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Jazzzeitung

2003/10  ::: seite 4

berichte

 

Inhalt 2003/10

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
musiker-abc:
Max Roach
jäzzle g’macht: Apartheid im Plattenregal
no chaser: Vinyl-Aroma
Jubilee. Fats Navarro


TITEL / DOSSIER


Die Energie transportieren
Sandra Weckert und ihre neue CD „Bar Jazz“
Dossier. Musikkabarett und Jazz (Popette Betancor / Piet Klocke / Ulrich Tukur & Götz Alsmann)


BERICHTE


Berichte aus
Boskovice / Chemnitz / Eldena / Fürstenfeldbruck / Gstaad / München /Leipzig / Straubing


 JAZZ HEUTE


Von der Donau an die Spree
Der Birdland Jazzclub in Neuburg und das Audi Forum Berlin


 PORTRAIT / INTERVIEW


Rigmor Gustafsson // Wolfgang Dauner // Günter „Baby“ Sommer // Florian Poser // Thirsty Ear-Blue Series


 PLAY BACK / MEDIEN


CD. CD-Rezensionen 2003/10
Bücher. Bücher für Saxophonisten und Klarinettisten
Noten. Neues für Chor und Gitarre
Instrumente. Schlagzeug-Vintage-Shop in Köln / Instrumenten-News
Medien. link-tipps


 EDUCATION


Abgehört 19. Night & Day: ein Solo von Kenny Garrett auf der CD „Triology“
Zu sich selbst finden
Abschied von Trompeten-Professor Manfred Schoof
Ausbildung. Kurse, Fortbildungen etc.


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2003/10 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (544 kb))

Angelsächsisches in Sachsen

MUSIK-ZEIT: British. Avantgarde Free Jazz Experimental

Ein Lächelnder betritt die Bühne. Neben seiner dunklen Kleidung trägt er eine Klarinette. Es ist ein Schamane. Ihm erklingt ein Ton: Und die Zeit beginnt von woanders her zu fließen. Es scheint als seien in diesem dämmrigen Licht nur Eingeweihte aufgetaucht. Wir sind in der Höhle einer Großstadt: die naTo ist ein kultureller Geheimplatz.

Tim Hodgkinson hat immer noch keinen weiteren Ton gespielt. Jetzt spaltet sich ein Klang und der Bauch kommt hinzu. Dieser Introitus zum Konzert hat für Minuten etwas Nächtliches, Einsames. Hodgkinson hat den Ort eines anderen Kontinents mitten nach Deutschland geholt. Vielleicht einen anderen Atem.

Bald darauf nimmt der nicht lächelnde Schlagzeuger Platz, rückt, verrückt. Rappelpappel, sagt es. Wir sind im Kind. Er spielt das Schlagzeug und dabei magische Zeit. Beschwört die Luft. Wir geraten in einen Strom, und doch kommt alles von ihm: Ken Hyder. Ehrfurcht vor dem Nachklang.
Da, eine Stimme hinterm Vorhang. Ganz langsam bewegt sie sich. Ein großer Barfüßiger hält sich gebückt, bricht beinahe und kniet. Nik Galen verbeugt sich vor uns. Er presst Klänge aus seiner Kehle, in die klagend alles hineingezogen wird. Die Menschheit scheint konzentriert, indem die Luft aus seiner Brust entweicht. Dieser Londoner öffnet uns, er zittert, verhaucht.
Hyder und Hodgkinson im Duo benutzen weitgehend konventionelles Instrumentarium. Das Hi-Hat ist gerade mal mit einem Glöckchen behängt. Ihr Spiel dringt in die Zwischenräume, gibt dem Licht, was sonst keine Chance hat, sich zu zeigen. The Shams sind meisterhaft in Form. Sie machen klare Aussagen, besitzen eine eigene Gestik. Ihr Schöpfen von Klängen ist ,Entbildung’ (Meister Eckart). Sie können etwas erkennen und haben Freude. Die eigene Ekstase und das runde Schlagzeug. Archaische Landschaften, Schlaf und Indianer finden sich ein.

Nik Galen steht auf, zieht sein Shirt gerade, streckt sich und – ist verlassen. Ein Tier, der Mensch zu Beginn. Seine Ursprache ist voller Charakter, aller Schmerzen und Sehnsucht. Aus dieser Stimme brechen nie vernommene Sinn-Gewalten. Galen hat etwas zu sagen. Er hat es gelernt sich auszudrücken.

Uns wird klar: Dieser Mensch kommt zu sich selbst. Das moderne Publikum zahlt dafür und kann sich dann vom Kosmos erzählen lassen, ohne ein bekanntes Wort hören zu müssen. Wir finden aus der ,Geworfenheit’ (Heidegger) zurück. Musik wird zur Meditation. Wir gelangen zum Eigentlichen, in die Heimat. The Shams. Sie können uns verzaubern in die Zeit zu rücken. Galen verschwindet, seine Sprache ist versiegt. Die PA rauscht wieder.

Unter der Leitung von Bert Noglik veranstaltete der Leipziger Jazzclub an diesem Wochenende ein kleines Festival, welches ausgewählte Kombinationen der britischen Avantgard Free Jazz Experimental-Szene zeigte.

Neben The Shams mit Nik Galen, The Remote Viewers war auch die Formation Trap Street zu hören. Das geht dann so: Alan Tomlinson spricht uns an. Roger Turner kracht. Steve Beresford kommt mit seinem Rucksack herein, dann dreht er und schraubt. Eine komische Herrschaft beginnt. Schnell tanzt alles in dieser kleinen Welt. Die drei seltsamen, englischen Herren lassen sie wachsen. Unwichtig wohin. Wir sind ahnungslos – etwa woher sie gekommen ist.

Das Einbeziehen von Alltagsgegenständen, Plastik und Spielzeugen in das zeitgenössische Musizieren hat mittlerweile eine eigene Tradition entwickelt. Für den Zuhörer ist es oft nicht einfach, von der Trivialität dieser eigentlich nicht kunstwürdigen Gegenstände zu abstrahieren und die erzeugten Klänge als Musik wahrzunehmen, das heißt die Klangbilder als Totalität, als autonome Kunstwerke aufzufassen. Es zeigt sich: Augen zu schließen lohnt sich noch immer. Dann kommt Rumoren (Tomlinson), hardrockender Gabelschmerz (Turner) und schreifende weite Felder mit Rukschkelmond am Morgen (Beresford) voran neuer Wesen klappermühlender Gespenster. Die Musik wird pittoresk, die Klänge witzig. Dabei genügt das Trio den Forderungen jedes futuristischen Manifestes: Ein Hinschmettern und Wegfeuern. Straßenbahnen: verfahren sich. Posaunentöne: rasen Geschosse.
Räume gewaltiger Tiefe öffnen sich. In ihnen sind Knachsen von Schallplatten und Feuergeknister zu Ungewitter fremder Planeten verbunden. Da, endlich, nur die Snare.

Als Sticks werden Trinkhalme benutzt, die denen an der Bar sehr ähnlich sehen. Sie rühren im Hi-Hat. Gemurmel, Geraschel, Rapeng. Turner packt die Klangstäbe eines Windspiels ein, er kann aber damit nicht umgehen. Als plötzlich jemand ungeniert telefoniert ist das O.K., wenn jemand lacht ist es angenehm. Ein Sitz knarrt.

Den eigentlichen Reiz dieses Trios macht die Doppelbödigkeit von konkreter Erscheinung und autonomen, das heißt abstrakt-künstlerischem, Sinn aus.

Trap Street ist selten lyrisch, sondern produziert gefahrvolle Sperrigkeit. Das Prinzip einer tumultuarischen Konferenz (EUPHORIUM_freakestra) scheint ihnen vertraut: Zerrissene Ausgänge und berstige Posaune; und dann schickt Beresford mit seinen Elektronics die Posaunenklänge in den Hall weiterer Raumschichten.

Oliver Schwerdt

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