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Jazzzeitung

2010/03  ::: seite 13

rezensionen

 

Inhalt 2010/03

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Naomi Susan Isaacs Farewell: Herb Ellis / Lena Horne


TITEL -
Stimm-Recht
Bobby McFerrin, Michael Schiefel, Theo Bleckmann & Co


DOSSIER -
Der Spaziergänger von Hollywood
Der Komponist Harold Arlen


Berichte

Jazz ECHO-Verleihung in Bochum // Internationale Jazzwoche Burghausen 2010 // Jazzahead 2010 // Tim Allhoff Trio erhält Neuen Deutschen Jazzpreis // Sylvie Courvoisier und Mark Feldman im Théatre Vidy in Lausanne // Schweizer Trio Rusconi nähert sich dem wilden Punk-Rock von Sonic Youth


Portraits

Martin Kälberer // Jacques Loussier // Charlie Parker // Lisa Wahlandt


Jazz heute und Education
Das Groove Research Institute Berlin // In Münchens Jazzszene etablieren sich neue Spielorte // Festivals in Frankreich: Blick ins Paradies? // Abgehört: Kurt Ellings Verse über ein Solo von Dexter Gordon

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

CDs

Bill Carrothers
Joy Spring

Pirouet Records PIT3046

Clifford Brown hinterließ trotz seines erschreckend kurzen Lebens ein Erbe, das über Generationen reicht. Wenn sich nun der Pianist Bill Carrothers mit der Hinterlassenschaft des legendären Trompeters beschäftigt, darf mit einer besonderen Hommage gerechnet werden. Zu simpel wäre das Zitat, zu kleingeistig das Recycling, zu banal die Antithese. Bill Carrothers ist ein Mann für unberechenbare, zugleich feingeistig filigrane Kreativität.
Seine Stärke liegt in einer ganz eigenen, sublimen Musikalität, die den Zwischentönen hohen Wert beimisst, nachdenklich und nachdrücklich den eigenen Kopf ins Spiel bringt, ohne dabei überhöht dogmatisch daherzukommen. Weder der Versuchung zum Pathos noch der zur allzu naiven Adaption erliegt das denkbar anregend interagierende Trio mit Carrothers, Drew Gress, Bass, und Bill Stewart an den Drums. Keine Lautstärke, keine plakative Virtuosität, kein verdrehtes Anderssein um jeden Preis. Nach einem quirlig tänzelnden „Junior‘s Arrival“ nähert sich das Titelstück fast wie in Zeitlupe dem Kern der Komposition, legen „Jacqui“, „Gertrude’s Bounce“ „Time“ und „Powell’s Prances“ die kreative Spur zu Bud Powell‘s Bruder Richie, der ebenfalls bei dem Autounfall ums Leben kam. Der Bogen spannt sich über die Brown-Originals „Gerkin For Perkin“, „Daahoud“ und „Tiny Capers“ und gern von ihm gespielte Stücke – „Delilah“ und „Jordu“ – bis hin zu Benny Golsons „I Remember Clifford“. Eindringlicher und zugleich eigenständiger ist solches kaum vorstellbar.
Tobias Böcker

Bobby McFerrin
VOCAbuLarieS

Emarcy 0602527255569 / Universal

Es hat kosmische oder zumindest unsere ganze Welt umspannende Züge, das Unterfangen, dem sich Bobby McFerrin gemeinsam mit dem klassisch ausgebildeten Komponisten, Arrangeur und Sänger Roger Treece stellte. Der eigentliche Anlass war eher profan – Treece hörte sich auf Veranlassung von McFerrins Managerin durch ein paar hundert Stunden Liveaufnahmen McFerrins. Sei’s drum: Sieben Songs in ebenso vielen Jahren schrieb Roger Treece am Ende für das Projekt – faszinierend, wie hier Zahlenmagie und Spiritualität einfließen. McFerrin, der schon des öfteren mit „Voicestra“, seinem zwölfstimmigen Gesangsimprovisationsensemble, unterwegs war, bringt auf dem neuen Album seine Motivationsfähigkeit für andere und seine stimmliche Einzigartigkeit voll zum Tragen. Letztlich erschafft der mehrstimmige Gesang auf „VOCAbuLarieS“ durch den Einsatz von fünfzehn Sprachen und McFerrins „eigener“ Sprache eine bislang ungehörte Vokalkunst, ein neues, grenzüberschreitendes, dabei für alle Menschen verständliches Genre. Denn Worte, egal ob sie inhaltlich verstanden oder lediglich als menschliche Äußerung wahrgenommen werden, sind es, worin wir uns alle wiederfinden – als „Spezies Mensch“. Und auf dieser CD, mit sparsamer Begleitmusik, entspringt aus der Sprache eine wohlige Wärme, entsteht aus Worten eine friedvolle Ansprache an die Menschheit. Reiner Gesang ergibt letztlich eine Musik voll harmonischer Schönheit. Erstaunlich, wie schnell da Schubladendenken oder auch Ländergrenzen zur Bedeutungslosigkeit verblassen…
Carina Prange

Fred Frith Cosa Brava
Ragged Atlas

Intakt Records 2010

Fred Frith, ein Impressionist, der Emotion aus elektrifizierter Klangfarbe zu schöpfen weiß - oder der einfühlsame Komponist, der in melodiösen Songstrukturen denkt und diese mit kongenialen Mitmusikern zur Entfaltung bringt? Auf seinem neuesten Album demonstriert der Brite vor allem letzteres. Vereint findet sich hier sein Spiel mit langjährigen Weggefährtinnen und -gefährten wie Zeena Parkins und der Violinistin Carla Kihlstedt. Was sind das für Song-Epen, die sich hier in 13 langen Stücken aufbauen, und in denen sich viele Bezüge aus der reichen Schaffenshistorie von Fred Frith aufs kunstvollste verwoben finden! Die sich oft zu rockiger Emphase, dann wieder zu fragilen Momenten subtil-betörender Schönheit aufschwingen! Collagenhaft und in tänzerischer Leichtigkeit geht es durch epische Labyrinthe. Sperrig-verspielte
Progrock-Versatzstücke erinnern an Frith` alte Bands wie Henry Cow. Hier fungieren sie als dynamisches Bindeglied, um sich poetische Gesangsparts, Klangkunst, Improvisation und immer wieder auch Folk einzuverleiben. Musikantisch leicht wirkt das Spiel zwischen Fred Frith und dem Spiel auf Akkordeon und E-Harfe von Zeena Parkins. Und Fred Frith greift zum E-Bass, um dem sphärisch-folkigen, dann wieder latent orientalisch gefärbten Violinspiel von Carla Kihlstedt einen verlässlichen Boden zu schenken. Dies alles wirkt bei aller Vielschichtigkeit echt und klar in der Aussage, weil fragile, tief persönlich anmutende musikalische Ideen sämtlichen komplexen Bögen mit ihren raffinierten Schnitten, Wendungen und doppelbödigen Soundeffekten zugrunde liegen.
Stefan Pieper

Michael Schiefel
My Home Is My Tent

Traumton 4539

Momentan weiß man gar nicht, welche Vokal-Solo-Veröffentlichung man zuerst hören soll. Da gibt es Neues von Bobby McFerrin, Theo Bleckmann und Michael Schiefel. Mit seinem fünften Solo-Album „My Home Is My Tent“ hat sich Michael Schiefel gegenüber seinen Kollegen vor allem eines bewahrt: eine absolute Natürlichkeit, die trotz der gewählten „Alben-Thematik“ nie gekünstelt oder aufgesetzt daherkommt. Schiefel gewährt hier einen lyrisch kosmopolitischen Einblick der von ihm bereisten Großstädte in den letzten Jahren und reflektiert mit 100prozentigen vokalen Solo-Äußerungen seine Eindrücke. Dabei verliert er sich nicht in selbstverliebte Stimmakrobatik, sondern bewahrt trotz aller Komplexität seiner Kompositionen eine ungeheure Leichtigkeit und einen inspirierenden Groove. Ob Scatgesang oder Beatbox, abgefahrener Text- und/oder Sprachwitz, sein vokales Klangspektrum begeistert von Anfang bis Ende. Zusätzlich nutzt er ein speziell entwickeltes Loopgerät, das ihm auch live ermöglicht, verschiedene Stimmen übereinander zu lagern, und mit ein paar weiteren elektronischen „Spielereien“ gewinnt er praktisch unbegrenzte Möglichkeiten, seine Solo-Stimme in Szene zu setzen. Dazu gesellt sich dann der typisch schiefelsche Schelm mit Spaßfaktor. Bei allem Tiefgang und Virtuosität schwingt bei ihm immer eine große Portion Humor mit, was ihn in die Lage versetzt, auch Ungewöhnliches ernsthaft, ohne groß aufgesetzte Dogmatik, auszuprobieren. Erster Impuls nach dem Hören seiner CD: Lust auf die Repeat-Taste!
Thomas J .Krebs

Keith Jarrett/Charlie Haden
Jasmine

ECM 2165 (2733485)

Jarrett und Haden tauchen mit ihrer Musik ab. Ab in den Keller einer intensiv-intimen Insichgekehrtheit – wozu die sehr „trockene“ Aufnahmeakustik ihren Teil beisteuert. Die zwei Musiker musizieren hier auf extrem hohem Entspannungsniveau. Der Duktus ist im Wesentlichen karg, das Improvisationsgeschehen ist alles andere als blendend. Was so leicht dahinzuplätschern scheint, ist aber sehr wohl alles andere als nebensächliches Gedudel. So leer zu spielen wird nicht deshalb zwangsläufig hohl. Selbst kleinste Phrasen zu beseelen, ist hier das Ereignis. Insgesamt gelingt das alles bei Jarrett besser als in den noch schwerlich gefüllten Soli von Haden. Das ästhetische Verfahren schließt nicht aus, das in dieser losen Musik auch hochverdichtete polyphone Passagen sich ereignen wie auf Track 3 (No Moon At All). Umso mehr fällt auf, wenn es auch mal nicht funktioniert, wie in einer erstaunlich unkonzentrierten Passage bei Haden auf Track 1 (For All We Know), wo ein Basston förmlich herausknallt. Unwahrscheinlich, dass dies gewollt gewesen sein mochte.
Bei solcher expressiven Rücknahme werden die Schlusskadenzen komischerweise offenbar zu einem Problem: In vielen Stücken halten sie eigenartige Überraschungen bereit, positionieren einmal quasi kontradiktorisch das Ausschleichen durch harmonische und/oder rhythmische Ausweichungen oder wollen lapidar scheinbar auf der Dominante enden, wenn man da nicht noch im Grundton hintanklappern ließe.
Martin Hufner

Dick Hyman‘s Century of Jazz Piano (5 CDs + 1 DVD)
Arbors ARCD 19348

Dick Hyman gehört sicherlich zu den vielseitigsten Pianisten der Jazzgeschichte. Vom Ragtime bis zum Bebop (er ist der Pianist in Charlie Parkers Videoaufnahme von „Hot House“) beherrscht er eine Vielzahl von Spielweisen, die sich nicht nur im musikalischen Material, sondern auch im Anschlag sehr unterscheiden. Jetzt aber hat er sich selbst noch übertroffen und in 100 (!) Soloaufnahmen, drei Titeln mit einem Bassisten und einem mit einem zweiten Bassisten in hervorragender Tonqualität die Entwicklung des Jazzklaviers von den Anfängen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts nachgezeichnet (1996/97 gab es schon einmal eine Vorstufe dieses Projekts). Nur selten sind es notengetreue Interpretationen; zumeist handelt es sich um Stücke mit minimalen, gelegentlichen oder substanziellen Veränderungen (jeweils im Booklet angegeben). Das Ganze ist in 23 Abschnitte eingeteilt, die stilistisch von „Ragtime: First Signs, Birth, Flowering“ bis zu „Unstructed Free Improvs“ reichen. Letztere gehören zu den Höhepunkten der Kassette, geprägt von starkem Formwillen und Sinn für Spannung und Dynamik, ohne je in Redseligkeit zu verfallen. Da steht Hyman Paul Bley näher als Keith Jarrett.
Die Ergebnisse dieser Reise durch die Jazzgeschichte sind unterschiedlich, müssen es auch sein, dafür ist die Aufgabe, die sich Dick Hyman gestellt hat, auch einfach zu groß. Hier ist nicht der Platz, um auf jeden Titel einzugehen, daher nur ein paar Anmerkungen: „Little Rock Getaway“ (Joe Sullivan) ist brillant gespielt, ebenso „Fingerbuster“ (Willie „The Lion“ Smith); „Complainin“ (Luckey Roberts/Jess Stacy) besticht durch subtiles timing; „Tonk“ (Duke Ellington/Billy Strayhorn) ist wie aus einem einzigen Atem heraus gestaltet - fabelhaft; „A delicate balance“ (Marian McPartland) wird dem Titel voll gerecht; „Django“ (John Lewis) gewinnt neue Aspekte durch die ebenso behutsame wie bestimmte Führung der linken Hand. Was Dick Hyman nicht liegt, ist ein perkussiver Anschlag wie ihn etwa Thelonious Monk verwendete. So spielt er an ihm glatt vorbei. Monk ohne seine Klaviertechnik und ohne Monk-Akkorde - das funktioniert nicht. Ähnlich geht es ihm mit McCoy Tyner, nicht aber interessanterweise mit Cecil Taylor. Doch auch so bleibt dieses enzyklopädische Unterfangen bewundernswert, als einzelner Musiker den gewaltigen Bereich des Jazzklaviers in den Griff zu kriegen. Und ein besonderes Lob gebührt ihm dafür, dass kein einziges Stück zu lang geraten ist!
Die letzten 14 Titel sind ein Kapitel für sich, nämlich eine Neuaufnahme der „Etudes for Jazz Piano“ von 1982 (Kendor Music) - allerdings fehlt ein Titel. Jedes der auskomponierten kurzen Stücke ist einem anderen großen Jazzpianisten gewidmet, von Jelly Roll Morton bis Bill Evans. Dem Heft lag damals eine Schallfolie bei, aufgenommen von Dick Hyman. Jetzt haben wir zwar eine Neuaufnahme dieser überaus gelungenen Miniaturen, aber es fehlen leider die Noten. Beides zusammen ist unentbehrliches Studienmaterial für Pianisten wie für Arrangeure und Komponisten.
Und dann gibt es in dieser Box noch eine DVD mit 13 Lektionen, in denen uns Dick Hyman mit wesentlichen Klavierspielweisen des Jazz vertraut macht. So nebenbei „entzaubert“ er auch einige der ornamentalen Läufe Art Tatums, die leichter zu greifen sind als viele glauben. Vier Bonustracks ergänzen diesen sehr sympathischen Klavierunterricht - was will man mehr?
Noch ein Tipp: Dick Hymans Buch „Piano Pro“ von 1992 (Ekay Music/ISBN 0-943748-61-5) ist eine wunderbare Ergänzung: eine höchst lesenswerte Sammlung von Geschichten aus seinem Leben, mit viel Witz erzählt, ergänzt um zahlreiche Notenbeispiele.
Joe Viera

The Don Rendell/Ian Carr Quintet
Shades of Blue (1./2.10.64) – Dusk of Fire (16./17.3.66)

2 CDs, BGO Records BGOCD 615

Zwei der besten CDs einer führenden englischen Jazzgruppe der 60er-Jahre, mit wunderbar gelöstem und zugleich konzentriertem Zusammenspiel, wie es nur eine langjährige in gleicher Besetzung bestehende Band zustande bringt, dazu Themen und Arrangements mit Substanz. Neben den beiden Bläsern gehörten Dave Green, b, (sehr souverän) und Trevor Tompkins, dm, dazu. Anstelle von Pianist Colin Purbrook spielte auf der zweiten CD Michael Garrick. Höhepunkt auf CD 1, die ganz dem Blues gewidmet war („in form or feeling“, wie es im Booklet heißt), ist für mich. „Just Blue“, auf CD 2, das nur aus first takes besteht (!), „Spooks“, in Thema und Entwicklung an George Russell erinnernd. Bemerkenswert im übrigen die unterschiedlichen Stimmungen, über die diese Besetzung verfügte. Und Don Rendell zählt allein schon mit diesen beiden CDs zu den großen europäischen Jazzmusikern.
Joe Viera

Stacey Kent
Raconte-moi…

Blue Note/ EMI

Stacey Kent galt bislang als Interpretin des Great American Songbook. Nun hat die amerikanische Sängerin ihre Liebe zu Frankreich in Töne gegossen. Die neue Platte „Raconte-moi…“ ist bestückt mit zwölf federleichten, bittersüß-melancholischen Stücken, die wie Luftballons im Grenzbereich zwischen Jazz und Chanson schweben. Stacey Kent singt natürlich und unprätentiös; sie vertraut auf den warmen, sinnlichen Klang der französischen Sprache. Dass die Songs so wunderbar transparent, verträumt und entspannt daher kommen, liegt aber auch an den kammermusikalisch schlichten, dennoch stets originellen Arrangements. Mal kreuzt eine Oboe die Singstimme, dann wieder tupft das Klavier leuchtende, impressionistische Harmonien. Den Auftakt macht eine Bossa-Nova von Carlos Jobim, die dank der leichtfüßig beschwingten Gitarrenbegleitung einen milden Frühlingstag herauf beschwört. Die Stimmung der schönsten Jahreszeit von allen wird im Jazz-Standard „C’est le Printemps“ vertieft. Einen Kontrast bilden die kühl tropfenden Klavier- und Xylophon-Akkorde in „Jardin d’hiver“, dem „winterlichen Garten“ – mit diesem Stück verbeugt sich die Sängerin vor dem legendären Chansonnier Henri Salvador. Ein einsam und melancholisch hinkender Walzer entstammt einer Filmmusik aus den 50ern. Mehrere Songs ließ sich Kent von jungen Musikern aus Frankreich auf den Leib schreiben. Sie zeigen, wie einfallsreich und vielseitig man dort heute mit dem Chanson-Erbe umgeht.
Antje Rößler

Paragon
Quarterlife Crisis

Shakewell Records

Morgens um 5.00 Uhr. Man schlendert mit Peter Ehwald aus dem Jazz-Club durch das graue, menschenleere Köln. Man spürt eine leichte Schläfrigkeit, angenehm, entspannt, kickt eine Zigarettenschachtel zur Seite, und dann kommt dieser Swing wie der Geruch nach frischen Brötchen um die Ecke... Einen ganz anderen Drive hat London. In der Komposition „Tiny Thompson“ hetzt man mit Arthur Lea durch die Metropole in der Rushhour. Und schon ist man mitten drin in „Quarterlife Crisis“, dem dritten Stück der gleichnamigen CD von Paragon. Hinter dem geheimnisvollen Namen stehen vier eigenständige Musikerpersönlichkeiten, die sich durch Perfektion sowie ein fantasievolles wie intelligentes Improvisationstalent auszeichnen. Den komponierenden Kern bilden der Saxophonist Peter Ehwald und der Pianist Arthur Lea, die seit ihrem ersten gemeinsamen Auftritt 2003 im Londoner Jazzclub 606 eine musikalische Symbiose eingehen. Ehwald ist bekannt für seine Kunst, zu arrangieren und auf dem Saxophon zu experimentieren. Er versteht es, besonders die leisen Töne poetisch zu nuancieren. Leas fantasievolle Spielfreude lobte niemand treffender als John Fordham im „Guardian“: „Er ist wie ein Thelonious Monk des 21. Jahrhunderts.“ Akzentuiert bläst er das in England populäre Tenor Horn. Nicht zu unterschätzen sind der Bassist Matthias Akeo Nowak und der Drumer Jon Scott. Die beiden versierten Instrumentalisten sorgen für einen packenden Rhythmus, sie tragen die Melodie, fordern sie heraus und treiben sie an.
Anne Kotzan

Various Artists
While my guitar gently weeps

Acoustic Music Records/Rough Trade

Hier ,weept’ beileibe mehr als eine Gitarre. Im Ganzen sind es acht Instrumente, auf denen ebenso viele Interpreten von Labelchef Peter Finger, über US-Gitarrenmeister Eric Lugosch bis zum französischen Fingerstyler Francois Sciortino die zeitlose Musik der Fab Four in neuer Form erstrahlen lassen. 16 Beatles-Titel, darunter die wenig bekannten Kompositionen „I Will“ und „In My Life“ – mit genießerischer Lust an jazzigen Akzenten, wunderbaren Ideen und warmherziger Lässigkeit von Lugosch gespielt – hat der Produzent für die Compilation ausgewählt. Neben zigtausend Nachfolgern vom Beatles-Chor über diverse Coverbands bis zu „Beatles auf Saxophon“, Eierbechern oder Mundorgeln, ist es ein angenehmer Genuss, die bekannten Melodien und Themen einmal in der begrenzten Version von Solisten unplugged zu hören. Opener und Schluss gestaltet Finger mit einer nahe am Original liegenden Interpretation des Gassenhauers „Ob-La-di, Ob-La-Da“ und einer bezaubernden Fassung des titelgebenden George-Harrison-Klassikers „While My Guitar Gently Weeps“. Die übrigen Songs stammen alle vom genialen Duo McCartney/Lennon. Ein wundervolles, süffiges „Norwegian Wood“ steuert Lex van Amsterdam bei, Sciortino lenkt mit Schwung und Swing „Drive My Car“ und vor allem „Eight Days A Week“ über die in der Mittagssonne leuchtende Gitarrenpiste. Durch und durch hörenswert.
Michael Scheiner

Martin Ehlers Trio feat.
Ingolf Burkhardt: Feel the light

NRW Records

Bislang hat Martin Ehlers zwei Alben ausschließlich mit Eigenkompositionen vorgelegt, das dritte folgt jetzt konsequent. Den Durchbruch hat der norddeutsche Pianist, der bislang als Arzt an der Waterkant arbeitete, bislang nicht geschafft. Wie auch, bei dieser Doppelbelastung. Bei JazzBaltica im vergangenen Jahr aber ließ er aufhorchen. Nach allzu satten Klangmalereien stellt Ehlers jetzt eher seine lyrischen Qualitäten heraus, reich an Farben, Harmonien und Melodien. Inspiriert von Bugge Wesseltoft und Esbjörn Svensson, dem er das Schluss-Stück „Don´t forget“ widmet, reflektiert der Pianist mit seinem Trio eine Reihe privater Einschnitte von Leben, Liebe, Tod. Entstanden sind lyrische, melodisch stimmige Studien, getragen von elegantem Anschlag. Die innere Ruhe, die alle acht Stücke ausstrahlen, kontrastiert gelegentlich Ingolf Burkhardt. Insgesamt aber hält sich der Gast, der in der NDR-Bigband Trompete bläst, zurück. Seine Klangfarben durchbrechen die verhangene, melancholische Grundstimmung mit neuen Klangfarben, ohne den Fluss der Interpretation zu beinträchtigen. So bleibt das klassische Klaviertrio im Rahmen. Martin Ehlers, der durch Konzerte mit Joachim Kühn zum Jazz gefunden hat, füllt ihn nicht profillos aus. Mit romantischem Impetus und traumwandlerischem Zusammenspiel kommt man auch weiter; heilsam ist diese Musik allemal.
Reiner Kobe

Marcus Bartelt & Martin Sasse
Into the Blue

yvp music 3155

Jeder hat ihn im Ohr, den brodelnden Groove, wenn sich Saxophonisten mit Meistern auf der Hammond zusammen fanden, etwa Eddie „Lockjaw“ Davis mit Shirley Scott, Johnny Hodges mit Wild Bill Davis, Roland Kirk mit Jack McDuff. Stets waren es Alt- und Tenorsaxophonisten. Aber da gab es – unter George Benson – auch mal ein tolles Orgel-Bariton-Gespann: Dr. Lonnie Smith und Ronnie Cuber. Dieses Paar hatten sich Pianist Martin Sasse und Baritonsaxophonist Marcus Bartelt zum Vorbild genommen, als sie vor zwei Jahren das „Into the Blue“-Quintett zusammenstellten, um ihrer Bewunderung der berühmten Orgel-Sax-Bands der 50er- und 60er-Jahre zu frönen. Zahlreichen Live-Auftritten folgt nun diese in Tempi und mood fein abgestimmte CD. Die Orgel ist zwar Sasses „zweites“ Instrument, aber er spielt es nicht weniger swingend und virtuos wie das Piano. Und Marcus Bartelt, einer der gefragtesten Baritonspieler in Deutschland und Benelux, nebenbei auch noch Gründer des Cologne Contemporary Jazz Orchestra in Köln, improvisiert leichthändig und flüssig, als spiele er Tenor oder Alt. Johannes Behr, g, Ingo Senst, b, und Jens Düppe, dr, drei feste Größen der rheinischen Jazzszene, liefern nicht nur das stimmig groovende Rhythmuskorsett, sondern bieten auch solistische Klasse. Vier Titel stammen von Bartelt, drei von Sasse. Dazwischen ganz wunderbar interpretiert: Billy Strayhorns „Chelsea Bridge“. Ein Juwel des Soul Jazz.
Dietrich Schlegel

Science Fiction Theater
Pimp Town

Traumton/Indigo

Inspiriert von den Weisungen der Zukunft vergangener Jahrzehnte, hat Christoph Grab eine Mannschaft um sich versammelt, die noch jedes gottverdammte Nest für sich einnehmen wird. Mit acht Stücken beschert uns dieses Theater einen Gang über einen Jahrmarkt, dessen Attraktionen bessere Tage kennen, sich selbst aber einnehmend gut gefallen. An Anfang und Schluss dreht sich dieses Karussell in eine „Sweet Paranoia“, dazwischen warten Schießbudenfiguren wie „Esmeralda“ und „Dirdy Birdy“ auf ihren Abschuss durch die „Killertomaten“. Die prophetischen Gesten echter Filmkomponisten wie Ennio Morricone oder Nino Rota veranlassen den Schweizer Saxophonisten anscheinend auch zu einer Hommage an ihre Typenentwürfe und Stimmungen... Demnach darf die Gitarre vorweg surfen oder an ihre Rolle in Duellen abgehalfterter Pistoleros erinnern, die Bassklarinette eine Vorstadt-Stripperin mit schmonzettigen Melodien umwerben. Dazu zirpen die Rhodes vor sich hin, eine Melodica säuselt und die Perkussion unterbietet sich einmal selbst im schleppenden Rhythmus eines abgebrühten Routiniers. Dabei erfasst Tobias Schramm den B-Movie-Sound der 1960er Jahre vom Draufhauen bis hin zum liebevollen Begleiten. Erstaunlich, wie spielerisch Grabs Stücke Assoziationen mit liebgewonnenen Schrägheiten der Filmgeschichte schüren, bedeutungsschwangere Stimmen aus dem Kinojenseits tun ihr übriges.
Franziska Buhre

Larry Porter Group with Guests
Silk Road Blues

Flowfish Records/Broken Silence

Legt man die neue CD von Larry Porter in den Spieler, erwarten den Hörer ungewohnte Klänge. Aber von diesem Musiker wird man immer wieder überrascht. Zu vielseitig sind seine musikalischen Interessen, egal ob als Interpret oder Komponist. Das wurde besonders deutlich, als sein Streich-Quartett vor vielen Jahren (in Taufkirchen bei München?) zu hören war. Der Amerikaner Larry Porter lebt seit über 30 Jahren mit Unterbrechungen in Europa, hat sich aber auch in Ländern wie Japan und Indien umgesehen und Musik dieser Regionen verinnerlicht. In der vorliegenden CD sind es überwiegend Klänge aus Indien und Afghanistan, die seine Kompositionen beeinflussen. Es sind nicht nur Rhythmen und Skalen der Musik dieser Länder, auch Instrumente wie Rebab und Tabla sorgen, mit den Jazz-Wurzeln von Larry Porter, für ein spannendes Zusammenspiel der Kulturen. Nur selten gibt es einen Bruch zwischen den ‚traditionellen‘ Einleitungen und den dann doch ‚swingenden‘ Themen und Improvisationen. Das ist aber nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Aufbau und Länge der Themen in diesen Kulturkreisen die Kapazität jeder CD (aber auch die der meisten westlichen Hörer) überfordern würden. So ist Larry Porter mit seiner Band und diversen Gast-Musikern mit dem ‚Seidenstraßen Blues‘ eine Mischung gelungen, in der manche doch fremdartige Klänge und Rhythmen mit den swingenden Elementen des Jazz eine Einheit bilden.
Manfred Scheffner


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