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Jazzzeitung

2002/11  ::: seite 16

portrait

 

Inhalt 2002/11

STANDARDS

Editorial / News / break
musiker-abc:
Billie Holliday
all that jazz:
Authentizität, Abstraktion
no chaser:
Blond
Farewell.
Zum Tod von Peter Kowald
Farewell.
Die Jazzzeitung verabschiedet sich von ...


TITEL


Warme Klänge aus dem Süden.
Neue CDs von Lisa Wahlandt & Mulo Francel


BERICHTE


Berlin.
Berliner Jazz & Blues Award kämpft um Öffentlichkeit
Dresden.
Charlie Marianos Zeitreise
Freiburg.
Jazz-Gipfel Freiburg 2002 mit Blick auf Italien
Ingolstadt.
Jazz bei den Sommerkonzerten zwischen Donau und Altmühl
Leipzig.
Die 26. Leipziger Jazztage
Regensburg.
Randy Brecker im Lokschuppen


 JAZZ HEUTE


Music made by Rheinland AG.
Nordrhein-Westfalens Jazzinitiativen und das Projekt „Jazza r t“


 PORTRAIT / INTERVIEW


Ready to Play for You
. German Jazz Trophy für Paul Kuhn
Seltsames für fremde Ohren. „Der rote Bereich“: Jazz zwischen Erlernen und Abgrenzung
Hang zum Universellen. Der Jazz-Alchemist Jiri Stivin zum 60. Geburtstag
Einer wie Keiner und trotzdem anders.
Der Schlagzeuger Dennis Chambers mit einer neuen CD
Qualität ist das beste Rezept.
Das kanadische Songlines-Label setzt auf Höchstniveau


 PLAY BACK / MEDIEN


Ornettes starke Combo
.
Der Nachfolger des Quartetts sorgte für Verdichtung
Buch. Monografien über Bing Crosby und Hoagy Carmichael
Noten. Neue Literatur für Schlagzeuger und Gitarristen
Fotografie. Der Jazz-Fotograf Giuseppe Pino bei Schirmer/Mosel
Internet. Link-Tipps


 EDUCATION


Fortbildung.
Fortbildung
Abgehört 10. Kurt Rosenwinkel spielt souverän über ein ungerades Metrum
Nebenjob mit Leidenschaft.
Martin Wind bei der Sommerakademie in Neuburg an der Donau


DOSSIER


Angepasst und widerständig.

Wehrmachtsoffizier und Jazzpropagandist Dietrich Schulz-Köhn


SERVICE


Critics Choice
/ Rezensionen 2002/11
Service-Pack 2002/11 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (280 kb))

Qualität ist das beste Rezept

Das kanadische Songlines-Label setzt auf Höchstniveau

Songlines? Ein eigenartiger Name und ein noch unbekanntes Jazzlabel. Gegründet wurde es vor zehn Jahren, 1992, vom Kanadier Tony Reif in Vancouver, und der hat den Namen dem Buch „The Songlines“ von Bruce Chatwin entlehnt. In diesem Werk geht es Reif zufolge um eine Kunstform der australischen Aborigines, um spezielle Liedzyklen. Jedes Lied werde an einem geeigneten, aus Mythen und Überlieferungen herrührenden Ort gesungen oder tänzerisch aufgeführt - auf Felsen, an Seen, in Tälern oder auf sonstigen mythisch bedeutsamen Orten. „Songlines“, Lied-Linien, sind danach jene Linien, die die örtliche Abfolge der Aufführungsplätze beschreiben, Verbindungswege, die Volkskünstler und Publikum von Vortragsplatz zu Vortragsplatz abschreiten müssen, um den gesamten Liedzyklus darzubieten oder zu erleben.

Han Bennink im Duo mit Dave Douglas bei Songlines. Foto: Creutziger

„Ich weiß nicht allzuviel über die Kultur der Aborigines, aber mir schien, dass diese Idee der Songlines eine gute Metapher für die Art von Label sein könnte, wie ich es realisieren wollte, ein Label, das Verbindungen zwischen verschiedenen Formen von Musik schaffen könnte“, meint Tony Reif.
In den USA gehört Songlines mittlerweile zu jenen unabhängigen kleinen Jazzlabels, die für ihre hohe musikalische und klangtechnische Qualität bekannt geworden sind. Und das kommt eben nicht von ungefähr. Die Qualität der Musik ist seit Anbeginn das allererste Kriterium für die Arbeit des Label-Chefs. Mit dem Resultat: Trotz der Vielfalt der Stile präsentieren die Scheiben immer etwas Eigenes und Exquisites. „Ich nehme nur Musik von solchen Künstlern auf, an die ich wirklich glaube und mit denen ich gern kontinuierlich zusammenarbeiten will“, meint Tony Reif. „Für unsereinen ist Qualität Pflicht, andernfalls hätte unser Tun ja überhaupt keinerlei Rechtfertigung.“ Dabei bezieht sich der Parameter „Qualität“ nicht nur auf Fragen des Sounds, des Miteinanderspiels, der Komposition und der Improvisation; er bezieht sich auch auf etwas sicherlich Unkalkulierbares: auf das Zukunftspotential der Musik. „Ich hoffe nämlich auch, dass das, was ich herausbringe, auch noch in zwanzig, dreißig Jahren Bestand hat“, hebt Tony Reif hervor.

Das Trio Babkas und Dave Douglas’ Tiny Bell Trio könnten dafür die schillerndsten und eindringlichsten Beispiele sein. Babkas, das sind der faszinierende Gitarrist Brad Schoeppach (der sich mittlerweile “Shepik” nennt), Frisell-Schüler, stets voller Einfälle, was reizvolle rhythmisch-melodische Muster angeht, der Altsaxophonist Briggan Krauss, den Insidern durch seine phantasievolle Arbeit bei Wayne Horvitz’ Pigpen bekanntgeworden, und der Drummer Aaron Alexander, der mittlerweile auch mit eigener Band New Yorks Club-Szene unsicher macht. Als Trio spielen die Musikanten einen unglaublich dynamischen, mancher würde sagen: „intellektuellen“, eigentlich alle Facetten zwischen Komposition und Improvisation genüsslich auskostenden, wirklich zeitgenössischen Jazz. Hier mischt sich Balkanisches mit spätromantischer Kammermusik, Freejazz mit Rockgitarre. Das Trio gehört zu den begeisterndsten und vom künstlerischen Anspruch her befriedigendsten Jazz-Ensembles der Gegenwart. Ähnliches kann man vom Tiny Bell Trio des Dave Douglas sagen. Nicht zufällig ist auch hier der eigentliche Dreh- und Angelpunkt Gitarrist Brad Schoeppach/Shepik, obwohl Douglas Kompositionen, Programm und ästhetische Grundrichtung prägt. Gemeinsam mit Wunder-Drummer Jim Black und dem Trompeter vertieft und verändert Schoeppach/Shepik das Babkas-Konzept bis zur Perfektion. Natürlich: Es braucht schon einen Douglas und einen Black, um solch sensible, nuancierte, erfinderische Klanggebilde zu entwickeln. Rhythmik und Metrik scheinen noch feiner, noch ziselierter und lebendiger zu sein, die Trompete Douglas’ (anstelle des Altsax von Krauss) disziplinierter, gezügelter, aber auch wärmer, strahlender. Das Tiny Bell Trio – das ist irrlichternde improvisierte Kammermusik für die Endlosigkeit. Und auch Andy Laster’s Hydra und das Ellery Eskelin Trio (hier schlägt der faszinierende Jim Black personelle Brücken zu den anderen Songlines-Ensembles) setzen, wie schon bei Veröffentlichungen auf anderen Labels, voll auf die ästhetischen Möglichkeiten, die sich aus der dynamischen Balance zwischen Komposition und Improvisation ergeben.

Und so wie Songlines seit Anfang an für Jim Black und die ersten Jahre auch für Dave Douglas das innovative Zentrum und das „Hauslabel” par excellence ist beziehungsweise war – gerade hier können diese Musiker ihre jeweiligen künstlerischen Ideen bis ins filigrane Detail entwickeln und realisieren –, so könnte sich Tony Reifs CD-Unternehmen in der Gegenwart als „Brutstätte” für die künstlerischen Erfolge des nächsten Trompeten-Genius‘ erweisen: für die des Cuong Vu. Der nämlich hat innerhalb des Quartetts von Chris Speed als Co-Leader zwischen Herbst 1996 und Frühjahr 2000 drei herausragende CDs eingespielt, bevor ihn andere, weitaus publicity-trächtigere Labels, Knitting Factory und OmniTone, ins Rampenlicht geschoben haben. Während der Arbeit an diesen CDs konnte Vu seine Fähigkeiten, motivisch erfinderische Ko-Improvisationen zu blasen, das Themenmaterial zu erweitern und zu variieren und selbst – mit stilistischem Bezug vor allem auf Ted Curson und Miles Davis – außerordentlich drängende, logisch schlüssig aufgebaute Soli zu entwickeln, ausbauen. Offenbar wirken die Atmosphäre, in der bei Songlines gearbeitet werden kann, und die Kreativität der sich um dieses Label scharenden Musiker Wunder! Als dann Cuong Vu nur wenig später seine eigene Musik entwickelte und aufnahm, konnte der Trompeter seinen Schritt hin zur Nutzung von Elektronik tun, ohne Gefahr zu laufen, oberflächlich zu werden. (Wer allerdings sein Spiel in der aktuellen Pat-Metheny-Group zum Maßstab machen wollte, wird in die Irre geführt; hier ist Vu voll in die Metheny-Ästhetik eingepasst und kann sein individuelles Spiel kaum entfalten.)

Zwei weitere künstlerische Coups landete Tony Reif, dessen Suche nach frappierenden ästhetisch-personellen Verbindungen und nach Möglichkeiten der Grenzüberschreitungen ungebrochen ist. Zum Einen brachte er – nach dem Duo Han Bennink/Dave Douglas vor einigen Jahren – nun zum zweiten Mal eine holländisch-US-amerikanische „Connection” heraus: Das Misha-Mengelberg-Quartett mit Mengelberg, Bennink sowie Jones und Douglas wurden zur Erfolgsband auf vielen renommierten europäischen Festivals 2001.

Die verschrobene, gleichzeitig erzmusikantische Art des Quartetts, eine „monkische” Musik in die Jazz-Zukunft zu projizieren, begeisterte bei Konzerten und durch die „Four in One”-CD. Zum Anderen ließ er Wayne Horvitz‘ Zony Mash, eine elektrische dirty Jazz-Grunge-Band, die sich eigentlich um Horvitz‘ B3-Hammond-Spiel gruppiert, akustisch spielen – auch dieses Resultat verblüffte und führte zu exzellenten Reaktionen bei Kritikern und beim Publikum.

Leider sind die Songlines-CDs auch noch im zehnten Jahr der Labelexistenz in Deutschland nur sehr schwer zugänglich. Nachdem vor einigen Jahren die Ninety-Nine Distribution GmbH Berlin pleite machte, steht Songlines wieder ohne deutschen Vertrieb da.

Mathias Bäumel

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