muss jetzt wirklich, sonst…

Scheim: Na ja gut, alles Gute noch für Ihren musikalischen Werdegang und vergessen Sie nicht B wie Bösenbauer, nicht unter M wie haha, nicht schlecht Walter oder, haha …
Wernberger: Haha (gequält), nein ich werd’s sicher auschecken. (geht)

Scheim: (hinterherrufend) Und denken Sie mal nach wegen ‘nem Selmer-Mundstück, ich glaube…
Wernberger: (zurückrufend) Ja, mach ich, (geflüstert) Arschloch.

Aber, wie bereits erwähnt, ansonsten lief alles wunderbar.

Inzwischen ist ein Jahr ins Land gegangen. Werner hat von „Edition Fromage“ seine erste Tantiemenabrechnung bekommen und die 88 Euro 20 Cent gleich am selben Abend mit Maria im Rosetta, einem edlen italienischen Restaurant in Forchheim durchgelassen. Hans-Peter hatte noch gesagt: „Momentan ist der Markt allgemein schwierig, aber wir haben hier ein wirklich hochklassiges Produkt, das vielleicht noch ein bisschen braucht, ähnlich wie ein alter Bordeaux, also für mich ist das Thema nach wie vor nicht vom Tisch.“ Nach wie vor unterrichtet er seine Trompetenschüler und den Kurs Musikalische Früherziehung an der Kreismusikschule Forchheim, hat jedoch jetzt eine unbefristete Festanstellung.

Er spielt als „Stargast“ am heiligen Abend mit den „Herzogenauracher Turmbläsern“ „Stille Nacht“ in der Christmette seines Heimatortes, hat nach wie vor etwa 15 Jazzgigs im Jahr, den Löwenanteil seines Einkommens bestreitet Werner jedoch immer noch durch Bierzeltauftritte mit „Hau Rock!“. Dies ist ihm inzwischen auch ganz wichtig, zumal sich Nachwuchs im Hause Steinmälzl angekündigt und er gehört hat, dass es jetzt heißt „Kohle ranschaffen“. Er bemüht sich auch nach wie vor, jedes Mal sein Solo bei „Round Midnight“ ein bisschen schöner zu spielen.
Und nach wie vor hört er „Kind of Blue“ von Miles auf seinem iPod, wenn er mit dem Zug von Forchheim heimfährt. Und trotz und vielleicht auch wegen allem liebt er die Platte nach wie vor.

Gerwin Eisenhauer

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