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Jazzzeitung

2008/02  ::: seite 19

education

 

Inhalt 2008/02

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig / Die Abenteuer des Werner Steinmälzl, Teil 2


TITEL - With a little help
Die Münchner Unterfahrt feiert 30-jähriges Bestehen


DOSSIER
- Die Abstraktion des Blues
Die Bebopper komponierten die Zukunft • Von Hans-Jürgen Schaal

Berichte
39. Internationale Jazzwoche Burghausen // Sidsel Endresen trifft bei „Humcrush“ auf ein Duo der Extreme // „Women in Jazz“ in Halle (Saale) 2008 // Klima Kalima gewinnt den MVV Energie Bandpreis 2008 // Die 7. Cologne Jazz Night der Hochschule für Musik Köln // Stimmenfang Festival Nürnberg 2007 // Südtirol Jazzfestival Alto Adige im Juni 2008


Portraits

Das Schulprojekt „Bluestrings“ // Der Gitarrist Andreas Dombert // Der Klarinettist Lajos Dudas // Benjamin Schaefer // Sänger Michael Schiefel in New York


Jazz heute und Education
Manfred Schoof im Interview zu Jazzförderung und Urheberrecht // Newburgh, USA: der Percussionist Jeff Haynes unterrichtet Senioren //
Oscar Petersons Solo über „Alice In Wonderland“

… und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

Die Menschen berühren

Newburgh, USA: der Percussionist Jeff Haynes unterrichtet Senioren

„Tone, beat, tone beat, tone beat, tone beat.“ Der Trick ist, den Rhythmus ein wenig synkopiert zu spielen, wobei die Finger der linken Hand die Bongo kurz am Rand anschlagen, die rechte Hand dann flach in die Mitte schlägt. Nicht allen gelingt es, den karibischen Rhythmus länger als zwei, drei Takte durchzuhalten, aber karibisch warm wird allen während des Percussion-Workshops mit Jeff Haynes. Ermöglicht durch einen großzügigen Zuschuss des New York Music Funds entführt der Percussionist, der durch seine Touren mit Cassandra Wilson und Pat Metheny bekannt ist, Problemschüler und musikbegeisterten Senioren in die Welt der Rhythmen: von der Karibik über Brasilien bis nach New Orleans. Er lässt sie den Blues genauso spüren wie Klassischen Jazz, Klezmer, Folk oder New Age.

 

Bild vergrößernFotos: Josefine Koehn

Mindestens 20 Senioren kommen regelmäßig zu den Workshops auf dem Campus des Mount Saint Mary College in Newburgh, das etwa eineinhalb Stunden nördlich von New York City am Hudson River liegt. Vor vier Jahren zog der mittlerweile 52-jährige Haynes mit seiner Familie nach Beacon, einem Städtchen auf der östlichen Seite des Hudson, bekannt durch die nahe gelegene Bergkette, die Shawngunks, den Skulpturenpark Storm King und ein großräumiges Museum, das Dia Beacon, das neben Haynes schon viele andere Künstler und Musiker aus der City weg in den Norden des Staates New York lockte.

Haynes liebt sein neues Leben; genießt es, zu seinen Workshops und Konzerten hochkarätige Musiker-Kollegen in das malerische Hudson Valley einzuladen, Steel-Drummer Garvin Blake, Geiger Christian Howes, den afrikanischen Flötisten Samite of Uganda, Blues-Gitarrist Paul Cebar, der brasilianische Gitarrist Manny Moreia und Klezmer-Gitarrist C. Lanzbom sind nur einige Beispiele. Aber häufiger spielt er mit Amateuren, den Senioren, mit Schulkindern, vor allem in sozial benachteiligten Schuldistrikten.

 

Bild vergrößernFotos: Josefine Koehn

Was bringt einen Weltklasse-Musiker dazu, sein Talent in Amateur-Workshops auszuleben? „Ich wollte etwas von mir selbst zurückgeben,“ erklärt er. „Nach meinen Touren mit Cassandra Willson oder Pat Metheny wollte ich diese Energie, die ich daraus zog, mit anderen teilen.“ Und zwar mit denen, die so eine Art von Bereicherung am dringendsten brauchen.

Obwohl die Gesetzgebung in New York mit „No Child left behind“ die Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen vorschreibt, ist das in der Praxis selten hundertprozentig verwirklicht. Vor allem in vorwiegend afroamerikanischen Gegenden scheint es trotz der zahlreichen staatlichen – und stets wechselnder – Lese- und Lern-Programme, expliziten Vorschriften und den vielen staatsweiten Tests, die den Standard für alle sichern sollen, keine effektive Lösung für das Problem zu geben. Haynes Ansatz ist dagegen ebenso simpel wie effektiv: „Man muss diesen Kindern erlauben, sich und ihre Wurzeln zu lieben,“ erklärt er. Und so scheut er sich auch nicht davor mit stereotypischen afro-amerikanischen Konzertreihen durch die Schulen zu touren. Seine neueste Idee ist, die Bongos mit Poesie zu verbinden und so den Kindern mehr Möglichkeiten zu geben, „sich selbst auszudrücken.“

Unter dem Titel DRUM (Disziplin, Respekt, „Unity“ und Musik) verbindet Haynes Musik, Kultur und Tradition mit der realen Lebenswelt der Schüler. Programmorganisatoren, wie die Kultur-Koordinatorin für den Schulbezirk Newburgh, Theresa Brown, begrüßen und unterstützen die Bemühungen des Profi-Musikers. „Mr. Haynes Programme erlauben es den Schülern, sich auf untraditionelle Weise in den verschiedensten Fächern weiterzubilden, Freude daran zu finden und somit erfolgreich zu sein,“ meint sie. Natürlich helfe auch sein professioneller Hintergrund als Musiker, der nicht nur die Schüler beeindruckt.

Vor acht Jahren, als er noch in New York City lebte, fragte Haynes zum ersten Mal an, ob er nicht in einigen Schulen spielen dürfte. „Lasst mich mit den Kids sprechen, erklären, was ich mache. Lasst sie mich inspirieren,“ sagt er und klingt dabei fast wie ein Musik-Messias. Weit gefehlt ist das nicht, denn anfangs tourte er auf seine eigenen Kosten durch New Yorks Schulen. „Die meisten kennen Musik nur aus der Boom Box, noch weniger hatten schon einmal Kontakt zu jemandem, der Musik macht, der sogar seinen Lebensunterhalt damit verdient,“ erklärt er. „Wenn ich nur ein zwei inspirieren konnte, war ich glücklich.“ Später brachten ihn Freunde darauf, dass er mit solchen Programmen auch Geld verdienen könne – ein mehr als willkommener Nebeneffet, da das Einkommen eines Musikers natürlich nie wirklich regelmäßig ist.

Heute kümmert sich vor allem seine Frau darum, dass Jeff Haynes seine Musikprogramme mit Fördergeldern finanzieren kann. Haynes sieht sich selbst lachend im „business of touching people“ (im Geschäft damit, Leute anzurühren, zu bewegen, zu ergreifen“).

Da ist zum Beispiel Frank Notaro. Der 73-jährige hat bis heute nicht ganz verwunden, dass er nie richtig ein Instrument gelernt hat. Als Teenager spielte er zwar mal in der Schul-Blaskapelle (Marching band), aber danach gab er seine Liebe für die Musik zugunsten von Familie und Karriere auf. Jetzt sitzt er mit Jeff Haynes auf der Bühne, spielt mit Garvin Blake, Jeff Haynes – und den anderen Senioren aus dem Montags-Workshop. Seine Augen blitzen hinter der silberumrahmten Brille – und trotz weißem Schnauzbart und Haarkranz wirkt der schlanke Senior hinter seiner Bongo mehr wie ein Athlet als ein Großvater, wenn er seine Arme im Rhythmus auf die Bongo fallen lässt. „Frei“ fühle er sich, wenn er trommle, meint er. Fred Salzmann (70) und Doris Nehrkorn (noch etwas jünger) stimmen ihm zu. „Es macht riesigen Spaß, wenn du es erst mal raus hast,“ meint Doris. „Ja, aber du solltest besser viel üben,“ ergänzt Fred.

Trommeln hilft auch heilen: Im Kurs ist eine Frau, die an einer Gehirnverletzung leidet (und daher nicht genannt werden möchte). Das Trommeln helfe ihr, wieder mehr Kontrolle über sich zu bekommen, sagt sie. Fred Salzmann versucht nun, auch seinen mittlerweile erwachsenen, aber in der Entwicklung zurückgebliebenen und an den Rollstuhl gefesselten Sohn, mit den Trommelrhythmen aus dem Workshop zu fördern. „Er reagiert,“ freut er sich. „Trommeln kann heilen,“ bestätigt auch Jeff Haynes. „Jeder kann den Rhythmus, die Verbindung zu den anderen Trommlern spüren.“

Tatsächlich reißt es einen mit wie eine große Welle, wenn alle 20 Senioren im selben Takt auf ihre Bongos schlagen. Haynes ganzer muskulöser Körper bewegt sich im Rhythmus der Trommeln. Trotz der legeren Jeans und des eng anliegenden T-Shirts strahlt er Autorität aus, wie er da inmitten des Halbkreises steht und seinen „Schülern“ im Takt zunickt, während er jedem einzelnen genau auf die Finger schaut. Keiner möchte gegen den Rhythmus des Meisters trommeln, aber manchmal passiert es eben doch. Kurz zucken dann seine Schultern, bevor er sich zu dem aus dem Rhythmus geratenen Trommler stellt und dessen Arme und Hände lautstark und energetisch wieder in den richtigen Takt bringt. Wenn aber jemand, wie etwa Allison, den Rhythmus selbst im Körper hat, dann setzt Haynes mit breitem Grinsen zu einem Gegen-Rhythmus. Da beginnt die richtige Musik. Aber leicht ist es nicht, den Groove zu halten.

Haynes selbst ist eine echte Rhythmusmaschine, wobei er mehr durch das Stück tanzt als streng den Takt mitzählt. Für ihn ist Rhythmus eher Gefühl als strikte Mathematik, zumindest musikalisch. Im richtigen Leben gab es dagegen schon ein paar „Rhythmus-Störungen“, wie er heute zugibt. Vielleicht ist es ihm deshalb so wichtig, Kindern aus einem problematischen sozialen Umfeld und auch Senioren Musik als ein alternatives Frustventil nahe zu bringen. Dank seiner Familie, seinen Freunden und dem unterstützenden Umfeld in Beacon ist Haynes Leben nun jedoch schon seit langem wieder „im Takt“, so sehr, dass er genug Energie hat „zurückzugeben“, seine Leidenschaft, seine Energie, seine Liebe zur Musik, bei Konzerten, in Workshops, jedem, der offen ist für Rhythmus und Musik. Und das sollte – zumindest in Jeff Haynes Welt – jeder sein. Unmusikalische Menschen gibt es nicht für ihn. „Jeder hat einen Herzschlag,“ sagt er. „Und wenn du einen Herzschlag hast, dann kannst du trommeln, dann verstehst du Musik.“

Text/Fotos: Josefine Koehn

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