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            Jazzzeitung
               2007/03  ::: seite 15
              rezensionen
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      L’Histoire des Big Bands 
        1914–1955 
      Le chant du monde        Wer die Geschichte des großorchestralen Jazz bis 1955 Revue passieren
        lassen will, hat auch bei zehn CDs die Qual der Wahl. André Francis
        und Jean Schwarz haben ihre Aufgabe mit einer glänzenden Blütenlese
        aus Wichtigem und Typischem gemeistert und dabei wichtige Faktoren berücksichtigt.  
        So setzen sie zum Beispiel bereits 1914 an, bei Aufnahmen, die noch gar
        nicht als Jazz zu bezeichnen sind, und sie berücksichtigen Ensembles
        der 20er-Jahre, die nach späteren Kriterien allein schon wegen der
        geringen Anzahl der Musiker keine Big Bands sind. Dem Verständnis
        der Entwicklung tut solche Großzügigkeit gut. Durch die streng
        chronologische Anordnung – in der Regel ist jedes Jahr mit mehreren
        Aufnahmen vertreten – erlebt man anhörlich die Gleichzeitigkeit
        des Verschiedenen.  
        Auch Aufnahmen die man schon gut kennt, wirken dadurch ganz neu. So wirkt
        etwa das Erscheinen Duke Ellingtons 1927 im Kontext zeitgenössischer,
        selbst sehr guter Bands wie eine Offenbarung. Manche Entscheidung der
        Herausgeber ist freilich rätselhaft. Wenn man schon ein längeres
        Werk wie Ellingtons 44er-Kurzfassung seiner epochalen Suite „Black
        Brown And Beige“ aufnimmt, sollte man es nicht um vier Minuten
        kürzen. Dafür könnte man auf anderes verzichten: Charlie
        Parker mit den Dave Lambert Singers wird auch durch ein Gil-Evans-Arrangement
        nicht zur Big-BandMusik. Doch an so einem gelungenen Kompendium herumzumäkeln
        tut dem Kritiker selbst weh. Wenn Sie sich nur einmal in Ihrem Leben
      eine Big-Band-Anthologie kaufen wollen, sind Sie damit bestens beraten! 
      Cy Touff and Richie Kamuca Quintet & Octet: Primitive Cats 
      Fresh Sound Records 
       Kennen Sie das Phänomen? Da hört man tagein, tagaus die großen
        Werke der anerkannten großen Genies, mit vor Staunen offenem Mund
        und wirklichem Entzücken. Doch dann legt man ein Album von Musikern
        auf, die weder neue Stile erfunden haben, noch sonst wie auf den Fortgang
        der Jazzgeschichte einen besonderen Einfluss hatten.  
        Sie tun nichts als völlig entspannt drauflos zu swingen und dabei
        Freude auszustrahlen. Sie bringen eine tiefe Note in dir zum Schwingen,
        zaubern dir ein Lächeln auf die Lippen und du fühlst Dich von
        Glück überströmt, wie das bei den Großen oft, doch
        nicht immer der Fall ist. Verstehen wir uns richtig. Wer hier zum Fußwippen
        und Fingerschnippen anregt, Cy Touff und Richie Kamuca sind keineswegs,
        wie der Titel andeutet „Primitive Cats“. Touff, der 1955,
        zur Zeit der Aufnahmen bei Woody Herman wirkte, war der wohl bekannteste
        Basstrompeter des Jazz und Richie Kamuca war zu dieser Zeit einer der
        besten Tenoristen der modernen Lester-Young-Schule, sprich, ein Musiker
        im Schatten von Stan Getz und Zoot Sims. Es sind kultivierte Könner
        und ihre Begleiter, die Pianisten Pete Jolly beziehungsweise Russ Freeman,
        der Walkmeister Leroy Vinegar und der Drummer Chuck Flores, sind der
        Traum jedes West-Coast-Freundes. Im Oktett kommt mit dem Trompeter Harry
        Sweets Edison ein großer Meister gestalteter Einfachheit hinzu.  
        Woher kommt diese befreiende Gelöstheit, diese beglückende
        Unbeschwertheit?  
        Vom Fehlen jeder Prätentiösität? Stehen sie weniger unter
        Druck als jene, von denen man erwartet, mit jedem Ton das Rad neu zu
      erfinden? 
      Danny Polo 
        The Complete Sets 
        Retrieval              Danny Polo, der bereits 1949 im Alter von 48 Jahren starb, war einer
        der vielen „unsung heroes“ der Jazzgeschichte. Er gilt als
        einer der großen Klarinettisten des Swing, doch wer bislang nicht
        zufällig durch Platten von Jean Goldkette oder Claude Thornhill
        auf ihn aufmerksam wurde, hat allenfalls den Namen einmal gelesen. Bislang
        fehlte eine CD unter eigenem Namen.  
        Diese Lücke wurde nun mehr als sorgfältig geschlossen. Hier
        sind alle Aufnahmen versammelt, die der Italo-Amerikaner, der einiges
        zur Verbreitung des Jazz in Europa beitrug, als Leader einspielte, sogar
        erstmals veröffentlichte Fundstücke. Sie entstanden 1937 und
        1938 in London sowie 1939 in Paris. Als Bonus finden sich die 35er-Aufnahmen
        mit den Embassy Rhythm Eight.  
        Man kann sich freilich amerikanische Traumbesetzungen vorstellen, mit
        denen Polo mehr erreicht hätte, doch das Niveau der Bands ist gut:
        Zu den internationalen Mitspielern zählen etwa der schottische Posaunist
        George Chisholm, der französische Hawkins-Schüler Alix Combelle
        oder der argentinische Gitarrist Oscar Alemán (nicht, wie das
        Titelblatt will, Alcman), in Frankreich die Nummer zwei nach Django.
        Danny Polo empfiehlt sich mit weichem, warmem Sound, vor allem im Chalumeau-Register.
        Wärme ist aber nicht gleich Hitze.  
        Ein musikalisch sanftes Naturell schien ihn davon abzuhalten, „ganz
        aufzudrehen“, extrem hot zu spielen oder die ganze Virtuosität
        vorzuführen, die ihm wohl zu Gebote stand. Es war wohl dieses Understatement,
        das ihn bei den späteren Cool Jazzern so beliebt machte. 
      Duke Ellington 
        Vol. 12: Blue Abandon 
      Naxos Jazz Legends 
       Der zwölfte Band in der Ellington-Reihe von Naxos widmet sich den „Radio
        Transcriptions and Concert Recordings“ zwischen März und November
        1946. Welch eine Band!  
        Obwohl Ellingtons Orchester der frühen 40er-Jahre, den sogenannten „Blanton-Webster
        Years“ wie ein heiliger Gral verehrt wird, gehört diese kaum
        beachtete, wenig spätere Formation zu den hörenswertesten seiner
        Karriere, auch wenn an Stelle von Giganten wie Ben Webster oder Rex Stewart „nur“ Al
        Sears oder Taft Jordan am Werk sind.  
        Der Bebop ist 1946 dabei, das Klangbild auch des großorchestralen
        Jazz zu verändern. Duke Ellington lässt sich davon kaum beeindrucken,
        obgleich er mit Oscar Pettiford, dem modernsten Bassisten der Zeit, einen
        Bopper im Orchester beherbergt. Von Eingebungen seiner Mitmusiker profitierend,
        doch nicht auf Stilumbrüche außerhalb seines Ensembles angewiesen,
        schafft der Duke trotz der Unabhängigkeit vom Bop zum einen, den
        progressiven Tendenzen der Kenton und Raeburn zum anderen, mühelos
        Musik, die keinen Deut weniger zeitgemäß ist.  
        Es sind kaum Hits dabei, doch Kleinodien mit eben so seltsamen Titeln
        wie Details, „The Unbooted Character“, das keinen rechten
        Schluss hat, das hüpfende „The Suburbanite“ und so manches
        Stück, in dem Ellington die unnachahmlichen Akkordschichtungen und
        Klangfarbenmixe anrührt. Höhepunkte des Albums sind Billy Strayhorns
        lyrisches Idyll „A Flower Is A Lovesome Thing“ und die „Deep
        South Suite“, aus dessen Schlusssatz später „Night Train“ abgeleitet
        wurde. 
      Sarah Vaughan 
        The Complete Columbia Recordings 1949–1953 
      United Archives 
       Große Vokalisten wie Nat King Cole oder Frank Sinatra standen
        im Ruf, den Jazz nur als Leiter zu einer ertragreicheren Karriere
        missbraucht zu haben. Wiewohl sie heute fast nur als Jazzerin in Erinnerung
        ist, war es bei Sarah Vaughan nicht anders. Ein Nachschlagewerk der 60er-
        Jahre tadelt: „Ihre Produktion seit 1949 hatte im Übrigen überwiegend
        kommerziellen Charakter.“  
        In den USA nimmt man die Grenzen zwischen Jazz und Pop nie so genau;
        große Plattenfirmen ließen wenig künstlerische Freiheiten.
        1949 bis 1953 entstanden Sarah Vaughans Aufnahmen für Columbia,
        die sie zum internationalen Star machten.  
        Jene mit einem Oktett um Miles Davis und Tony Scott sind zweifellos der
        Höhepunkt und rechtfertigen aus Jazz-Warte allein schon den Kauf
        der preisgünstigen Box. Mit Columbia-Hits wie „Black Coffee“ konnte
        Sassy gleichermaßen Jazz-Freunde und breitere Hörerschichten
        ansprechen. „Pinky“, ganz ohne Text auf Vokalisen aufgebaut,
        dient allein der (Selbst)Bewunderung ihres betörenden Organs.  
        Doch daneben finden sich zuhauf unsägliche Schnulzen, die verständlich
        machen, warum es Columbia selbst 1988 bei einer auf zwei CDs gestreckten
        Kurzauswahl der besten Stücke bewenden ließ. Und doch: Selbst
        wenn ein Song und sein Arrangement am Rande erträglicher Kitschigkeit
        ist, kann man kaum umhin, sich am Klang der vollkommensten Stimme zu
        berauschen, die der Jazz je hervorgebracht hat. Jazzigere Bonus-Tracks
        ergänzen die Columbias durch 40er-Jahre-Aufnahmen für Guild,
      Crown, HRS und MGM. 
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