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Jazzzeitung

2012/02  ::: seite 17

rezensionen

 

Inhalt 2012/02

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazz-ABC: Alvin Queen no chaser: Der Auskenner Farewell: Abschied vom Multiinstrumentalisten Sam Rivers

TITELSTORY: Schüler der Musik
Branford Marsalis im Gespräch

GESCHICHTE -
Basies Weggefährten (4)
Mehr als „April In Paris“ – Benny Powells Posaune
Der Charme des Skizzenhaften
Eine Ehrenrettung für Duke Ellingtons Suiten

Berichte
Das Dan Tepfer Trio beim BMW Welt Jazz Award // Louis Moutin im Esslinger Jazzkeller // Zum Neuen Deutschen Jazzpreis 2012 // Preview: 41. Moers-Festival

Portraits
Monty Alexander // Bassklarinettist Ulrich Drechsler // Schlagzeuger Jens Düppe // Neues von e.s.t. // Hugo Siegmeth

Jazz heute und Education
„Jazz it!“ Germering // jazzahead! verleiht erstmals Preis für deutschen Jazzjournalismus // „Women in Jazz“ // Zur Frühjahrsarbeitsphase des Bundesjazzorchesters // Fortbildungskalender 2012 (pdf) // Abgehört: Der Song des Vizepräsidenten
Keith Jarretts Version einer alten Melodie

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Zum Nachdenken

Neue englischsprachige Publikationen

Ulrich Kurth: Tony Oxley – Fünf Jahrzehnte improvisierter Musik, Wolke Verlag Hofheim, 256 Seiten mit einer komprimierten Diskografie

Tony Oxley wurde am 15. Juni 1938 in einem Arbeiterviertel in Sheffield geboren, einem Zentrum der englischen Rüstungsindustrie. Das bedeutete, dass er den Krieg in Form von deutschen Luftangriffen sehr direkt erlebte. Mit 14 Jahren begann er autodidaktisch mit Schlagzeug, neben seiner Arbeit in etlichen Betrieben, denn er war kein Schüler mehr und musste Geld verdienen. Er spielte in verschiedenen Bands alle möglichen Arten populärer Musik, auch Jazz. 1956 kam er in ein Musikkorps der Armee, bei dem er drei Jahre blieb, und wo er eine komprimierte musikalische Ausbildung erhielt. Danach hatte er wieder Tagesjobs neben dem Spielen. 1962 wurde er Berufsmusiker. Im selben Jahr fuhr er mehrmals als Musiker auf der „Queen Mary“ nach New York, um dort während der Liegezeit möglichst viel Jazz live zu hören (bei englischen Jazzmusikern ein begehrter Job).

1963 lernte er den Gitarristen Derek Bailey kennen, bis zu dessen Tod 2005 sein wichtigster Partner auf der Suche nach neuen Klängen. Denn das war schon bald sein Ziel. Andererseits wurde er ein hervorragender Time-Spieler. Das zeigte sich besonders bei seiner Tätigkeit als Hausdrummer im „Ronnie Scott’s Club“ in London 1966 bis 1972, wo er mit vielen Großen des Jazz spielte, von Ben Webster bis Bill Evans und Sonnty Rollins. Aber er wollte diesen Teil seiner Arbeit nicht recht wahrhaben. Sein Interesse galt vielmehr einem Spiel ohne konstantes Tempo und ohne Akkordbasis. Er nennt das horizontale Musik, im Gegensatz zum bisherigen Jazz, den er als vertikal bezeichnet. Diese Musik soll „frei von sprachlichen oder emotionalen Bindungen sein, autonom und objektiv“ (S. 58). Seine Äußerungen hierzu sind nicht eindeutig und gelegentlich widersprüchlich. Nehmen wir aber als Beispiel die CD (ADMV 005) von 1974/75 mit dem Maler und Musiker Alan Davie (unter dessen Einfluss Tony Oxley auch selbst anfing, zu malen), so hören wir in zehn Stücken ein sehr fantasievolles Spiel mit zum Teil extremen Klängen, das drei bemerkenswerte Eigenschaften aufweist: relativ kurze Titel, viele leise und sehr leise Passagen (im Gegensatz zu vielem, was damals an freier Improvisation gespielt wurde), Formgefühl (nichts zerfällt). In seiner vielfältigen Arbeit bis hin zu Aufnahmen mit Anthony Braxton und Cecil Taylor hat sich Tony Oxley zu einem der bedeutendsten europäischen Free Jazz-Musiker entwickelt. Er würde den Jazzcharakter vieler seiner Einspielungen vermutlich bestreiten, aber dieser ist doch immer wieder zu spüren: er ist das Element in seiner Musik, das Kontinuität und Logik schafft.

Auch andere große europäische Schlagzeuger hätten eine solch einfühlsame Biografie verdient, wie Ulrich Kurth sie geschrieben hat: Phil Seamen, Pierre Favre,Han Bennink, Baby Sommer und vor allem Daniel Humair.

Ted Hershon: Norman Granz – The man who used jazz for justice, University of California Press, Berkeley and Los Angeles, 470 Seiten

Oscar Peterson schreibt in einem Vorwort zu diesem Buch: „I would like people to remember him as the most honest and musically upright Impresario ever in the jazz field. He could not be bought or
sidelined in his belief not only in musical elegante but also in racial equality.” Eine gute Beschreibung dieses Mannes, dem der Jazz viel verdankt.

Er wurde am 6. August 1918 als Sohn russischer Einwanderer in Los Angeles geboren. Eigentlich plante er eine Karriere in der Filmwirtschaft, doch es kam anders. Im Juni 1942 begann er in seiner Heimatstadt Jam Sessions in einer bis dahin ungewöhnlichen Form zu veranstalten. Dem Lokalbesitzer stellte er vier Bedingungen, auf die dieser nach einigem Zögern einging: die Veranstaltungen sollten vorher angekündigt werden, die Musiker sollten eine Gage erhalten, es sollte nicht getanzt werden und die Besucher, schwarze wie weiße, sollten sitzen dürfen, wo sie wollten. Die Hartnäckigkeit, mit der er auf dem bestand, was er für richtig hielt, die Liebe zum spontanen Jazz der großen Musiker, egal welcher Hautfarbe sowie deren Anerkennung durch gute Gagen und respektvolle Behandlung – all das behielt Norman Granz sein Leben lang bei.

Am 15. Juli 1942 war er erstmals als Plattenproduzent tätig. Die vier Titel mit Lester Young, Nat King Cole und Red Callender, in rund einer Stunde aufgenommen (!),gelten heute als klassisch, auch wegen der damals sehr ungewöhnlichen Besetzung – auch dies ein Merkmal vieler seiner späteren Aufnahmen.

Am 2. Juli 1944 brachte dann Granz erstmals eine Jam Session mit ihrer explosiven Kraft auf die Bühne eines Konzertsaals. Das Philharmonic Auditorium in Los Angeles wurde zugleich der Namensgeber der langen Serie von Konzerten, die auf dieses erste folgten, und die in den 50er-Jahren regelmäßig in vielen Ländern stattfanden: Jazz at the Philharmonic (JATP). So freuten wir uns damals auch in München über Ella Fitzgerald, Oscar Peterson, Dizzy Gillespie, Roy Eldridge, Flip Phillips, Bill Harris und anderen im Kongresssaal des Deutschen Museums – und ärgerten uns über die Akustik, die übrigens auf der Bühne noch schlechter war (es gab damals noch keine Monitore).

Im September 1944 war Norman Granz maßgeblich an der Produktion des zehnminütigen Kurzfilms „Jammin’ the Blues“ beteiligt, der damals sogar für einen Oscar nominiert wurde und der inzwischen als einer der besten Filme über den Jazz gilt (DVD EVORFILMS 2869038). 1947 gründete Granz mit CLEF sein erstes eigenes Label. 1956 machte er daraus, zusammen mit zwei weiteren Labels (NORGRAN und DOWN HOME) VERVE, das er 1960 an MGM verkaufte. 1973 etablierte er PABLO, benannt nach Pablo Picasso, mit dem er befreundet war. Für dieses Label nahm er bis 1986 auf (Verkauf an FANTASY). Insgesamt erhielten 23 von ihm produzierte Platten einen Grammy, womit er alle seine Kollegen übertraf.

Damit nicht genug: Norman Granz war ab 1949 jahrezehntelang der Manager von Oscar Peterson und ab 1954 auch von Ella Fitzgerald. Beide verdankten ihm sehr viel.

Manche Ideen konnte er nicht verwirklichen, so 1947 Duo-Aufnahmen von Charlie Parker mit Art Tatum (!), 1953 in Paris Aufnahmen von Oscar Peterson mit Ray Brown und Django Reinhardt (!) und 1956 eine Europa-Solotournee Art Tatums. Aber viele andere Projekte konnte er durchführen, auch manche, die außerhalb des Jazz lagen. So brachte er 1959 Yves Montand erstmals in die USA, organisierte 1960 die ersten öffentliehen Konzerte Marlene Dietrichs in der BRD seit ihrer Emigration und unterstützte 1968 die Finanzierung von Rolf Hochhuths „Soldaten“ in London.

Norman Granz konnte bisweilen sehr abrupt sein, aber auch großzügig gegenüber Musikern, die er schätzte. Es ging ihm immer um die Musik und ihre Schöpfer, gleich welcher Hautfarbe. Dieses Buch, auf sehr gründlichen Recherchen basierend, setzt ihm ein würdiges Denkmal.

Lawrence Gushee: Pioneers of Jazz – The Story of the Creole Band, Oxford University Press, New York, 384 Seiten

Ist es möglich, ein sinnvolles Buch über eine Band zu schreiben, von der es nicht eine einzige Tonaufnahme gibt? Lawrence Gushee, ehemaliger Professor für Musik an der Universität von Illinois, hat dieses Kunststück fertiggebracht, und obendrein noch das Wissen um den frühen Jazz ganz allgemein bereichert. Dazu unternahm er umfangreiche Nachforschungen mit Hilfe von vielerlei
Quellen: Zeitungen, Zeitschriften, Archive, Einwohnerverzeichnisse, Stadtpläne, Volkszählungen, Telefonbücher, Theaterprogramme, Briefe, Interviews, Fotos und vieles mehr. Auf diese Weise gelang es ihm, Woche für Woche zwischen 1914 und 1918 Reisewege und Auftritte der Creole Band zu verfolgen, des ersten Ensembles, das den New Orleans Jazz in großen Teilen der USA und im westlichen Kanada zu Gehör brachte, und zwar in erster Linie in Vaudeville-Theatern, damals weit verbreitet, einer Art Varieté. Organisator und Manager war der Bassist Bill Johnson, ein Pionier des Bassspiels im Jazz, der erst 1972 im Alter von vermutlich 100 Jahren (!) starb.

Der Autor stellt gute Fragen, weshalb dieses Buch viel Stoff zum Nachdenken bietet. Hier einige Überlegungen: Die Besetzung der New Orleans Bands war anfangs sehr unterschiedlich. So hatte die Creole Band kein Klavier und kein Banjo, dafür eine Gitarre und eine Geige.

Das Repertoire enthielt viele Stücke, die in den 20er-Jahren bei New Orleans Bands nicht mehr auftauchten. Bluestitel gab es kaum.
Die Creole Band erhielt viele begeisterte Kritiken. Warum haben sich damals nur sehr wenige New Orleans Bands zu Reisen nach Norden entschlossen?

1916 hätte die Creole Band übrigens Aufnahmen in New York für VICTOR machen können, aber der Kornettist Freddie Keppard lehnte dies ab („We won’t put our stuff on records for everybody to steal“) und überzeugte damit leider auch die übrigen Musiker. Es wären die ersten Jazzaufnahmen gewesen!

Wo sind eigentlich die deutschen Musikprofessoren, die mit ähnlicher Gründlichkeit unvoreingenommen den frühen Jazz in Deutschland untersuchen?

Joe Viera

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