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            Jazzzeitung
               2005/07  ::: seite 1
              titelstory
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        Als Lizz Wright im Jahr 2003 ihr Debüt-Album „Salt“ 
        vorlegte, war die Jazzpresse geschwind mit dem Urteil zur Hand, auch Verve 
        sei nun wohl bei der Suche nach einer frischen, jungen Sängerin fündig 
        geworden: Der Vocalistinnen-Hype boomte und … alles passte: Voilà, 
        eine neue, unverbrauchte Stimme mit Credibility in Black Music, Gospel 
        und Soul. Zwei Jahre nach ihrem Debüt legt Lizz Wright nun den Nachfolger 
        „Dreaming Wide Awake“ vor. Doch Produzent ist nicht mehr Tommy 
        LiPuma, sondern nunmehr Craig Street – und ihr Songmaterial besteht 
        diesmal, sparsam und dezent instrumentiert, aus Rock-, Pop-, und Soulklassikern. 
        Was damals viele nicht wahrhaben wollten – hier offenbart sich erneut 
        eine nahezu „göttliche“, in Gospelchören geschulte 
        Stimme. Lizz Wright zeigt in ihrem Gesang eine Tiefe, herrührend 
        aus einer, oft auch bitteren Lebenserfahrung, die ihr junges Alter Lügen 
        straft: Eine Stimme, die zu bleiben verspricht, wenn die Sängerinnenschwemme 
        vorbei ist. Hier ist Lizz Wright und … „she takes the mike!“ 
       
      Jazzzeitung: Für dein erstes Album hast du fünf 
        Stücke beigesteuert, das aktuelle enthält drei deiner Kompositionen. 
        Zu diesen gleich eine Frage: Was steckt hinter den Songs „Hitting 
        The Ground“ und dem Titelstück „Dreaming Wide Awake“? 
        Wright: Nicht lachen, aber der Grund, dass es diesmal 
        nur drei Stücke sind, ist, dass ich sie auf der Gitarre geschrieben 
        habe.  
        Und ich hatte gerade erst angefangen, Gitarre zu lernen! (lacht) „Hitting 
        The Ground“ ist gewissermaßen an mich selbst gerichtet, um 
        mir selbst klarzumachen, dass ich nicht perfekt sein muss. Dass ich die 
        Erwartungshaltung der anderen nicht immer erfüllen muss. Für 
        dieses Rattenrennen ist das Leben einfach zu kurz! Dem gerecht werden 
        wollen, ist so ermüdend und dann … (lacht) – fahren wir 
        in die Grube, ohne all die Schönheit wahrgenommen zu haben, die uns 
        andernfalls zu Teil geworden wäre! Das also schrieb ich für 
        mich. Im Stück schlug sich auch viel von meinem emotionalen und seelischen 
        Zustand während der Arbeit an der Platte nieder – sehr sanft 
        und friedlich, weißt du? „Dreaming Wide Awake“ ist im 
        Kern sehr viel älter. Es wäre beinahe auf der „Salt“-CD 
        gelandet, also betrachte ich es für mich als „altes“ 
        Stück. Neu wurde es dadurch, dass ich es vollkommen anders interpretieren 
        wollte: Noch nie hatte ich im Studio so nah am Mikrofon gestanden, so 
        direkt und entspannt gesungen. Und ich wollte es wie eine Frau singen, 
        wie „jede“ Frau. Nicht wie eine Sängerin, bei der die 
        Stimme durch den ganzen Raum schallt. Es sollte ganz klein und unscheinbar 
        und direkt aus dem Herzen kommen – von dort, wo man fühlt… 
       
      Jazzzeitung: Mit deiner Stimme könntest du gleichermaßen 
        Gospel wie Jazz, Soul oder Pop singen. Du pflegst dich auch intensiv in 
        dein Material hineinzuführen, wann beginnt ein Stück dich zu 
        interessieren? 
        Wright: In jedem Fall ist es das Feeling, das ein Song 
        ausstrahlt, und damit die Möglichkeiten, die er bietet. Ein wirklich 
        guter Song erzählt potentiell viele verschiedene Geschichten auf 
        einmal – auf der gleichen Grundidee aufbauend, mit dem gleichen 
        Grundfeeling, sozusagen. Ein guter Song ist aber auch wie ein großes 
        Haus: alle Arten von Leuten können sich darin zu Hause fühlen. 
        Obwohl ich ja nur drei Stücke der neuen Platte geschrieben habe, 
        empfinde ich mich jetzt als bessere Songschreiberin als zu der Zeit, in 
        der ich „Salt“ machte. Weil ich gelernt habe, wie man sich 
        in einen Song hineinbegibt – und selbst Dinge hineinlegt: Ideen, 
        Text, Gefühle, mit denen ich experimentieren möchte. Es ist 
        immer erstaunlich, was man aus einem guten Song herausholen kann – 
        er bietet einem einfach viele weit geöffnete Türen. 
       Jazzzeitung: Reflektierst du also in deinem Gesang 
        auch die Botschaft eines Songs? 
        Wright: Grundsätzlich – immer wenn ich singe, 
        egal ob im Studio oder auf der Bühne, ist das wie Tagträumen. 
        Ein Song, bei dem ich nicht einfach loslassen kann, ist für mich 
        kein guter Song. Wären die Lyrics beispielsweise nicht gut, müsste 
        ich sie mir mit Gewalt ins Gedächtnis rufen: Ein guter Text erzeugt 
        in mir ein Echo, dann kann ich ihn mir merken. Und selbst, wenn ich ihn 
        vom Blatt lesen müsste – im Studio beispielsweise – könnte 
        ich gleichzeitig an was anderes denken. Das ist wie einen Film drehen. 
        Ich „erfahre“ die Musik. Ich mag nicht die Last spüren, 
        etwas „vorzuführen“: Wo einem plötzlich klar wird, 
        oh, ich stehe da vor Publikum… 
       Jazzzeitung: Wie kam es zu dem, sagen wir, „un-jazzigen“ 
        Repertoire deiner neuen Platte? 
        Wright: Als ich Craig Street das erste Mal traf, erzählte 
        ich ihm, was ich für Musik höre, wenn ich allein bin. Nur für 
        mich – nicht, was die Jazzsängerin hört, oder die Gospelsängerin. 
        Sondern, was Lizz hört. Und das ist eher Songwriter-Musik, eher Folk: 
        Joni Mitchell, Jeff Buckley, Damian Rice… Craig war überrascht. 
        Ich hatte ja schon das Etikett „Jazz-Sängerin“ weg, weil, 
        zu der Zeit, als ich „entdeckt“ wurde, hatte ich mich ja voll 
        und ganz dem Jazz gewidmet. Nachdem ich Craig also geschildert hatte, 
        was ich an Musik mag, meinte ich zu ihm: „Weißt du was, wenn 
        ich könnte, würde ich eine Platte machen, wie ICH sie gerne 
        hören würde. Etwas, das auf meiner Linie liegt. Aber es wäre 
        nicht unbedingt Jazz.“ Später musste er mich immer wieder daran 
        erinnern, dass ich das gesagt hatte! Ich machte mir Sorgen, dass mich 
        das „Salt“-Image einholen würde. Aber weil ich jetzt 
        mehr in der Musik ruhe, kann ich dem ins Auge sehen. 
       Jazzzeitung: Du bist noch sehr jung. Als wie wichtig 
        schätzt du die Lebenserfahrung ein, in Bezug auf den Ausdruck, den 
        man in die Stimme legen kann? Woher holst du diese Tiefe, diese Energie? 
        Wright: Die Zeit! Es ist erstaunlich, wie die Zeit funktioniert, 
        wie viel Erfahrungen man in einem Augenblick unterbringen kann. Als ob 
        die Zeit ein Behälter wäre, den man füllt. Mit dem, was 
        man sieht und erlebt. Auch mit dem, was einem zu lernen aufgezwungen wird 
        und mit dem, was man wünscht. Bei mir sind das 25 Jahre Zeit. Wenn 
        ich mich mit anderen 25-Jährigen vergleiche, verstehe ich, warum 
        man mich außergewöhnlich findet. Mir selbst wurde das erst 
        klar, als ich stärker unter Leute kam – wie einzigartig mein 
        Erfahrungsschatz ist! Und deshalb singe ich… ja, ich singe die Songs, 
        wie ich sie singen muss. 
       Eines habe ich verinnerlicht: Ich muss etwas von mir mit hineingeben. 
        Ich muss etwas fühlen, sonst langweile ich mich zu Tode. Ich suche, 
        um mich selbst im Song zu finden. Große Songs bieten mir – 
        wie ich bereits sagte – die Möglichkeit, mit Herz und Seele 
        auf Reisen zu gehen. Das ändert auch mich als Person.  
      Jazzzeitung: Bei deinem Hintergrund, wie wichtig sind 
        für deine Musik, für dein Leben, Dinge wie Spiritualität, 
        Religion, Glaube und Wahrhaftigkeit? Eine vielleicht schwer zu beantwortende 
        Frage… 
        Wright: Nun, um eine einfache Antwort zu versuchen – 
        ja, ich besitze eine spirituelle Ader. Ich möchte solche Platten 
        aufnehmen, die mich auf meinem Lebensweg widerspiegeln; was ich gerade 
        dazugelernt habe, wo ich mich verändere. Mir ist, als ob ich, während 
        ich älter werde, innerlich immer jünger werde. Als Person werde 
        ich luftiger, die Bürde, die ich umherzuschleppen pflegte, nimmt 
        ab. Ich lege diese überflüssige Weisheit ab, nehme die Dinge 
        weniger ernst. Früher sah ich es als meine Pflicht an, religiöse 
        Lieder zu singen – was man eben in der Kirche so singt, als Lobpreisung, 
        als Trost. Aber ich habe jetzt einen Weg gefunden… nein, im Grunde 
        suche ich noch…, Geschichten aus dem Alltag mit ähnlicher Intensität 
        zu erfüllen.  
      Interview: Carina Prange  |