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Jazzzeitung

2011/04  ::: seite 23

farewell

 

Inhalt 2011/04

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Edward „Kid“ Ory Farewell: Kurt Maas / Ray Bryant Geschichte: Vor zwanzig Jahren verstarb der Trompeter Miles Davis no chaser: Jazz schlägt Shakespeare


TITEL -
Ein bisschen leise...
Scofield & Metheny und ihre neuen Alben


Berichte

German Jazz Trophy 2011 für Dave Holland // 40. Moers Festival für Improvisierte Musik // Die dritte Auflage von „Sounds No Walls“ // 29. Südtirol Jazz Festival Alto Adige // 30. Bayerischen Jazzweekend 2011 // Sonny Simmons – in Dankbarkeit // George Gruntz Concert Jazz Band in Neuburg


Portraits

Mo’ Blow // Sabine Müller // Der Schlagzeuger Jochen Rückert // Caroline Thon


Jazz heute und Education
Bert Noglik übernimmt künstlerische Leitung des Jazzfestes Berlin // Das neue Jazz-Label Egolaut in Leipzig // Abgehört: Weite dynamische Sprünge
Ein Live-Solo des Posaunisten Eddie Bert

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

Als der Bop funky wurde

Abschied von Ray Bryant

Als er noch ein junger Newcomer war, engagierte Miles Davis 1955 den noch kaum bekannten Pianisten Ray Bryant für eine Plattenaufnahme. Dann verpflichtete ihn Sonny Rollins. Schließlich riss sich ein jeder um den phänomenal swingenden Musiker aus Philadelphia. Obwohl ihm alle Türen sperrangelweit offen standen und „jeder“ mit ihm spielen wollte, hat Ray Bryant stets eine Vorliebe für Solo- und Triospiel bewiesen.

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Ray Bryant war ein König des Understatements wie nur wenige Pianisten seines technischen Kalibers. Der soulige Musiker konnte ungeheuer viel, protzte aber nicht, trumpfte nicht auf, brachte seine Ideen fast beiläufig ins Spiel, swingte auf eine angenehm unprätentiöse Weise. Man kann ihn daher allzu leicht unterschätzen. Lässt man seine Aufnahmen im Hintergrund laufen, dann verbreiten sie unaufdringlich, doch unablässig ein angenehm beschwingtes Hochgefühl. Erst wenn die CD verklungen ist, erkennt man, dass seine Musik die eigentliche Ursache der guten Laune ist. Konzentriertes Hinhören indes bescheinigt uns, dass kaum ein Pianist je den Blues so beherrscht, so geschmackvoll begleitet, so logische Soli gebaut, so grundsolide geswingt hat.

Eine gute Einführung in seine Spielweise, der wie eine zeitlose Verköperung der „Basics“ wirkt, sind Solo-Alben wie „Alone With Blues“ (1958) oder „Ray Bryant „Plays Blues And Ballads“ (1992). Wegen seiner tiefen Verankerung in den „roots“ Blues und Gospel transzendierte er die stilistischen Barrieren so sehr, dass er nirgends im Mainstream (im allerweitestem Sinne) als Fremdkörper wirkte. Nicht indem er wie Dick Hyman wie ein Mimikri in tausend Rollen schlüpfte oder wie Jaki Byard die ganze Jazzgeschichte in ein Stück packt, sondern indem er sich in einer Art quintessentiellen Jazzklaviers immer gleich blieb – mit einem kleinen Unterschied: Im Trio erschien er als Bopper mit einer Vorliebe für ausgesuchte moderne Titel. Als Solopianist klang er ein bisschen wie eine Art moderner, zu Blues und Boogie konvertierter Teddy Wilson.

Seine Trio-Alben, darunter „Ray Bryant Trio“ (1957), „Little Susie“ (1960) und „Trio Today“ (1987), verrieten seinen guten Geschmack schon in der Auswahl des Repertoires: überwiegend ausgesuchte Kompositionen aus der Feder anderer Jazzmusiker, insbesondere anderer Pianisten. Statt im Fundus der Musical-Standards und balladesken Filmmelodien hat Ray Bryant für seine Trio-Alben meist in der Schatztruhe der Werke von Kollegen wie Horace Silver, Thelonious Monk, Randy Weston und Co gegraben.

Seine eigenen Kompositionen, Stücke wie „Be bop Irishman“, „Tonk“, „Splittin’“ oder „Sneaking Around“ sind Ohrwürmer, die oft aus witzigen, kurzen prägnanten Motiven aufgebaut sind, die bisweilen sequenzartig wiederholt werden oder nach dem Call-and-Response-Schema beantwortet werden. Ray Bryant hat einmal erklärt: „Ich setze mich nie hin, um ein Stück zu schreiben. Das sind einfach kleine Motive, die in meinem Kopf herumgehen. Manchmal setze ich sie dann ordentlich und ich nenne sie dann ein tune.“ Obwohl er auf diese Weise diverse Hits, etwa „Cubano Chant“ und „Little Susie“ geschrieben hat, wird Ray Bryant oft vergessen, wenn von den hörenswerten Komponisten des modernen Jazz die Rede ist. Das liegt wohl vor allem daran, dass seine Stücke rein instrumental aus dem Klavierspiel entstanden und erst seit kurzem mit Texten versehen wurden, als die britische Sängerin Tina May die vor fünf Jahren erschienene CD „Tina May sings the Ray Bryant Song Book“ aufnahm.

Am Heiligabend des Jahres 1931 erblickte Raphael Homer Bryant in Philadelphia das Licht der Welt, und zwar als Sprössling einer sehr musikalischen Familie. Seine Mutter, von der er als Sechsjähriger die ersten Klavierlektionen erhielt, predigte und spielte in einer Kirche seiner Heimatstadt. Sie ließ ihren Sohn acht Jahre lang im Klavierspiel unterweisen. Sein älterer Bruder Tommy war Bassist und vor allem in frühen Jahren oft an seiner Seite zu hören. Sein jüngerer Bruder Len ist Sänger. Doch damit nicht genug: Vera Eubanks, die Schwester von Ray Bryants Mutter, war eine ausgezeichnete Gospel-Pianistin und Organistin. Sie ist die Mutter dreier bekannter Musiker. Der Posaunist Robin Eubanks, der Gitarrist Kevin Eubanks und der Trompeter Duane Eubanks sind als Ray Bryants Neffen.

Sein Blues feeling hat Ray Bryant auf sein frühes Training in Gospelmusik zurückgeführt. Bryant, der in schulischen Gruppen auch Tuba und (klassisch) Kontrabass spielte und bis 1953 hauptsächlich im R&B –Umfeld musizierte, feierte seine ersten Erfolge in Jahren, in denen der Bop zunehmend funky wurde und Elemente der Kirchenmusik aufnahm. Hätte es zu dieser Zeit nicht bereits Horace Silver gegeben, der wie kein anderer unsere Vorstellung von einem funky gespielten Bop-Piano geprägt hat, Ray Bryant wäre wohl ein noch größerer Durchbruch beschieden gewesen.

Ray Bryant spielte indes traditioneller, weniger perkussiv als Silver, er war zurückhaltender, eleganter. Immer wieder war hörbar, dass er sich vor allem an Teddy Wilson und Art Tatum geschult hatte, die er – ein Schlüsselerlebnis – als 12-Jähriger erstmals in einem Konzert erlebt hatte. Erst in zweiter Linie orientierte er am Bebop eines Red Garland oder Bud Powell.

1953 wurde Bryant Hauspianist im Blue Note, einem Club in Philadelphia, wo er ein Trio leitete, das ihm die Möglichkeit gab, die Großen der Zeit zu begleiten, darunter Lester Young und Charlie Parker. Mit vielen Musikern, die im Blue Note erstmals das Vergnügen hatten, mit ihm zu spielen, verbanden ihn später wichtige Partnerschaften, darunter Miles Davis, Charlie Shavers und Carmen McRae. 1955 wurde für das Billiglabel Epic ein Album aufgenommen, dass den Scheinwerfer auf zwei große junge Künstler warf: „Meet Betty Carter and Ray Bryant“. Vielleicht noch folgenreicher war seine nächste Plattenaufnahme, die 1955 entstand, in einer Gesellschaft, die einem Ritterschlag gleichkam. Ray Bryant erinnerte sich: „Miles Davis kam nach Philadelphia und ich begleitete ihn mit meinem Trio im Blue Note.

Bald darauf rief er mich an, um mich zu fragen, ob ich mit ihm aufnehmen wolle. Das war ein großes Kompliment. Er wusste genau was er wollte und gab mir gute Tipps. z. B. riet er, daß ich meine Akkorde nicht zu lange klingen lassen sollte. Er war sehr hilfreich.“ Bei dieser Plattensitzung nahm Bryant bei Davis seinen Blues „Changes“ auf – die von Bryant verwendeten Changes sind ebenso ein Klassiker wie das nach ihnen benannte Stück.

Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Vor allem an der Seite großer Drummer des Jazz, Max Roach („Plus Four“), Art Blakey („Drum Suite“), Art Taylor („Taylor’s Wailers“) und Jo Jones, dessen Trio er fast zwei Jahre prägte, entstanden in den 50er Jahren unvergessliche Aufnahmen wie „Cubano Chant“ und „Little Susie“. Doch auch die Tätigkeit als regulärer Begleiter von Carmen McRae, als Pianist der Wahl für fortschrittliche Musiker der älteren Generation, etwa Coleman Hawkins und Charlie Shavers, gehören in diese Zeit.

Das Ray Bryant Trio, dem anfangs auch sein Bruder, der Bassist Tommy angehörte, und das sich zu Beginn des neuen Jahrzehntes fest etablierte, war erfolgreich genug, dass Bryant nicht mehr auf die Rolle des beliebten Sideman angewiesen war – die uns allerdings einige Jazz-Klassiker beschert hat. Er verdankte es einigen bluesigen, souligen Hits. „Natürlich wurde ich von den Leuten bezichtigt, kommerziell geworden zu sein“, meinte Bryant. „Ich habe aber nie ein Problem damit gehabt, Dinge zu spielen, bei denen sich die Leute glücklich fühlen.“

Zwei in Montreux aufgenommene Soloalben ragen unter seiner Diskographie der 70er Jahre heraus. Das erste der beiden Montreux-Konzerte wurde 1972 bei seiner ersten Europa-Tournee aufgenommen und hatte durchschlagenden Erfolg mit weitreichenden Folgen: In Japan wurde es zur Jazzplatte Nr. 1 gewählt und sicherte Bryant dort eine enorme Popularität. Für uns wichtiger ist die Tatsache, dass er seit diesem Erfolg regelmäßig nach Europa kam. Drittens konzentrierte der zuvor meist im Trio spielende Pianist sich nun mehr auf das Soloklavier. Außerdem hatte er etwas, was man weniger Comeback nennten sollte, als eher ein deutlich gestiegenes Ansehen in der Jazzhörerschaft, das ihm auch noch in jüngerer Zeit eine treue Fan-Gemeinde sicherte. Nie wurde er in letzten Jahren müde „If I Could Just Make It To Heaven“ zu spielen, eine Hymne, die ihn mit der Welt seiner Kindheit verbunden haben mag.

Diese Reise ist Ray Bryant am 2. Juni 2011 von New York aus angetreten. Da Ray Bryant mit seiner Musik für uns so oft den Himmel auf die Erde holte, hat er sein Reiseziel sicherlich erreicht.

Marcus A. Woelfle

 

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