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Jazzzeitung

2012/04  ::: seite 23

farewell

 

Inhalt 2012/04

Inhaltsverzeichnis

Sternlein STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazz-ABC: Sparks, Melvin no chaser: Sommerfreuden Farewell: Trauer um den österreichischen Pianisten Fritz Pauer

Sternlein TITELSTORY: Indie Big Band Wonderland
Monika Roscher interpretiert die große Besetzung neu

Sternlein DOSSIER/GESCHICHTE -
Er erfand die Zukunft des Jazz
Louis Armstrong – zur Bedeutung der Hot-Five-Aufnahmen (1925–1928)
Saxophon spielen wie Art Tatum
Basies Weggefährten (6): Am 21. Oktober wäre Don Byas 100 Jahre alt geworden

Sternlein Berichte
55 Arts Club // Louis Rastig präsentiert in Berlin an vier Tagen ein generationsübergreifendes Festival // Jazzfestival Luxemburg in Dudelage //Jazz Sommer im Bayerischen Hof // „M3 – Musikkritiker machen Musik“ im Night Club Bayerischer Hof // 30. Ausgabe des Südtirol Jazzfestivals Alto Adige

Sternlein Portraits / Jubilee
Ray Anderson zum 60. Geburtstag// Joe Viera zum 80. Geburtstag//Geiger Adam Baldych // Waldemar Bastos // Susanne Heitmann // Michael Hornstein // Wadada Leo Smith // Karolina Strassmayer und Drori Mondlak

Sternlein Jazz heute und Education
Der „Bayernjazz“ und seine Sachwalter // Einstein-Kulturzentrum: Musik, Theater und mehr // Abgehört: Altsax à la James Brown: David Sanborns Solo über „Snakes“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

„Jazz ist das wahre Leben“

Trauer um den österreichischen Pianisten Fritz Pauer

„Im Jahr 1943 geboren zu sein, das hat auch etwas Gutes“, erklärte einmal Fritz Pauer, der am 14. Oktober jenes Kriegsjahres in Wien-Margareten das Licht der Welt erblickte: „Man war mit eingebunden in eine Zeit des Wiederaufbaus, des Wachstums, es war nach 1945 Bewegung an allen Ecken und Enden zu spüren. Die Menschen wollten, dass sich alles zum Bessern wendet. Es war eine Zeit des Aufbruchs!“

Fritz Pauer Mitte der 90er-Jahre. Foto: Archiv

Fritz Pauer Mitte der 90er-Jahre. Foto: Archiv

Den Jazz erlebte der Sohn eines kreativen Konditors, der auch malte, Gedichte schrieb und Teppiche knüpfte, in Zeiten nach den großen Zerstörungen des Krieges als „lebensbejahende Kraft“. Ab seinem fünften Lebensjahr wurde er in klassischem Klavierspiel unterwiesen. Er studierte am Konservatorium der Stadt Wien auch Violine, Klarinette und Gitarre, doch mit 16 beschloss er, Jazzmusiker zu werden. Das erste mit eigenem Geld gekaufte Saxophon schenkte er aber Hans Koller, dem Vater des modernen Jazz in Österreich. „Die Begegnung mit Hans Koller“, so Pauer, „war ein großer Gewinn für mich, ich möchte fast sagen: Wäre ich ihm nicht begegnet, wäre ich nie Jazzmusiker geworden”.

Mit 17 debutierte Pauer in der Band einer österreichischen Jazzlegende, Fatty George, der in Wien ein eigenes Lokal hatte, Fatty’s Saloon. Da Fatty George mit seiner Band traditionellen und modernen Stil spielte, hatte der junge Pauer 1960 bis 1962 dort die Möglichkeit, sich ein breites Repertoire an Stücken und Stilelementen zu erarbeiten. Schon als Teenager lernte er die Crème de la crème des österreichischen Jazz kennen, Größen wie Friedrich Gulda, Karl Drewo, Hans Salomon und eben Hans Koller. Mit ihm nahm Fritz Pauer 1962 seine erste Platte auf, „Multiple Koller“.

Gewisserweise trat Fritz Pauer in die Fußstapfen von Joe Zawinul, der bei Fatty George als auch mit Hans Koller Klavier gespielt hatte, aber mittlerweile in den USA lebte. „Mich hat zunächst Joe Zawinul beeinflusst, den ich damals im Radio gehört habe. Mich haben sein Klavierklang, seine Kreativität und seine Art zu spielen besonders fasziniert”, hat Pauer einmal bekannt. Als die ihm wichtigsten Pianisten nannte er, wie dem Plattentext des 1965 in München aufgenommenen Don-Menza-Albums „Morning Song“ zu entnehmen ist, Herbie Hancock, Bill Evans und Paul Bley. Dort findet sich auch das nette Pauer-Zitat: „Jazz ist das wahre Leben. Aber die Leute wollen die Wahrheit nicht. Deshalb sind all diese Schnulzen so beliebt.“

Von 1964 bis 1968 lebte Fritz Pauer in Berlin. In Dug’s Night Club und der Jazz Gallerie kam es zur Zusammenarbeit mit Größen wie Herb Geller, Johnny Griffin, Don Byas, Booker Ervin, Dexter Gordon, Art Farmer, Carmell Jones, Annie Ross, Leo Wright und Pony Poindexter. Das Resultat daraus waren zum Teil lebenslange Freundschaften, so war Fritz Pauer für den Trompeter Art Farmer in Europa der Pianist der Wahl.

1966 gewann Fritz Pauer den ersten Preis bei dem von Friedrich Gulda angeregten internationalen Nachwuchswettbewerb in Wien. Seither waren Gulda und Pauer gut befreundet. Pauer unterrichtete Guldas Sohn im Klavierspiel. Gulda spielte nicht nur gerne mit Pauer, er spielte auch gerne dessen Kompositionen. Auf dem Album „Fata Morgana. Friedrich Gulda live at the Domicile“ tut Gulda beides. Seit jener Zeit bildete Pauer mit Gulda und Zawinul das Triumvirat berühmter österreichischer Jazzpianisten von internationalem Rang. Durch seine ausgedehnte pädagogische Tätigkeit prägte er ganze Generationen junger Jazzpianisten. Von 1968 bis 1982 wirkte er als Klavierlehrer in der Jazzabteilung des Wiener Konservatoriums. Von 1982 bis 1984 leitete er die renommierte Swiss Jazz School in Bern und seit 1989 unterrichtete er an der Jazzhochschule in Graz. „Wenn ich Anfängern einfache Dinge vermittle, gewinne ich selbst, weil ich wieder zu dieser Einfachheit zurückkommen muss.“
Seit 1970 leitete er ein eigenes Trio, und zwischen 1970 und dem Jahr 1999 liegen 30 Jahre, in denen man Fritz Pauer mit Art Farmer hören konnte. Damit nicht genug, war er in dieser Zeit auch Arrangeur und Komponist der ORF Radio-Bigband sowie des Erich Kleinschuster Sextets.

Mit der deutschen Jazz-Szene, insbesondere der Münchens war er eng verbunden. Er nahm in unseren Breiten auch viele Platten auf, einige live im Domicile, darunter jene mit der Gruppe „Mythologie“ und dem Klaus Weiss Orchestra. Überhaupt verband ihn mit dem unvergessenen Münchner Drummer Klaus Weiss eine fruchtbare Zusammenarbeit. „Er ist ein hervorragender Begleiter und ein exzellenter Solist. In seinem Spiel sind die Wurzeln des Jazz lebendig“, hat Klaus Weiss einmal über Fritz Pauer gesagt.
Ein anderes Münchner Kapitel ist „Water Plants“, Pauer viel zu wenig bekanntes Trio-Album, das er mit dem Bassisten Isla Eckinger und dem Drummer Billy Brooks 1977 für Joe Haiders kleine feine Ego Records aufgenommen hatte. Als Schüler hatte ich die Angewohnheit, mir Platten meiner Lieblingsmusiker signieren zu lassen. Einmal überraschte ich Fritz Pauer mit „Water Plants“. Er betrachtete die Platte sehr erstaunt, als wäre es die Rarität eines anderen geschätzten Musikers, und meinte ohne falsche Bescheidenheit: „Wo hast du denn die her? Ich steh sehr auf die Platte.“ Fritz Pauer war sich offensichtlich bewusst, dass ihm damit etwas Besonderes gelungen und dass seine Musik dennoch mehr oder weniger ungehört verhallt war. Es wäre schön, wenn dieses Album anlässlich Fritz Pauers Tod ein digitales Comeback finden würde, so wie all jene MPS-Alben, die zu seinem 60. Geburtstag wiederveröffentlicht wurden. Unter ihnen befindet sich nur eines unter seinem Namen, allerdings ein sehr hörenswertes: „Blues Inside Out“ von 1978. Auf dem Cover sieht man seine Mitmusiker, den Bassisten Jimmy Woode und den Drummer Tony Inzalaco in angeregter Unterhaltung. Fritz Pauer aber sitzt ruhig zwischen den beiden, raucht und richtet dabei seinen Blick in die Höhe, als wäre dort ein fernes Ziel, das nur er sieht. Man ahnt: Er genießt seine Zigarette sehr und sie inspiriert ihn. Ja, er hat genüsslich geraucht und das Leben, wie Kollegen berichten, in vollen Zügen genossen.
Fritz Pauer hat nicht etwa nur Jazz-Songs geschrieben, sondern auch Ballette und Suiten. „Komponieren ist für mich wie Improvisieren im Zeitlupentempo“, hat er einmal gesagt. „Meine Partituren könnten von jedem anderen guten Ensemble der Welt reproduziert werden. Aber keine Angst, das dem Jazz eigene ‚Einfach-drauf-los-Spielen‘ oder das Bearbeiten von Standards hat noch genügend Platz in meinem Musikerleben.“ Jeden Tag verbrachte er viele Stunden mit Freude am Klavier. Wozu er bemerkte: „Ideal ist, wenn man nicht mehr weiß, dass man Klavier spielt, wenn man eins ist mit der Musik, mit dem Klang“.

Mit viel Finesse begleitete er Sängerinnen. Nach dem frühen Tod von Conny Giese im Jahr 2000 erlebte man Pauer als idealen Klavierpartner der deutschen Melanie Bong, der Serbin Maja Jaku, der Italienerin Anna Lauvergnac und in lyrischer Zwiesprache mit der amerikanischen Altsaxophonistin und Sängerin Sheila Cooper, mit der er 2006 „Tales Of Love and Longing“ aufnahm.

Bis zuletzt war Fritz Pauer ein zu recht geehrter Tonschöpfer, zumal in Österreich, wo Jazzmusiker auch aus offizieller Sicht zum Stolz der Kulturnation beitragen. „Fritz Pauer gehörte zu jenen herausragenden Persönlichkeiten des österreichischen Musikschaffens, die dem Jazz einen österreichischen Klang zu geben vermochten.

2003 wurde ihm das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich verliehen, 2008 erhielt er den Berufstitel Professor und den Würdigungspreis für Musik des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur“, erklärte Kulturministerin Dr. Claudia Schmied nach seinem Tod. Als Fritz Pauer am 1. Juli 2012 in einen Zug nach Wien gestiegen war, um dort eine neue CD abzumischen, hatte er, ähnlich wie Fats Waller, unerwartet seine letzte Reise angetreten. Er war ein Musiker, der seine Hörer und Kollegen, nicht nur durch seine Musik, sondern auch als Mensch berührte.

Die Sängerin Sheila Jordan sprach sicherlich für viele: „What a great guy he was and what a fantastic musician. He was so caring and such a wonderful human being to be around.”

Marcus A. Woelfle

 

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