(Text und Fotos von Robert Fischer) 25 Regentage im Juli und viel zu kühle Temperaturen für diese Jahreszeit: Die Vorzeichen schienen ungünstig, aber rechtzeitig zum Start im August zeigte der Sommer im Bregenzerwald, was er kann. Was sich auch über die Macher dieses heuer zum 18. Mal stattfindenden, also volljährig gewordenen Festivals im beschaulichen Ort Bezau sagen ließe. Für Alfred Vogel, selbst Schlagzeuger und Labelbetreiber (von Boomslang Records) sowie definitiv die gute Seele dieses Festivals, war es das zweite Jahr nach seiner lebensbedrohlichen Erkrankung, die er zum Glück gänzlich überstanden hat. Und spätestens, als am ersten Tag dieses dem Jazz, der experimentellen Musik wie der Avantgardszene gewidmeten Festivals spätnachts ein hell leuchtender Vollmond am Himmel über Bezau stand, war klar, dass sich die Vorzeichen endgültig ins Positive gewendet hatten.
Alfred Vogel war es auch, der – wie schon im Vorjahr zusammen mit seinem Schlagzeuger- und Labelkollegen Valentin Schuster – moderierend durch das Geschehen leitete. Schon die früh im Festivalverlauf von ihm zu hörende, auf die Erwartungshaltung eines möglichst pünktlichen Anfangs der Konzerte gemünzte Bemerkung „Das ist nicht die Schweiz, das ist Bezau“ gab eine angenehm grundsätzliche Devise vor – tatsächlich wurde der eng getaktete Terminplan des Festivals aber ziemlich präzise eingehalten.
Qual der Wahl
Mit einem Festivalpass für alle vier Tage vom 7. bis zum 9. August hatte man die Qual der Wahl: Den Auftakt in der Lobby des Hotels Post machte Max Stadtfelds „Stax“ – ein Quartett aus dem namengebenden Schlagzeuger und Komponisten, Matthew Halpin am Saxophon, Bertram Burkert an Gitarre und FX sowie Reza Askari am Bass. Neben einem breiten Spektrum unterschiedlichster Konzerte wurden aber auch „Deep Listening Sessions“ in einem Seminarraum im selben Hotel, eine Fahrt mit dem dampflokgezogenen Wälderbähnle, ein mittäglicher Ausflug mit Jazzspätzle zum (Berg-)Panoramarestaurant Baumgarten, eine Workshop-Performance „Hear and Now“ in der Mittelschule Bezau sowie afrikanische Rhythmen und Tänze auf dem Dorfplatz von Bezau geboten. Die im letzten Jahr angekündigte Fortsetzung einer zunächst dem Schlagzeug gewidmeten Gesprächsreihe, in der es diesmal um den Bass hätte gehen sollen, entfiel leider – hier hoffen wir auf das kommende Jahr.
Neu auf dem Programm stand neben den in Zusammenarbeit mit den Liechtensteiner Little Big Beat Studios veranstalteten, ausschließlich analog produzierte Aufnahmen präsentierenden Deep Listening Sessions eine an drei Festivaltagen im Keller des Hotels Post stattfindende Reihe SuBBwayz, bei der man den teilnehmenden Musizierenden so nahe kommen konnte und sollte, wie sonst nur in einem Proberaum.
Promoter’s Brunch
Was man unter einem weiteren, als „Promoters Brunch“ angekündigten Programmpunkt zu verstehen hatte, klärte sich erst vor Ort in der Kunstschmide Figer: Je ein Konzert von Alfred Vogel mit der Band „How Noisy Are The Rooms?“ und von Valentin Schuster als Schlagzeuger der Band „Crutches“, bei dem am Schluss alle Mitglieder beider Bands – neben den beiden Promotern Almut Kühne (Stimme), Joke Lanz (Turntables), Jan Frisch (Gitarre und Bass), Laure Boer (Telefon, Steine, Monochord, Electronics) sowie Olga Reznichenko (Keytar, Bass Synth) – miteinander jammten.
Dass jemand, der sich selbst (auch) als „Promoter“ versteht, sämtliche Acts des eigenen Festivals „grandios“, „faszinierend“, „einzigartig“ finden wird, lässt sich leicht nachvollziehen. Tatsächlich gibt es aber in jedem Jahrgang Höhen und Tiefen. Auch an den vier Tagen in Bezau 2025 war nicht alles überzeugend – aber selbst das, was man als weniger gut gelungen empfunden konnte, war doch immerhin noch (mindestens als Idee) interessant.
Rockige Grooves
Weniger überzeugend fand der Autor dieser Zeilen die sich überwiegend in rockigen Grooves erschöpfende Kombination von elektroakustischen Flöten mit Gitarre und Gesang des Duos „Witch ’n‘ Monk“. Bei Tilo Webers grundsätzlich faszinierender Kollaboration mit „Pulse“ entstand der Eindruck, das rhythmisch-dynamische Potenzial dieser ungewöhnlichen (und ungewöhnlich reizvollen) Kombination von sehr, sehr leise gespieltem Schlagzeug und in weiten Melodiebögen ausholendem Streichquartett sei vielleicht noch nicht ganz ausgereizt. Und dem Solopianisten Benoît Delbecq gelang zwar mit seinem sorgfältig präparierten Flügel eine sehr schöne, über ostinaten Bassfiguren frei schwebend-meditative Grundstimmung, aber auch hier wäre ein reicheres Spektrum an Dynamik und Variation wünschenswert gewesen.
Gefeiert wurde all das vom Publikum dennoch – wie sich überhaupt im Verlauf der vier Tage der Eindruck verfestigte, dass es vielleicht das größte Verdienst des Bezau-Beatz-Festivals ist, dass man sich hier eine gar nicht so kleine Gemeinde stets neugierig bleibender Musikfans mit ungewöhnlich offenen Ohren geschaffen hat, von denen nicht wenige Jahr für Jahr wiederkommen.
Musikalische Highlights
Konzentriert man sich an dieser Stelle – höchst subjektiv, versteht sich – auf einige musikalische Highlights, so gehörte dazu in jedem Fall am ersten Festivaldonnerstag Felix Hauptmanns „Serpentine“: Das mit Jorik Bergman (Flöte), Fabian Dudek (Saxophon), Samuel Mastrorakis (Vibraphon), Ursula Wienken (Bass) und Leif Berger (Schlagzeug) besetzte Sextett des Pianisten und Komponisten präsentierte diesen einmal mehr als eine der bemerkenswertesten jungen Stimmen der europäischen Jazz- und Avantgardszene.
Am zweiten Festivaltag folgte auf ein sehr souveränes, ansprechend eigenständig performendes Triokonzert der Pianistin Olga Reznichenko mit Max Stadtfeld am Schlagzeug und Lorenz Heigenhuber am Bass ein mit Percy Pursglove (Trompete), Philipp Gropper (Saxophon), Evi Filippou (Vibraphon), Elias Stemeseder (Piano) und Philip Dornbusch (Schlagzeug) besetztes Kraftpaket des Bassisten Felix Henkelhausen, der mit seinen „Deranged Partikels“ ein dank seiner Vorliebe für ungerade Metren zwar gelegentlich etwas holprig wirkendes, in seinen besten Momenten aber einen unwiderstehlichen Sog erzeugendes, vor Energie und Vitalität nur so strotzendes, gut eine Stunde lang unaufhörlich voran treibendes Konzert bot. Vermissen mochte man da allenfalls den einen oder anderen lyrischeren Moment.
Komplex verschachtelt
Wie man überhaupt im Verlauf des Festivals den Eindruck gewinnen konnte, dass die aktuelle Experimental- und Avantgardszene tendenziell zu immer komplexer verschachtelten Arrangements neigt – zu Lasten jener Kopf und Bauch verbindenden Spielfreude, die hinter all den Notenbergen vielleicht nicht ganz vergessen werden sollte.
Hauptact des dritten Festivaltages war das „Stemeseder Lillinger Quartet“. Dem Schlagzeuger Christian Lillinger wurde schon früh in seiner Karriere bestätigt, eine Ausnahmebegabung zu sein. Das ist er bis heute, und der Pianist Elias Stemeseder ist das auch. Dass sich die beiden gefunden haben und nun schon seit geraumer Zeit den musikalischen Kern einer in vielfältigster Weise zu erweiternden und variierenden, immer aber gleichbleibend mitreißend-spannenden Formation bilden, ist ein Glücksfall – für die beiden wie für das Publikum.
Auf der Bühne in Bezau standen sie mit dem Bassisten Joe Sanders und dem Trompeter Adam O’Farrill, wobei Ersterer, erst kurzfristig ins Line-up geholt, es wohl nicht ganz einfach hatte, im fulminanten Treiben der beiden Namensgeber des Quartetts mitzuhalten, während der schon länger angekündigte Letztere dem Ganzen sogar noch individuelle Glanzlicher aufzusetzen wusste. Vielleicht seinen schönsten Moment aber hatte das mit rund 45 Minuten Spieldauer arg kurz geratene, mit einem sehr straff organisierten Tourplan zu erklärende Konzert in einer Kadenz des Pianisten, die den Wunsch wach werden ließ, Elias Stemeseder auch mal in einem Solokonzert allein am Klavier erleben zu dürfen.
Blaskonzert der besonderen Art
Den eigentlichen Höhepunkt des Festivals allerdings hatten zu diesem Zeitpunkt einige schon erlebt. Und zwar auf völlig unerwartete Weise. Schon um elf Uhr morgens fand sich das gerade erst noch den letzten Schlaf aus den Augen reibende Publikum in der römisch-katholischen, mit schönen Fresken geschmückten Pfarrkirche Reuthe ein, um ein „Blaskonzert“ der ganz besonderen Art zu erleben. „Ward 4“ nennt sich das Quartett des litauischen Saxophonisten Liudas Mockūnas, zu dem mit Simonas Kaupinis und Mikas Kurtinaitis gleich zwei (ganz links und ganz rechts vor dem Altarraum positionierte Tubisten sowie der Schlagzeuger Arnas Mikalkėnas gehört. Letzterer sei „eigentlich ein Pianist“, wusste Liudas Mockūnas zu berichten, „der zum Schlagzeug wechselte, um nicht immer auch Synthesizer spielen zu müssen“.
Was die Vier dann – ausgehend von einer Komposition Anthony Braxtons – boten, war bestens geeignet, alle bösen Dämonen zu vertreiben, um selbst im Ungläubigsten die reine Schönheit wahrer Engel erkennen zu lassen. Etwas prosaischer wusste der hier mit Tenor-, Sopransaxophon und Sopranino gleichermaßen virtuos umzugehen wissende Liudas Mockūnas seine eigenen Einflüsse zu erklären. So habe er einmal Luciano Berios „Sequenza IXb für Alt-Saxophon“ zu spielen versucht, sei daran aber kläglich gescheitert. Was als ein höchst erfolgreiches Scheitern zu bewerten wäre, da es Liudas Mockūnas zu einem ganz eigenen, wunderbaren Stück inspirierte.
Da war es dann kaum noch ein Wunder, dass eben in dem Moment, da er zum letzten Ton des Konzerts ansetzen wollte, die Kirchglocken erklangen. Was er zum Anlass nahm, nur kurz andeutungsweise die Hände wie im Gebet zu falten und mit einem Blick gen Himmel einer höheren Macht das letzte Wort zu geben.
Alle lieben Jazz
Das letzte Wort des Festivals aber gebührte seinem Spiritus Rector, Alfred Vogel: In seiner einleitenden Moderation zum Abschlusskonzert am Festivalsonntag, zu dem in Kooperation mit der Porta Jazz Associação traditionell eine portugiesische Band (diesmal: die der Sängerin und Komponistin Joana Raquel) eingeladen wird, erwähnte er eine Begegnung mit einem aus der Schweiz angereisten Gast, der morgens im Hotel Post zu ihm gesagt habe, er würde ja sonst das ganze Jahr über keinen Jazz hören. Aber wenn er nach Bezau komme, könne er sich ganz darauf einlassen – und die Musik genießen. Was Alfred Vogel als Bestätigung (s)einer grundsätzlichen Erkenntnis nahm: „Alle lieben Jazz, aber sie wissen es nicht.“
Text und Fotos: Robert Fischer