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Jazzzeitung

2011/03  ::: seite 23

farewell

 

Inhalt 2011/03

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: David „Fathead“ Newman Farewell: Schlagzeuger Joe Morello Geschichte: Louis Armstrong – Zum 110. Geburtstag und 40. Todestag no chaser: Das globale Dorf


TITEL - Horizonterweiterung
Jazz im Chor – wie geht denn das?

DOSSIER Festivals im Sommer 2011
Termine, Webadressen und ein Lineup


Berichte

Musik bei der jazzahead // Internationale Jazzwoche Burghausen 2011 // Kurt Weill Fest Dessau // Trondheim Jazzfestival 2011 // Messe jazzahead auf Expansionskurs


Portraits

Le Bang Bang // Johannes Enders // Helge Lien im Gespräch // „mit4spiel5“ // Jazzorchester Regensburg // Jazzkomponist Heiner Schmitz // Julian & Roman Wasserfuhr im Interview


Jazz heute und Education
Ulli Blobel, jazzwerkstatt Berlin-Brandenburg, und das Festival Peitz // Julia Hülsmann und Peter Ortmann für die Bundeskonferenz Jazz auf der Musikmesse // In Münchens alter Jazzheimat starten zwei neue Locations // Abgehört: Zum 40. Todestag von Satchmo
Louis Armstrongs Solo über Ain‘t Misbehavin‘

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Take Five

Abschied vom Schlagzeuger Joe Morello

Auch wer seinen Namen nicht kennt, hat wohl doch sein Spiel im Ohr, denn Joe Morello gehörte von 1956 bis 1967 dem Dave Brubeck Quartet nicht nur als verlässliche Stütze, sondern als Inspirationsquelle und vielbestauntes Trommelwunder an. Er trommelte „alles“ mit beneidenswerter Kunst- und Fingerfertigkeit, doch seinen Platz in der Jazzgeschichte verschaffte ihm eine Spezialität: Die ungeraden Takte, die vor Morello und Brubeck im Jazz eine Rarität waren. Ohne Morello würden wir weder den 5/4-Takt von „Take Five“ noch den 7/4-Takt des „Unsquare Dance“ (in unseren Breiten besser bekannt als Titelmelodie der ORF-Serie „Panoptikum“).

Schlagzeuger Joe Morello

Bild vergrößernSchlagzeuger Joe Morello

Joe Morello kam am 17. Juli 1928 in Springfield, Massachusetts, als Spross einer französischstämmigen Familie auf die Welt. Da er schlecht sah, verbrachte er die meiste Zeit zuhause und widmete sich früh der Musik. Sein erstes Instrument war die Violine, die er so gut beherrschte, dass er als Wunderkind galt. Schon als Neunjähriger hatte er seinen ersten öffentlichen Auftritt: Als Solist des Mendelssohn-Violinkonzertes wurde er vom Boston Symphony Orchestra begleitet. Als er erkannte, dass er nie so gut würde wie Jascha Heifetz, wechselte er 15-jährig zum Schlagzeug. Zu seinen Jugendfreunden gehörten der Gitarrist Sal Salvador und der Altist Phil Woods. Mit 23 zog er nach New York. In diesem Jazz-Mekka dauerte es eine Weile, bis er sich einen Namen machte und noch länger, bevor er an Plattenaufnahmen mitwirkte. Eine Bestätigung seines Könnens, wenn auch nicht der Durchbruch, war, nach einer kurzen Zeit bei Stan Kenton, das langjährige Engagement im Trio der britischen Pianistin Marian McPartland, die mit ihrem Trio im Hickory House residierte und den 24-Jährigen engagierte, nachdem er bei ihr eingestiegen war. Davon erzählt sie: „Mit seinen dicken Augengläsern sah er weniger aus wie ein Drummer als ein Student der Nuklearphysik. Ich kann mich nicht erinnern, welches Stück wir spielten, aber das spielt auch keine Rolle, denn innerhalb von Sekunden erkannte jeder im Raum, dass der zurückhaltend auftretende Bursche ein phänomenaler Drummer war. Jeder hörte zu. Es war eine Freude, seiner präzisen Mischung aus Anschlag, Geschmack und fast unglaublicher Technik zuzuhören. Seine Technik war sicherlich ebenso groß (wenn auch anders angewandt) wie die von Buddy Rich.“ Live-Aufnahmen des 25-jährigen Joe Morello aus dem Hickory House belegen dessen Können.

McPartlands Bassist Bill Crow berichtet: „Marion gab uns beiden viel Raum zu wachsen. Joe sagte immer, er würde gerne mit hart swingenden Leuten wie Phil Woods spielen, und ich empfahl ihm, sich auf Jam Sessions herumzutreiben, wo er unterschiedlichste Musiker kennenlernen könne. Als Brubeck ihm den Job anbot, riet ich ihm, ihn nicht anzunehmen. ‚Joe’, sagte ich, ‚bei dieser Gruppe wirst Du ein großer Star, doch Du wirst nie die Chance bekommen, mit jener Art Gruppen zu spielen, von denen Du redest.’“ Er folgte meinem Rat nicht, doch er ist damit sehr gut gefahren.“

Interessanterweise machte er in jenen Tagen mit vielen herausragenden Gitarristen Aufnahmen, darunter Sal Salvador, Tal Farlow und (zusamen mit Woods) Jimmy Raney. Nach seiner Zeit bei Marian McPartland winkten Angebote von Tommy Dorsey und Benny Goodman, doch Morello zog es vor, sich dem Quartett von Dave Brubeck anzuschließen. Mit ihm wollte er ursprünglich nur für zwei Monate auf Tournee gehen; doch er blieb 13 Jahre. Wer die älteren Aufnahmen des Dave Brubeck Quartets kennt, weiß, dass Schlagzeuger und Bassist in dieser Gruppe eine untergeordnete Rolle spielten. Das war Morello bewusst, als er die Nachfolge von Joe Dodge antrat. Morello akzeptierte das Engagement daher nur unter der Bedingung, dass er auch als Solist herausgestellt würde. Paul Desmond, der Altist mit dem ätherischen Sound und zarten Melodielinien, wünschte sich einen Schlagzeuger, der leise, dezent das Metrum hielt, ohne in den Vordergrund zu rücken. Als einen solchen betrachtete Desmond wohl Morello zunächst irrtümlich.
Das erste Album, das der 28-jährige Joe Morello mit dem Quartett einspielte, hieß „Jazz Impressions Of the U.S.A.“. Und schon kurz darauf nahm er das erste von nur einer Handvoll Alben unter eigenem Namen auf, „Joe Morello Sextet“ mit Art Pepper und Red Norvo – Musikern, die ihn noch gar nicht kannten. „Ich erinnere mich, dass ich überrascht war, was für ein guter Drummer Morello war. Keiner hatte ihn je auf Platten gehört oder sonst wie. Wir wussten nicht, was wir zu erwarten hatten. Aber er war fantastisch“, erinnerte sich Art Pepper.

1957 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen im Dave Brubeck Quartet, als es gerade ein Gastspiel im Blue Note absolvierte. Laut Desmond-Biograph Doug Ramsey, dessen Darstellung der Vorgänge ich hier folge, passierte dort folgendes: Brubeck drängte Morello dazu, Stücke zu verwenden und teilte ihm ein Solo zu. Laut Morello hatte dies eine kleine „standing ovation“ zur Folge. Gegen Ende des Schlagzeugsolos verließ Desmond die Bühne in Richtung Umkleideraum. Als Brubeck dorthin nachkam, stellte ihm Desmond ein Ultimatum: „Morello geht oder ich.“ Brubeck sagte: „Gut, er geht nicht.“

Brubeck erinnert sich: „Joe konnte Dinge, die ich bei keinem anderen gehört habe. Ich wollte ihn featuren. Paul war dagegen. … Ich wusste nicht, ob Paul und der Bassist Norman Bates am nächsten Tag erscheinen würden. Sie kamen dann zu einer Aufnahmesitzung für Columbia, spielten aber nicht. Also spielten ich und Joe drei Stunden lang. Sie sagten, sie würden die Gruppe verlassen. Und ich sagte. „Na, da wird es ein Loch auf der Bühne geben, doch Joe wird nicht gehen. Dann ging ich zu meinem Auftritt. Mensch, war ich erleichtert, Paul und Norman zu sehen.“

Nach Reisen mit der Band schilderte der Journalist Robert Rice seine Eindrücke im The New Yorker: „Wo auch immer das Quartett spielte, stand ein blutiger Krieg bevor, bei dem Brubeck sein Bestes tat, um zwischen Morello auf der einen Seite und den Bassisten Norman Bates und Desmond auf der anderen zu vermitteln. Morello spielte Passagen die, nach Desmonds Dafürhalten von abscheulichem Geschmack zeugten, und Desmond gab dann seinen Gefühlen durch schrille Pa-rodien auf dem Horn zum Ausdruck. Natürlich war er dann doppelt empört, wenn das Publikum, wie es oft passierte, diese Saxophon-Passagen bejubelten. In einer Anwandlung, die er jetzt selbst wie eine ziemlich infantile Geste des Trotzes betrachtet, bot einmal Morello ein Schlagzeugsolo in solch übertrieben schnellem Tempo, dass Bates in der Halbzeit zu spielen hatte. Desmond ging einfach von der Bühne, und sogar Brubeck bekam einen dicken Hals. Am Ende dieses Konzert schritt Desmond zu Morello und sagte: „Gut. Ich werde eine ganzseitige Anzeige in Down Beat bekommen, dass ich nicht schnell spielen kann. Wird Sie das zufrieden stellen?“

Doug Ramsey führt aus, dass Brubeck in der Lage war, bei all den mörderischen Auseinandersetzungen über Tempi, Lautstärke und Drum-Fills während Desmonds Soli im Zentrum zu bleiben. Trotz ihrer starken Meinungsverschiedenheiten darüber, wie Morellos Fähigkeiten eingesetzt werden sollen, habe Brubeck Nutzen daraus ziehen können, dass Morello und Desmond gegenseitig Respekt vor ihrem Können hatten. Dieser Respekt sei letztlich in echte Zuneigung übergegangen. „Für eine Weile war es mit Paul unangenehm“, erklärte Morello Ramsey. „Aber mit der Zeit ging es. Wir wurden sehr enge Freunde.“ Mit dem von Morello empfohlenen Bassisten Gene Wright kam die sogenannte klassische Besetzung des Dave Brubeck Quartets zusammen. „Sofort fühlten sich Joe und ich als eine Einheit“, erinnerte sich Wright an seine Zusammenarbeit mit Morello. „Es war wie bei Jo Jones und Walter Page bei Basie.“

Anlässlich einer Tournee, die das Quartett 1958 durch 14 Länder führte, entstand das Album „Jazz Impressions Of Eurasia“. Gerade das exotische Flair mehrerer Stücke forderte die vier Herren heraus. Schon auf der Tournee hatte das Dave Brubeck Quartett Tuchfühlung mit den komplexen asiatischen Metren aufgenommen. Seit einiger Zeit hatten sie Walzer im Repertoire. Brubeck wollte nun weiter in diese Richtung gehen. Schon lange bevor er zu Brubeck kam, hatte der Schlagzeuger auf Jam Sessions immer wieder mit Polyrhythmen experimentiert und seine Kollegen damit verwundert. Hits wie „Take Five“ wären ohne Morellos Experimentierlust und außerordentliche rhythmische Begabung gar nicht entstanden. Mit dem Album „Time Out“ von 1959, dem erfolgreichsten seiner Karriere, bewies Brubeck, dass man sogar im 5/4-Takt swingen könne. Das daraus stammende „Take Five“ wurde ein Welthit, obwohl Brubecks Plattenfirma skeptisch war, eine Singleauskopplung auf den Markt zu bringen. So etwas Untanzbares könne doch unmöglich zugkräftig sein.

Wie entstand das Stück? Morello hatte schon einige Zeit im Song „Sounds Of The Loop“ ein Solo im 5/4-Takt hingelegt, obwohl das Stück selbst im 4/4-Takt war. Dann bat er Brubeck, etwas zu schreiben. Desmond meinte, er würde gerne versuchen, im 5/4-Takt zu spielen und fügte hinzu: „Vielleicht schreibe ich etwas.“ Paul Desmond schrieb daraufhin zwei Themen, die er nicht weiterführen konnte, bis Brubeck den genialen Gedanken hatte, sie zu einem Stück zusammenzufügen. „Ich hatte wirklich nicht vorgehabt, einen Hit zu schreiben“, erklärte Desmond einmal, doch das Columbia-Album „Time Out“ wurde wegen dieses Stückes eine der meistverkauften Jazzplatten aller Zeiten.

Das Dave Brubeck Quartet war die wohl international populärste Jazzgruppe jener Zeit, nicht zuletzt dank Joe Morellos Präzision, Einfallsreichtum, Geschmack und Virtuosität. Er konnte über lange Strecken eines Konzertes das sein, was Desmond ursprünglich wollte, ein unauffälliger Assistent, um dann plötzlich durch packende Soli als Star erkennbar zu werden. 1967, nach dem Album „The Last Time We Saw Paris“, löste sich die Gruppe auf, mit der Morello an die 60 Platten eingespielt hat.

Joe Morello sah schon immer schlecht, doch 1976 erblindete er vollends und machte seither nur noch wenige Aufnahmen. Er wurde ein begehrter Schlagzeuglehrer, zu dem Schüler aus aller Welt kamen, darunter Danny Gottlieb. Am 12. März 2011 ist Joe Morello in einem Krankenhaus in Elizabeth, New Jersey, gestorben. Als Pionier im Trommeln ungerader Takte hat er unzählige Kollegen beeinflusst. Und so steckt in jedem Jazzer, der heute im 9/8- oder einen 5/4-Takt trommelt, ein Stückchen dieses Meisters der Besen und Stöcke.

Marcus A. Woelfle

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