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Jazzzeitung

2011/03  ::: seite 13-15

rezensionen

 

Inhalt 2011/03

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: David „Fathead“ Newman Farewell: Schlagzeuger Joe Morello Geschichte: Louis Armstrong – Zum 110. Geburtstag und 40. Todestag no chaser: Das globale Dorf


TITEL - Horizonterweiterung
Jazz im Chor – wie geht denn das?

DOSSIER Festivals im Sommer 2011
Termine, Webadressen und ein Lineup


Berichte

Musik bei der jazzahead // Internationale Jazzwoche Burghausen 2011 // Kurt Weill Fest Dessau // Trondheim Jazzfestival 2011 // Messe jazzahead auf Expansionskurs


Portraits

Le Bang Bang // Johannes Enders // Helge Lien im Gespräch // „mit4spiel5“ // Jazzorchester Regensburg // Jazzkomponist Heiner Schmitz // Julian & Roman Wasserfuhr im Interview


Jazz heute und Education
Ulli Blobel, jazzwerkstatt Berlin-Brandenburg, und das Festival Peitz // Julia Hülsmann und Peter Ortmann für die Bundeskonferenz Jazz auf der Musikmesse // In Münchens alter Jazzheimat starten zwei neue Locations // Abgehört: Zum 40. Todestag von Satchmo
Louis Armstrongs Solo über Ain‘t Misbehavin‘

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

CD- Rezensionen 2011-03

Vladimir Kostadinovic & Jimmy Greene
Course Of Events
(Jive JM-2067-2)
www.new-music-distribution.de

Vorab gereichte Lorbeeren für außergewöhnliche Fähigkeiten als Schlagzeuger versucht Vladimir Kostadinovic in einem „Course Of Events“ zu rechtfertigen. Stilis­tisch am Hardbop und dessen Derivaten orientiert, fordert er zunächst: „Listen To The Band“, denn sie folgt seinen markanten, präzis getrommelten Tempiwechseln wie ein Schatten. Wobei Jimmy Green allerdings nur gemäßigt moderne Phrasierungen wagt, während Danny Grissett am Klavier sich durchaus autonom in der variablen Jazzströmung bewegt. Besonders in der Coda sichert er das Repetiv-Riff mit Blockakkorden, um das Vladimir Kostadinovic ein fulminantes Solo manövriert. Auch ein legerer Bossa-Typus bekommt in „The Only Sound“ von ihm asymmetrische Kicks, die Vladimir Kostadinovic wiederum zu kontrollierter Drum-Extase antreibt. Elastisches 3er-Metrum formt den Titelsong, eine intensive Ballade, geeignet für ein wunderbar melodisches Bass-Solo von Matt Brewer. Er stützt auch Jimmy Greene, wenn dieser „Duke Ellington‘s Sound Of Love“ (von Charles Mingus) seduktive Sonorität gibt. Solch menschliche Nähe ergänzt „Grüner Daumen“ zur Natur, ein atmosphärisch dichtes Klangmanifest. Etwas übertrieben sind dann aber die Ansprüche bei der „Tour Through The Universe“, weil sie durch Bebop-Rasanz kaum Zeit für Betrachtungen lässt. Da verführt die rhythmische Dominanz doch zum Verbleib an Oberflächenstrukturen. Für sein kompaktes Konzept hat Kostadinovic nicht in jeder Hinsicht das qualitative Optimum erreicht. Sein perfektibler Stil braucht in Zukunft schärfere Binnenkontraste, um ganz zur Geltung zu kommen.
Hans-Dieter Grünefeld

Lea W. Frey
We Can’t Rewind

TRAUMTON 4552/Indigo

Als das Duo Nachtlüx im Jahr 2009 mit der CD „Nach Norden“ an den Start ging, schrieb die Rezensentin: „Selten klang deutschsprachiger Gesang so poetisch, so lyrisch, so nachdenklich und doch so nahezu ‚nordisch kühl‘, wie der von Lea W. Frey.“ Seinerzeit verfasste Frey die Texte selbst; die Musik stammte von ihr und Duo-Partner Venezian. Nun, zwei Jahre später, wollte Frey es wissen. Auf „We Can’t Rewind“ widmet die Sängerin sich ihren Lieblingscoversongs, präsentiert quer durch Pop-, Rock- und Jazzmusik ein breites musikalisches Spektrum in eigenem, gewissermaßen „freyschem“, Gewand. Die Brüder Peter und Bernhard Meyer, an Gitarre respektive Bass, steuern einen so sparsamen wie verschrobenen Sound bei: Dieser trägt Freys Gesang in ähnlicher Manier wie oben beschrieben und lässt ihn doch noch ein Stück düster-verfremdeter erscheinen. Frey erklärt die Magie des Coverns mit eigenen Worten so: „… wie mit der Hand über einen alten Holztisch mit vielen Furchen und Kratzern zu streichen und die Vergangenheit förmlich zu spüren.“ Das Aneignen der Songs gelingt ihr seltsam individuell. Nicht immer lässt sich das Original klar heraushören, manchmal lediglich im Schwebezustand erahnen. Die englische Gesangssprache entfaltet allerdings, gegenüber den deutschsprachigen Texten des Nachtlüx-Albums, etwas weniger originellen Reiz. Dennoch ein interessantes, ein gutes Album. Lea W. Frey gelingt es auch unter eigenem Namen, sich als Künstlerin aussagekräftig in der Musikwelt zu positionieren.
Carina Prange

Three Fall celebrating Red Hot Chili Peppers: On a Walkabout
ACT 9665 - 2

Die „Young German Jazz Cats“ von ACT sind immer für eine Überraschung gut. Einige von Ihnen, wie Wollny oder Wasserfuhr, haben den Durchbruch bereits geschafft, andere wie Zehrfeld erschließen mit „verkrassten“ Klängen neue Horizonte. Mit der Formation „Three Fall“ stehen nun drei junge, versierte Musiker am Start, die ohne Bass und/oder Akkordinstrument einen einzigartigen, mitreißenden Sound kreieren und dabei als Aufmacher Stücke wie „Can’t Stop“ oder „Walkabout“ von den Red Hot ­Chili Peppers arrangiert haben. Three Fall, das sind Lutz Streun (Saxophon/Bassklarinette), Til Schneider (Posaune) und Sebastian Winne (Drums & Percussion). Auf ihrer Debut-CD „On a Walkabout“ präsentieren sie einen eigenen, frisch swingend und groovigen Sound. Dabei sind die wahren Perlen der CD weniger die – absolut fantastisch und fetzig – interpretierten Stücke der Red Hot Chili Peppers, sondern vielmehr aufregende Eigenkompositionen aus der Feder von Streun/Schneider wie „Song for Alma“, „Fiets“ oder „Skycraper“. Würde man die Red Hot Chili Peppers nicht kennen, gingen ihre Stücke glatt als Three-Fall-Klassiker durch, so homogen sind Sound und Arrangements. Man erkennt unschwer die Wurzeln, mit denen diese Generation von Musikern aufgewachsen ist, und das spiegelt sich souverän in ihrer Spielweise wider. Da ist der Schlusstrack „Matter“ mit einem Rap von Promoe nur konsequent. Jazz neu entdecken kann nur, wer sich freimacht und zu seinen Wurzeln steht. Three Fall haben das verinnerlicht und stellen sich so der Zukunft.
Thomas J. Krebs

Ricardo Villalobos/Max Loderbauer
Re:ECM

ECM 2211/12 275 8681

Für das ECM-Label ist der mit Spannung erwartete Titel „Re:ECM“ eine ungewöhnliche Produktion! Zwei Ikonen der Clubszene, der Berliner DJ Ricardo Villalobos und Produzent Max Loderbauer, haben sich zusammengetan, in den ECM Archiven geforscht und mit profund zusammengestellten Stücken auf zwei CDs ein komplett eigenständiges innovatives Werk abgeliefert. Seit Jahren ist Villalobos bereits Fan des Labels und verwendet auch in seinen DJ-Sets ECM-Stücke – immer mit musikalischem Respekt. Das ist auch das Erste, was beim Hören der CD auffällt. Irgendwo zwischen Ambient, Jazz und E-Musik werden extrahierte Klänge ätherisch in Szene gesetzt, mit abstrakten Rhythmen versehen und behutsam zu einem neuen Klangerlebnis destilliert. Da finden sich neben Sequenzen von Wallumrod, Vitous oder Sclavis Klänge von Knaifel, Pärt, Abercrombie, Giger oder Maupin. Alles in allem wohl überlegt ausgewählt und vor allem nicht nur vordergründig beifallheischend remixed. Wobei wir beim eigentlichen Thema sind: Remixe aus dem ECM-Archiv gab es in dieser Form bisher nicht. Aber das Vertrauen, das Manfred Eicher in Villalobos und Loderbauer gesetzt hat, sich aus dem ECM-Backkatalogs bedienen zu dürfen, wird belohnt: experimentelles Herangehen an die Kompositionen, kombiniert mit unabhängigem Rhythmusverständnis bilden, losgelöst von Vorlagen, hochkreative Klanginseln. Das Resultat ist eine ECM vertraute Klangästhetik ohne Schnörkel und was kompromisslos begeistert: das Ergebnis klingt absolut authentisch!
Thomas J. Krebs

Hotel Bossa Nova: Bossanomia
Enja Yellowbird

Um im Bild zu bleiben: Im Hotel Bossa Nova steigen so manche Zeitgenossen ab. Einige kommen aus Brasilien, andere aus Westafrika, manche auch aus Spanien, Portugal, und sogar der eine oder andere Argentinier wurde gesichtet. Jeder dieser Reisenden hinterlässt seine Spuren, in Form von Stimmungen und Motiven, Imaginationen und Sounds. Denn das dritte Album des Wiesbadener Quartetts mit dem touristischen Namen versteht sich als Amalgam der Stile und Einflüsse und lebt vor allem vom vokalen Einsatz der Sängerin Liza da Costa, die mit viel Elan und Energie das knappe Dutzend Songs ausfüllt.
Dazu kommt eine spartanisch instrumentierte Combo mit Gitarrist Tilmann Höhn, Bassist Alexander Sonntag und Drummer Wolfgang Stamm, die einem vergleichsweise puristischen, karg gemischten und stellenweise arg transparenten Klangideal verpflichtet sind. Gäs­te, wie der Akkordeonist Martin Wagner oder der Gitarrist Pedro Tagliani, ergänzen das Konzept um illustrierende, Akzente setzende Farben, insgesamt aber erscheint das Programm „Bossanomia“ ein wenig dünn. Denn ihm fehlt trotz brasilianischer Texte und latin-getönter Arrangements dieses spezielle Feeling, diese Lockerheit, die die Kollegen der Música Popular Brasileira so entspannt und inspiriert klingen lässt. Wiesbaden ist eben nicht Rio, auch wenn Bossa Nova drauf steht.
Ralf Dombrowski

Willie Nelson & Wynton Marsalis:
Here We Go Again – Celebrating The Genius Of Ray Charles

Blue Note

Marktstrategen sagen, dass die Fortsetzung einer guten Idee in der Regel nur noch 30 Prozent der Leute erreicht, die sich für das Original interessiert haben. Nun hatten sich der Trompeter Wynton Marsalis und der Country-Recke Willie Nelson Mitte Januar 2007 erstmals im Panoramasaal des New Yorker Lincoln Centers zusammengetan und dort ein Album aufgenommen, das allein schon wegen seiner skurrilen Kombination überraschte. Das kam gut an, und deshalb folgt nun Teil zwei des Unternehmens, wieder live aufgenommen, diesmal im Rose Theatre des Lincoln Centers. Um dem potentiellen Aufmerksamkeitsschwund entgegen zu wirken, wurden der eigentlichen Idee noch weitere Details hinzugefügt. Diesmal widmete sich das Programm thematisch Ray Charles, dem Genius des Rhythm & Blues. Außerdem wurde Norah Jones als Gast zum Kreise der gesetzten Herren gebeten. Resultat des Ganzen ist ein rundum publikumsaffines Album, das diverse Gassenhauer von „Unchain My Heart“ bis „What‘d I Say“ mehr oder minder inspiriert im dezent angejazzten Gewand präsentiert. Willie Nelson wirkt dabei noch ein wenig fragiler als bisher, Miss Jones ist mit zwar lasziver, aber ausdrucksarmer Stimme künstlerisch nicht die erste Wahl in Sachen schwarze Seele. Und Marsalis spielt mit seinen Retro-Jungs, was er immer macht, soliden, unterhaltsamen Salonjazz. Nett, harmlos.
Ralf Dombrowski

Claudio Puntin/Lucerne Jazz
Orchestra: Berge versetzen

Unit 4257/Alive

Man klappt das Cover auf und eine alpenländische Kulisse baut sich auf. Der Glarner Künstler Martin Schätzle ist im Design der CD Claudio Puntin zu Hilfe gekommen. Puntin will mit dem glänzend disponierten Lucerne Jazz Orchestra, wie der Titel verspricht, „Berge versetzen“. Dafür hat der seit 23 Jahren in Deutschland lebende Schweizer Klarinettist eine Hommage an seine Heimat verfasst und einen dreiteiligen Zyklus komponiert, der die Schweiz musikalisch porträtiert. Selbstredend hat Puntin Elemente Schweizer Volksmusik verarbeitet, die seinen eigenen Erfahrungen entsprungen sind. All dies mündet in einen lebendigen Groove. Ein Appenzeller Klassiker wird ebenso zitiert wie die Reminiszenz an die Basler Fasnacht. Auch Gedichte der Luzerner Lyrikerin Sabine Naef, vorgetragen von Vokalistin Insa Rudolph, hat Puntin eingearbeitet und als Inspirationsquelle genutzt. Die Klarinette, wie könnte es anders sein, spielt bei dem Ganzen eine tragende Rolle. Puntin benutzt sie, wie er erklärt, als „Sängerin, Improvisatorin, Melancholikerin, Sprechstimme und ständige Begleiterin“. Daneben setzten auch Mitglieder des eindrücklichen Orchesters solistische Akzente. Die Alphornvariante Büchel ist ebenso zu hören wie die zischend groovenden Luftströme aus einer von Puntin entwickelten Kiste mit sieben Schläuchen. Auf diesem „swisskammerjazzorchestralen Album“ (Puntin) vertragen sich alpine und urbane Atmosphären und Klänge bestens.
Reiner Kobe

Katharine Mehrling
Am Rande der Nacht

Monopol Records

Stilsicher bewegt sich Katharine Mehrling zwischen Swing, Chanson, Latin und Blues. Zugegeben, eine außergewöhnliche Mischung ist das nicht. Dass sich die Platte dennoch jenseits jeglicher Banalität und Beliebigkeit bewegt, dafür sorgen die Beteiligung des Jazzklarinettisten Rolf Kühn, die Gänsehautstimme der Sängerin und originelle deutsche Texte. Mal geht es knisternd erotisch zu, mal melancholisch, dann wieder mit feinem Witz. Katharine Mehrling demonstriert große Wandlungsfähigkeit und Ausdrucksintensität, was sie nicht zuletzt ihren vielfältigen Aktivitäten in Schauspiel und Musical verdanken dürfte. Rolf Kühn hat die meisten der wunderbaren Stücke und Arrangements geschrieben. Zum nonchalanten Swing von „Lecker“ zelebriert Katharine Mehrling augenzwinkernd ihre Verführungskünste; Rolf Kühns leichtfüßiges Saxophonspiel knistert da vor Spannung. In „Was sie will“ geht es bei einem üppigen Orchesterteppich um die Widersprüche weiblicher Logik. In „Der Makrobiot“ wiederum kriegen bei schmissigem Big-Band-Sound öko­fundamentalistische Veganer ihr Fett ab. Natürlich geht es auch um die Sehnsucht nach der großen Liebe und die damit einhergehende Melancholie – so eleganten, flüssigen deutschsprachigen Blues hat man selten gehört. Ergreifend traurig ist das Chanson „Nantes“; versöhnliche Ruhe strahlt der Walzer „Mondlied“ aus. Das von vorne bis hinten charmante Album sei hiermit empfohlen.
Antje Rößler

Geoff Goodman
Jazz + Haiku

Double Moon Records DMCHR 71089

„Ich kann gar nicht anders als immer wieder was Neues auszuprobieren.“ Der Gitarrist Geoff Goodman tummelt sich in verschiedensten Gefilden jazzig-weltmusikalischer Grenzgänge, verbindet in seinem Schaffen Newport und München, New York und Athen, Tabla und Strings, jetzt also Jazz und Haiku, kulturelle Exponenten des Westens und des Ostens. Weiter auseinander geht es nicht – zumindest geografisch. Was den Jazz, die in Amerika geborene Musik des 20. Jahrhunderts, und das Haiku, jene reduzierte japanische Gedichtform, die ihre Blütezeit im 17. und 18. Jahrhundert erlebte, miteinander verbindet, ist die Kunst der Improvisation, der Inspiration des Augenblicks – und die Offenheit der Vorgabe. Wie das Haiku in seiner knappen Form und seinem je konkreten Bezug zur Gegenwart erst vollständig wird in seiner Eröffnetheit auf das Erleben des Lesers, so ist auch ein Jazzstück nicht komplett ohne das Ineinander von Komposition, Improvisation und Interaktion. Geoff Goodmans Band „Curiosities of Nature“ mit Fjoralba Turku (voc), Till Martin (sax, cl), Henning Sieverts (b), Bill Elgart (dr), steht für sanft beobachtende Neugier, achtsames Miteinander und die Verschmelzung kultureller Unterschiede in jener halb geöffneten Tür, jenem klar gewischten Spiegel, als die Reginald H. Blyth das Haiku bezeichnete. Von besonderem Reiz sind dabei Kiyomis Rezita­tionen der japanischen Texte, deren Klang ihren eigenen Beitrag zu Musik geben.
Tobias Böcker

Cocada
[liberdade]

Rodenstein ROD 40

Durchaus frühlingshafte Gefühle mögen aufkeimen beim Hören des Ergebnisses der Kollaboration der Kölner Pianistin Tanja Mathias-Heintz mit dem aus Sao Paulo stammenden Sänger Fausto Israel. Sanfte Rhythmen, nachvollziehbare Melodien, fast ohrwurmartig, wie wenn sie schon immer zum allgemeinen Repertoire gehörten, phantasievolle Soli und sonnendurchflutete Sounds nehmen mit auf die musikalische Reise vom Rhein­ufer zur Copacabana, vom Kölner Dom zum Zuckerhut. Das bewegt sich immer auf den Spuren der Tradition, bietet dabei keine Bossa-Nova-Standards, dafür phantasievolle Eigenkompositionen mit Samba-inspirierter Bewegungsfreiheit, der luftigen Leichtigkeit der Música Popular Brasileira und dem Esprit einer Pianistin, die Geschmack und Empathie in so dezenter wie charmanter Munterkeit auf ihr Instrument zu übertragen weiß. Fausto Israels Stimme ist sanft und klar, schmeichelt sich in natürlicher Lässigkeit ins Ohr. Rhythmischer Drive der brasilianischen Schlagzeugerin und Perkussionis­tin Cris Gavazzoni, der satte Groove des Bassisten Martin Simon sowie die unaufdringlich weich federnden Soli von Olaf Schönborns Saxophon sorgen dafür, dass die Balance zwischen Unterhaltungswert und Spannung nicht verloren geht. Alle Beteiligten gehen mit Fingerspitzengefühl und sanfter Energie ans Werk, verleihen den Stücken Non­chalance, Substanz und eine wohl dosierte Zuckermenge, die der namensgebenden südamerikanischen Kokossüßigkeit wohl ansteht.
Tobias Böcker

Ensemble Fis Füz
Ashure

Pianissimo/Edel

Auf einem einzigen Album finden sich selten so verschiedene Rhythmen, von verschiedenen Trommeln gespielt. Mit viel rhythmischem Gespür und melodischem Erfindungsreichtum handhabt Murat Coskun die Rahmentrommeln. Der Freiburger Perkussionist ist ein Meister seines Fachs, allgegenwärtig auf den „Tamburi Mundi“-Festivals, die er vor Jahren ins Leben gerufen und nun in diverse Länder getragen hat, als Mitglied des ­Giora Feidman Ensembles und der Freiburger Spielleyt, als Gast des Freiburger Barockorchesters. Gerade hat Coskun noch den „Tambur Monday“ gestartet, wo er sich sowohl solo vorstellt als auch in neuen Konstellationen erprobt. „Er tanzt mit seinen Fingern auf vielen Hochzeiten“, bilanzierte jüngst die „Badische Zeitung“. So ganz nebenbei legt Cosk un mit „Fis Füz“ das vierte Album vor. Nach 16 Jahren der Zusammenarbeit überzeugt das Trio nach wie vor durch Spielfreude und neue Ideen. Sein Oriental Jazz (Eigenaussage) ist ganz anders als der von Gilad Atzmon, mehr im Weltmusikalischen verhaftet. „Ashure“ wird angerichtet, die süße türkische Suppe mit zwölf Zutaten. Sie stammen aus dem Nahen Osten und der ganzen Mittelmeer-Region. Rhythmen aus dem Balkan, Brasilien, Nordafrika und dem vorderen Orient bilden ein dichtes Geflecht, auf dem Annette Maye (cl, bcl) ihre Melodien aufbaut, die Gürkan Balkan mit metallischen Akkorden auf der Cümbü-Laute zurückhaltend umspielt. Ramesh Shotham als Gast auf vier Stücken steuert neue Klangfarben bei.
Reiner Kobe

Paolo Fresu/A Filetta Corsican Voices /Daniele di Bonaventura: Mistico Mediterraneo
ECM 2203 / 274 5621 (Universal)

Bewegliche Stimmführung ist das Signum der Vokalpolyphonie auf Korsika. Die Mittelmeerinsel hat, wie in unmittelbarer Nachbarschaft auch Sardinien, wo der Jazz-Trompeter Paolo Fresu geboren ist, eine indigene Gesangskunst aus archaischer Zeit bewahrt, die vom Ensemble A Filetta für die Gegenwart progressiv modifiziert worden ist. So entstehen Kontaktstellen zu Extempores, um korsischem „Mistico Mediterraneo“ auf die Spur zu kommen. Mystische Statik umgibt schon zu Beginn den „Rex Tremendae“ (schrecklichen König), wenn ­Daniele di Bonaventura mit dem Bandoneon und ­Paolo Fresu an elektrischer Trompete dissonante Klangkleckse in kompakte Stimmkathedralen mischen. Dabei übernimmt das Instrumental-Duo bei diesem Programm die Aufgabe, verborgene Realien hervorzuholen, indem es den „Liberata”-Gesangsblock aufbricht, die Akkordik lockert und zum Swingen bringt, um sich dann per Leitton-Übergang dem Chor wieder anzuschließen. Eine andere Methode ist, den A-Filetta-Gesang als riesigen Bordun-Blasebalg für eine Bandoneon-Fiesta im 3/4-Metrum „Da tè à mè” und lyrischem Flügelhorn-Solo zu nutzen. Die Verflechtungen von Komposition und Improvisation haben dabei kein festes Mus­ter, aber stets originelle Facetten. Etwa wenn aus dem tiefen tibetischen (sic!) „Le lac” Zirkularmotiv ein hymnisches Tenor-Solo steigt und von Bandoneon und Trompete sublim dekoriert wird. Oder das „Gloria” als Stepp-Vokalise erscheint, die elektrische Trompete fill-ins antreibt, und gar frivol ist „La folie du Cardinal”. Da ist also manchmal eine gewisse Ironie in diesen Mysterien korsischer Polyphonie. Zumal die Männerstimmen von A Filetta (der Name bedeutet: Farn) kein geschliffenes, sondern ein raues Timbre haben, weshalb sowohl sakrale als auch profane Genres nicht unbedingt devot klingen. Vielmehr ist die humane Kraft der Akteure dominant. Ihr Selbstbewusstsein bereitet erst die Basis für Fresu und di Bonaventura, in respektablem lyrischen Stil zu Partnern zu werden. Sie können ihre Jazzidiome somit unaufdringlich anpassen, den Chor um eine Perspektive erweitern, die wesensgleich ist.
Hans-Dieter Grünefeld

That‘s a plenty
Trad Jazz von Rhein und Main

rec. 1954-56, 58
ULTRAPHON U CD 534 (über: Bob‘s Music, PF 615 602, 22433 Hamburg)

Vier deutsche Dixieland-Bands mit insgesamt 25 Titeln, mit spürbarer Begeisterung gespielt – was man bei heutigen jungen Modern-Gruppen oft vermisst. Manche der damaligen Musiker waren schon auf dem Weg zum Profi, so Klaus Doldinger und Heinz Schellerer (der auf den Titeln 9 bis 12 als Klarinettist glänzt). Sehr überzeugend die „Tow Beat Stom­pers“ mit Horst Lippmann, bei einem Titel auch mit Emil Mangelsdorff und Joki Freund. Leider ist der Untertitel der CD (Trad Jazz) irreführend: So wird eine kommerzielle Richtung des englischen Dixieland Jazz bezeichnet (meist mit überlautem Banjo). Keine der Gruppen auf unserer CD klingt so.
Robert Hertwig ist sehr zu danken für diese Wiederveröffentlichung. Gibt es mehr davon?
Joe Viera

Hauschka
Salon des Amateurs

Fat Cat / Roughtrade

Was für ein Klavier! Mal klingt es nach Schlagzeug, mal nach Gitarre, dann wieder flirrend elektronisch oder wie das Knistern einer alten Vinylscheibe. Der Düsseldorfer Klangkünstler Volker Bertelmann zäumt seinen Konzertflügel zu einer Art Mini-Orchester auf. Mit allerlei Gegenständen macht er sich in dessen Bauch zu schaffen: mit Alu-Folie, Bierdeckeln, Wäscheklammern oder gar einem Vibrator. Dass man die Herkunft all dieser klirrenden oder raschelnden Nebengeräusche nicht verorten kann, verleiht dem Sound eine mystische Atmosphäre.
Für Bertelmann, der sich mit Künstlernamen „Hauschka“ nennt, war das präparierte Klavier der Ausweg aus einem Dilemma: So kann er mittels Computer die Klangmöglichkeiten seines Instruments erweitern, ohne an zwei Tastaturen zugleich zu agieren. Dass sein Vorgehen in der Neuen Musik eine jahrzehntelange Tradition besitzt, interessiert Hauschka allerdings nicht: Er dürfte der einzige Pianist sein, der sein Instrument präpariert, um dann doch wieder herkömmlich tonal zu spielen. Der Titel „Salon des Amateurs“ verweist auf den gleichnamigen Club in der Düsseldorfer Kunsthalle, wo Ausstellung und Disco verschmelzen. Hauschka türmt einzelne, sich monoton wiederholende Schichten zu bombastischen Klangwolken übereinander. Begleitet wird er zuweilen von einem Streicherduo, das diese Soundcluster weiter verdichtet. Das Ganze hat einen merkwürdigen räumlichen Effekt – als würde man durch ein dreidimensionales Labyrinth aus ganz verschiedenen Spieluhren tanzen.
Antje Rößler

 

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