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Jazzzeitung

2010/05  ::: seite 15

rezensionen

 

Inhalt 2010/05

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Dick Katz


TITEL - Gegensätze ziehen sich an
Newcomerin Mary Halvorson im Portrait


DOSSIER - Jazzfestivals
Gaume Jazz Festival // Jazzforum Budapest // Jazz-Festival in St. Moritz // Jazzfestival Saalfelden // Jazz Festival Willisau


Berichte

„Trio Elf“ mit neuer CD: „Elfland“ // 34. Leipziger Jazztage // Münchner Konzertreihe AllThatJazz@gasteig // > Vive le Jazz< 2010


Portraits

Aus der Welt des Bojan Z // Dave Brubeck wird 90 // Sängerin Jessica Gall // Yaron Herman // Kristina Kanders // Collectif LeBocal // Trombone Shorty


Jazz heute und Education
Der Jazz-Komponist Simon Scharf // Mediation im Kulturbereich // Dresdens Jazzclub Neue Tonne freut sich auf die Geburtstags-Saison Abgehört: Ein Solo für die Melodica: Larry Goldings: (I‘m Your) Jellyman
Larry Goldings: (I‘m Your) Jellyman

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

neues von gestern

Von Marcus A. Woelfle

Magic Clarinet
World Music Instruments: The Single Reed Instruments

NoEthno

In unserer Zeitenwende, in der die meisten Musikhörer Musik bequem aus dem Netz herunterladen und auf Begleittexte verzichten, die auf den Original-CDs bisweilen ohnehin fehlen oder kaum mehr Substanz als Werbetexte hergeben, in einer Epoche, in der sich der Wissensdurstige lieber gleich bei Google und Wikipedia durchlinkt, statt haareraufend in seiner Bibliothek nach einem (zum gesuchten Thema meist ohnehin nicht vorhandenen) Buch zu fahnden, ja, in dieser Gegenwart müssen sich Buchverlage und Plattenfirmen schon etwas einfallen lassen, um die physische Exis-tenz ihrer Medien im 21. Jahrhundert zu sichern.

Meine, vielleicht naive, Hoffnung auf ihren Erhalt richtet sich auf Musik-Text-Kopplungen, die auf Grund ihrer Materialfülle so umfassend unterrichten, so reich bebildert und so liebevoll gestaltet sind, dass man sie einfach besitzen will. Sie werden noch als Schatz behütet werden, wenn längst alle nach einmaligem Lesen aus dem Leim gehenden Taschenbücher und alle CDs ohne Informationswert durch den Rechner ersetzt wurden. Genau solche letztlich unkopierbare Editionen, die noch dazu preisgünstig und platzsparend sind, beschert uns das kleine Label NoEthno, das sich an das etwas waghalsige Projekt gemacht hat, eine Enzyklopädie „World Music Instruments“ in einzelnen Digibooks vorzulegen. Aus Jazzsicht war bislang vor allem das vor ein paar Jahren erschienene „Magic Banjo“ sehr empfehlenswert. Nun lockt vorliegendes Werk sich mit der Klarinette zu beschäftigen und dabei jene Musikfreunde, die es nicht ohnehin tun, zugleich über den Tellerrand des Jazz hinauszusehen.
Jazzhistorisch betrachtet ist die Klarinette ein Instrument der allerersten Stunde, das schon im alten New Orleans unzählige begnadete Solisten wie Sidney Bechet beflügelt, im übrigen aber neben Trompete und Posaune seinen ganz fest definierten Platz in der Frontline der Oldtime-Kapellen hat. Während einer kurzen Zeit, der Swing-Ära, nimmt die Klarinette eine Sonderstellung ein, die man als scheinbare Dominanz bezeichnen könnte. Einerseits ist es ein Instrument der großen erfolgreichen Bandleader – Benny Goodman, Artie Shaw, Woody Herman und so weiter – andererseits befindet sich die Klarinette trotz der Popularität ihrer Vertreter im Rückzug, während das im frühen Jazz weniger bedeutende Saxophon seinen Siegszug antrat.

Im modernen Jazz fristet die Klarinette ein Schattendasein, wird nur von begnadeten Virtuosen wie Buddy De Franco oder im übrigen auch in ihrer sonstigen musikalischen Charakteristik einzelgängerischen Persönlichkeiten wie Jimmy Giuffre oder Tony Scott gespielt. Die Avantgarde mit ihrer Vorliebe für ungewöhnliche Klangfarben wies der von Eric Dolphy radikal expressiv gespielten Bassklarinette einen Platz zu, im Übrigen aber ging es der Jazz-Klarinette seit langem nicht mehr so gut wie seit den 90erJahren.

Ob ein Don Byron auf Klezmer zurückgreift, ein Gianluigi Trovesi auf italienische Volksmusik, ein Paquito d’Rivera auf kubanische Sounds, Michael Riessler auf so genannte Neue Musik oder ein Louis Sclavis gleich seine „imaginäre Folklore“ gestaltet, immer wieder sind es neben den „roots“ auch scheinbar jazzfernere Wurzeln, die dem Instrument seine Vorrangstellung im Jazz zurückerobern.
In dieser Situation kommt „Magic Clarinet“ gerade recht: 95 fundierte, verschwenderisch reich bebilderte Seiten und 3 CDs mit sachkundig ausgewählten und kommentierten Stücken machen die Sammlung zum perfekten Mittelding zwischen knappem Kompendium und überbordendem Wälzer. Bernhard Hanneken, der Leiter des Weltmusikfestivals TFF Rudolstadt, erzählt die über 300-jährige Geschichte des Instrumentes, stellt die Interpreten vor und hat die zum Teil bislang unveröffentlichten Beispiele mit viel Geschick zusammengestellt. Viele der genannten Jazzer fehlen zwar, wer hätte aber so große Vielfalt erwartet?

Wir begegnen Paulo Moura wieder, dem vor wenigen Monaten verstorbenen Brasilianer, wir erleben Alexandre Stellio aus Martinique, der die Beguine popularisierte, den überragenden Klezmer Naftule Brandwein, Benny Goodman mit einem Stück von Béla Bartók – nichts davon ist Jazz und doch hat das alles mit Jazz so viel zu tun. Obwohl die Anthologie wegen der Fülle des historischen Materials hier in „neues von gestern“ rezensiert wird, ist sie auf aktuellem Stand.

Die dritte CD enthält das fast vollständige eines klarinettistischen Gipfeltreffens, das 2001 in Rudolstadt stattfand. Eine runde Sache, bei der kleinere Ausrutscher – De Franco mit Herman Foto – keine Rolle spielen.

Am besten gefällt mir inzwischen etwas, das ich – vor dem Anhören – vermisst habe und mich vielleicht sogar vor einem Kauf abgeschreckt hätte: Die weder chronologischen, noch geographischen oder scheinbar keinen stilistischen Kriterien folgende Anordnung. In Wahrheit folgt die Abfolge einer ausgefuchsten musikalischen Logik.

Es ist sinnvoll, Bechet, dessen Musik bisweilen einen spanish tinge aufwies und der übrigens auch karibische Stücke eingespielt hat, zwischen Eugène Delouch aus Martinique und Paquito d’Rivera aus Kuba zu hören.

Es passt, auf den Klassik-Star Sabine Meyer mit Musik von Darius Milhaud, der von brasilianischer Musik inspiriert wurde, einen von Moderna Tradiçao geprägten brasilianischen Choro folgen zu lassen.
Gerade solche Zusammenhänge werden aber dann seltsamerweise gar nicht erläutert, werden dem erspürenden Heraushören überlassen.

Doch auch ohne diese Kenntnisse erfreut man sich immer wieder an den überraschenden, doch sich stets in Harmonie zusammenfügenden Kombinationen der Elemente.

So wird von Stück zu Stück immer klarer: Was andere Instrumente von sich glauben machen wollen – egal – die Klarinette ist wirklich ein wahres Weltmusikinstrument.

Zoot Sims: Zoot/Zoot Sims Plays Alto, Tenor And Baritone
Poll Winners Records

Mit immer neuem Entzücken möchte ich auf das Glücksgefühl hinweisen, das Zoot Sims Spiel dafür empfänglichen Gemütern bereiten kann. Manche Improvisatoren, darunter besonders viele heutige, scheinen ja einen kleinen Mann im Ohr zu haben, der ihnen einflüstert: „Mach es möglichst kompliziert, damit sie große Augen machen, spiel etwas noch nie Dagewesenes, um in die Schlagzeilen zu kommen.“

So einer Versuchung scheint er nie erlegen zu sein. Hätte er einen Einflüsterer gehabt, so hätte dieser gesagt: „Entspann Dich, halte es übersichtlich, swinge einfach zu deinem Vergnügen drauflos.“ Wir stehen dann, wie bei dieser Scheibe, vor einem Ergebnis absoluter Spontaneität und unprätentiöser Spielfreude: Jede Tonfolge fließt dabei in so natürlicher, swingend-zwingender Folgerichtigkeit dahin, dass man glaubt, nur dieser Verlauf sei in diesem Augenblick möglich und sinnvoll. Das Album „Zoot“, auf dem er 1956 vom Pianisten Johnny Williams, dem Bassisten Nabil „Knobby“ Totah und dem Drummer Gus Johnson assistiert wurde, brachte dem Meistertenoristen fünf Sterne im Downbeat ein. Das mit gleichem Rhythmusteam eingespielte Folgealbum „Zoot Sims Plays, Alto And Bariton“, erhielt nur vier. Vielleicht war es dem Kollegen wohl für einen echten Sims zu prätentiös, führt es Zoot doch mit ungewohnteren Instrumentarium, dank Playback im Satzspiel mit sich selbst und sogar als Sänger vor.

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