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Jazzzeitung

2010/03 ::: seite 9

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Inhalt 2010/03

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Naomi Susan Isaacs Farewell: Herb Ellis / Lena Horne


TITEL -
Stimm-Recht
Bobby McFerrin, Michael Schiefel, Theo Bleckmann & Co


DOSSIER -
Der Spaziergänger von Hollywood
Der Komponist Harold Arlen


Berichte

Jazz ECHO-Verleihung in Bochum // Internationale Jazzwoche Burghausen 2010 // Jazzahead 2010 // Tim Allhoff Trio erhält Neuen Deutschen Jazzpreis // Sylvie Courvoisier und Mark Feldman im Théatre Vidy in Lausanne // Schweizer Trio Rusconi nähert sich dem wilden Punk-Rock von Sonic Youth


Portraits

Martin Kälberer // Jacques Loussier // Charlie Parker // Lisa Wahlandt


Jazz heute und Education
Das Groove Research Institute Berlin // In Münchens Jazzszene etablieren sich neue Spielorte // Festivals in Frankreich: Blick ins Paradies? // Abgehört: Kurt Ellings Verse über ein Solo von Dexter Gordon

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Mit Loop-Maschinen unterwegs

Martin Kälberer präsentiert sein neues Album „between the horizon“ auf Tour in Bayern

„Zwischen dem Horizont“ hört sich irgendwie blöd an. Ähnlich wie zwischen Wurst und Pelle oder Socke und Haut. Zieht man die Socke aus, ist es vorbei – nichts. Was, zum Kuckuck…? Und außerdem müsste es doch heißen „zwischen den Horizonten“, also vorne und hinten oder da und dort. Martin Kälberer hat den Titel mit Bedacht gewählt. Inspiriert von einem Foto seines Bruders, das dieser in Norwegen aufgenommen hat und welches das Cover ziert, sieht man über dem Meer, wo sich Wolken türmen, eine dünne, weiße Linie verlaufen. Als habe der Grafiker, um uns mit der Nase draufzustoßen, schnell noch einen Strich, eine Kontur eingezogen. Nur dass dieses schnurgerade Etwas im Bild existiert. Ein Ort, der zugleich Nicht-Ort ist.

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Angeregt von „diesem Bereich, der eigentlich gar nicht existiert“, hat der Münchner Multiinstrumentalist ein ruhiges Stück voll zarter Tontropfen, mit weiten, ausufernden Klangflächen und intimen Stimmungen geformt – und Ton für Ton eigenhändig eingespielt. Von der halldurchtränkten Stimme, die über die sanften Wellen der Perkussionsinstrumente wie über Wasser gleitet, bis zum richtungsweisenden Spiel am Flügel und den sehnsuchtsgetränkten Klängen der Gitarre. „Orte, die nicht beschreibbar sind“ haben auf den 42-Jährigen eine magische Wirkung, davon ist er „fasziniert“. Kälberer beschäftigt sich oft mit „Dingen, über die man nichts Genaues weiß“ und lässt dies in seine Musik einfließen. In die Freiheit einer spontanen Improvisation oder – wie bei der neuen Solo-CD, die bei dem Münchner Label GLM Music erschienen ist – in Kompositionen, die sich keinem Genre und Stil eindeutig zuordnen lassen. Beim Hören streift einen kurz die Empfindung des Tangos, spürt man im melodischen Schwelgen des Klaviers eine Verehrung für Lyle Mays, erkennt brasilianische und Latinrhythmen, meint Irisches zu erahnen und hört Formen und Farben aus Afrikas tiefen Klanglandschaften.

„Between the horizon“ ist Kälberers zweites Soloprojekt. Auch „Malawi Mystery Man“ hat er komplett alleine eingespielt und gesungen, wortlos, vokalisierend, mit der Stimme als Instrument. In anderen Jobs, vor allem als Begleiter des singenden Moderators Werner Schmidbauer, mit dem seit über 15 Jahren unterwegs und befreundet ist, nutzt er seine Stimme auch in herkömmlicher Weise mit Text, meist als zweite Stimme. Aber Kälberer ist trotz seines schönen Timbres kein Sänger. Angefangen hat es mit Gitarren- und Mandolinenunterricht als er gerade mal fünf war. Ein Jahr später kam das Klavier dazu. Ein im Fernsehen übertragenes Duokonzert der Giganten Chick Corea und Herbie Hancock brachte die Klassik um ein viel versprechendes Talent. Für den fleißig Etüden übenden Jungen war es „ein Schlüsselerlebnis, das mich bis heute begeistert und damals in meiner Gefühls- und Gedankenwelt ein Tor aufgestoßen hat“. Fortan stand die Erforschung improvisierter Musik, „die Suche nach Freiheit im Experimentieren mit Klängen, Melodien und Rhythmen“ auf seinem Stundenplan, nicht mehr das nach- und vorspielen vorgegebenen Notenmaterials, und für den Jungen „begann sich langsam ein Bild von meinem Leben zu formen“. Ein Studium an der Jazzabteilung der Musikhochschule Graz schmiss er bereits nach einem knappen Jahr wieder, um sich fortan ausschließlich praktisch in die Musik zu stürzen.

Seither ist Martin Kälberer ein überaus begehrter Begleiter und vielbeschäftiger Studiomusiker. Von Willy Astors „Sound Of Islands“ über den brasilianischen Saxophonisten Márcio Tubino, die türkische Sängerin Hülya, die persische Sängerin Nasrin bis hin zu der chinesischen Gruppe „WuXing“, mit welcher er 2004 in China unterwegs war. Fast immer hat er dabei einen halben Instrumentenladen im Reisegepäck dabei – angefangen vom Akkordeon, über Loop-Maschinen, Synthesizer, das kuriose Vibrandoneon aus Italien, Mandolinen und Gitarren, die Cajon und zahlreiche andere Perkussionsinstrumente bis hin zum schweizerischen Hang, das aus zwei gewölbten und gehämmerten Stahlblechen zu einer Art überdimensionierten Linse geformt ist. Zwei Stücke auf dem neuen Album hat Kälberer ausschließlich diesem Instrument gewidmet, das im Klang an karibische Steel drums erinnert, hierbei aber Ruhe und eine tiefe, innere Gelassenheit verströmt. Damit korrespondiert ein verhaltenes Klavierstück, „Grünes Licht“, das Kälberer ganz ohne Pathos und jenseits romantischer Attitüden, in die er sich gern einmal verliert, dem Licht und seinen wechselnden Nuancen an verschiedenen Orten widmet. Martin Kälberer ist in vielen musikalischen Welten zu Hause. Als Filmkomponist hat er bei über 50 Filmen mitgewirkt, so bei „Winterreise“ mit Josef Bierbichler und Hanna Schygulla, für den er Schubert-Lieder einspielte, und dem Kinofilm „Mein Bruder, meine Mutter und ich“.

Das Konzept einer One-Man-Band steht eigentlich dem eigenen Anspruch entgegen. „Im Zusammenspiel mit anderen Musikern (…) habe ich (…) erlebt, dass es Freiheit als absoluten Zustand nicht gibt – sie existiert nur im Verhältnis zu bestimmten Gegebenheiten, etwa dem Spiel der anderen Musiker in einer Band. Waches Zuhören und aufeinander Reagieren ist die Voraussetzung für gemeinsam erlebte Improvisation und spannungsvolle Musik“ liest man auf Kälberers Homepage. Kein Prinzip ohne Ausnahme. Sein einsames Spiel ist für den romantisch veranlagten Musikenthusiasten ein notwendiger „Kontrapunkt, eine Unterhaltung mit mir selbst, in der ich alle Facetten meiner Gedanken zusammenbringe“.

Eins zu eins lässt sich ein solches Konzept natürlich nicht auf der Bühne umsetzen, was im Studio Tonspur für Tonspur entstanden ist. Auf Tour hat der Multi-Kulti-Musiker Loop-Maschinen dabei, die er live einsetzt. Dabei entsteht jedes Mal etwas Neues, das mit der ursprünglichen Aufnahme auf CD (eng) verwandt ist, aber dennoch ein klangvolles Eigenleben führt. Demnächst in: siehe Tourdaten!

Michael Scheiner

Infos und Tourdaten: www.martinmusic.de

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