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Jazzzeitung

2001/07-08  seite 28

farewell

 

Inhalt 2001/07-08

standards
Editorial
News
Fortbildung
no chaser: Insulaner-Syndrom
Glossar: Unisono
Farewell: John Lewis

berichte
Mit Jazzstars von New York nach Southampton
2. Uncoolfestival für zeitgenössische Musik
Barry Guy mit Münchner Jazzern und Klassikern
Auch Jazz gibt es in Moers
Django Memorial
Preise für den Nachwuchs

jazz heute
Break (von Joe Viera)
 Wichtige Reformen prägen das 20. Jazzweekend
 Club statt couch. Interview mit Yvonne Moissl, DJF
Insulaner- Syndrom

portrait / festivals
Kora-Variations. Soriba Kouyaté und der Jazz
Hingabe und Ausdauer. Heiner Franz und sein Label JARDIS für Jazz-Gitarrenmusik
Kein Entwicklungsland. Steiniger Weg: Jazz in der nördlichen Oberpfalz
Staraufgebot an der Donau. Vilshofener Festival mit Herbie Hancock und Paco de Lucia
Münchner Klaviersommer

play back.
Mächtig swingende Eleganz. Ornette Colemans komplette Aufnahmen für Atlantic
Der Multisaxophonist
Alte Roland Kirk-LPs auf CD

education
Besuch aus Bellevue Band Clinic mit Hal Sherman
Kurse & Wettbewerbe

dossier
Als Pops den Pop erfand
Der Pionier: ein Puzzle zum 100. von Louis „Satchmo“ Armstrong

medien/service
Instrumente. „Keys Unlimited”: Konzertreihe im Steinwayhaus München
Charts & Critics Choice
Internet. Festivals mit ihrer Homepage im Netz
Rezensionen 2001/07-08
Service-Pack 2001/07-08 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (622 kb))

 

Der Sound einer Ära

John Lewis –
Abschied vom feinsinnigen Gentleman des Jazzpianos

Vor John Lewis waren Fugen im Jazz ein Unding, nach ihm wurden sie eine Mode. Streng genommen sind Fugen im Jazz gar nicht möglich, denn dazu müssten die improvisierenden Musiker eigentlich Gedankenlesen können. Aber John Lewis und das von ihm jahrzehntelang geleitete Modern Jazz Quartett kamen dem Geist der Fuge mit ihrem unakademisch angewandten Kontrapunkt schon auf denkwürdige Weise recht nahe. Ähnliches gilt für andere Formen der klassischen und barocken Musik. Lewis hat das Kunststück fertig gebracht, sie mit Jazzgehalt zu füllen, damit dem Jazz neue Kreise zu erschließen, und dies ohne seine tiefe Verwurzelung in der afroamerikanischen Tradition aufzugeben.

John Lewis: Dirigent, Komponist, Pianist, Gentleman. Foto: Archiv

Der 1920 im Bundesstaat Illinois geborene John Aaron Lewis wuchs als Sohn einer klassischen Sängerin in New Mexiko auf. Als Siebenjähriger wurde er im Klavierspiel unterwiesen. An der Universität von New Mexiko studierte er Anthropologie. Während seines Militärdienstes in der Normandie freundete er sich mit Kenny Clarke, dem Vater des modernen Schlagzeugspiels, an. Nach seiner Entlassung aus dem Dienst zog er nach New York, wo der Bebop gerade seine Hochblüte erlebte. Obwohl es aus heutiger Sicht seltsam erscheint, passte der ruhig und zurückhaltend spielende John Lewis gut in diesen Kreis. Auf Empfehlung von Kenny Clarke wurde er 1946 Pianist im Orchester des Trompeters Dizzy Gillespie. Gillespie war nicht nur ein Mitbegründer des Bebop. Die Formation in der Lewis wirkte, war in zweifacher Hinsicht wichtig für die Weiterentwicklung des modernen Jazz. Gillespie schuf mit ihr ein großorchestrales Pendant zum zunächst auf Kleinformationen beschränkten Bebop und nahm bald darauf afrokubanische Elemente in den Jazz auf. Als Komponist und Arrangeur von Meilensteinen wie „Emanon“ und „Two Bass Hit“, machte sich John Lewis um das Orchester verdient. 1947 wurde in einem Gillespie-Konzert in der Carnegie Hall Lewis’ „Toccata for Trumpet“ uraufgeführt. Lewis hat das Stück später als Jugendwerk abgetan. Aber mit seinem Rückgriff auf klassische Formen, oder zumindest auf deren Bezeichnungen, war es auf jeden Fall schon ein typischer Lewis.

Vom Wert des Jazz

Schon in der Bebop-Ära erschien Lewis als dezent swingender Pianist, bei dem die Pausen ebenso wichtig waren wie die erklingenden Noten, ein Musiker, der auf Sparflamme kochen konnte. Die Linearität Johann Sebastian Bachs, die Essentialität Count Basies und der Bebop Charlie Parkers standen seinem Personalstil Pate. Da John Lewis aus seinen Neigungen für Europa und die klassische Musik nie einen Hehl machte und seine Musik als prototypisch für den Cool Jazz gilt, werden oft die schwarzen Wurzeln seiner Musik übersehen. John Lewis war aber von Anbeginn seiner Laufbahn bis zu seinem Tod einer der bewegendsten Blues-Interpreten der Jazzgeschichte. Dies belegt zum Beispiel die legendäre, am 18.September 1948 entstandene Aufnahme von Parkers „Mood“, die Lewis als Sideman des genialen Bebop-Mitbegründers Charlie Bird Parker zeigt. John Lewis war kein Klavier-Revolutionär wie Thelonious Monk oder Bud Powell. Dennoch kommt dem Musiker mit dem enzyklopädischen musikalischen Wissen und der nie nachlassenden Kreativität eine zentrale Rolle in der Entwicklung des modernen Jazz zu, vor allem in der Wendezeit vom Bebop zum Cool. Aber auch weit über diesen Rahmen hinaus hat er als eine der hervorragendsten Solisten seiner Zeit vorbildlich gewirkt. Improvisatorischen Einfallreichtum und Swingfeeling attestiertem ihm selbst jene, die seine Vorliebe für Fugen, Choräle und Auftritte im Frack nicht teilten. Doch nicht aus Minderwertigkeitsgefühl gegenüber dem Jazz legte Lewis so viel Wert auf Formen und Attribute der klassischen Musik. Er handelte und musizierte aus der Überzeugung, dass Jazz genau den gleichen Wert hat, und damit verbunden, die gleiche gesellschaftliche Achtung, die gleichen Konzerthallen, das gleiche aufmerksame Publikum verdient, wie die sogenannte E-Musik.
Noch als Mitglied des Dizzy Gillespie Orchesters studierte Lewis an der Manhattan School of Music. Als das Orchester Anfang der 50er-Jahre aufgelöst wurde, entstand aus seiner Rhythmusgruppe eine neue Combo: Lewis, der Vibraphonist Milt Jackson, der Bassist Ray Brown und der Schlagzeuger Kenny Clarke formierten sich zu einem Quartett, das zunächst unter der Leitung von Milt Jackson Aufnahmen machte. Schon während der langwierigen Bläserproben hatten sich die vier gerne mit gemeinsamem Musizieren die Zeit vertrieben. Ray Brown, der zu jener Zeit mit Ella Fitzgerald verheiratet war und mit der Sängerin tourte, wurde bald durch den Bassisten Percy Heath ersetzt und das Modern Jazz Quartet war geboren. Es sollte die langlebigste und zugleich eine der erfolgreichsten Jazzbands aller Zeiten sein. Neben dem Gerry Mulligan Quartett und dem Dave Brubeck Quartett war das Modern Jazz Quartett jenes Quartett, das den coolen Sound einer ganzen Ära definierte. Die kammermusikalische Raffinesse und die Eleganz der Mitglieder öffnete dem MJQ und damit dem Jazz die großen Konzertsäle.
Lewis außerhalb des MJQ

So gut sich Jackson und Lewis im MJQ auch ergänzten, ohne einander konnten sie sich bisweilen besser entfalten. Milt Jackson swingte auf eigenen Alben gelöster und auch John Lewis war ohne Jackson bisweilen wie ausgewechselt. Auf eigenen Platten ging er mehr der ihm eigenen kultivierten Introspektion nach, aber auf Alben, bei denen er als Sideman mitwirkte (zum Beispiel „Sonny Stitt plays Bird“), spielte er oft so enthemmt, dass man ihn kaum wieder erkennt. Dass Lewis, wenn er nicht Verantwortung über Band, Komposition und Arrangement zu tragen hatte, ein durchaus extrovertierter Pianist war, ist ein interessanter Aspekt seines Schaffens.
Wichtiger als solche Sideman-Tätigkeit sind seine eigenen Projekte außerhalb des Modern Jazz Quartetts. Als Mitte der 50er-Jahre der „Third Stream“ aufkam, kristallisierte sich John Lewis neben Gunther Schuller als Hauptvertreter heraus. Seit den 60er-Jahren hat John Lewis, neben seiner Tätigkeit für das Modern Jazz Quartett, immer wieder Orchester geleitet. Am Herzen lag ihm, unter anderem als Leiter einer Jazz-Schule, seine ausgedehnte pädagogische Tätigkeit.

Auch als Komponist zahlreicher, insbesondere französischer und italienischer Filmmusiken ist er hervorgetreten. Vor allem als Solopianist hat er in letzten Jahren gewirkt. Immer wichtiger wurde John Lewis, der übrigens mit einer klassischen Cembalistin verheiratet war, in den letzten Jahrzehnten die Auseinandersetzung mit dem Werk Johann Sebastian Bachs. In zahlreichen Aufnahmen spürte er der Wesensverwandtschaft von Bach und Jazz nach. Der Schwanengesang des inzwischen noch asketischer spielenden John Lewis kam unlängst auf den beiden Alben Evolution und Evolution II heraus. Als er am 29. März in New York verstarb, wurde der Jazz um einen der größten Improvisatoren und Komponisten ärmer.

Marcus A. Woelfle

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