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Jazzzeitung

2010/04  ::: seite 22-23

Jazzgeschichte

 

Inhalt 2010/04

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Hank Jones


TITEL -
Ein Haus für den Jazz in Rom
Junge Hamburger Musiker auf Italienreise


DOSSIER - Jazzgeschichte. I remember Bill
Vor 30 Jahren verstarb der Pianist Bill Evans


Berichte

18. Augsburger Jazzsommer 2010 // „Jugend jazzt“ für Jazzorchester mit dem Škoda Jazzpreis // Festival Jazz an der Donau im Jahr 2010 // Jazzopen Stuttgart 2010 // Jazz Sommer 2010 im Hotel Bayerischer Hof // Bayerisches Jazz-Weekend 2010 // Südtirol Jazzfestival


Portraits

Jason Moran & the Bandwagon // Frank Chastenier // Die dänische Sängerin Sinne Eeg // Charlotte Ortmann // Thomas Quasthoff // Über den Tenorsaxophonisten Booker Ervin // Fritz Rudolf Fries zum 75. Geburtstag


Jazz heute und Education
Dresdens Hochschule für Musik baut die Förderung künftiger Jazz-Musiker aus // Ein Interview zum Jazz in Deutschland mit Joe Viera // Abgehört: Wayne Shorters Solo über „Wildflower“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

I remember Bill

Vor 30 Jahren verstarb der Pianist Bill Evans

Jeder zweite Pianist bedient sich heute bei seinen Fragen der Antworten Bill Evans’, ganz so, als wäre sein Œuv-re ein gigantischer Steinbruch. Und doch war seine Stellung im Jazz zur Zeit seines Todes vor 30 Jahren nicht unumstritten. Man hielt ihn für einen Musiker, dessen Beitrag zum Jazz sich um 1960 mit dem „First Trio“ erschöpft hatte. Die Aufmerksamkeit richtete sich damals stärker auf Größen wie Keith Jarrett, Herbie Hancock und Chick Corea, Musiker, die ja von ihm kamen. Die Jazzkritik hatte sich auf die Avantgarde eingeschworen, mit der Bill Evans wenig zu tun hatte. Das Jazz-Publikum, noch nicht ganz auf dem Neo-Bop-Kurs, ließ sich den Jazz-Rock schmecken. Bill Evans hatte gelegentlich ein E-Piano verwendet und einige Pop-Songs adaptiert, doch an den neuen Sound keine Zugeständnisse gemacht. Rockmusik mochte er nicht. So stand er, der die Epoche so sehr prägte, gewissermaßen außerhalb von ihr.

Dabei wiederholte sich fast spiegelbildlich die Situation, in der Bill Evans zwei Jahrzehnte früher gestanden war. Sein bahnbrechendes „First Trio“ wirkte zu einer Zeit, als Dutzende etablierte Stars von Armstrong bis Brubeck noch populärere Stars waren. Doch auch wer seine Ohren auf das Neueste richtete, konnte um 1960 Bill Evans überhören. Wie viele vermochten angesichts zukunftsweisender Gruppen wie dem Miles Davis Quintett, dem John Coltrane Quartett oder gar der Ausbrüche des Free Jazz eines Ornette Coleman oder Cecil Taylor auf die viel sanftere Revolution, die Evans, LaFaro und Motian anzettelten, als wegweisend erkennen?

Der Prägende

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Bill Evans hat unzählige Pianisten geprägt, die nach ihm auf den schwarzen und weißen Tasten Ruhm ernteten, zunächst amerikanische Zeitgenossen wie die bereits genannten, außerdem viele jüngere Amerikaner (z.B. Bill Charlap und Fred Hersch). Vor allem in Europa beruft sich eine Legion europäischer Pianisten von Michel Petrucciani bis Enrico Pieranunzi auf Evans, dessen persönliche und musikalische Wurzeln auch europäische sind. Sein Name adelt den anderer Größen: Wenn von Jim Hall als „Bill Evans der Gitarre“ oder von Gary Burton als „Bill Evans des Vibraphons“ die Rede ist, dann wird klar, dieser vergeistigte Ästhet, der am liebsten philosophische Bücher von Platon bis Zen sowie englische Literatur des 19. Jahrhunderts las, beeinflusste Angehörige aller Instrumente.

Als hochsensibler, lineare Melo­dik mit impressionistischer Klangkultur verbindender, romantische Gefühlstiefe und intellektuellen Scharfsinn vereinender Pianist ist Bill Evans nicht nur Modell, sondern auch Kultfigur. Von kaum einem Pianisten gibt es so viele umfangreiche CD-Boxen, von kaum einem wird jeder noch so schlecht aufgenommene Mitschnitt im Wissen seiner Einmaligkeit veröffentlicht.

Bill Evans hat uns viele Aufnahmen hinterlassen, die bis heute jenen Zauber entfalten, wie sie etwa der Kritiker Ira Gitler beschrieben hat, als ihn die legendären 1961er-Aufnahmen vom „Village Vanguard“ verzückten: „Die Musik des Trios umhüllte mich mit einer magischen Aura. Ich hob dermaßen ab, dass sich mein Bewusstsein förmlich in Klänge aufzulösen schien – Kopf und Körper wurden zu einem einzigen riesigen Ohr, die Musik durchströmte mich und Bills Bemerkung, sie (die Musik) sei eben nichts als Feeling, ist mir nie deutlicher geworden.“

Dabei war Bill Evans selbst, für den die Spontaneität der Improvisation strenge Disziplin bedeutete, fast nie mit seiner Arbeit zufrieden. Zu seinen ersten Platten musste man ihn fast zwingen. Er hätte auch nie welche veröffentlicht, bezeugt seine Frau Nenette, wäre er nicht beruflich und finanziell dazu gezwungen gewesen.

Zum Thema Disziplin gehört auch Evans’ Verzicht auf überflüssiges Beiwerk, unnötige Töne. Das wies weniger in die Richtung der Basie’schen Sparsamkeit oder der Monk’schen Kargheit, dafür fühlte er zu „pianistisch“; es ging um die konsequente Motivierung jedes einzelnen Klanges im Zusammenhang. Ob er die verschiedenen Töne eines Akkordes unterschiedlich stark anschlug oder bewusst bestimmte Töne wegließ, stets stellte sich ein Gefühl der Essenzialität des Gespielten ein, auch dann noch, als er (vor allem im Spätwerk) zu üppiger Ornamentik fand. In Evans’ Improvisationen folgten die Töne einander in so zwingender (aber auch swingender) Folgerichtigkeit, dass man sich nicht wundert, dass Johann Sebastian Bach einer seiner Hausgötter war. Er hätte Nachfolger Lennie Tristanos werden können, dessen strenge Linearität in den herausgemeißelten Notenketten der frühen Aufnahmen Evans’ klar zu Tage tritt. Doch er wurde kein Gralshüter der Lehre des Cool Jazz, schon gar kein Sachwalter der Sachlichkeit Tristanos, denn eine sehr romantisch-impressionistische Ader, die sich mehr dem klangsinnlich und harmonisch Raffinierten zuwandte, und ein mehr an der schwarz-amerikanischen Tradition geschulter Sinn für rhythmische Differenziertheit boten klare Gegengewichte. In erster Linie war Evans aber ein Melodiker, geradezu vernarrt in nette Walzer, in schlichte Broadway- und Film-Themen, und zwar so sehr, dass er manchmal kaum mehr als die Melodie interpretierte.
Mit dem Einfluss Bill Evans’ verhält es sich ähnlich wie mit dem seiner Gefährten John Coltrane und Miles Davis. „Auf eine Zeit der Wenigen, Eigenen, Ringenden, Irrenden ist eine Zeit der Vielen gefolgt, die in den Spuren der Wenigen bequem wandeln.“ Gerade diese „vor den Irrungen und Wirkungen der schäumenden Persönlichkeit“ geschützten, „nach bes-tem Muster Beflissenen“, seien es, die einer Zeit ihr Kultur-Gepräge verliehen. Das behauptete Otto Julius Bierbaum zwar um 1900 von den neuen deutschen Lyrikern, doch das passt auch auf die ungemein vielen Epigonen vom „Typus Bill Evans“. Sie haben das, was bei Evans erfrischend und neuartig war, zum Klischee gemacht, zugleich aber durch die Orientierung an ihn für ein gleichbleibend hohes Niveau im Mainstream der heutigen Jazzpianistik gesorgt. Das aber, was den Drang zu dieser Imitation ausgelöst hat, nennen wir es das gewisse Etwas, das unsagbare Eigentliche, oder den „Evans touch“ (womit nicht nur der Anschlag gemeint sein soll), bleibt unwiederholbar, einzigartig. Die Tiefe und Intensität seines Spiels, die an unser Innerstes rührt und unsere Seele zum Schwingen bringt, lässt sich nicht abkupfern.

Evans besaß als ausgebildeter klassischer Konzertpianist eine Anschlagskultur, die nicht nur im Jazz ungewöhnlich war, sondern um die ihn auch viele Kollegen aus dem klassischen Lager beneiden. Es ist kein Zufall, dass ein klassischer Konzertpianist ein Buch über ihn geschrieben hat, ein anderer seine Soli nachgespielt hat, als wären es Stücke von Debussy und ein dritter, kein geringerer als Glenn Gould, ihn als „Skrjabin des Jazz“ bezeichnet hat. Anschlag und Pedalarbeit bekamen durch Bill Evans im Jazz einen ganz neuen Stellenwert. Die harte „attack“ im Frühwerk, die sowohl einen Rückbezug zur boppigen Vehemenz Bud Powells und zur nüchternen Klarheit Tristanos darstellt, wich für die meiste Zeit seines Lebens einer Spielhaltung, bei der man bald vergisst, dass das Klavier ein aus Hämmern und stählernen Saiten bestehender Mechanismus ist. Es gibt sehr wenige Jazzpianisten, die die Kunst beherrschen, den Ton des Klaviers so lange zu halten, dass die Folge der Töne regelrecht den Eindruck des „Singens“ weckte. Nicht nur die Melodie sang bei Evans, sondern auch alle Nebenstimmen. Schon seinem Ton mit seinen erstaunlich lange nachklingenden Obertönen wohnte ein großer Zauber inne. Er konnte sich erlauben, Balladen in sehr langsamen, für die meisten Pianisten „tödlichen“ Tempo zu spielen, und, ganz auf die Wirkung der einzelnen Klänge vertrauend, lange Pausen zu lassen und auf Improvisationschorusse in gängigem Sinn zu verzichten.

Die Fähigkeit, dank Evans’ Reichtum von Anschlagsnuancen auf dem Klavier zu singen, wurde unterstrichen von einer Harmonik, die zum einen seine intensive Beschäftigung mit Klaviermusik der Spätromantik, des Impressionismus’ und der frühen Moderne verrät (hier wäre vor allem Debussy zu nennen), zum anderen aber einer neuen Entwicklung im Jazz in den ausgehenden 50er-Jahren Rechnung trägt, der modalen Spielweise, die sich bei Miles Davis herauskristallisierte, als Bill Evans und John Coltrane zu seiner Gruppe gehörten. Trotz seines wichtigen Beitrags zum modalen Jazz blieb es McCoy Tyner, dem neben Evans einflussreichsten Pianisten der 60er-Jahre vorbehalten, das modale Konzept weiter auszubauen. Evans’ Akkordik blieb, bei modaler Tönung, in erster Linie funktionsharmonisch begründet. Die Folge ist eine sehr persönliche harmonische Auffassung, die aber bald fast schon zu einer Art Allgemeingut geworden ist, so dass das Neuartige sich im Rückblick sehr gewohnt anhört. So wie viele von Evans gespielte Stücke durch ihn zu allgemeinen Standards wurden, so wurden auch seine Reharmonisierungen üblich. Vor allem seine typischen „voicings“ (die Auswahl und Reihenfolge der Akkord-Noten), mit denen Evans alles Routinemäßige vermied, wurden zum Vademekum der Pianisten des ausgehenden 20. Jahrhunderts. So entsprach es Evans’ Stilgefühl, die Bassnoten (Grundtöne eines Akkordes) in der linken Hand wegzulassen und dafür eher die höheren Lagen der Akkorde zu bedenken, um dem Bassisten mehr Freiheit in der Gestaltung seiner Aufgaben zu lassen.

Der Emanzipierer

Dies zeugte von einem neuen Verständnis des Pianisten für die Aufgaben der Instrumente im Jazz-Trio, seiner „Lieblings-Besetzung“. In Wahrheit war das Solo sein bevorzugtes Format – einige seiner intimsten Aussagen entstanden so – doch führten die enorme Selbstkritik und sein unbestreitbarer Rang als wegweisender Trio-Pianist seiner Zeit dazu, dass er sich hauptsächlich auf das Trio konzentrierte. Auf eine Formel gebracht lässt sich dieser epochemachende Beitrag als Emanzipation von Bass und Schlagzeug definieren: sie sind keine Rhythmusknechte mehr, sondern Dialog-, vielmehr Triolog-Partner des Pianisten. Diese Entwicklung, die neue Maßstäbe für das Spiel in Trios, aber auch in größeren Gruppen setzte, nahm im so genannten „First Trio“ mit Scott LaFaro und Paul Motian (1959–1961) ihren Ausgang und fand dort auch ihren ersten Höhepunkt. Betrachtet man das Schallplattenwerk näher, so ist diese Tendenz keineswegs durchgehalten, sei es, dass der Bassist „emanzipierter“ ist als der Drummer, sei es, dass Evans sich vor allem in späteren Jahren mit durchaus konventionellerer Rollenverteilung präsentierte. Letztlich war diese Spielweise abhängig von geradezu gedankenleserischen Fähigkeiten der wie ein einziger Organismus atmenden, fühlenden und spielenden Individuen. Die in Jazz-Kritiken so oft beschworene „traumwandlerische Sicherheit“ im Zusammenspiel von Musikern, in den Bill Evans Trios, insbesondere dem „First Trio“ und dem letzten, es gab sie wirklich! Unterstrichen wird dies noch von der Tatsache, dass die von Evans geleiteten Proben im Laufe seiner Karriere angeblich an den Fingern einer Hand abzuzählen sind. Die verblüffendsten Arrangements entstanden live oder im Studio und blieben, einmal gefunden, über Jahre Ausgangspunkt ähnlicher Abläufe. War das Triospiel als Gespräch dreier Gleichberechtigter nicht möglich, so gestaltete Evans nicht minder überzeugend Werke, bei denen er selbst im Vordergrund stand. Andererseits galt eine Zeit lang der Bassist Eddie Gomez als Star seines Trios.

Evans’ Interpretationen waren, wie sein Freund und Schüler Warren Bernhardt betonte, „die Quintessenz des jeweiligen Stückes“. Cannonball Adderley konstatierte schon 1958 ein sich immer wieder bestätigendes Phänomen, das viele Jazz-Freunde kennen, die einen Song so im Ohr haben, wie ihn Bill Evans sich zu eigen machte: „Bill Evans verfügt über ein außergewöhnliches Maß an Originalität und Geschmack und die noch seltenere Fähigkeit, seine Konzeption einer Nummer als die definitive Weise erscheinen zu lassen, in der das Stück gespielt gehört“ Nehmen wir etwa „Spring Is Here“, ein Rodgers & Hart-Song, von dem fürwahr viele herausragende Interpretationen in unterschiedlichsten Besetzungen, Tempi und Rhythmen existieren. In ihrer Fülle an feinen Nuancen unerreicht bleibt aber Bill Evans’ getragenes lyrisches Kleinod vom 1959. Diese Version diente dem Namensvetter Gil Evans sogar als Vorlage für ein Arrangement, das er mit seinem Orchester und Miles Davis 1961 in der Carnegie Hall aufnahm.

Viel zu wenig bekannt ist, dass Evans, der Autor von „Waltz for Debby“ und „Turn Out The Stars“, auch zu den begnadeten Komponisten des Jazz gehört. Ist Thelonious Monk als Komponist weit anerkannter denn als Pianist, ist es bei Bill Evans umgekehrt. Der Komponist Bill Evans verschwand ähnlich wie Bud Powell hinter seiner Tätigkeit als Pianist.

Am 16. August 1929 erblickte Bill Evans in Plainfield, New Jersey, als Sprössling einer walisisch-russisch-stämmigen Familie das Licht der Welt. Im Alter von sechs Jahren eiferte er seinem Bruder Harry nach, in dem er schon nach dem Gehör auf den Klaviertasten das nachfingerte, was der ältere im Klavierunterricht gelernt hatte. Zeitlebens hatten Bill und sein Bruder, der Musikpädagoge wurde, eine intensive Beziehung. Beide erlernten auch andere Instrumente: Bill Evans versuchte sich einige Jahre auch auf der Violine, der Flöte, der Piccolo-Flöte und dem Alt-Saxophon. Die Erfahrung mit diesen Instrumenten mögen zu seiner singenden Spielweise beigetragen haben.

An der High School musizierte er mit seinem Bruder und dem später bekannt gewordenen Jazz-Multiinstrumentalisten Don Elliott in einer Band. Die Lehrer waren von ihm so angetan, dass seine Eltern ihn auf deren Rat aufs Southeastern Louisiana College schickten, wo er sich zum klassischen Konzertpianisten ausbilden ließ. Seine Leistungen waren so herausragend, dass ihm eine glänzende Karriere im klassischen Sektor möglich gewesen wäre. In dieser Zeit komponierte er auch einen seiner ersten Songs, der bezeichnenderweise schon ein Walzer und harmonisch raffiniert ist: „Very Early“.

Hier, in nächster Umgebung von New Orleans, der Wiege des Jazz, erwacht sein Interesse für die afroamerikanische Musik. Zur Prägung durch Chopin und Debussy kommen Einflüsse von Nat King Cole, Bud Powell, George Shearing, Horace Silver und Lennie Tristano (wobei dessen saxophonistische Schüler Lee Konitz und Warne Marsh ihn noch mehr beeinflussten als der blinde Genius des Cool Jazz selbst). Zwar lassen einige Aufnahmen, zumal die älteren, diese Einflüsse klar erkennen, doch man muss nur die Musik seiner geistigen Lehrmeister mit der von Bill Evans vergleichen, um festzustellen, wie originell, wie unabhängig er war. (Bezeichnenderweise waren auch viele von Evans’ Lieblingspianisten, die ihn nicht beeinflussten, außerhalb des Mainstreams stehende Originale: Erroll Garner, Thelonious Monk, Ahmad Jamal.)

Diese äußerst glückliche Periode des Lernens und Kennenlernens Gleichgesinnter (darunter spätere Größen wie Mundell Lowe und Red Mitchell) wurde unterbrochen, als er 1951 für drei Jahre zum Militärdienst eingezogen wurde. Diese Erfahrung wirkte auf ihn so, wie sie auf so viele sensible junge Musiker aller Zeiten wirkte: sie war ein seelisches Trauma.

Der Außenseiter

Seine ersten Sporen verdiente sich Bill Evans unter anderem in den Bands von Herbie Fields, Jerry Wald, Lucy Reed und Tony Scott, der für ihn wichtige Kontakte herstellte. Am Mannes College of Music holte er sich in New York den letzten Schliff. Einen kleinen Durchbruch bedeutete es für ihn, als der damals als neutönerischer Außenseiter geltende George Russell ihn mit der Aufnahme „Concerto For Billy The Kid“ herausstellte.

„ New Jazz Conceptions“, sein erstes Album unter eigenem Namen, schon mit dem Drummer Paul Motian, zeigt Evans 1956 noch als von Silver, Tristano und vor allem Powell beeinflusst. Er ist noch einer von vielen begabten Bop-Pianisten jener Zeit. Es entstand für das Label Riverside, für das Bill Evans bis 1963 aufnehmen sollte, musikgeschichtlich gesehen sicherlich der wichtigste Teil seines so umfangreichen Schallplattenwerks. Dass er überhaupt so viele Platten einspielte, ist tragischerweise zum Teil auch das Ergebnis seiner sich in dieser Zeit manifestierenden Drogensucht, die ihn immer wieder in finanzielle Nöte brachte. Anfangs war das ganz anders. Es hatte den weitsichtigen Produzenten Orrin Keepnews einiger Überredungskünste bedurft, den Pianisten zu überzeugen, er sei schon reif für ein Album. Und bis zu seinem zweiten Album ließ Evans zwei Jahre verstreichen, weil er der Meinung war, er habe nichts Neues zu sagen. Auch dann noch, als er häufig ins Aufnahmestudio ging, verwies er viele Aufnahmen, mit denen sich die meisten anderen Pianisten stolz brüsten würden, in den Giftschrank. Keepnews nahm Evans bereitwillig häufiger auf, als er Möglichkeiten zur Veröffentlichung hatte, zum einen, weil er wusste, dass er es mit einem Genie zu tun hatte, zum anderen, weil er einem Freund nicht die Unterstützung versagen wollte. Evans brauchte die Zuschüsse, warteten doch brutale Kerle nur darauf, ihm die Finger zu brechen, wenn er seine Drogen-Schulden nicht begleichen sollte.

„New Jazz Conceptions“ war noch kein Verkaufsschlager. Und doch zeitigte das Album zusammen mit den Live-Auftritten eine enorme Wirkung: Mit einem Schlag war Bill Evans einer der beliebtesten Pianisten der Jazz-Szene, Sideman auf Platten so unterschiedlicher Künstler wie Charles Mingus oder Helen Merrill. Vom Mai 1958 an hatte er den Klavierstuhl der Zeit inne, als Nachfolger von Red Garland bei Miles Davis, der auf der Vorderseite der Hülle von „Everybody Digs Bill Evans“, dem zweitem Album als Leader, mit dem Satz zitiert wird: „Ich habe viel von Bill Evans gelernt, er spielt das Klavier so, wie es gespielt werden sollte.“ Weitere Empfehlungen stammen von George Shearing, Ahmad Jamal und Cannonball Adderley, der ja mit ihm bei Miles Davis musizierte. Angesichts so viel Lobes auf dem Cover fragte Bill Evans verlegen, warum nicht auch noch ein Sprüchlein seiner Mutter abgedruckt wurde.

Die für die Platte ausgesuchten Rhythmiker Sam Jones und Philly Joe Jones stimulierten ihn zu vitaler, gelegentlich aggressiv swingender Hardbop-Solistik. Wenn er später in seinem Spiel den expliziten Swing durch einen implizierten ersetzte, dann, weil er wollte. Als Höhepunkt des Albums wird seit je „Peace Piece“ betrachtet, als programmatischer Vorbote einer neuen Poetik des Jazzpianos. Das Stück, das wie ein Jazz-Pendant zu den Solostücken Eric Saties klingt, entstand zufällig im Studio. Evans hatte am ersten Takt von Leonard Bernsteins „Some Other Time“ herumgetüftelt. Daraus entwickelte er eine ostinate Figur über die er ausgiebig improvisierte. Das Ostinato war frei von harmonischen Spannungen, was die Improvisation von der üblichen Funktionsharmonik befreite. Man hat hier eine Art Geburtsstunde des modalen Jazz sehen wollen, zumal das Stück Vorlage für „Flamenco Sketches“ aus Miles Davis’ „Kind Of Blue“ wurde. Genauer betrachtet ist Bill Evans schon bei dieser Geburtsstunde weit über die Modalität im engeren (skalengebundenen) Sinne hinausgegangen. Noch harmonisch denkend benutzt er den einfachen Background für verblüffende Einfälle, die immer wieder von der Ausgangstonart wegführen.

Ü ber „Kind of Blue“ sind sogar zwei ganze Bücher geschrieben worden. Lassen wir es bei einer Anmerkung bewenden. Mit „Blue In Green“ komponierte Evans ein lyrisches, harmonisch raffiniertes Kleinod, auch wenn sich Miles Davis die Autorenrechte sicherte. Als das Album 1959 aufgenommen wurde, gehörte Bill Evans seit einigen Monaten nicht mehr zur Band. Er hatte darunter gelitten, als einziger Weißer in einer aus Schwarzen bestehenden Band von Teilen der Öffentlichkeit diskriminiert zu werden, die meinte, Davis müsse unbedingt einen schwarzen Pianisten haben. Außerdem erkannte er, dass er mit einem eigenen Trio seine musikalischen Vorstellungen besser verwirklichen konnte.

Bei Miles Davis hatte der von Selbstzweifeln geplagte Bill Evans endgültig zu sich gefunden, ähnlich wie viele Musiker vor und nach ihm bei diesem großen Katalysator. Zum einen hatte er erkannt, dass etwas daran sein müsse, wenn jemand, den er so schätze wie Miles Davis, von seinem Spiel in höchsten Tönen schwärmte. Zum anderen hatte er klarere Vorstellungen, was er wollte und was nicht. Anfangs hatte ihn Miles Davis gebeten, sich im Sinne seiner Vorstellungen auszudrücken. Doch Bill Evans war immer seinen Weg gegangen und so war er es, der langsam den Sound von Davis’ Band verändert hatte. Als Davis-Sideman war Evans, der vom Down Beat zum besten neuen Talent unter den Pianisten gekürt wurde, im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Das Glück wollte es, dass in dieser Situation auch sein wegweisendes „First Trio“ mit dem Bassisten Scott LaFaro und dem Drummer Paul Motian aus der Taufe gehoben wurde. „It wasn’t piano, bass and drums, it was music made by three people. It’s like you take a puzzle with maybe thousand pieces, and maybe you find only three that really fit together. That’s a rarity,“ erinnert sich Paul Motian.

Der Partner

„Portrait In Jazz“ hieß das erste Album dieses Trios. Im Bill-Evans-Trio wurden erstmals Bassist und Schlagzeuger in jeder Hinsicht gleichberechtigte Partner des Pianisten, wobei der Dialog der Instrumente an Stelle von Solo und Begleitung trat. Evans äußerte bei der Aufnahme sein Credo: „I’m hoping the trio will grow in the direction of simultaneous improvisation rather than just one guy blowing. If a bass player, for example, hears an idea that he wants to answer, why should he just keep playing background?“ Kein Song dieser Platte von 1959 demonstriert anschaulicher als „Autumn Leaves“ diese unterschwellige Revolution, die Evans, LaFaro und der Schlagzeuger Paul Motian in der Trio-Musik anbahnten. Betrachten wir diese formale Raffinesse näher! Nach Intro und Themenvorstellung hören wir im ersten A-Teil nur den Bass, im zweiten A-Teil kommt es zu einem Dialog von pianistischen Oktavlinien und Bass-Solo. Ab dem B-Teil tritt das Schlagzeug in den Dialog ein. Auch der folgende Chorus ist ein freies Wechselspiel der drei Instrumente, eine Kollektivimprovisation, bei der drei Soli gleichzeitig erklingen. Fast stehen wir hier an der Grenze zum Free Jazz. Doch es folgt ein „begleitetes“ Klaviersolo, das nichtsdestotrotz vom Kollektiv lebt. An dieses Solo schließt sich wieder ein über zwei A-Teile umfassender „Triolog“ an, ein Bass-Solo (B und C), die erneute Themenvorstellung und eine Coda. In ihrer faszinierenden Balance zwischen Freiheit und Kohärenz ist „Autumn Leaves“ eine der gelungensten Aufnahmen des frühen Evans-Trios.

Neue Maßstäbe

In der kurzen Zeit, die Scott LaFaro mit dem Bill Evans Trio vergönnt war, schuf er neue Maßstäbe für das Spiel auf seinem Instrument. Der konventionelle „walking bass“, mit dem Bassisten sonst die „time“ markierten, hatte bei ihm ausgedient. Er brachte sich mit der Autorität eines Virtuosen, der für die damalige Zeit ungewöhnlich „gitarristisch“ spielte – geschwind, in hohen Lagen, vereinzelt Akkorde spielend – in das musikalische Gespräch ein. Und der feinfühlige Paul Motian war mit seinem melodischen, klangsinnlichen Spiel genau der richtige Drummer für diesen Triolog. „Expectations“ war ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung auf die neue Freiheit in der Rollenverteilung. Scheinen komplexe frühe Arrangements vielleicht noch am Reißbrett entstanden zu sein, so entwickelt sich im Laufe der Zeit immer mehr jene gedankenleserische Freiheit, die verblüffendste Lösungen intuitiv finden lässt. Das Gespräch zwischen drei Partnern, die ständig ihre Rolle tauschen, basiert einzig noch auf dem Gehör, erreicht die größtmögliche Freiheit: Bei den 1961erAufnahmen im Village Vanguard, die als Wendepunkt der Jazzklaviergeschichte gelten, erreicht das Trio den Höhepunkt.

Zehn Tage nach den Aufnahmen starb Scott LaFaro im Alter von nur 25 Jahren bei einem Autounfall. Sein Verlust wurde im Jazz mit einer ähnlichen Bestürzung wahrgenommen wie zwei Jahrzehnte zuvor der frühe Tod Jimmy Blantons, des Wegbereiters des modernen Bassspiels. Für Bill Evans war es eine menschliche und künstlerische Katastrophe. Er dachte sogar daran, mit dem Jazz aufzuhören. Monatelang spielte er nicht, dann veröffentlichte er nur zögerlich. Bezeichnenderweise entstanden in dieser Zeit, in der auch sein Drogenkonsum anstieg, diverse Aufnahmen, die nicht im Trio-Format sind, sondern solo oder in größeren Gruppen entstanden. Jeder, der in Zukunft bei Evans Bass spielte, wurde unwillkürlich mit LaFaro verglichen. Es ist erstaunlich, wie sich die nachkommenden Bassisten der gigantisch hohen Niveauvorgabe stellten und der von LaFaro erreichte Materialstand als selbstverständliche Ausgangsbasis gewählt wurde. Das gilt insbesondere für Eddie Gomez, der LaFaro technisch sogar übertrifft. LaFaros direkter Nachfolger Chuck Israels war weniger wagemutig und ließ sich die Arrangements von Evans detailliert notieren. Zur Zeit dieses sogenannten „second trio“ trat Bill Evans mit Stücken wie dem impressionistischen „Time Remembered“ als Komponist stärker in den Vordergrund.

Die mittleren 60er-Jahre wurden zu einer schwierigen Periode, deren Höhepunkt Solo-Aufnahmen für Verve im Playbackverfahren waren. Die Schlagzeuger wechselten ständig. Bei den Bassisten trat ab 1966 eine gewisse Stabilität ein, als der großartige 21-jährige Eddie Gomez dem Trio beitrat. Er blieb elf Jahre und wirkte sehr inspirierend und revitalisierend auf den Pianisten. Die Stabilität wurde dauerhaft, als der Drummer Marty Morell hinzukam, der von 1968 bis 1975 blieb.

Der Entwickler

Zahlreiche Live-Mitschnitte von überall aus der Welt in den späten 60er- und 70er-Jahren belegen Reisefreude, unermüdliche Aktivität und den großen Erfolg des neuen Trios, und dies zu einer Zeit, da im Gegensatz zu Evans nur wenige Jazzmusiker gut über die Runden kamen. Obwohl sich Evans’ Spielweise nicht mehr grundlegend änderte – Modeströmungen kümmerten ihn ebensowenig wie das, was gerade Avantgarde war – gab es keinen musikalischen Stillstand in seiner Entwicklung. Sein Stück „T.T.T.“ etwa zeugt von seinem Bestreben, selbst der Zwölftonreihe im Thema (nicht etwa in der Improvisation) jazzmäßige Wirkungen abzuringen. Wer mit solchen intellektuellen Späßen begeistern konnte, besaß zugleich die Fähigkeit ein schlichtes Lied wie „Hi Lili, Hi Lo“ so ergreifend zu interpretieren, dass man mehrere Minuten mit feuchten Augen zuhört, obwohl Evans nur sehr sparsam von seiner improvisatorischen Freiheit Gebrauch macht. Es geht hauptsächlich um die Kunst der Modulation und der Schattierung. Der Anlass dieser Aufnahme war sehr tragisch, der Freitod seiner langjährigen Lebensgefährtin Ellaine.

Bill Evans heiratete 1973 Nenette Zazarra, mit der er den heutigen Filmkomponisten Evan Evans zeugte. Einige Jahre später lebten sie getrennt (um die Kinder vor Drogen abzuschirmen), standen sich aber weiterhin nahe. Sie berichtet, er habe daheim fast nur klassische Musik gespielt. Seine ständige Schulung an klassischer Musik rückt einige seiner Jazz-Aufnahmen so sehr in die Nähe klassischer Musik, dass es nicht weiter erstaunt, dass ein klassischer Interpret wie Jean-Yves Thibaudet die Transkriptionen notengetreu interpretiert. Man hat so lange nach Bindegliedern zwischen Jazz und europäischer Konzertmusik gesucht und dabei auf den „Symphonic Jazz“ eines Gershwin, die Suiten eines Ellington, die Bach-Verbeugungen des Modern Jazz Quartet, den Third Stream eines Gunther Schuller hingewiesen. Bill Evans erwähnt man in diesem Zusammenhang nicht, wohl weil er sich mit vordergründigen Verjazzungen nicht aufhielt, sondern die Durchdringung beider Welten von seinem Wesenskern her so nahtlos vonstatten ging, dass sie gar nicht auffiel. Er sah auch keine Gegensätze zwischen Jazz und Klassik, sondern – in verblüffender Einfachheit – zwischen improvisierter und komponierter Musik. Für ihn war zum Beispiel die früher in der westlichen Konzertmusik übliche Improvisation auch eine Art Jazz.

Viele wichtige späte Aufnahmen entstanden für die Labels Fantasy und Warner Bros. Seiner Produzentin Helen Keane vertraute der selbstkritische und hochsensible Künstler auch bei der Auswahl der Aufnahmen voll. Keanes Produktionen decken ein breites Spektrum ab. Evans war zwar vor allem anderen ein Trio-Pianist, doch es war ihr offensichtlich ein Anliegen, dass er nicht nur dies war. So entstanden Duo-Aufnahmen mit Eddie Gomez, ein rares Genre, das von Ellington und Blanton geschaffen wurde. Auf einigen Aufnahmen spielte Evans sogar das modische elektrische Klavier. Andere Fantasy-Alben zeigen Evans als Solo-Pianisten, im Zusammenspiel mit Bläsern oder als Begleiter des Sängers Tony Bennett auf dessen vielleicht bester Platte.

Seit Frühling 1975 war Eliot Zigmund der neue Drummer des Trios, mit dem er das Album „I Will Say Goodbye“ einspielte, das mit einem Grammy ausgezeichnet wurde. Rückblickend erscheint der Titel prophetisch. Es ist, als seien die letzten Jahre Bill Evans’ wie ein langsames Abschiednehmen, nicht etwa ein stiller Rückzug, sondern wie eine rückhaltlose, intensive Hingabe an die Musik, bei der keine Kräfte geschont wurden. Als sich sein Bruder Harry 1979 das Leben nahm, bereitete es ihm einen ähnlichen Schock wie der frühe Tod LaFaros und der Freitod Ellaines. Es heißt, sein Lebenswille sei gebrochen gewesen. Nahestehende sind sich klar darüber, dass auch Bill Evans’ Drogenkonsum ein Selbstmord auf Raten war. Einige Jahre zuvor war er vom Heroin losgekommen; doch in den letzten Jahren seines Lebens wurde er vom Kokain abhängig. Ohne dass hier alle Wandlungen im Spätwerk darauf zurückgeführt werden sollen, hatte diese aufputschende Droge sicherlich einen Einfluss auf Evans’ neue, funkensprühende Musizierweise. Er liebte nun schnelle Tempi und dynamische Kontraste, spielte treibender als je zuvor. Diesen neuen intensiven Ansatz verwirklichte er in seinem letzten Trio mit dem Bassisten Marc Johnson und dem Drummer Joe LaBarbera, dem Evans selbst den musikalischen Rang des „First Trio“ zuerkannte.

Am 15. September 1980 verstarb Bill Evans, ein abgezehrter Junkie, an den Folgen seiner Sucht, einer Lungenentzündung, einem aufgebrochenen Magengeschwür, einer Leberzirrhose, an inneren Blutungen. Jahrzehntelang hatte er eine chronische Hepatitis gehabt. „Er war eine reine, schöne Seele”, charakterisierte ihn Helen Keane. „Auch in der größten persönlichen Qual gab er uns bis zu seinem Ende Schönheit. So sollten wir uns an ihn erinnern.” Diese Worte lassen sich an den buchstäblich wenige Tage vor dem Tod mitgeschnitten Aufnahmen unseres Pianisten nachprüfen. Noch vom 31. August bis zum 8. September hatte er im San Franciscoer Keystone Korner ein Engagement, das mitgeschnitten wurde.

Unerschöpfliche Phantasie
Man möchte gern glauben, dass ein todgeweihter Vollblutmusiker lieber ein letztes Mal mit seinen Gefährten, Marc Johnson und Joe LaBarbara, musizieren möchte, statt auf dringenden ärztlichen Rat das Krankenhaus aufzusuchen. Man möchte ebenso gern glauben, dass dabei bewegende Musik entsteht. Man muss aber das Resultat gehört haben, um zu fassen, wozu ein genialer und gesunder Geist fähig ist, wenn schon alle Kräfte aus dem gepeinigten Leib schwinden. Unerschöpfliche Phantasie, ein feinnerviges Gespür für die jeweils gebotene Nuance, ein untrüglicher Sinn für die Entwicklungsmöglichkeiten der Einfälle, eine nach Jahrzehnten Karriere immer noch unstillbare Neugier, eine Dringlichkeit, die hinter jeder Note steht und nirgends unmotiviertes Geklimper zulässt, das alles macht Evans Schwanengesang zu einem beglückenden Hörerlebnis. Die Aufnahmen finden sich in den Boxen „Consecration“ und „The Last Waltz“. Die Herausgeber haben ihnen ein passendes westafrikanisches Motto vorangestellt: „Wenn der Tod kommt, möge er dich lebendig vorfinden.“

Marcus A. Woelfle

 

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