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Jazzzeitung

2005/10  ::: seite 22-23

Jazz nach Noten?

 

Inhalt 2005/10

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
no chaser:
Der Piano Man (1)
jazzle g'macht:
Journalist! Jovialist?
jazzfrauen-abc: Miriam Klein
Farewell: Eli „Lucky“ Thompson


TITEL / DOSSIER


Titel: Durch Musik sprechen
Latin Jazz Latino: Joe Gallardo und die NDR Bigband
Dossier:Jazz nach Noten – geht das?
Eine Podiumsdiskussion während des Bayerischen Jazzweekends


BERICHTE
/ PREVIEW

Reihe Jazz First in Fürstenfeld // Dino Saluzzi in der Tonne in der Leipziger Moritzbastei // Münchner Klaviersommer 2005 // Neuburg : Swing an der Donau // Jazzbaltica Festival Salzau 2005


 JAZZ HEUTE

Basisarbeit für den Jazz
Seit 15 Jahren erfolgreich: das Jazzinstitut Darmstadt
Kann Figaro jazzen? Aber ja
Jazz im Kulturkanal des Mitteldeutschen Rundfunks
Weit verzweigtes Engagement

Deutsche Jazz Föderation e.V. schärft ihr Profil in Förderprojekten
Auswählen ist Schwerstarbeit
Der 5. Jazz & Blues Award Berlin gewinnt allmählich Konturen


 PORTRAIT / INTERVIEW


Joachim Kühn im Interview // Zum 65. Geburtstag von Steve Swallow // Der Gitarrist und Sänger Torsten Goods


 PLAY BACK / MEDIEN


CD. CD-Rezensionen 2005/10
Playback. Eine CD-Box mit Aufnahmen von Ken Vandermark begeistert
Bücher. Neuerscheinungen zu Paul Desmond und zur Mafia im Musicbusiness
Noten. Neues Notenmaterial für Saxophon, Trommler und Gitarristen
Instrumente. Audio Analyzer von Phonic


 EDUCATION

Fortbildung // Ausbildungsstätten in Deutschland (pdf)
Abgehört. Joshua Redman und sein groovendes Trio Elastic


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2005/10 als pdf-Datei (Kalender, Clubadressen, Jazz in Radio & TV (270 kb))

Jazz nach Noten – geht das?

Eine Podiumsdiskussion während des Bayerischen Jazzweekends

Können Sie sich Charlie Parker oder Thelonious Monk an einer Musikhochschule vorstellen? Sicher nicht. Zu sperrig, zu schräg, zu abgefahren. Aber wer schreibt dann heute die Jazzgeschichte? Seit einigen Jahren gibt es so etwas wie eine Akademisierung des Jazz, der in Bildungsinstitutionen vermittelt wird. Kommt die Jazzausbildung kurioserweise in einen Widerspruch zur Geschichte des Jazz?

v.l.n.r.: Roland Spiegel, Gunther Conrad, Roland Bohnes, Axel Prasuhn, Lisa Wahlandt, Gerwin Eisenhauer und Andreas Kolb. Foto: Petra Basche

Bild vergrößernv.l.n.r.: Roland Spiegel, Gunther Conrad, Roland Bohnes, Axel Prasuhn, Lisa Wahlandt, Gerwin Eisenhauer und Andreas Kolb. Foto: Petra Basche

Das sind Fragen, denen die Jazzzeitung in ihrer bundesweit einzigartigen Rubrik „education“ schon etliche Jahre nachgeht. Aus Anlass des Bayerischen Jazzweekends, das in 24 Jahren seines Bestehens nichts von seiner Attraktivität für junge Nachwuchsjazzer verloren hat und zu einem der wichtigsten Marktplätze des Jazz in Bayern geworden ist, lud die Jazzzeitung Anfang Juli Musiker, Komponisten, Dozenten und Musikschullehrer zu einer Podiumsdiskussion ein, auf der man sich gemeinsam darüber Gedanken machte, was Jazzausbildung heute sein kann und für welches Berufsleben Jazzmusiker heute ausgebildet werden. Als Gäste auf dem Podium saßen die Sängerin Lisa Wahlandt, der Sänger und Leiter der music academy, Gunther Conrad, der Schlagzeuger Gerwin Eisenhauer, der music academy Student Roland Bohnes, der Sänger, Flötist, Saxophonist und Musikschullehrer Axel Prasuhn sowie Roland Spiegel, Jazz-Redakteur beim Bayerischen Rundfunk. Andreas Kolb von Jazzzeitung moderierte.

Andreas Kolb: In einem Interview hat Joe Zawinul einmal zu mir gesagt: „Die Jungen spielen alle großartig – aber es gibt keine Persönlichkeiten mehr unter ihnen.“ Liegt das an der Konformität der Ausbildungen? Axel Prasuhn, du selbst „musstest“, obwohl du Jazzer werden wolltest, erst einmal Klassik studieren. Hast du deine musikalische Persönlichkeit gerade diesem Weg zu verdanken?

Axel Prasuhn. Foto: Martin Hufner

Bild vergrößernAxel Prasuhn. Foto: Martin Hufner

Axel Prasuhn: Als ich 1971 angefangen habe, das Lehramt für Musikschulen zu studieren war Klassik das Einzige, was es gab. Der Erste, der diesen festen Fächerkanon aufgebrochen hat, war damals mein späterer Bandleader Joe Viera, der zu den wichtigsten Protagonisten der Jazz-Pädagogik in Deutschland gehört. Die heutigen Ausbildungsmöglichkeiten bieten grundsätzlich einen sehr großen Vorteil gegenüber früher. Der Kampf ist nicht mehr so schwer. Damit sind natürlich die Ansprüche, die an einen ausgebildeten Jazzmusiker gestellt werden, deutlich gestiegen.

Kolb: Du bist Jury-Mitglied bei „Jugend jazzt“ – wenn du die heutigen jungen Musiker hörst, dann sind die doch technisch klasse. Aber sind es auch automatisch gute Jazzer?

Prasuhn: Das muss sich erst noch zeigen. Im Augenblick muss man natürlich die extrem hohen technischen Fähigkeiten der jungen Musiker anerkennen. Aber auch ihr Herz für die Sache. Eine Ausbildung allein ist jedenfalls kein Garant dafür, einen künstlerischen Reifeprozess voranzubringen. Der Reifeprozess vollzieht sich außerhalb der Institute – hauptsächlich in den Konzerten, in den Kontakten, die man zu anderen Musikern hat.

Die große Innovation

Kolb: Roland Spiegel ist Jazzredakteur beim Bayerischen Rundfunk und er bekommt alle Platten der jungen deutschen und europäischen Musiker auf den Schreibtisch. Du hast ja einmal gesagt: „Jazzmusik ist die große Innovation des 20. Jahrhunderts.“ Ist es auch noch die Innovation des 21. Jahrhunderts?

Roland Spiegel: Das kann man jetzt noch nicht sagen kann. Das, was im 20. Jahrhundert die große Innovation war, stellt sich heute als eine Art „andere Klassik“ heraus. Archie Shepp hat es einmal so formuliert: „Jazz ist die klassische Musik der Afro-Amerikaner.“ Das kann man ausweiten auf andere Länder und Regionen: Heute ist ein Stil-Pluralismus da, wie es ihn noch vor 15 Jahren nicht gab. Es gibt in den letzten Jahren sehr viele Ensembles, in denen Jazz und so genannte Weltmusik miteinander verbunden werden oder es gibt sehr viele Ensembles, die auch dezidiert klassische Musik und Jazz zusammenbringen – also meinetwegen Jazzstücke arrangiert für Streichquartett oder richtige Jazzstücke, in denen Streichquartett integriert ist. Daher glaube ich, dass der Jazz im Moment eher an einem Endpunkt angekommen ist, als an einem Punkt, wo man eine Entwicklung absehen kann. Aber ein Endpunkt ist ja auch immer ein Punkt für einen neuen Start. Nach dem Jazz ist vor dem Jazz.

Kolb: Was sagst du zum Diktum von Joe Zawinul? Hast du denn Persönlichkeiten entdeckt in den letzten fünf Jahren?

Spiegel: Den Ausspruch von Joe Zawinul muss man relativieren. Denn es gibt grandiose Persönlichkeiten: Ich denke jetzt etwa an Michael Wollny. Das ist ein wunderbarer Pianist, Jahrgang 1978, der nicht nur ein guter Techniker an seinem Instrument ist, sondern wirklich eine ganz stark ausgeprägte musikalische Persönlichkeit mitbringt.

Kolb: Und es ist kein Wunder, dass er Heinz Sauer begegnet ist, einem der wichtigsten Saxophonisten der älteren Generation.

Spiegel: Die spielen fast symbiotisch gut zusammen. Oder Nils Wogram – er ist Jahrgang 1972. Auch ein fantastisch guter Musiker, der technisch so irrwitzig gut ist, dass man – wenn man nicht hinguckt – glaubt, zwei Posaunisten auf einmal spielen zu hören. Aber er hat eben auch eine ganz eigene, ausgeprägte Stilistik. Ich glaube, er wäre ganz schwer mit jemand anderem zu verwechseln.

Offen für Neues

Kolb: Gerwin, du bist als Drummer jemand, der neue Elemente in den Jazz mit hineinnimmt. Du bist offen für neue Strömungen, für HipHop, für Dance Music, für Jungle und so weiter. Gleichzeitig bist du aber auch pädagogisch aktiv. Du selber hast ja in Amerika studiert als einziger von den hier anwesenden. Kannst du vielleicht einen Vergleich ziehen: Deutschland – Amerika?

Gerwin Eisenhauer: Einen direkten Ver-gleich kann ich nicht ziehen, weil ich hier in Deutschland nicht studiert habe. Meine Motivation nach Amerika zu gehen, war folgende: Damals bezog sich an den Konservatorien und Musikhochschulen alles auf Swing und Bebop. Ich war aber an dieser Art von Musik nicht so interessiert und hatte jedoch gehört, dass bestimmte amerikanische Ausbildungsinstitute bereits „Worldmusic“, auch Pop, Rock und Heavy Metal anboten. Dann ging ich ’rüber, weil dieses viel breiter gefächerte Angebot mehr meinen Ideen entsprach.

Kolb: Kann Jazz an der Hochschule überhaupt noch innovativ sein?

Eisenhauer: Man kann nicht die Jazzausbildung und alle Hochschulen und Konservatorien in Deutschland über einen Kamm scheren. Ganz ähnlich wie in der bildenden Kunst sind die Institute auch eingefärbt von den jeweiligen Dozenten und ihrer künstlerischen Haltung. Einige Hochschulen sind von der Stilistik eher breiter gefächert, und dann gibt es natürlich auch Institute, von denen man weiß, hier wird eher im Sinne des Bewahrenden unterrichtet. Das ist natürlich problematisch, um auch den Begriff des „Musealen“ aufzugreifen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist auch, dass die Hochschulen ja bewerten. Das heißt, man muss mit einer Ästhetik arbeiten, die in irgendeiner Weise bewertbar ist.

Kolb: Bist du denn mit deinem amerikanischen Diplom hier in Deutschland gut angekommen?

Lisa Wahlandt und Gerwin Eisenhauer. Foto: Martin Hufner

Bild vergrößernLisa Wahlandt und Gerwin Eisenhauer. Foto: Martin Hufner

Eisenhauer: Es ist in Deutschland wichtig, einen Abschluss zu haben. Auch wenn viele denken, eigentlich würde es ihnen von der künstlerischen Warte her mehr bringen, wenn sie jetzt zwei Jahre mit einer Band unterwegs wären, machen sie die Ausbildung dennoch zu Ende, weil sie dann am Schluss sagen können: „Ich habe jetzt meinen Schein und kann dann jederzeit irgendwo unterrichten, sollte es Mal mit dem Spielen weniger gut klappen.“

Umwege zum Jazz

Kolb: Lisa, dein Weg zum Jazz war auch nicht die „Direttissima“. Wenn du heute eine Schülerin hättest in München am Richard-Strauss-Konservatorium, die die Möglichkeit hätte fett Kohle zu machen, etwa mit dem Glenn Miller Orchester auf Welttournee zu gehen beispielsweise oder mit einer Filmmusikproduktion. Würdest du ihr raten, alles abzubrechen oder erst mal das Diplom zu machen?

Lisa Wahlandt: Wäre sie ein echtes Talent, dann würde ich sie dahingehend unterstützen bei dieser Tournee dabei zu sein. Was nicht automatisch einen Abbruch des Studiums bedeuten müsste. Erfahrungen in der Praxis sind in unserem Beruf nun mal unerlässlich.

Kolb: Jetzt sprechen wir vom großen Talent. Jazzausbildung geht mittlerweile viel mehr in die Breite. Für welche Karriere bildet man wirklich aus?

Gunther Conrad: Ich würde grundsätzlich sagen, dass ich ein Studium oder auch eine Ausbildung an einer Berufsfachschule für den Musiker eher wie in der Wirtschaft als Anschub-Investition sehe. Wir Musiker sind meist Einzelunternehmer und diese Ausbildung bringt auch eine gewisse handwerkliche Basis mit sich oder fördert zumindest diese Basis, die ja in bestimmter Weise auch vorher schon da sein muss. Um auf den guten Zawinul noch einmal zurückzukommen: Seine Aussage kann man, glaube ich, nicht auf die Jazz-Schulen beziehen, weil er selber, soweit ich weiß, Absolvent von Berklee war und ich glaube nicht, dass es an Berklee gelegen hat, dass Zawinul keine oder eine Persönlichkeit geworden ist. Wenn jemand eine Persönlichkeit ist, denke ich, schadet ihm die Schule nichts. Schule an sich kann aber auch keine Persönlichkeiten hervorbringen.

Spiegel: Gibt es denn an den Jazzhochschulen und -instituten auch eine Ausbildung, die einem sagt, wie man ein Unternehmen führt, wie man Verträge macht, bei denen man nicht über den Tisch gezogen wird, wie man Rechnungen schreibt. Das ist nämlich etwas, was meistens unterschätzt wird und was ja frühere Generationen von Jazzmusikern nachgewiesenermaßen nicht so beherrscht haben. Wird das auch gelehrt?

Conrad: Also bei uns schon. Ich weiß nicht, wie es an anderen Hochschulen ist. Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen, ich habe es in meiner Ausbildung in Linz nicht mitgekriegt. Wir waren als Schüler meistens fitter als die Lehrer in diesen Sachen.
Wahlandt: Vor kurzem gab es am Richard-Strauss-Konservatorium in München genau zu diesem Thema ein zweistündiges Angebot für die Studierenden.
Soweit ich weiß haben sich leider nur wenige Interessenten angemeldet. Vielleicht wird dieses Thema derzeit nicht nur von den Studenten, sondern auch von den Institutionen unterschätzt.

Prasuhn: Es gibt natürlich vor allem eine Organisation in Deutschland, die da sehr ausführlich informieren kann und das auch tut, nicht nur auf Anfrage sondern auch regelmäßig – das ist die UDJ, die Union Deutscher Jazzmusiker, die sich mit der Darstellung des Jazz in Deutschland beschäftigt, die auch kämpft, etwa an der GEMA-Front für bessere Bedingungen von Jazzkomponisten und Arrangeuren, und die natürlich auch sehr viel darüber informieren kann, wie man als Musiker Verträge abschließt, wie man mit Clubbesitzern umgeht – also die Möglichkeiten sind eigentlich schon da.

Kolb: Roland, bevor ich jetzt die Profis hier weiter befrage, hast du dir schon Gedanken gemacht über ein Berufsbild? Hast du schon die Formulare für die Ich-AG zu Hause?

Roland Bohnes: Nein. Bei uns in der Schule gibt es auch ein Seminar, wo man über diese Dinge etwas erfahren kann. Das habe ich dieses Jahr nicht besucht, aber im nächsten Jahr steht mir das ja noch offen. Es ist natürlich ganz wichtig, sich Gedanken über das Berufsbild zu machen – ich habe das auch gemacht.

Junge Musiker ohne Herz?

Prasuhn: Ich möchte noch einmal zu einer anderen Sache etwas sagen. Vielleicht hat das nur bedingt damit zu tun, aber zuvor wurde Joe Zawinul mit der Behauptung zitiert – ich überspitze das jetzt mal – dass die jungen Musiker zwar gut seien, aber kein Herz hätten. Da ich auch als Vertreter der Musikschule in Regensburg hier sitze, frage ich mich einfach Mal – und das frage ich auch alle anderen sehr häufig, immer wenn ich es kann: Wie soll man eigentlich eine Persönlichkeit entwickeln, wenn bereits für die Kinder, die ein Instrument lernen, nicht mehr Zeit als 30 Minuten in der Woche übrig ist? Noch dazu in einer Musik, die in Deutschland – das dürfen wir nicht vergessen – immer noch Minderheiten-Musik ist. Wir machen jetzt hier große Veranstaltungen und Festivals, aber Fakt ist: Der Jazz steht in der Gesellschaft immer noch weit hinten an, egal wie viele tolle Musiker es gibt.

Wahlandt: Ich denke Talente entstehen nicht an Schulen. In Brasilien beispielsweise werden die kommenden Fußballgrößen auch auf der Strasse entdeckt. Unsere Aufgabe ist es ja Talente in die Schulen zu bekommen, mit ihnen zu arbeiten und sie dort zu fördern.

Prasuhn: An den Musikschulen ist es ja, Talente überhaupt erst einmal zu entdecken und dann – das meinte ich mit meiner Aussage – die Zeit zur Verfügung zu stellen, die dieses Talent braucht, um zu wachsen. Da setzt meine Kritik an. Diese Zeitkomponente wird immer kleiner und es wird immer schwieriger, die Leute zur Sache zu bringen

Eisenhauer: Ich wollte einen anderen Punkt noch ganz kurz ansprechen. Wir haben als Ausbildungsmöglichkeiten einerseits die Klassik und andererseits jetzt seit 20 Jahren Jazz. Dabei kommen viele junge Musiker eigentlich aus dem „Pop-Lager“, das jetzt erst anfängt, sich zu institutionalisieren, wie in Mannheim oder auch hier in Regensburg. Viele die an Jazzhochschulen gehen, wollen aber eigentlich Popmusik machen.

Vermarktung und Geldverdienen

Kolb: Es ist sicherlich eine Tendenz, dass Jazz zum Pop wird, zumindest wenn man es unter den Gesichtspunkten Erfolg, Vermarktung und Geldverdienen sieht. Peter Herbolzheimer sagte einmal in einem Interview, eigentlich sei es Quatsch Jazz zu studieren, man müsste einfach Trompete, Gitarre oder Klavier studieren und je nach Neigung und Fähigkeit müsste während des Studiums sozusagen eine Art Spezialisierung stattfinden.
Spiegel: Warum muss man es eigentlich trennen? Warum muss man Jazzklavier studieren? Wenn man gut Klavierspielen lernt, dann müsste man eigentlich auch Jazz können. Wie ist es bei dir, Roli, wenn du Gitarre studierst? Studierst du E-Gitarre oder studierst du auch klassische Gitarre?

Bohnes: Also klassische Gitarre und E-Gitarre sind eigentlich vollkommen verschieden. Wenn man ein Instrument studiert hat, fällt einem zwar das nächste schon leichter, aber ein Leben reicht ja für eins gar nicht aus. Das jetzt so zu verknüpfen, da würde dann einiges verloren gehen in jedem der Bereiche.

Spiegel: Ich kann dir aus dem Stand drei Musiker nennen, die klassische Gitarre und Jazzgitarre gleichermaßen gut spielen: Das sind Wolfgang Muthspiel, Ferenc Snétberger und Ralph Towner. So wie man Dixieland und Free Jazz spielen können müsste, müsste man dann vielleicht auch eine Bach-Suite spielen können.

Eisenhauer: Entschuldigung, aber wer sagt, dass man das können muss?

Spiegel: Oder sagen wir, es kann nichts schaden, wenn man es kann.

Eisenhauer: Das ist sehr problematisch. Bestimmte Stilistiken sehr gut zu beherrschen, kann negativ sein für andere.
Kolb: Also das berühmte Problem mit Ansatz oder Anschlag. Früher hieß es immer: „Spiel ja nicht Jazz, sonst hast du keinen schönen Ton mehr.“

Prasuhn: De facto ist es so. Der jazzmäßige Flötenansatz ist ein anderer, die Vorstellung von Klang ist eine völlig andere als die klassische Vorstellung. Die Hochschulen sind gerade in dem Punkt wichtig, dass sie die reine Instrumentalausbildung unterfüttern können mit stilistischen Besonderheiten, mit verschiedenen Richtungen der aktuellen Musik sowie auch der älteren, der konventionellen, der traditionellen Musik. Ich glaube aber auch, dass da für die Hochschulen noch ein weites Feld brachliegt. Wir haben in dem Sinne eigentlich viel zu wenige Vertreter in der Jazzpädagogik, die so ein Team bilden könnten, wo das Angebot sehr groß und differenziert werden würde.

Jazz an den Schulen

Kolb: Wir haben einen Bereich noch ausgeklammert: Das ist die allgemein bildende Schule. Gerwin, du machst in Verbindung mit dem Jazz Club Regensburg ein Projekt „Jazz in der Schule“ und ich würde dich darum bitten, ganz kurz zu schildern was ihr da macht und was das dem Jazz beziehungsweise der Jazzausbildung bringt.

Eisenhauer: Dieses Projekt haben wir bisher einmal gemacht am Von-Müller-Gymnasium hier in Regensburg. Wir sind mit einer Combo in die Schule, wo mehrere Klassen versammelt waren, und haben versucht, ihnen möglichst unakademisch und mehr von der spaßigen und emotionalen Seite zu erklären, was bei Jazz und den verschiedenen Stilistiken passiert, zum Beispiel was Improvisation ist. Es war wirklich interessant: Hier in dieser Runde sprechen wir immer vom Jazz als etwas ganz Normalem. Wir alle sind im Thema richtig drin. Aber Tatsache ist, dass die Kids vor dem Begriff „Jazz“ „drei Kreuze schlagen“ und eben die typischen Klischees damit verbinden: endlose Dudeleien, langweilige Typen, auf der Bühne geht nichts ab – etwas, das speziell die Leute im MTV- und VIVA-Alter gewohnt sind. Jazz ist eher eine Hörkultur, während die ganze neue Musik stark mit dem Visuellen verbunden ist, also Videos, Livekonzerte et cetera. Was wir aber gemerkt haben, ist dass die das durchaus spannend finden und auch bei der Sache sind, wenn man es ihnen richtig „verkauft“. Das Problem ist aber, dass diese Kids zwischen 12 und 15 Jahren, nie freiwillig einen Schritt in einen Jazzclub setzen würden. Hier war es aber schon so, dass ich nach diesem Projekt bei ein paar Konzerten dennoch wieder Leute gesehen habe, die ich aus der Schule kannte.

Kolb: Also man kann sagen, das ist aktive Publikumsgewinnung...
Eisenhauer: Ja, und es waren auch ein paar dabei, die – natürlich erst nachher – zu uns kamen und sagten: „Ich spiele klassisches Klavier, aber mein Lehrer, der macht halt nur Klassik“, und denen wir Tipps gaben, wie sie diese Musik für sich entdecken könnten.
Wahlandt: Diese Schüler waren, glaube ich, auch irritiert, weil wir mit kleinster technischer Ausrüstung ankamen, „live“ hochwertige Musik machten und dazwischen versuchten ihnen sozusagen die Angst vor dem Unbekannten zu nehmen. Am Abend waren diese Kids nochmals „freiwillig“ im Konzert, was uns natürlich sehr gefreut hat.

Kolb: Was ist euer Wunsch an die Jazzausbildung in den nächsten zwanzig Jahren? Wie soll sie sich weiterentwickeln?
Prasuhn: Mein Wunsch ist vor allem eine größere Breite der Vermittlung in den allgemein bildenden Schulen. Ich weiß, dass in Niedersachsen bereits seit vielen Jahren ein „Rock-Mobil“ durch die Hauptstadt fährt und, soweit ich weiß, seit einigen Jahren auch schon ein „Jazz-Mobil“. Da ist ein komplettes Instrumenten-Set drin, von Blasinstrumenten über Keyboards bis Schlagzeug und so weiter. In diesem Auto sitzt ein Team von Rock- beziehungsweise Jazzpädagogen, die an die Schulen fahren und dort nicht nur Konzerte machen, sondern mit den Schülern und den Instrumenten arbeiten. Für so etwas braucht man Geld und Zeit. Das wünsche ich mir, dass auf diesem Sektor der jugendlichen Allgemeinbildung mehr passiert.

Conrad: Dem kann ich mich nur anschließen, wobei ich das sogar noch einen Schritt weiter führen würde: Das Bedauerliche ist eigentlich, dass die Musiklehrer an den allgemein bildenden Schulen im Bereich „Jazz, Rock, Pop“ leider überhaupt nicht ausgebildet sind. Ich war vor ein paar Tagen an einem musischen Gymnasium in Regensburg bei einem Abschlussfest, und was man in dem Bereich gehört hat, war sehr bedauerlich. Da ist wirklich keinerlei Kompetenz da und die Ausbildung der Lehrer müsste wirklich enorm verbessert werden.

Zukunftswünsche

Kolb: Roland, du als Noch-Schüler und vielleicht später auch einmal Unterrichtender?

Bohnes: Ich wünsche mir einfach ein viel stärkeres Bewusstsein im Alltag für die Musik als solche, nicht nur für den Jazz. Es ist bedenklich, wenn man sieht, wie der allgemeine Musikschulunterricht einfach „verloren“ geht und wie wenige Leute sich über Musik Gedanken machen. Vielleicht kann eine intensivere Ausbildung dazu beitragen, zu erkennen, dass Musik wichtig ist und zum Leben dazugehört.

Kolb: Musik und auch Jazz als Lebensmittel…

Eisenhauer: Ich würde mir wünschen, dass sich die Institutionen vielleicht ein bisschen weiter öffnen, dass man diesen Terminus „Jazz“, der durch die Institutionen definiert wird, lockerer nimmt und dass man den jungen Leuten hilft, das zu machen, was sie wollen, und nicht versucht, ihnen ein ästhetisches Konzept aufzudrücken.
Wahlandt: Du sprichst mir aus der Seele. Ich hätte auch gesagt: Offenheit. Zurück zur Garage, zum Garagen-Sound, zum Ausprobieren, zum Machen, zum Spielen, Hören oder Herausfinden, was gefällt. Speziell für Sänger und Sängerinnen: Wie will ich klingen? Was macht mich aus? Was ist meine Stärke?

Spiegel: Auch ich finde, mehr Durchlässigkeit wäre kreativ. Mir hat neulich der Gitarrist Frank Möbus erzählt, dass er am Berklee College of Music am meisten für seine Kreativität als Jazzmusiker nicht von einem Gitarristen, sondern von einem Saxophonisten gelernt hat.
Ich glaube, so viele interdisziplinäre Schritte wie möglich zu machen, kann die Ausbildung und auch den musikalischen Horizont sehr stark verbessern – und vielleicht auch die Fähigkeit, die Musik nach außen zu vermitteln und ein Publikum zu erreichen, das man noch nicht hat.

Die Veranstaltung war eine Kooperation der Jazzzeitung mit dem Bayerischen Rundfunk und der Stadt Regensburg.

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