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Jazzzeitung

2010/03  ::: seite 18

jazz heute

 

Inhalt 2010/03

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Naomi Susan Isaacs Farewell: Herb Ellis / Lena Horne


TITEL -
Stimm-Recht
Bobby McFerrin, Michael Schiefel, Theo Bleckmann & Co


DOSSIER -
Der Spaziergänger von Hollywood
Der Komponist Harold Arlen


Berichte

Jazz ECHO-Verleihung in Bochum // Internationale Jazzwoche Burghausen 2010 // Jazzahead 2010 // Tim Allhoff Trio erhält Neuen Deutschen Jazzpreis // Sylvie Courvoisier und Mark Feldman im Théatre Vidy in Lausanne // Schweizer Trio Rusconi nähert sich dem wilden Punk-Rock von Sonic Youth


Portraits

Martin Kälberer // Jacques Loussier // Charlie Parker // Lisa Wahlandt


Jazz heute und Education
Das Groove Research Institute Berlin // In Münchens Jazzszene etablieren sich neue Spielorte // Festivals in Frankreich: Blick ins Paradies? // Abgehört: Kurt Ellings Verse über ein Solo von Dexter Gordon

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Wachstum in Monokultur

In Münchens Jazzszene etablieren sich neue Spielorte

Horrende Mieten und Nebenkosten, die Macht der Brauereien, die ortstypische Neigung zur klassischen Hochkultur (auch was die Förderung angeht) – man hatte sich schon daran gewöhnt, dass der Jazz in München nur eine sehr kleine Nische besetzen darf. Jahrelang gab es für ihn gerade mal zweieinhalb feste Anlaufstationen: die Unterfahrt, das Vogler und den Nightclub im Bayerischen Hof, letzterer eher ein Podium für US-Stars als für einheimische Jazzer. Dazu kam noch die spezifische Münchnerische Version von „Jazz at the Philharmonics“: Das Bayerische Staatsschauspiel mit seinen „Jazz Lines“ und das Gärtnerplatztheater mit seiner von Johannes Faber geleiteten Jazzreihe. Doch seit einiger Zeit ist Bewegung in die Szene gekommen, man könnte es fast eine Graswurzelbewegung nennen. Einige Unentwegte und Newcomer suchen neue Koalitionen und stellen – mit einem gehörigen Maß an Selbstausbeutung – etwas auf die Beine. Und auch bei Wirten und Veranstaltern wächst offensichtlich der Glaube, mit Jazz wieder Publikum anziehen zu können.

Jazzblüten in Münchens Gastronomie: Andy Lutter (Pianist) und Sharyhan Osman. Foto: Oliver Hochkeppel

Bild vergrößernJazzblüten in Münchens Gastronomie: Andy Lutter (Pianist) und Sharyhan Osman. Foto: Oliver Hochkeppel

Vorreiter war das Cafe Lido, zentral im Lenbachblock gelegen, wo der Wirt Alessandro Fanton seinem müden Abendgeschäft aufhelfen wollte und sich von Dusko Goykovich und dem späteren Programmleiter Walter Lang überreden ließ, sich dazu des Jazz zu bedienen. In der zweiten Saison gaben sich jetzt in den Wintermonaten bei „Dinner & Jazz” die swingenden „Locals” die Klinke in die Hand. Und das angepeilte Publikum aus den umgebenden Amts-, Büro- und Geschäftsräumen ließ sich zunehmend dafür gewinnen, nach der Arbeit zum Essen auch Jazz zu konsumieren. Dass die Gastronomie ein wichtigerer Faktor ist als zu Domicile-Zeiten, hat sich auch schon die Unterfahrt zu Herzen genommen. Nun findet sich eine weitere, in jeder Hinsicht kulinarische Jazz-Novität passenderweise direkt am Viktualienmarkt. Im „Ludwigs“ kann man zu angestammter Abendzeit dinieren und Jazz hören. Los ging es vor einem Jahr, als der spätberufene Sänger Thomas De Lates und seine Lebensgefährtin, die PR-Frau Petra Windisch, den frisch gebackenen Hotel- und Restaurantbesitzer Helmuth Hensel kennenlernten. Der Aufzugsbauer erfüllte sich mit dem „Ludwigs“ seinen Traum von einem Ort für menschliche Kontaktpflege. Und die beiden Jazzfans De Lates und Windisch dürfen seither das musikalische Programm betreuen. „Es ist für uns die einmalige Gelegenheit, unser musikalisches Wohnzimmer einrichten zu können, ohne eine Kneipe haben zu müssen,” sagt Windisch. Die Bedingungen dabei sind beneidenswert. „Helmuth Hensel hat praktisch alles, was wir vorgeschlagen haben, eins zu eins umgesetzt, von der kleinen Bühne über die Anlage mit Mischpult und drahtlosem Gesangsmikrophon, damit die Sänger sich auch unter die Gäste mischen können, bis zum Filz unter den Tischen für eine bessere Akustik,” sagt De Lates. Und zu allererst habe man ihm ausgeredet, nur donnerstags etwas zu machen, ergänzt Windisch: „Nur einmal die Woche, damit kannst du nichts etablieren.” Mit drei Abenden ging es los, dann wurde sukzessive aufgestockt auf nun fünf Termine pro Woche. „Es ist kein Jazzclub, sondern ein Restaurant,” betont De Lates. Trotzdem spielen inzwischen nahezu „alle Münchner Musiker hier, die gut sind”, wie er stolz befindet. Hannes Beckmann, Carolyn Breuer, Matthias Bublath, Titilayo Adedokun, Andy Lutter, Willi Johanns, Michael Hornstein, sie und viele andere waren schon hier. „Das Programm hat inzwischen ein Profil”, so Windisch. Was konkret bedeutet: dienstags Solo-Piano, mittwochs junge Duette und einmal im Monat die Singer Session der Musikhochschule mit Philipp Weiss, donnerstags meist Sänger mit Begleitung und am Freitag und Samstag Heißes mit Funk, Latin und African Jazz. Da kann es dann auch mal richtig eng werden, denn mit 70 Leuten ist es im Ludwigs randvoll. Die aber kommen inzwischen immer öfter.

Parallel dazu wagt sich der Jazz inzwischen sogar auf fremde, um nicht zu sagen feindliche Territorien vor, wenn auch vorerst vergeblich: Der 68-jährige Szeneveteran Peter Welz versuchte es jeden Dienstag im Brickhouse, der ehemaligen Kantine der Optimol Werke. Auch er nahm ordentlich Geld in die Hand, um sein Hobby professionell in Szene zu setzen: Ein gutes Klavier und ordentliche Technik waren die Basis für den „straighten Jazz”, also Bebop und Modern Jazz, den er von einem festen Stamm erstklassiger Münchner Musiker wie Claus Raible, Florian Riedl, Franz Weyerer oder Carolyn Breuer in wechselnden Konstellationen vom Trio bis zum Sextett kredenzen ließ; einmal im Monat kam als Hausband das Nonett des Saxophonisten Wolfgang Roth dran. Doch leider war die Schwellenangst des Jazz-Publikums vor der umgebenden Partymeile wohl zu groß. So richtig strömen wollte es nie, und so ist Welz seit ein paar Wochen nominell erst mal in Sommerpause gegangen. Ob er im Herbst weitermacht, ist ungewiss. Ein noch kürzeres Vergnügen war der Jazz in der neuen Bar des P1, Münchens Edel-Diskothek Nummer eins im Haus der Kunst mit legendär harter Tür. Die seit Januar von der Sängerin Anna Leman betreute und sinnigerweise mit der „Nacht der langen Musik“ Anfang Mai wieder eingestellte Reihe am Mittwoch, die zum Beispiel das gerade erst mit dem Neuen Deutschen Jazzpreis dekorierte Tim Allhoff Trio präsentierte, litt sogar nicht einmal an mangelndem Publikumszuspruch, sondern scheiterte wohl eher am Kompetenzgerangel und den verschiedenen Geschmäckern der diversen hohen Tiere des P1.

Zäher sind die weit weniger prominenten und solventen Gastgeber, die mehr oder weniger in Stadtviertelinitiativen eingebettet sind. Im Laimer Kulturzentrum Interim etwa veranstaltet der von Posaunist Fritz Stewens gegründete, heute von Elfriede Freudenreich geleitete Jazz Club München e.V. schon seit 2007 einmal im Monat eine Jamsession; außerdem finden hier Konzerte und Sonderveranstaltungen wie ein deutsch-polnisches Festival zum Zehnjährigen des Vereins im vergangenen Jahr oder zwei Django-Reinhardt-Galas zu dessen 100. Geburtstag in diesem statt. Der Konzertbetrieb ist inzwischen auf Wein Feldmann in Neuhausen sowie das Schwabinger Rationaltheater ausgedehnt. Einen “Jazzclub“ versucht auch der Kurator des Münchner Künstlerhauses am Lenbachplatz Max Medrisch ebendort zu etablieren, mit einer Konzertreihe an einem Freitag im Monat, bislang mit Gästen wie Carola Grey oder der Schweizer „Sinatra Tribute Band“.

In Schwabing, Münchens alter Jazzhochburg, ist man schon weiter: Die bereits 2003 gestartete, von den Holzbläsern Ulrich Wangenheim und Florian Riedl sowie Drummer Martin Kolb betreute Reihe „Jazz+“ lockt mit stiloffenen und hochkarätigen Acts aus nah und fern jeden zweiten Dienstag im Monat inzwischen ein treues Stammpublikum in die ehrwürdige Seidlvilla am Nicolaiplatz. „Moosach swingt“ heißt es wiederum seit Januar bei den monatlichen Konzerten des Kulturvereins „Linie 1“ im Pelkovenschlössl. Und im Sendlinger Stemmerhof veranstaltet der Instrumenten-Sammler Roland Fritsch und sein Verein „ars musica“ schon seit fünf Jahren ein Zug um Zug ausgebautes, inzwischen mit mindestens drei Veranstaltungen pro Woche breit aufgefächertes, trotzdem noch weit unterschätztes Kulturprogramm, bei dem ständig auch hochkarätiger Jazz auf dem Zettel steht. Im Mai richtete man sogar ein veritables Jazz-Festival aus, mit Konzerten von der Wahlengländerin Katharina Heinrich über die albanischstämmige Münchnerin Fjoralba Turku und die Nigerianer Sang Ganyongia bis zu den alten Hasen von Embryo, die an Mal Waldron erinnerten.

Nicht alltägliche Geschichten, speziell die Begegnung von Jazz und Literatur erlebt man zweimal die Woche in der griechischen Taverne Calypso (Agnesstraße); im April etwa widmete sich Bebop-König Claus Raible der „Music of Elmo Hope“, stellte Abi Ofarim seine Autobiographie vor, traf das Art Ensemble of Passau auf Gunna Wendt oder Ottfried Fischer auf Claus Reichstallers Quartett „Die Heimatlosen“. Selbst noch die Cafe-Kette „Fresh Bagels & Muffins“ bietet in ihrer Filiale in der Barer Straße „Jazz am Sonntag“ an. „Kunstsaxophonist“ Harry Saltzman ist dann jeweils um 11 Uhr Gastgeber für illustre Kollegen aus der süddeutschen Szene.

Frischer Wind also allerorten. Und auch wenn ein Vollprogramm wie in der Unterfahrt und im Vogler noch nicht dabei ist, so sind es doch erfreuliche Ansätze: Endlich mehren sich die Auftrittsmöglichkeiten für die wachsende Zahl der einheimischen Jazzer – allein die Jazzabteilung der Hochschule produziert ja pro Jahr etwa 80 Musiker. Schon aus dieser Perspektive betrachtet könnte die Millionenstadt München noch etliche Clubs mehr vertragen.

Oliver Hochkeppel


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