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Jazzzeitung

2008/04  ::: seite 23

farewell

 

Inhalt 2008/04

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig / Die Abenteuer des Werner Steinmälzl, Teil 4 / Cat Anderson / Zum Tod von Esbjörn Svensson


TITEL - Generation Swing
Hugo Strasser ist Preisträger der German Jazz Trophy 2008


DOSSIER
- Erst das Fressen, dann der Jazz
Stipendien und Fördermaßnahmen in Deutschland

Berichte
Jazz an der Donau 2008 // Pat Metheny im Juli in der Oper Halle // Jazzsommer 2008 im Bayerischen Hof // Till Brönner und Band bei den Regensburger Schlossfestspielen 2008 // 26. Südtirol Jazzfestival Alto Adige // Preview: International Stride Piano Summit am 31. Oktober im Münchner Amerika Haus


Portraits

Torsten Goods // Niels Klein und seine Arbeit mit dem European Youth Jazz Orchestra // David Sanborn mit neuem Album und im Interview


Jazz heute und Education
Die Politikerin Monika Griefahn im Interview // Wolfram Knauer über seine Zeit an der New Yorker Columbia University // Johnny Griffins Solo über „The Boy Next Door“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

Innere Magie

Zum Tod von Esbjörn Svensson

Erinnerungen sind trügerisch. Sie neigen dazu, einiges aus der Rückschau pastellen zu färben, was ursprünglich wesentlich farbiger war. Oder umgekehrt. Natürlich gab es zuweilen auch Sachen auszusetzen an dem, was Esbjörn Svensson musikalisch präsentierte. Eine Zeitlang etwa schien es, als würde er sich mit seinem Trio in einem geschlossenen künstlerischen System bewegen, als Resultat einer selbst geschaffenen Erwartungshaltung, die die Ansprüche des Publikums nach jazzübergreifender Unterhaltung zu erfüllen hatte. Aber das waren künstlerische Fragen, Details letztendlich, die sich im Laufe einer musikalischen Biographie veränderten und wiederum auf einen kreativen Menschen schließen ließen, der fortwährend nach Möglichkeiten suchte, seine persönlichen, sehr umfassenden Vorstellungen von Musik an seine Zuhörer zu vermitteln.

Esbjörn Svensson

Bild vergrößernEsbjörn Svensson. Foto: Thomas J. Krebs

Vielleicht ist das überhaupt der größte Verlust für die Jazzwelt, neben den persönlichen und freundschaftlichen Aspekten. Denn Esbjörn Svensson, der Strukturarbeiter, stand in vieler Hinsicht für eine neue Generation. Experimente der stilistischen Grenzüberschreitung gab es ja schon früher, nur machte er daraus ein System und eine Lebenshaltung. Denn das Trio „e.s.t.“, basisdemokratisch als Gemeinschaft gleich bedeutender künstlerischer Individuen konzipiert und durchgehalten, war ein Versuchslabor des Zeitgenössischen auf der Basis des Persönlichen. Im Mittelpunkt stand der Prozess der Stilentwicklung, mit Haupt- und Nebenwegen, Überholspuren und Sackgassen.

Ich erinnere mich noch gut an das erste Konzert von Esbjörn Svensson, das ich erlebt habe. Es war im Dezember 1998, ungefähr zu dem Zeitpunkt, als e.s.t. sich mit „From Gagarins Point Of View“ auf den Weg machte, die internationalen Jazzbühnen zu erobern. Svensson war damals gemeinsam mit Viktoria Tolstoy unterwegs. Sie spielten ein Doppel-Konzert im Bayerischen Hof, vor einer kleinen Schar Neugieriger, die eigentlich wegen der Sängerin mit dem klingenden Namen gekommen waren. „Esbjörn Svensson schlüpft in die Musik“, schrieb ich damals in der Konzertkritik für die Süddeutsche Zeitung (4.12.1998): „Sein Körper wird zum Medium, das ihm hilft, die innere Magie klingender Zusammenhänge am Klavier zu generieren. Konzentriert, in sich zurückgezogen, beginnt er, Motive zu entwickeln, sucht, ein bisschen wie Glenn Gould, die physische Nähe zum Instrument. Dann öffnet er sich, behutsam in wohldosierten Schritten.

Mit Hilfe eines präzise differenzierten und wirkungssicher nuancierenden Anschlags, eines faszinierend sicheren Ge­spürs für die Feinheiten der zeitlichen Gliederung und einer kontrolliert emotionsgeladenen Linienführung mit vokalen Qualitäten entfaltet der junge Pianist aus Schweden eine künstlerische Persönlichkeit, die es sich leisten kann, Stilvorbilder der Jazz-Moderne wie Keith Jarrett nur als Anregungen zu verstehen. Pulsierende Bass-Ostinati und mächtige Harmonisierungen, clevere Reduzierun-gen des Klangpathos und subtile Umgarnungen fragiler Themen verbinden sich zu einem individuell schwerelosen Ausdruck.“

Das Konzert und die Kritik waren der Beginn einer losen, aber herzlichen Freundschaft mit Esbjörn Svensson, die in viele Interviews, in persönliche Gespräche oder auch Einladungen wie nach Schloss Elmau mündete. Überhaupt stellte sich heraus, dass dieser junge Mann, der sich bald nach dem Münchendebüt die hippie-langen Haare als Zeichen des Neuanfangs vom Kopf scheren ließ, mit seinen Freunden Magnus Öström und Dan Berglund das Potential hatte, die aktuelle Klaviertrioszene zu revitalisieren und in Hinblick auf Spielhaltung, Öffentlichkeitswirkung, Motivik und Dramaturgie umzukrempeln. Mit schier unglaublicher Energie stürzte er sich in die Arbeit, spielte Tourneen mit Dutzenden Terminen am Stück, veröffentlichte Alben bei seiner neuen Plattenfirma ACT, revidierte und erneuerte seine Klangideen und stieg Jahr um Jahr mehr zum Trendsetter auf.

Zunächst von der Jazzpolizei kritisch beäugt, galt er auch in Kreisen der Spezialisten bald als einer der Referenzmusiker, der in der Generation nach Brad Mehldau den Ton angab. Nominierungen und Preise folgten, so er sie denn nicht schon zuvor in seiner schwedischen Heimat erhalten hatte, Svensson und „e.s.t.“ entwickelten sich schließlich zu einem Richtwert der Beurteilung, was man an verschiedenen Faktoren ablesen konnte. Zum einen gab es bald Kollegen, die sich am hypnotisch melodiegeprägten, mit langen Spannungsbögen abreitenden Stil der Band orientierten oder zumindest sich davon inspirieren ließen. Ein echter Knaller in der Szene und die endgültige Anerkennung als wichtige Kraft des globalisierten Jazzdiskurses aber war das Titelbild der „Downbeat“-Ausgabe vom Mai 2006, das Svensson und den Seinen unter dem Motto „Europe invades!“ den Aufmacher widmete. Nun also war es internationaler Konsens, dass der schwedische Pianist etwas bewegte.

Zuletzt war Esbjörn Svensson ein Star, aber einer, dem man in seinem Verhalten die eigene Bedeutung für die Musikszene nicht anmerkte. Ich habe ihn als freundlichen und humorvollen, geistreichen und manchmal auch ein wenig scheuen Menschen in Erinnerung, einen rundum bewussten, sich bescheidenden Künstler, faszinierenden Virtuosen und Visionär einer zeitgenössischen Klangästhetik, die die Vergangenheit nicht mehr zur eigenen Definition benötigte. Am 14. Juni 2008 wurde Esbjörn Svensson gewaltsam bei einem Tauchunfall bei Stockholm aus dem Leben gerissen, wenige Wochen nach seinem 44.Geburtstag. Verstehen kann das keiner.

Ralf Dombrowski

 

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