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Jazzzeitung

2002/06  ::: seite 13-14

portrait

 

Inhalt 2002/06

standards
Editorial
News
no chaser: Female Choice
Musiker-ABC: Miles Davis
break
Farewell.
Zum Tode der Organistin Shirley Scott
Farewell.
Die Jazzzeitung verabschiedet sich von ...

titel
Junge Helden, alte Löwen. 18. Jazzfrühling in Kempten 2002 · Von Klaus-Peter Mayr

berichte
Hard Cell
Hommage à Weill
Burghausen.
33. Jazzwoche
Halle. Mardi Gras.BB aus Mannheim zu Gast im Turm Jazzclub Moritzburg
Memmingen. Der ewig junge Tastenlöwe Joe Zawinul und seine jungen Mitmusiker aus aller Welt
München.
Joey DeFrancesco im Nightclub des Bayerischen Hofes
Murnau.
Jazz-Festival „Sticks“
Regensburg.
Iva Bittova im Museum Ostdeutsche Galerie
Ulrichsberg.
Kaleidophon begeisterte die Fans improvisierter Musik

jazz heute
  Nur Regen bringt segen. Das „Vogler“ und ein um 118 Prozent gestiegener Bierabsatz
  DJF. Aufruf zur 3. Deutschen Jazzwoche
  no chaser: Female Choice
  Leserbriefe. Zum Kapitel Jazz-Themen

portrait / interview
Die Liebe zum Choro. Ein Interview mit Beate Kittsteiner
Erleuchter mit zarter Stimme. Tugend aus der Not: Ein Portrait des Sängers Jimmy Scott
Global Excellence. George Gruntz zum 70. Geburtstag

play back / medien
Lirum, rarum, Löffelstiel. Die neue CD-Edition :rarum bei ECM
Internet. Link-Tipps

education
Fortbildung. Fortbildung
Abgehört 7
Chick Coreas Solo über seinen Klassiker „Spain“
Wo die jungen Profis üben. Zu Gast bei den Proben des Bayerischen Landesjugendjazzorchesters
Immer noch erste Adresse. Die Jazzabteilung an der Musikhochschule Köln · Teil I

dossier
Konstruktives zur Kritik. Kritiker-Woche an der Jazz-Fakultät in Luzern · Von Pirmin Bossart

service
Critics Choice
Rezensionen 2002/06
Service-Pack 2002/06 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (172 kb))

 

Erleuchter mit zarter Stimme

Tugend aus der Not: Ein Portrait des Sängers Jimmy Scott

Warmer Sommerregen am Ende des Tages. In der Abenddämmerung. Regen, der duftet. Nach Sommer, nach Wärme, nach Leben. Das ist die Atmosphäre, in der man Jimmy Scott genießen sollte. Oder kennen lernen muss. Das Fenster öffnen, den Wind willkommen heißen. Sich setzen, einen Bourbon gönnen und „But Beautiful” als Soundtrack wählen.

Erst dann, in gesetzter Ruhe, in aufgeräumter Stimmung, geht Jimmy Scott im Herzen auf. Lässt den Verstand klar denken. Hilft, differenziert zu urteilen. Unwichtiges wegzuschieben. Imposantes aufzusaugen. Wenn das geschieht, hat man Jimmy Scott inhaliert. Und man ist ihm ausgeliefert.
Dabei sah es lange Zeit nicht gut aus für Jimmy Scott. Geboren am 17. Juli 1925 in Cleveland, Ohio, musste er früh lernen, sich unter zehn Geschwistern durchzusetzen. Zusammen mit den Schwestern und Brüdern begleitete Jimmy Scott das Pianospiel der Mutter in der Kirche. Doch Jimmy Scotts Wachstum blieb aus. Das Kallmann-Syndrom, eine vererbbare Hormonschwäche, hemmte sein Wachstum. Damit verbunden blieb der Stimmbruch in der Pubertät aus. Der Nichteintritt des Stimmbruchs verschaffte ihm jedoch die Möglichkeit, eine einzigartige Stimme auszubilden, die oftmals zu charmanten Anekdoten führte. So wurde auf manchen Aufnahmen der Lionel Hampton Big Band eine gewisse Irma Curry als Sängerin genannt, während hinter den Kulissen selbstverständlich Jimmy Scott für den fragilen, fast femininen Gesang verantwortlich war. In den späten 40er-Jahren war es schließlich so weit. Zusammen mit Hamptons Big Band hatte Jimmy Scott seinen ersten Hit „Everybody’s Somebody’s Fool”.

Es folgten weitere Highlights, doch irgendwann verschwand Jimmy Scott von der Bildfläche. Ausgebeutet von der Plattenindustrie, musste er in der Versandabteilung eines Hotels arbeiten, um seinen kranken Vater zu unterstützen. Erst 1990 tauchte Jimmy Scott wieder auf und versuchte sich an zwei Alben, bevor seine Zusammenarbeit mit Milestone und Produzent Todd Barkan begann. „Mood Indigo” und „Over the Rainbow” waren der Anfang, zwischendurch wurde er als „Jazz Male Singer 2001” ausgezeichnet. „But Beautiful”, das Anfang April erschien, ist ein weiterer Höhepunkt der späten Werke des Jimmy Scott. Gern erinnert er sich an den Entstehungsprozess von „But Beautiful”. „Das war eine großartige Zeit”, berichtet Jimmy Scott, „ich konnte endlich die Songs aufnehmen, die ich schon immer machen wollte. Noch dazu mit diesen wunderbaren Musikern. Es war ein Muss, diese Platte zu machen”. In der Tat. George Mraz, Lew Soloff oder Eric Alexander sind Wunschbegleiter für eine Jazzreise dieser Art. Und Jimmy Scott war auf einer langen Reise. Hat sich seine Einstellung seit dem ersten Hit „Everybod’y Somebody’s Fool” grundsätzlich verschoben? Hat er sich nach all den Jahren und bitteren Erfahrungen eine andere Meinung über Musik und die Industrie gebildet? „Die Haltung und Einstellung zur Musik ist die gleiche wie früher”, beteuert er, „ich habe mich nur darauf verständigt, nun die Sachen zu machen, die mir schon immer zusagten. Leider klappt das mit der Industrie nicht so. Die haben eben ihre eigene Routine, ihren Stil und ihre Vorstellungen. Diesen Stil wollte ich eben nicht mit ihnen teilen. Das Verrückte daran ist, dass ich früher, als ich begonnen habe Platten aufzunehmen, diesen Stil machen wollte. Andererseits musste ich eben tun, was sie wollten, um Platten zu verkaufen. Und ich war nicht überzeugt, dass ich das als Musiker und Sänger akzeptieren muss. Die Plattenfirmen lassen dich alleine, wenn du dich ihrem Stil nicht beugst. Was hätte ich schon dagegen ausrichten können? Leider nichts.“ Das ist heute wie zu Jimmy Scotts frühen Hochzeiten so. Die moderne Art der Versklavung. Jimmy Scott konnte sich nicht wehren. Wobei das nicht bedeutet, er hätte nicht gekämpft. Das hat er. Leider aussichtslos. Die Krankheit seines Vaters zwang ihn in der Versandabteilung eines Hotels zu arbeiten, um seinen Vater finanziell zu unterstützen. Ein Fall, der manchen wohl aus der Bahn geworfen hätte. Jimmy Scott betrachtet diese langjährige Zwischenepoche eher ironisch und pragmatisch.

„Wenn eine Einnahmequelle wegbricht, musst du dir eben eine neue suchen. Du musst weiterleben, deine Miete und deine Rechnungen bezahlen. Irgendein Job musste her. Es hilft ja nichts, wenn dir deine künstlerischen Fähigkeiten nichts einbringen, um zu überleben”.

So bitter das im Fall des Jimmy Scott klingen mag, so Recht hat er mit der nackten Wahrheit. Was muss das für ein großartiger Tag gewesen sein, als er seinen aktuellen Produzenten Todd Barkan traf, der Jimmy Scott wieder da hinbrachte, wo er ohne Zweifel hingehört. Einer Erscheinung gleichkommend, ist dieses Treffen einzuordnen. Und Jimmy Scott kann sich sehr gut an diesen Tag entsinnen: „Ein großartiger Tag. Ich liebe es mit ihm zu arbeiten. Alles ist so entspannt, so leichtgängig. Er geht auf die Belange der Künstler ein und trägt so zu einem wunderbaren Arbeitsverhältnis bei. Das ist nicht selbstverständlich. Viele Produzenten machen nur das, was die Plattenfirma von ihnen verlangt. Todd lässt mir genug Freiraum, um das auszudrücken, was mir wichtig ist”. Zum Beispiel die Songs auf „But Beautiful”. Balladeske, aufwühlende Jazzstandards, deren Geschichte Jimmy Scott beeindruckt. Songs, die zu seiner Zeit schon „groovten” oder als Filmsoundtrack verwendet wurden. „Die Lieder erinnern mich an diese Zeiten, in denen der Künstler selbst nie im Fernsehen zu sehen war. Man musste seine Vorstellungskraft aus dem Radio bemühen, um sich ein Bild des Künstlers zu machen. Damals hatte man auf diese Weise noch einen ganz besonderen Kontakt zu den Künstlern.”

Wobei das bei Jimmy Scott nicht nötig ist. Erleuchtend ist sein Gesang, seine Hingabe zum Gesang und seine Interpretation von Musik. Alles liegt in seiner Stimme. Die Nuancen bedeuten Schritte ins Herz und Wege in den Verstand. Diese bewusste Zerbrechlichkeit, mit der Jimmy Scott spielt, stürzt jeden in ein Tal der aufmerksamen Besinnungslosigkeit. Ist das Jimmy Scotts Geheimnis, erleuchten zu können? „Kann sein”, meint er, „die Basisfrage ist jedoch, ob ich den Leuten mit meinem Gesang eine Freude mache. Wenn ich das weiß, kann ich mit dem Hörer kollaborieren”. Diese Zusammenarbeit mit dem Hörer kostet natürlich eine Menge Kraft und Energie. Jimmy Scott spürt das. „Das kommt sozusagen automatisch, denn man muss dem Hörer einen Teil von sich abgeben”.

Jimmy Scott übergibt seinen Teil selbstlos und aufopfernd. Ohne Rücksicht auf sich. „But Beautiful” ist ein wunderbares Ergebnis dieser annähernden Selbstaufgabe. Viel bleibt nicht übrig, was man sich von Jimmy Scott wünschen könnte. Eigentlich gar nichts. Also sollte man die Wünsche von Jimmy Scott respektieren. Einmal für ihn selbstlos sein. Wenn das möglich ist. „Ich möchte einfach in einer Position bleiben, in der ich mit jungen oder älteren Künstlern etwas teilen kann. Mit diesen Leuten möchte ich die Musik wieder da hinbringen, wo sie für die Öffentlichkeit eine sehr gute Unterhaltungsmöglichkeit ist. Jungen Künstlern die Fähigkeit zu vermitteln, Musik auf die richtige Art und Weise zu begreifen, das ist mein Anliegen. Sich gegenseitig Mut zu machen und den jungen Künstlern Selbstvertrauen vermitteln. Denn letztendlich ist genug Platz für alle Künstler auf dieser Welt.”

Sven Ferchow

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