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Ausgabe April 1999

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SARAH VAUGHN

Die Mercury-Jahre

Autor:
Marcus A. Woelfle

Foto:
Jerry Stoll

Sarah VaughanAm 27. März wäre "The Divine Sarah", Sarah Vaughan, 75 Jahre alt geworden. Die vor neun Jahren verstorbene Künstlerin hatte einen Stimmumfang, der so manche Opernsängerin vor Neid erblassen lassen dürfte. Ihre pianistische Ausbildung versah die "schwarze Callas" mit einem beachtlichem Harmoniegefühl, der ihrem Scat erlaubte, zum vokalen Pendant der Solistik eines Charlie Parker oder Dizzy Gillespie zu werden, mit denen "Sassy" im Bebop groß geworden war.

Ihre Diskographie umschließt unzählige Alben für Labels wie Columbia, Roulette, Pablo und zahlreiche Kleinlabel. Ihre Aufnahmen für Mercury aber, die in vier Bänden mit je fünf beziehungsweise sechs CDs vorliegen, bilden den Löwenanteil. Sie beantworten alle Fragen, wie es bedrucktes Papier nie könnte: Was ist "Soul" in der Stimme, was "kontrolliertes Vibrato", was "timing", was "Intonationssicherheit". Welche Spielchen sind mit einem einzigen Ton allein durch Veränderung des Timbres möglich? Und: Wie ist es möglich, daß wir als musikalische Menschen trotzdem gerne zuhören, wenn jemand Schmonzetten singt, die uns allein schon durch ihr kitschiges Streicher- oder Chorarrangement in die Flucht schlagen müßten?

"The Complete Sarah Vaughan on Mercury Vol.1. Great Jazz Years: 1954-1956" (6 CDs, 826 320-2): Ein Nachschlagewerk der sechziger Jahre stellt kategorisch fest: "Ihre Produktion seit 1949 hatte im übrigen überwiegend kommerziellen Charakter." Da schwingt so etwas von jenem allgemeinen Vorurteil gegen Jazzvokalisten mit, sie hätten den Jazz nur als Leiter zu einer ertragreicheren Karriere mißbraucht (Paradebeispiele: Nat King Cole, Frank Sinatra). Abgesehen von der verqueren Moral, ein Künstler solle lieber verhungern, als Erfolge feiern, wird dabei zweierlei vergessen: Einerseits nahm und nimmt man in den USA die Grenzen zwischen Jazz und Pop nie so genau, andererseits ließen die großen Plattenfirmen wenig künstlerische Freiheiten. Während ihrer Zusammenarbeit mit Mercury Records und Roulette in den Fünfzigern fügte Sassy sich diesem System, nahm etliche Scheiben mit schmalzigen Streichorchestern auf und sang Kompositionen und Texte, über die man getrost den Mantel des Vergessens breiten kann. Dennoch: "Sassy" begab sich auch bei Tagesschlagern nie unter ihr interpretatorisches Niveau und blieb stets die Sängerin der Insider. Für diese Kennerschaft erschienen auf EmArcy, dem Jazz-Label von Mercury, einige ihrer kostbarsten Scheiben. Die wichtigsten von ihnen sind schon in Vol.1 versammelt. "Swingin‘ Easy" (1954): Da schaffte sie es nach ihren eloquenten Scat-Chorussen auf "Shulie A Bop" selbst die namentliche Nennung ihrer Musiker zu einem spannenden Ereignis zu machen. Als ich den Drummer Roy Haynes nach dieser Aufnahme befragte, meinte er, damals habe die übliche Studio-Atmosphäre geherrscht: "Wir dachten nicht, daß es so groß herauskommt. Bei unseren Live-Auftritten pflegte Sie uns so anzukündigen. Das wurde eine Art trademark. Viele Sänger versuchten seither etwas ähnliches zu machen." Doch das Album enthält viele solcher unvergeßlicher Momente, etwa wenn Sarah auf "They Can’t Take That Away from Me" die Zeile "the way you sing off key" so genialisch falsch singt. Auf "Sarah Vaughan" (1954) hält Sarah zauberhafte Zwiesprache mit Solisten ersten Kalibers wie Trompeter Clifford Brown, dem Lester-Young-Double Paul Quinichette und dem noch jungen Flötisten Herbie Mann.

"The Complete Sarah Vaughan on Mercury Vol.2. Sings Great American Songs: 1956-1957" (5 CDs, 826 327-2): Hier zeigt sich "The Divine One" weniger als Jazzerin, denn als anspruchsvolle Song-Interpretin. Hier setzte sie George Gershwin mit zwei Alben ein Denkmal und trat damit in direkte Konkurrenz zu Ella Fitzgerald, die ja für Verve mehrere solcher "Song Books" aufnahm. Ein ähnliches Projekt war Irving Berlin gewidmet, auf dem sie mit Billy Eckstine zusammenarbeitete. Eckstine, einer ihrer ersten Entdecker, hatte Sassy 1943 in das Orchester von Earl Hines gebracht, einer Wiege des Bebop – den gemeinsamen Bebop-Pionier-Background hört man diesen Aufnahmen freilich nicht an. Dafür agiert Mooneys Orchester zu konventionell.

"The Complete Sarah Vaughan on Mercury Vol.3. Great Show On Stage: 1957-1959" (6 CDs, 826 333-2): Wie Billie Holiday, aber dennoch mit dem Verdikt der Kommerzialität behaftet, machte Sarah pures Gold aus trivialstem Material. "Das neue Jazzbuch" Berendts von 1959 listet Sarah Vaughan unter die "größten Namen der populären Musik" mit "Jazz-Vergangenheit" (!) auf. Merkwürdig wirkt es aus heutiger Perspektive freilich schon: Die Sarah Vaughan jener Tage galt in erster Linie als "Schlagersängerin". Dennoch entstanden faszinierende Jazz-Aufnahmen, etwa 1957 mit ihrem Trio live "At Mr. Kellys".

"The Complete Sarah Vaughan on Mercury Vol.4. 1963-1967" (6 CDs, 830 714-2): Diese Box gleicht einem Kuriositäten-Kabinett, zeigt es doch wie sich Sassy mit unübertrefflicher Professionalität über jegliches Material hermacht: Ein Bach-Menuett wird zum "Lover’s Concerto" aufgeplustert und ein italienisches Schlagerchen wie "Sole, Sole" sorgt wie die neueste Bossa-Welle für Latin-"Exotik". Schließlich werden auch die Beatles-Songs durch ihre Interpretation geadelt, während anderes sich auch in einem Bond-Film gut gemacht hätte. Einen Höhepunkt bildet aber das um unveröffentlichtes Material ergänzte Album "Sassy Swings The Tivoli" (1963). Furios s(w)ingend griff Sassy auf viele tunes zurück, die sie schon in den 50ern aufgenommen hatte, etwa "Lover Man" (das sie auch schon zu Beginn ihrer Karriere mit Dizzy und Bird eingespielt hatte) und "I Cried For You". Ihre drei Oktaven-Stimme überschlägt sich in Kapriolen, mal primadonnenhaft, mal "dirty". Das ist vielleicht das virtuoseste Live-Album, das sie je eingespielt hat!

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