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Jazzzeitung

2011/03  ::: seite 1

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Inhalt 2011/03

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: David „Fathead“ Newman Farewell: Schlagzeuger Joe Morello Geschichte: Louis Armstrong – Zum 110. Geburtstag und 40. Todestag no chaser: Das globale Dorf


TITEL - Horizonterweiterung
Jazz im Chor – wie geht denn das?

DOSSIER Festivals im Sommer 2011
Termine, Webadressen und ein Lineup


Berichte

Musik bei der jazzahead // Internationale Jazzwoche Burghausen 2011 // Kurt Weill Fest Dessau // Trondheim Jazzfestival 2011 // Messe jazzahead auf Expansionskurs


Portraits

Le Bang Bang // Johannes Enders // Helge Lien im Gespräch // „mit4spiel5“ // Jazzorchester Regensburg // Jazzkomponist Heiner Schmitz // Julian & Roman Wasserfuhr im Interview


Jazz heute und Education
Ulli Blobel, jazzwerkstatt Berlin-Brandenburg, und das Festival Peitz // Julia Hülsmann und Peter Ortmann für die Bundeskonferenz Jazz auf der Musikmesse // In Münchens alter Jazzheimat starten zwei neue Locations // Abgehört: Zum 40. Todestag von Satchmo
Louis Armstrongs Solo über Ain‘t Misbehavin‘

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Horizonterweiterung

Jazz im Chor – wie geht denn das? · Von Michael Betzner-Brandt

Die Chorszene ist im Aufbruch. Fast täglich entstehen neue Ensembles, Chöre, Festivals, die „etwas anderes“ singen und präsentieren wollen. Der gemeinsame Nenner all dieser Initiativen ist die Lust am gemeinsamen Singen und auch die Herausforderung, Musik ausschließlich mit dem „Instrument“ Stimme beziehungsweise Körper zu machen. Dabei scheint es eine große ­Motivation zu sein, die Chormusik anders zu ­denken. Was kann eine Gruppe von Menschen alles gemeinsam singen?

Michael Betzner-Brandt mit seinem Jazzchor. Foto: Caroline Engelmannn

Bild vergrößernMichael Betzner-Brandt mit seinem Jazzchor. Foto: Caroline Engelmannn

Das ist keine Revolution, bei der die Traditionen der Chormusik über Bord geworfen werden. Iam Gegenteil: Gerade musikalisch-technische Parameter wie Intonationssicherheit, rhythmisches Gefühl und Beherrschung einer Gesangstechnik werden mehr gebraucht denn je. Es geht also nicht um einen Umbruch, sondern um eine Erweiterung des chorischen Ausdrucks. Diese neuen Chöre und Ensembles bieten Antworten auf die Frage: Was können wir eigentlich gemeinsam mit unserer Stimme anstellen?

Die Antworten darauf sind so vielfältig wie innovativ. Der Boom an Chören, die „etwas anderes“ singen, ist faszinierend und auf hohem Niveau. Allein: es gibt keinen einheitlichen Namen für diese Musik. Manche Gruppen nennen sich „Jazzchor“. Dabei kann es ­vorkommen, dass diese keinen einzigen Jazztitel im Konzert singen. Andere reden von „moderner“ Chormusik, in Skandinavien nennt man solche Chöre gerne „rhythmische Chöre“, gerade, als gäbe es in traditioneller Chormusik keinen Rhythmus. In Deutschland redet man gerne von „Groove“-Chören, wobei ­„groove“ (von engl. Rille, zum Beispiel die Rille auf einer alten Vinyl-Platte) hierzulande etwas anderes bedeutet als zum Beispiel in den Staaten, wo man gerne von „Show-Choirs“ spricht. Trotz des uneindeutigen Namens dieses Chorgenres gibt es durchaus Interessen, die ­Gemeinsamkeiten vermuten lassen. Beispiele dafür gibt es viele: So ist es eine Art (ungeschriebenes) Gesetz in „traditioneller“ Chormusik, dass die Homogenität des Chorklangs (engl. Blending) ein erstrebenswertes Ziel ist. Wenn man also in einer Brahms-Motette eine einzelne Stimme „heraushört“, ist das nicht so gut wie ein Chor, dessen einzelne Stimmen sich zu einem Ganzen, nämlich dem Chorklang zusammenfügen. In den „neuen“ Chören spielen Individualität, Persönlichkeit einzelner Sänger, Solos und Improvisation eine viel größere Rolle. Das sind Elemente, die auch im Jazz eine Rolle spielen oder von dort importiert wurden.

Andere Elemente sind sicher von größerer Bedeutung. Rhythmus spiaelt eine prägendere Rolle, zum Beispiel durch den Einsatz von Beatboxern oder rhythmisch ausgerichteten Loops und Patterns. Die sogenannte Jazzharmonik ist über weite Strecken auch schon aus klassischer Musik bekannt, wird aber auch immer weiter differenziert. Das ist ein Punkt, der für das „Instrument“ Chor oft schwierig zu bewältigen ist, aber in vielen Fällen zu beeindruckenden Ergebnissen führt. Es macht eben einen großen Unterschied, ob man „dissonante“ voicings auf einem Instrument spielt oder eben im Chor singt. Singen Sie doch mal „Alle meine Entchen“ zu zweit im Abstand einer kleinen Sekunde, dann haben Sie einen Eindruck davon, wie geschult die Tonvorstellung sein muss, wenn man angereicherte Akkorde singen will. Außerdem haben sich solche Chöre durch den Einsatz von Mikrofonen einen völlig neuen Klang erarbeitet.

Manchmal singen mehrere Leute in ein Mikrofon, manchmal jeder hat sein eigenes Mikro. Die Frage nach der Verstärkung bzw. Mikrofonierung stellt sich in jedem dieser Ensembles und es gibt wunderbare Lösungen dafür, die ganz neue musikalische Landschaften erschließen, wie zum Beispiel beim dänischen Chor „Vocal Line“. Das Repertoire besteht aus einer Mischung aus eigenen Kompositionen, Arrangements von Jazz-, Pop-, Ethno- und Singer-Songwriter-Material, gemixt mit etwas Improvisation und Circlesongs nach Art von Bobby McFerrin, der ein großer Impulsgeber der Vokalszene ist.

Neben den Chören passieren viele Innovationen in solistisch besetzten Vokalensembles, die viel flexibler Musik arrangieren können, seien es nun Gruppen wie die Real Group oder Manhattan Transfer, oder ­Gruppen wie Niniwe (D), Postyr (DK) oder Pust (N). Auch Take 6, die eigentlich Gospel machen, sind im gut sortierten Fachhandel unter „Jazz“ eingeordnet.Mein Eindruck ist, dass die Chorszene Elemente der Jazz- und der Popmusik aufgreift und damit ihren Horizont immens erweitert.

Gleichwohl sind bei weitem nicht alle Chöre, die Jazz singen oder sich auch Jazzchor nennen, ein Teil der Jazzszene. Oder kennen Sie einen Chor, der in den letzten Jahren die Jazzszene merklich beeinflusst hat? Chöre treten in Chor-Locations auf, viel seltener in Jazz-Locations. Auftrittsorte für Chöre sind idealerweise Räume, die eine fürs Singen günstige Akustik haben, nicht zu trocken, nicht zu hallig. Das trifft auf die wenigsten Jazzclubs zu. Noch dazu passen die Chöre oft gar nicht auf die Bühne, die maximal für ein Septett ausgelegt ist. Man sieht: Es ist viel einfacher (und macht auch mehr Spaß), den eigenen Horizont zu erweitern, indem man Elemente aus verschiedensten Stilen einbaut, als diese Innovationen in eine (Begriffs-)Schublade zu stecken und ihnen einen Namen zu geben. Mögen kommende Generationen von Musikwissenschaftlern diese gerade stattfindende Horizonterweiterung der Chorszene später auf den Begriff bringen. Die Innovationen, die derzeit geschehen, sind spannend und machen Lust auf mehr.

Michael Betzner-Brandt

Mehr zum Thema Jazz und Chor gibt es auf der chor.com, einem Forum der internationalen Chorszene vom 22. bis 25. September in Dortmund. Sänger, Musiklehrer, Komponisten und Liebhaber der Chormusik finden dort Gelegenheit zum Austausch – und zum Singen. www.chor.com


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