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Jazzzeitung

2001/10  seite 22

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Inhalt 2001/10

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Fortbildung
no chaser: Mr. Sax-Machine
Glossar: West Coast Jazz
Farewell: Helmut Brandt

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Im Studio mit Onkel Bill
„Thilo Wolf Big Band“ und Bill Ramsey nehmen neue Swing-CD auf
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Richie Beirach spielt Federico Mompou
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30 Jahre Enthusiasmus: Matthias Winkelmann und das Jazzlabel enja

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So gut wie nie zuvor
Art Pepper trifft seine Freunde von der Westküste

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oder: Warum Jazzmusiker in Berlin eine Green Card erhalten

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Service-Pack 2001/10 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (544 kb))

 

So gut wie nie zuvor

Art Pepper trifft seine Freunde von der Westküste

In seinen vier letzten Lebensjahren (er starb 1982) machte Art Pepper so viele Aufnahmen wie niemals zuvor – er spürte wohl, dass er nach all den Exzessen, die er seinem Körper als junger Mann zugemutet hatte, nicht alt werden würde. Überdies hatte seine Frau Laurie, die er in einer Reha-Klinik kennen gelernt hatte, die Karrierezügel in die Hand genommen und dafür gesorgt, dass er nicht allzuweit auf Abwege geriet und stets genügend Arbeit hatte. Solche zu finden, war nicht schwer, spielte er doch so gut wie nie zuvor.

Wer bislang glaubte, er hätte mit den monumentalen 16 CDs der „Complete Galaxy Recordings“ das komplette Spätwerk Peppers im Regal stehen, sieht sich getäuscht. Parallel dazu nahm er für den japanischen Markt sieben Platten mit dem Serientitel „...and his West Coast
Friends“ auf, die bei der kleinen Marke Atlas erschienen. Pepper hatte sich vertraglich verpflichtet, nirgendwoanders als Leader zu firmieren, auch wenn er es de facto war, das heißt die Band zusammenstellte und das Repertoire auswählte. So wurde als Leader der jeweils prominenteste seiner Mitspieler genannt. Dies waren, in zeitlicher Folge: Der Posaunist Bill Watrous, der Trompeter Jack Sheldon, der Pianist Pete Jolly, der Altist Sonny Stitt (auf zwei Platten), der Schlagzeuger Shelly Manne und schließlich noch der Altist Lee Konitz (ein geplantes Zusammentreffen mit Phil Woods kam nicht mehr zustande).

Alle Aufnahmen, für die jeweils zwei Tage zur Verfügung standen, fanden in den Sage & Sound Studios in Hollywood mit immer demselben Toningenieur statt, was für ein bei solchen Editionen ungewöhnlich einheitliches Klangbild sorgte. Schwierigkeiten habe ich jedoch mit dem flachen Sound von Art Peppers Lieblingsschlagzeuger Carl Burnett, der auf vier der sieben Sessions trommelt: Er klingt etwa so, als würde er auf Telefonbüchern herumklopfen anstatt auf Trommelfellen. Bassist Chuck Domanico ist immerhin noch auf drei Terminen vertreten, das restliche Personal – darunter Bob Cooper und Russ Freeman – wechselt.

Der Produzent verfolgte den lockeren Plan, mit den noch greifbaren Repräsentanten des coolen Westküsten-Sounds der Fünfziger und vielen Stücken, wie sie damals gerne gespielt wurden, den Sound von vor fünfundwanzig, dreißig Jahren wieder aufleben zu lassen. Während die anderen Spieler sich meist widerstandslos für diese Nostalgieveranstaltung vereinnahmen lassen, spielt Art Pepper, der eigentlich niemandem etwas beweisen müsste, ganz und gar nicht wie früher; er befindet sich vollständig in der Gegenwart.

Während die anderen den zutreffenden Eindruck vermitteln, als nähmen sie an einer relaxten Jam Session unter alten Freunden teil, wirkt Pepper paradoxerweise, als stünde er unter enormer emotionaler Anspannung: Sein Ton ist unversöhnlich und harsch, seine Attacke abrupt, die Phrasen durch lange Pausen aufgebrochen. Die Musik scheint sich in diesen spannungsvollen Momenten in ihm aufzustauen, um sich dann geradezu explosionsartig in sein Saxophon zu ergießen – als wäre durch den enormen Innendruck bloß gedachter Töne, die danach drängen, klingende Wirklichkeit zu werden, ein Damm gebrochen.

Interessanterweise ist eben dies Peppers Art, wahrhaftig und sich selbst treu zu bleiben und seiner Vision musikalischer Schönheit nachzujagen. Der Eindruck ästhetischer Schlüssigkeit stellt sich jedoch nur ein, wenn man berücksichtigt, dass es Harmonien verschiedener Ordnung gibt. Nicht umsonst wurde die Musik von Parker und Gillespie – unter anderem ihrer verminderten Akkorde wegen – anfangs als Chinesenmusik verunglimpft; Coltrane und Coleman gingen da noch einen Schritt weiter. Auch Pepper integrierte die klanglichen Neuerungen frei spielender Bläser dort in seinen alten Sound, wo es der Steigerung des Ausdrucks diente.

Angesichts traumatischer außermusikalischer Erfahrungen – er musste unter anderem den Verrückten spielen, um von seinen Knastbrüdern nicht behelligt zu werden – hätte Pepper unmöglich so klassisch ausgewogen musizieren können wie früher. Diese geradezu schmerzliche Authentizität hat immer wieder etwas vom sprichwörtlichen Aufschrei der geschundenen Kreatur. Sie macht eine Box, die ohne Art Peppers Mitwirkung als „Sideman“ das Etikett „ganz nett“ verdiente, zur wichtigen Veröffentlichung. Einen zusätzlichen Kaufanreiz bieten die detaillierten und psychologisch einfühlsamen Erinnerungen von Arts Witwe: Die sollte man als Ergänzung zur erschütternden Autobiografie „Straight Life“ lesen, die 1978 endet.

Mátyás Kiss

CD-Tipp

The Hollywood All-Star Sessions
Galaxy/zyx 5GCD-4431-2 (5 CDs)

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