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Jazzzeitung

2006/05  ::: seite 13

portrait

 

Inhalt 2006/05

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
no chaser:
Hick-Hack
glosse:
Die Vermittlung als Mittel des Unvermittelbaren – mit Mittelmaß


TITEL


Blue in Green
Impressionen zu Miles Davis‘ „Kind of Blue“


DOSSIER:
JAZZAHEAD

Der Bremer Clou geht auf
Eine Jazzmesse mit Festival und Symposium geht neue Wege


BERICHTE
/ PREVIEW

Ursula Rucker mit kritisch-empfindsamer HipHop-Poetry enthusiastisch gefeiert || 34. Jazz Festival Grenoble || 37. Internationale Jazzwoche Burghausen || Preview: Gronau – Moers – Köln


 PORTRAIT / INTERVIEW

Lars Duppler und „Le Grand Lustucru“ || Manfred Schoof zum siebzigsten Geburtstag || Der Aufstieg der Geigerin Jenny Scheinman || Joe Kienemann erhält Bayerischen Jazzpreis

 JAZZ HEUTE

Leserbrief: Jazz ist Jazz!
Technik-Chef als Jazzveranstalter
Die Reihe „Jazz im Uniklinikum“ in Dresden geht nun ins dritte Jahr
Der lange Weg nach Europa
30-jähriges Jubiläum des European Jazz Ensemble
LeipJAZZig-Orkester
Das etwas andere Jazzensemble aus Leipzig


 PLAY BACK / MEDIEN


CDs Mit eigenem Gesicht
Das Schweizer CD-Label Intak feiert seinen 20. Geburtstag
CD.
CD-Rezensionen 2006/05
Bücher: Ein Jazzbuch über den Kansas City Jazz und eine Autobiografie von Horace Silver
Noten. Internationale Musik für Chor, Geige und Jazzgitarre
Instrumente. News
DVD. Bireli Lagrene & Gipsy Project
DVD. Stan Getz: Vintage Getz


 EDUCATION

Ausbildung. Ausbildungsstätten in Deutschland - Fortbildungen, Kurse (pdf) (62 kb)
Abgehört 40 Phil Woods und Freddie Hubbard improvisieren über Billy-Joel-Songs
Grenzüberschreitungen
Ein Professor aus dem Allgäu bringt neuen Schwung in das Kontrabassspiel


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2006/05 als pdf-Datei (Kalender, Clubadressen, Jazz in Radio & TV (760 kb))

Botschafter des Modernen Jazz

Manfred Schoof zum siebzigsten Geburtstag

Kurz nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges erfand in der ehemaligen erzbischöflichen Residenzstadt Magdeburg 1650 der Bürgermeister Otto von Guericke die Luftpumpe und bald darauf die berühmte Magdeburger Halbkugel, mit der er die enorme Kraft des auf der Erde herrschenden Luftdrucks veranschaulich-
te. Gleichzeitig demonstrierte er, dass sich in einem Vakuum der Schall nicht ausbreiten kann. Knapp 300 Jahre später, nämlich 1936, wurde in Magdeburg Manfred Schoof geboren.

Klangbewusst und virtuos: Der Sound des Flügelhorns ist das Erkennungszeichen von Manfred Schoof. Foto: Lothar Jung

Bild vergrößernKlangbewusst und virtuos: Der Sound des Flügelhorns ist das Erkennungszeichen von Manfred Schoof. Foto: Lothar Jung

Von einer renommierten Musikzeitschrift zu „Deutschlands prominentesten Jazztrompeter“ geadelt, legt er es geradezu darauf an, dass der von ihm erzeugte Schall sich in unserer Atmosphäre vernehmlich ausbreite. Bereits 1975 gelang ihm das sogar global, als er im Auftrag des Goetheinstitutes mit seinem Sextett Asien weiträumig mit Konzerten bereiste, später ebenso Südamerika und die USA und zwischendurch natürlich immer wieder Europa in West und Ost.

Als ihn der weltberühmte Big-Band-Leader Woody Herman damals hörte, wollte er ihn vom Fleck weg für sein großartiges Orchester engagieren. Manfred Schoof zögerte, denn neben seinen zahlreichen Konzertverpflichtungen lehrte er mit großem Engagement inzwischen an den Musikhochschulen Köln und Hamburg. Als festes Orchestermitglied bei Woody Herman wäre er ständig unterwegs in aller Welt – jahraus, jahrein.

Außerdem war inzwischen in dem Trompeter Manfred Schoof längst der begabte Arrangeur und erfolgreiche Komponist erwacht, dessen Chor- und Orchesterwerke in allen deutschen Rundfunkanstalten erklangen und der für das Musikfestival Donaueschingen 1975 ein vielbeachtetes Auftragswerk schrieb.Nach gründlichem Abwägen entschied Manfred Schoof, dieses ehrenvolle Angebot abzulehnen. Seine Fangemeinde und die deutsche Jazzszene dankten es ihm durch unverbrüchliche Treue bis heute.

Manfred Schoofs vielfältig verlaufener Berufsweg zeigt als äußere geografische Markierungspunkte seine ehemals erzbischöfliche Geburtsstadt Magdeburg und als Heimatstadt seit Jahrzehnten die erzbischöfliche Diözese Köln.

Man möchte ihn „weltoffenen Priester des modernen Jazz“ nennen, nicht nur wegen der rein räumlichen Beziehung zur Kirche, sondern wegen der Ernsthaftigkeit, wegen der fast sakralen Hingabe, mit der er Jazz spielt. Selbst in den 60er-Jahren, als die deutsche Jazz-Avantgarde mit Free Jazz in allen Schattierungen experimentierte, sich andere namhafte Kollegen mit ihren unkontrolliert wilden, instrumentalen Ausbrüchen oftmals zuverlässig blamierten, verschwand sein künstlerischer Impetus nicht im Nebel des gerade angesagten Zeitgeistes. Vielmehr suchte er auch im Wirrwarr des Alles-ist-möglich und Alles-ist-erlaubt nach erkennbaren Konturen in seinen Improvisationen, die es interessierten, intelligenten Hörern ermöglicht, das akustisch Dargebotene, und sei es stellenweise nur heiteres Delirieren, nachzuvollziehen.

„Ich war immer der Ansicht, dass die Komposition auch im Free Jazz eine wichtige Rolle spielt [...] als Basis und Ausgangspunkt.“

Schoof spielt und komponiert assoziative Musik, deren Verlauf phantasiebegabte Hörer gern folgen. Vom verantwortungsvollen, das heißt bewussten Improvisieren, führt ein gerader Weg zum Komponieren. Die zuvor impulsiv gesteuerten Tonfolgen werden geordnet und schließlich genau notiert. Freilich gehört dazu neben einer Begabung auch Übung, sonst geht auf dem Weg vom Kopf über den schreibenden Arm zum Notenblatt hin Wesentliches verloren.

Man muss nicht Kants „Kritik der reinen Vernunft“ gelesen oder gar Hegels „Phänomenologie des Geistes“ studiert haben, um über Kompositionsverfahren, -Formen und -Strukturen zu reflektieren. Aber grundsätzlich bleibt notwendig – entgegen allen anderen Verlautbarungen und scheinbar hilfsreichen Computerprogrammen – nach wie vor eine gründliche musiktheoretische Ausbildung zum Kompositionshandwerk, um überhaupt Noten zielsicher aus der eigenen Klangassoziation aufs Papier übertragen zu können.

Diese Grundlagen erwarb Manfred Schoof zusammen mit seiner Instrumentalausbildung 1955-57 an der Musikakademie Kassel und anschließend 1958-63 an der Musikhochschule Köln: Trompete, Klavier, Musiktheorie, Kompositionsseminare bei Bernd Alois Zimmermann, Jazz-Seminar bei Kurt Edelhagen, Arrangieren und Jazzkomposition bei Heinz Gietz und Rob Pronk. Bereits ab 1960 war er Mitglied des hervorragenden WDR-Experimentalorchesters Harald Banter. 1966 trat er mit dem Free-Jazz Glob Unity Orchestra bei den Berliner Jazztagen auf. Neben seinen zahlreichen Mitwirkungen in berühmten Combos spielte er in dem bekannten Clark-Boland-Orchester und der WDR-Big-Band Kurt Edelhagens, für die er auch regelmäßig Arrangements und eigene Kompositionen schrieb. Später gründete er das erfolgreiche Manfred-Schoof-Quintett und das Manfred-Schoof-Orchester, mit denen er auf zahlreichen Festivals gastierte. Seinen frühen Ruhm als Jazz-Avantgardist erwarb er sich als Mitglied in dem damals richtungsweisenden Gunter-Hampel-Quintett, das mit dem Album „Heartplants“ Aufsehen erregte.

Auf den Alben „Page One“ (1970) und „Page Two“ (1972) sind Aufnahmen der ungewöhnlichen, aber außerordentlich interessanten Besetzung des „New Jazz Trio“ zu hören. Der Schlagzeuger Cees See und der Bassist Peter Trunk musizierten hier mit Manfred Schoof. 1970 wurde Schoofs Komposition „Ode“ vom Globe Unity Orchestra bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt. Er selbst trat als Solist, aber auch als Komponist in den folgenden Jahren bei einer Vielzahl von Jazz-Events mit wechselnden Ensemblebesetzungen auf, darunter immer wieder die Berliner Jazztage, aber auch bei Festivals in Prag, Antibes, Lugano, Warschau, Belgrad, Ljublijana, Nürnberg und Frankfurt am Main. 1977 charakterisierte die Jury bei der Verleihung des „Großen Deutschen Schallplattenpreises“ mit der Quintett-Einspielung „Scales“ die Musik Schoofs: „...eine virtuose und zugleich farbige Musik, in der in besonderer Weise Intellektuelles und Emotionales zusammenspielen.“ 1980 erhielt Schoof den 1. Preis der Union der Jazzmusiker (UDJ) für die LP „The early Quintet“.

Im Verlaufe der Jahre entstanden zahlreiche Film- und Fernsehmusiken aus der Feder Manfred Schoofs, unter anderem: Die Rückkehr der Märchenbraut (ARD-Serie); Zauber und Romana (ZDF-Serie); Die Weltings vom Hauptbahnhof (ZDF-Serie); Der kleine Eisbär (Warner Brother, ARD); Sportarzt Conny Knipper (ARD-Serie); Rund um den Dom (WDR-Serie); Kommissar Klefisch (ARD-Serie); Blauvogel (ARD); Schrei der Liebe (ARD); und viele andere, deren Aufzählung den Rahmen dieser Geburtstagshommage sprengen würde. 1990 wurde Schoof von der Musikhochschule Köln zum Professor ernannt. Bis heute besteht die vor zehn Jahren gegründete Allstarformation „Old friends“ mit den bekanntesten deutschen Jazzmusikern: Albert Mangelsdorff (verstorben), Klaus Doldinger, Wolfgang Dauner, Eberhard Weber, Wolfgang Haffner und natürlich Manfred Schoof.

Neben seinen zahllosen beruflichen Verpflichtungen als Solist und Komponist setzt er sich seit 1992 im Vorstand des Deutschen Komponistenverbandes für seine Komponistenkollegen ein. Bereits seit 1983 arbeitet er ehrenamtlich außerdem bei der GEMA, zunächst im Werkausschuss, dann auch in der Schätzungskommission und seit 1994 schließlich als stellvertretendes Aufsichtsratmitglied bis heute. Er hat sich hier besonders für die Belange des Jazz eingesetzt, denn im Jazz sieht er: „... die einzige Musik, die alles absorbieren kann, was heute auf der Welt an klanglichen Ereignissen stattfindet.“ Im Zeitalter der rigoros auf verständlichster Ebene dominierenden medialen Bewusstseinsindustrie hat der Jazz es ähnlich schwer sich durchzusetzen wie die zeitgenössische Ernste Musik.
Über den Jazz ist – seit er in Deutschland nicht mehr verboten war, also seit 1945 – viel diskutiert, gerätselt, erbittert gestritten oder begeistert aufgeschrien worden. Diese heroischen Zeiten sind vorüber, der Jazz hat Eingang in die großen Konzertsäle gefunden, freilich haben sich auch die ihm zugeneigten Massen stark gemindert, es ist eine mäßig große Hörerschaft, die sich ihm heute mit ebenso gemäßigter Leidenschaft hingibt.

Trotzdem ist diese Musik erstaunlich jung und unverbraucht geblieben, weil sie immer wieder überrascht mit neuen klanglichen, harmonischen oder rhythmischen Veränderungen, deren feine Nuancen aber umso nachhaltiger beeindrucken. Jazz ist die Geburt der Musik aus dem Geist des Déjà vue, basiert auf einem irrationalen Metrum, dem Swing, dessen Intensität und Sinnlichkeit gelegentlich auch schmallippige Charaktere mitzureißen vermag. Liest man freilich in Theodor W. Adornos Prismen das über ein halbes Jahrhundert alte Essay „Zeitlose Mode. Zum Jazz“, so hört man den klüglichen Aviatiker damals klagen: „Tauben zum Beispiel fliegen falsch.“

Manfred Schoof ist musikalisch ein Plural. Ich kenne keinen lebenden Jazzmusiker, der über eine derartige musikalische Vielfalt von so hoher Qualität verfügt. Seine musikalisch geschliffene Beweglichkeit erinnert an den legendären großen Baritonsaxophonisten und außerordentlichen Komponisten Helmut Brandt, dessen orchestrales Oeuvre an absoluter Musik bisher in Deutschland unter Jazzmusikern singulär geblieben ist.

Manfred Schoof, dem Kritiker bescheinigen, er sei „der große Romantiker unter den in Deutschland wirkenden Jazz-Avantgardisten“, der sich aber auch als Komponist in fast allen anderen Genres unseres zeitgenössischen Musikschaffens mit sicherer Hand bewährt hat, der sich selbstlos für die notwendigen beruflichen Alltagsforderungen seiner Kollegen bereits seit über 20 Jahren mit Anteilnahme einsetzt, er wird jetzt 70 Jahre alt – was kaum zu glauben ist. Denn nicht nur äußerlich wirkt er um viele Jahre jünger in seiner vitalen Gelassenheit, die sich aber von der aktuellen Wirklichkeit nichts entgehen lässt, die mit intellektueller Wachheit alles wahrnimmt, was ihm wichtig erscheint. Und das ist Vieles. Noch immer findet Eingang in seine Musik, ob als Interpret oder Komponist, was ein Kritiker vor Jahren so beschrieb: „Manfred Schoofs persönlicher Sound ist bei all seinem intellektuellem Hintergrund und konstruktivistischer Substanz doch immer ein Sound der Humanität, von berührender Schönheit und Wärme und zugleich von zartester Fragilität“.

Wir möchten ihm noch viele Jahre Gesundheit und schöpferischen Elan wünschen, auf dass sein Schall sich weiterhin in unserer Atmosphäre vernehmlich ausbreite, zu unser aller anteilnehmenden Freude und zur Belebung der deutschen Jazzszene, deren Nachwuchs Manfred Schoof als Pädagoge und Musiker stets ein künstlerisches und humanistisch geprägtes Vorbild ist.

Karl-Heinz Wahren

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