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Jazzzeitung

2013/02 ::: seite 6

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Inhalt 2013/02

Inhaltsverzeichnis

Sternlein STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene /Jazz-ABC: Charlie Ventura no chaser: Europa und der Jazz standards: Giant Steps farewell: Günther KlattLeo von Knobelsdorff

Sternlein TITELSTORY: <Mit Swing in die Zukunft
Das Parov Stelar-Projekt belebt die Clubszene

Sternlein GESCHICHTE -
New York – Kopenhagen – New York
Dextivity: Gedanken zum 90. Geburtstag des Saxophonisten Dexter Gordon (2)

Sternlein DOSSIER: It’s a man’s world
Instrumentalistinnen im frühen Jazz · Von Hans-Jürgen Schaal

Sternlein Berichte
Nachwort zur Ausstellung „ECM – Eine kulturelle Archäologie“ //50. Jazz it!-Konzert in Germering // Max von Mosch Orchestra im Leeren Beutel Regensburg // 8. Festival Women in Jazz // Billy Martin’s Wicked Knee & Mostly Other People Do The Killing beim Salzburger Jazzit

Sternlein Portraits / Jubilee
Efrat Alony// German Jazz Trophy 2013 für Lee Konitz //Youn Sun Nah // Fotograf Guy Le Querrec

Sternlein Jazz heute und Education
Abgehört: Ein singender Trompeter
Chet Bakers Scat-Solo über „Dancing On The Ceiling ...

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Singt niemals in der Badewanne

Die Berliner Sängerin und Dozentin Efrat Alony präsentiert neues Album

Das hat es lange nicht (mehr) gegeben: eine Musikerin, aus dem Jazz kommend noch dazu, die ein politisches Statement abgibt. Die auf den Tisch haut und deutlich ihre Meinung äußert. Dabei ist Efrat Alony keineswegs eine politische Musikerin, die ihr Medium als Vehikel gebraucht, um voller Inbrunst Überzeugungen und Anschauungen zum Besten zu geben.

Efrat Alony. Foto: Scheiner

Efrat Alony. Foto: Scheiner

Aber „16 Jahre in Deutschland“, schreibt Alony auf ihrer Internet-seite, „dabei war mir bei jedem Interview immer bewusst: Ich werde als ,die israelische Sängerin’ wahrgenommen. Welche Tagesquote kann ich also für die deutsche Presse erfüllen? Four birds in one hand. Ich als Nichtdeutsche, Israelin, Jüdin, die etwas zum Nahostkonflikt sagen kann, über Krieg erzählen und über die Gefühle einer Jüdin in Nachkriegs-Deutschland (schöne Worte, um das Holocaust-Thema anschneiden zu können).“ Die Berlinerin mit israelischem Pass ist eine politisch denkende Künstlerin, die sich nach einer Reihe durchaus eigensinniger musikalisch-künstlerischer Äußerungen – auf bislang fünf Alben – in einer konkreten Situation auch politisch zu Wort meldet.

Worum es geht? Anlassbezogen um den neuerlichen, vorerst wieder beendeten Krieg zwischen Israel und den Palästinensern im Gaza. Alonys Haltung dazu ist eindeutig: „Es reicht! Auf beiden Seiten: Es reicht!“ Angst präge zunehmend die israelische Gesellschaft und den Alltag der Menschen. Den Grund dafür vermutet die in Berlin lebende Sängerin und Komponistin im sogenannten „Fear Mongering“, also einer von politischen und gesellschaftlichen Kräften gesteuerten und geschürten Angst. „Könnte es wirklich so zynisch sein?“, fragt sie sich scheinbar naiv. „Wird die Angst in beiden Gesellschaften (in der israelischen und in der palästinensischen) als Mittel von Politikern benutzt, um uns zu betäuben?“ Ein solcher, von Mächtigen in aller Welt gepflegter Mechanismus steht außer Frage. Das kann weder beruhigen, noch besonders alarmieren.

Es tue ihr viel mehr weh, „wenn in Israel politisch etwas nicht in Ordnung ist“, als den Menschen hierzulande, begründet Alony ihren Aufruf. „Ich weiß nur zu genau, dass Entscheidungen (Krieg zu führen, Anm. des Autors) enorme Konsequenzen haben können.“ Sie sorge sich sehr um ihren Bruder, der in der israelischen Armee ist. Das sei existentiell, betreffe sie im tiefsten Inneren. „Hierzulande streitet man sich um Kultur“, versucht sie eine Perspektive zurechtzurücken, „das ist ein Privileg!“ Es gebe ganz viele Menschen, die sich eine Meinung über die Vorgänge in Palästina gebildet, „aber nichts verstanden haben“, macht Alony ihrem Herzen Luft. Für sie sei es in diesem Moment – dem Ausbruch des kurzen Krieges – wichtig gewesen „zu sagen, was ich denke“.

Üblicherweise macht Alony das mit ihrer Musik: auf ihrem neuen Album „a kit for mending thoughts“, dem „Reparturbaukasten für Gedanken“ – an sich schon eine politisch hintersinnige Idee, mit einem Dutzend Songs. Die Hälfte davon stammt aus ihrer Feder, was die Texte als auch das Kompositorische angeht. Auf eine indirekte, dennoch sehr tiefe Weise drückt sich die 37-Jährige darauf ebenfalls politisch aus und singt hebräisch, wie bereits auf früheren Alben. Nach Abi & Esther Ofarim, einem israelischen Gesangsduo, das in den 60er-Jahren nach Deutschland gekommen war, ist es vermutlich das erste Mal, dass eine Künstlerin im Popularmusikbereich auf hebräisch komponiert und singt. Inspiriert und motiviert wird Alony dabei von einer Passion für Gegensätze und Diskrepanzen, die sie musikalisch in spannungsreichen Kompositionen umsetzt. Diese wechseln immer wieder die Spur von geheimnisvoll dunklen Klangmalereien und kompakten, energisch treibenden Strukturen andererseits.

Mit Oliver Leicht (cl, electronics) und Frank Wingold (g) stehen ihr dabei zwei findige, vielseitige und klangfreudige Schwergewichte zur Seite, die mit ihr „durch dick und dünn gehen“. Im Booklet enthält der „Reparaturbaukasten“ zudem eine verspielt-schnurrige Anleitung zum bestmöglichen Hörgenuss. Im Ganzen ein dichtes Album, hochspannend, eigenwillig und auf unaufdringliche Weise kapriziös, auf dem Alony Beweglichkeit und Ausdrucksvielfalt ihrer zwischen dunkel und dreckig changierenden Stimme voll ausfährt. Eine Stimme, der man schlagartig verfallen kann, völlig unwichtig, ob dabei das Etikett Jazz oder Kunstlied, Kammermusik, Singer-Songwriter oder „hochexpressiver Popsong“ draufklebt.

Zu hören bekommen das aber nur Konzertbesucher. Zuhause singt die Dozentin (Hochschule der Künste Bern) und Gesangslehrerin nicht mal in der Badewanne. „Ich muss aufpassen, dass die Freude nicht verloren geht“, verrät sie. Deshalb vermeide sie es strikt Wünschen und Aufforderungen von Freunden nachzugeben und zu singen. Auch zu Hause habe sie es nie gemocht zu singen. Privat brauche sie „etwas Abstand“ und möchte deshalb die beiden Sphären nicht vermischen. Wo bei anderen Künstlern die musizierende Großmutter, der dirigierende Onkel und gleich zwei weitere Musiker familiäre Gene für ererbtes Musikantentum suggerieren, steht bei Alony die persönliche Neigung, Neugier und eine individuelle berufliche Entscheidung.

Neben eigenen Songs singt sie auch „gern Sachen aus dem American Songbook“, für die sie mit diversen Bigbands, dem Bandleader Ed Partyka und als Gastsängerin möglichst auch in jeweils eigenwilligen Arrangements viel Anerkennung erfährt. Richtig reizvoll sind solche Gelegenheiten aber nur, „wenn ich selbst etwas aus einem Song machen kann, eine ganz eigene Herangehensweise finde“. Auch auf dem neuen Album interpretiert sie mehrere Coversongs, darunter das dunkle „Shir“ der engagierten israelischen Sängerin Etti Ankri, Ornette Colemans „Lonely Woman“ – auch ein indirektes gesellschaftliches Statement – und Joni Mitchells „I had a king“ in faszinierenden Bearbeitungen. Immer wieder sind auch arabische oder andere ethnische Einflüsse bei ihr zu hören. Akzente, die sie durchaus im Sinn eines Global-Pop einsetzt. Damit findet sie zugleich Anschluss an ein weltweites Phänomen, ohne jemals Gefahr zu laufen in einem konturlosen Mainstream aufzugehen. Um einen scheinbar naheliegenden Einfluss allerdings macht sie einen großen Bogen. Mit Klezmer, bei uns gern als die jüdische Musik wahrgenommen, hat die in Haifa als Tochter irakischer Eltern aufgewachsene Sängerin so gar nichts am Hut. Diese traditionelle Musik des Ostjudentums hat sie überhaupt erst hier kennengelernt und hält sie „in Deutschland für absolut gehypet“. Deutlich mehr Nähe hat sie zur europäischen Liedkultur, wie sie auch in der Romantik zum Ausdruck kommt, und zu „einer bestimmten Klangästhetik“. „Wenn ich schreibe, ist oft schon eine Farbe, eine ,mood´ (Stimmung) da.“ Während des Komponierens stellen sich dann zunehmend Bilder ein, so dass sich eine Art Plot abzeichnet, wenn die Musik steht. Anschließend beschäftigt sich Alony mit dem Text, und dabei gelingen ihr auch überraschend poetische, manchmal fast magische und mystische Stimmungen. 2002 hat die selbstbewusste und ehrgeizige Künstlerin auf eine Frage, wo sie sich gern in zehn Jahren sähe, geantwortet: „Reich und berühmt.“

Den materiellen Teil ihrer Antwort hat sie damals gleich wieder lachend zurück genommen. „Berühmt“ ist die Efrat Alony heute sicher auch nicht. Aber Jede/-r, der sie einmal gehört und ihre Musik entdeckt hat – und das werden von Jahr zu Jahr mehr – behält sie garantiert im Ohr und Gedächtnis. Das ist mehr, als man von den meisten Sängerinnen sagen kann, die für kurze Zeit hochgejazzt werden, um dann wieder im Jammertal der Nichtbeachtung zu schmoren.

Michael Scheiner

Infos: www.alony.de und de.wikipedia.org/wiki/Efrat_Alony

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