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Jazzzeitung

2012/02  ::: seite 22

geschichte

 

Inhalt 2012/02

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazz-ABC: Alvin Queen no chaser: Der Auskenner Farewell: Abschied vom Multiinstrumentalisten Sam Rivers

TITELSTORY: Schüler der Musik
Branford Marsalis im Gespräch

GESCHICHTE -
Basies Weggefährten (4)
Mehr als „April In Paris“ – Benny Powells Posaune
Der Charme des Skizzenhaften
Eine Ehrenrettung für Duke Ellingtons Suiten

Berichte
Das Dan Tepfer Trio beim BMW Welt Jazz Award // Louis Moutin im Esslinger Jazzkeller // Zum Neuen Deutschen Jazzpreis 2012 // Preview: 41. Moers-Festival

Portraits
Monty Alexander // Bassklarinettist Ulrich Drechsler // Schlagzeuger Jens Düppe // Neues von e.s.t. // Hugo Siegmeth

Jazz heute und Education
„Jazz it!“ Germering // jazzahead! verleiht erstmals Preis für deutschen Jazzjournalismus // „Women in Jazz“ // Zur Frühjahrsarbeitsphase des Bundesjazzorchesters // Fortbildungskalender 2012 (pdf) // Abgehört: Der Song des Vizepräsidenten
Keith Jarretts Version einer alten Melodie

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Basies Weggefährten (4)

Mehr als „April In Paris“ – Benny Powells Posaune

„Basie-ites“ nennt man bisweilen in der angloamerikanischen Fachpresse jene Musiker, die man mit dem Orchester und der Klangwelt Count Basies assoziiert. In unregelmäßiger Reihenfolge stellt Marcus A. Woelfle einige dieser Größen in der Jazzzeitung vor.

Benny Powell. Foto: Archiv

Als Benjamin Gordon Powell am 1. März 1930 in New Orleans das Licht der Welt erblickte, war seine Geburtsstadt, die „Wiege des Jazz“, in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der afroamerikanischen Improvisationsmusik schon hinter Chicago und New York zurückgetreten, und doch war Musik dort, wie Benny Powell sich erinnerte, „Bestandteil des alltäglichen Lebens. Du musstest nirgends hingehen, um Musik zu hören. Du brauchtest nur aufzuwachen und zu hören. Weißt du, es ist heiß dort und die Leute lassen ihre Türen offen.“ Zur Posaune, die er schlicht als Bestandteil der New Orleans Folklore kennenlernte, kam er durch das Erlebnis der Parade einer Marching Band: „Ich saß in einem der Umzugswagen und direkt dahinter marschierte die Band. Die Posaunisten marschieren für gewöhnlich voraus, damit sie mit ihren Zügen nicht die Leute treffen. Ich drehte mich in diesem Wagen um und sah den Posaunisten. Ich war von diesem glänzenden Instrument fasziniert und konnte meinen Blick nicht von dem Burschen wenden, der es auf der Parade blies.“ Noch am gleichen Tag kam Benny Powell mit dem Musiker ins Gespräch und sein weiterer Lebensweg war entschieden.

Bevor er sich in die Posaune verliebte, hatte Benny Powell Schlagzeug gespielt. Mit zwölf Jahren entdeckte er glücklicherweise im Haus eines Onkels eine Posaune. Dieser hatte sie für eines seiner Kinder besorgt, doch der Knabe interessierte sich nur für Sport. So erhielt Benny die Posaune und bald darauf Unterricht auf dem Instrument. Obwohl er in der Wiege des traditionellen Jazz aufwuchs, begeisterte er sich gleich für Bebop, den er von Platten kennenlernte, die ein Freund aus New York mitbrachte. Mit 14 wurde Benny Powell schon Profimusiker, begünstigt durch den Umstand, dass viele ältere Musiker während des Zweiten Weltkriegs in der Armee waren. Und das kam durch folgenden Zufall zustande. Man brauchte bei einer Truppenbetreuung für eine Silvesterfeier einen Posaunisten. Benny Powell wurden die Noten von „Song Of India“ vorgelegt. Zufällig konnte er das Solo Tommy Dorseys über dieses Stück nach dem Gehör auswendig spielen. Als er an der Reihe war, tat er so, als würde er die Noten lesen und beeindruckte damit alle. Er hätte sie sogar lesen können, in Wahrheit war es aber seine Gedächtnisleistung, mit der er in diesem zarten Alter zum Profi wurde. Für kurze Zeit besuchte Benny Powell das Alabama State Teacher’s College und ging dann 16-jährig mit lokalen Bands auf Tourneen. Seinen Vater hatte Benny Powell schon im Alter von sieben Jahren verloren und seine Mutter hatte außer ihm noch drei Schwestern zu versorgen. Kein Wunder, dass er bei dem spaßmachenden Verdienstquell blieb und ihm erlaubt wurde, dass er mit 16 seiner Wege ging. Die erste dieser Bands war die des Trompeters King Kolax. Als diese strandete, schloss er sich 1947 der des Saxophonisten Ernie Fields’ an. Die Band muss grottenschlecht gewesen sein: Als sie einmal die Mills Brothers begleiteten, sprachen diese eine Woche lang kein Wort mit den Bandmitgliedern.
Als unbeschriebenes

Blatt bei Lionel Hampton

Die Bigbands jener Zeiten waren richtiggehende Schulen, nicht nur in rein musikalischen Angelegenheiten. Benny Powell kommentierte es so: „Die Älteren erzählten mir alles über das Leben, Kleidung, Manieren, Betragen, Lebensführung. Jazzmusiker, jedenfalls die guten unter ihnen, sind sehr gebende Menschen. Wenn die Älteren meine Fragen beantworteten, sagte ich: ‚Danke; kann ich dafür etwas zahlen?’ Sie aber antworteten: ‚Nein. Später wirst du das Gleiche für Jüngere tun. Das ist die Bezahlung, die ich wünsche.’“
Benny Powell sah es als Glück an, oft in seinem Leben zur richtigen Zeit am richtigen Platz gewesen zu sein. Als Lionel Hampton in Tulsa gastierte, hatte sein Posaunist Chips Outcalt ihn am Vorabend verlassen. Betty Carter, die zu jener Zeit bei Hampton sang, war Talentscout des Vibraphonisten. Ihre Aufgabe war es, für ihn talentierte Bebopper oder potentielle Bebopper unter den jungen Musikern herauszufischen, denn auch Lionel Hampton hatte den Stil seines Orchesters modernisiert. Musiker wie Fats Navarro, Charles Mingus und Wes Montgomery spielten in den 40er-Jahren bei ihm. Betty Carter machte ihn auf Benny Powell aufmerksam, und so wirkte der kaum bekannte Jüngling aus der Provinz 1948 bis 1951 in einem weltberühmten Orchester. Bei Hampton machte er 1949 seine ersten Aufnahmen, doch mehr von Benny Powell hört man zum Beispiel auf Hamptons 1967 live eingespielten Album „Newport Uproar“. Nicht nur die große Betty Carter, sondern auch die noch berühmtere Sängerin Dinah Washington hatte sich bei Lionel Hampton ihre ersten Sporen verdient, und so nahm Powell schon 1950 mit ihr auf.

Zwölf Jahre bei Basie

Zeitlebens liebte Benny Powell Kanada. Sein ursprünglicher Wunsch, dort zu leben, ging nicht in Erfüllung, brachte ihn aber indirekt zu Count Basie, wo er berühmt wurde. Benny Powell hatte Hampton 1951 in Kanada verlassen, wo er wegen des dort geringeren Rassismus hatte bleiben wollen. Dafür hatte er aber nicht die richtigen Papiere gehabt. Als er deshalb nach New York zurück musste, war Benny Powell einige Monate ohne festen Job. Eigentlich wollte er in einer kleinen Gruppe spielen, wo er größere Chancen gehabt hätte, sich solistisch zu entwickeln. Gerne wäre er Benny Greens Nachfolger bei Charlie Ventura geworden oder Henry Cokers Nachfolger bei Illinois Jacquet, bei dem er sich sogar beworben hatte. Während er solchen Träumen nachhing, wurde er vom Saxophonisten Charlie Fowlkes darauf hingewiesen, dass Count Basie, der einige Jahre nur eine kleine Gruppe leitete, nun wieder eine Big Band gründen wolle. Er solle doch bei den Proben vorbeischauen. Er ging hin, probte mit. Die Big Band hatte ihren ersten Job 1951 in Boston. Benny Powell war sehr schüchtern, wenn er mit dem großen Basie sprach. Der junge Bursche traute sich nie, ihn direkt zu fragen, ob er angestellt sei. Die Konversation ging immer so: „Mr. Basie, wie gefällt ihnen die Posaunengruppe?“ „Sie ist o.k., kid.“ Oder: „Herr Basie, klingen die Posaunen gut.“ „Ja, sie klingen großartig, mein Junge.“ So ging es einen Monat hin und her. Benny Powell hatte ein komisches Gefühl, da er sich ja auch bei anderen Bands beworben hatte. Die greifbarste Zusicherung Basies war noch: „Du bist doch hier, Junge, nicht wahr?“ Nach zwei oder drei Jahren dämmerte es Benny Powell, dass er den Job inzwischen wohl fest habe. Insgesamt verbrachte Benny Powell schließlich zwölf Jahre beim Count.

Posaunistische Gipfeltreffen

Basies Musiker waren populär genug, auch unter eigenem Namen eine ganze Menge Schallplatten aufzunehmen, mit oder, wie meistens, ohne den Count. So ein Album, bei dem Powell zur Geltung kommt, heißt treffenderweise „No Count“ (Savoy, 1956). Selten hört man auf den Basie-Platten so viele Posaunisten wie hier, wo Powell mit Henry Coker um die Wette spielt. Noch in den 40er-Jahren war es ungewöhnlich mehr als einen Posaunisten auf einer Aufnahme solistisch zu präsentieren. Doch in den 50er-Jahren waren die Posaunisten, angespornt durch den Erfolg des Team J. J. Johnson und Kai Winding, entschlossen, durch Schwarmbildung ihrem Instrument mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Ab Mitte der 50er Jahre erlebte man Benny Powell daher immer häufiger bei posaunistischen Spitzentreffen. Ein Beispiel für diese Tendenz jener Zeit ist das 1956 eingespielte Savoy-Album „Trombones featuring Frank Wess Flute“, auf dem er neben dem eloquenten Jimmy Cleveland einer von vier Posaunisten ist. Am Silvester des Jahres 1958 fand sich Powell in einem Studio ein, um an Aufnahmen zum Album „The Trombones Inc“ mitzuwirken, das von der Zeitschrift Down Beat seinerzeit mit den begehrten fünf Sternen ausgezeichnet wurde. Es ist wohl der Gipfelpunkt posaunistischer Gemeinschaftsfreude. 27 Posaunisten, darunter sind Benny Green, Eddie Bert und der jüngst verstorbene Bob Brookmeyer sind auf diesem Album in wechselnden Besetzungen zu hören.

Vergleichsweise weniger gefragt war Powells Posaune bei Basie, wo er sich vor allem mit einer kurzen Passage in die Herzen der Menschen spielte: „Wir Posaunisten sind ja traditionell Stiefkinder. Nach dem Trompeter kommt der Tenorist, dann kommt das Schlagzeugsolo. Zwischenzeitlich hatte der Posaunist ganze 8 Takte im Arrangement. In der Tat erinnert man sich vor allem wegen einer kurzen Melodie an mich, die ich in der Bridge von „April In Paris“ spielte. Ich wusste, egal was ist, würde ich immerhin dieses kurze Solo spielen, denn das war ein großer Hit für Basie.“ (Siehe auch „Neues von gestern“). Der Star-Posaunist bei Basie war ein anderer: „Al Grey war etwas älter als ich, ein sehr feiner Posaunist, viel erfahrener, aber auch ein bisschen aggressiver. Jedenfalls bekam Al den Löwenanteil an Posaunensoli, und dies verdientermaßen. Henry Coker bekam auch einen großen Anteil. Ich war wohl der dritte Solist, jedenfalls kam ich mir so vor, weil die beiden erfahrener waren. Aber es hat mir nichts ausgemacht. Ich lernte ja von ihnen.“ Bennie Powell hat Basie nach zwölf Jahren nicht zuletzt deshalb verlassen, weil er als Posaunist kaum je Solochancen hatte.

Bei Thad Jones und Randy Weston

Obwohl er bei Count Basie bekannt geworden war, sah Benny Powell sich 1963 gezwungen, das Orchester zu verlassen, um sich solistisch mehr entfalten zu können. Obwohl Alben unter eigenem Namen doch vergleichsweise selten blieben, findet man Benny Powell mehr oder weniger überall, als Sidemen und als Solisten, und zwar in den unterschiedlichsten Stilbereichen. Ob auf dem Broadway oder in Fernsehshows, Powell wurde gerne engagiert. „Wenn der Bursche zwölf Jahre bei Basie gespielt hat, dann kann er sicher was“, erklärte Powell selbst den Beweggrund für viele Verpflichtungen.

Einigen Musikern des Basie-Orchesters blieb Benny Powell jahrzehntelang verbunden. Als der Trompeter Thad Jones in den 60er-Jahren mit dem Drummer Mel Lewis selbst eine famose Big Band leitete, gehörte Benny Powell mit zum Team. Als nahezu Unbekannter war Thad Jones 1954 zu Basie gekommen. Schon 1957 konnte Powell als Sideman bei Blue-Note-Aufnahmen von Thad Jones zeigen, dass er im Grunde ein Bopper war. Damals begann man Benny Powell vor allem mit der Bassposaune zu assoziieren, obgleich er als Solist häufig Tenorposaune spielte.

Nach vier Jahren bei Thad Jones/Mel Lewis verbrachte Benny Powell die 70er-Jahre an der Westküste. Als er in den 80er-Jahren wieder nach New York kam, war er viel als Jazz-Pädagoge tätig. So unterrichtete er ab 1994 an der New School for Jazz and Contemporary Music. Benny Powell vermittelte dabei wohl nicht nur rein musikalische Erfahrungen, sondern auch Sinn für würdiges Betragen und die Heiligkeit der Kunst. „Ich denke“, hat er einmal gesagt, „der Bühne kommt die gleiche Heiligkeit zu, wie dem Altar. Man verunstaltet sie nicht. Man geht nicht mit einer Zigarette und einem Glas Whiskey auf die Bühne. Wenn du auf der Bühne bist, konzentriere dich nur auf die Musik oder auf Dinge, die damit zusammenhängen. Unterhalte dich von der Bühne aus mit niemandem. Du hast wenig Zeit da oben, also widme sie ganz deiner Aufgabe. Die Leute haben gutes Geld gezahlt und sind gekommen, dich zu sehen. Aber sie haben nicht dafür gezahlt, dass du dich mit Freunden unterhältst oder Witze reißt. Ich meine nicht, du sollest steif sein, aber besinne dich des Grundes deiner Anwesenheit und wisse, dass die Leute dich beobachten.“

„Gehe mit jedem Stück kreativ um. Selbst wenn du Standards spielst wie, ‚All The Things You Are‘, versuche etwas anderes damit zu machen. Spiele nicht einfach nur Intro, Thema, Soli und Schluss. Das ist vorhersehbar. Wenn das Publikum das zwei, drei Mal gehört hat, dann können sie ziemlich bald vorhersehen, was du spielen wirst. Schöpfe im Augenblick. Du musst hören, was die anderen spielen, denn etwas vom Klavier oder vom Schlagzeug mag eine Idee in dir wecken, der du folgen kannst. Daher muss man sich auf der Bühne konzentrieren.“

Es wäre verfehlt, Benny Powell einseitig in die Mainstream-Schublade zu stecken, die vor allem ab den 80er-Jahren nicht mehr passt, als er zum Beispiel mit Abdullah Ibrahim und John Carter zusammenarbeitete. Benny Powell schätzte den Pianisten Randy Weston sehr, mit dem er in den letzten Jahrzehnten seines Schaffens regelmäßig zusammenspielte. Dazu unser Posaunist: „Randy Westons Vater, ein unabhängiger Mann, erklärte ihm, er sei ein Afrikaner, der in Brooklyn geboren wurde. Er machte ihn auf den Reichtum der afrikanischen Kultur aufmerksam. Randy ist ein richtiger Gelehrter. Er hat überall auf der Welt Bibliotheken besucht, um Kulturelles zu studieren. Jedes Mal treffe ich ihn mit einem anderen Buch, zum Beispiel über Archäologie. Jeder, der Jazz spielt, wird zugeben, dass das Rhythmische aus Afrika kommt. Durch ihn spielen wir Weltmusik, aber es ist definitiv Jazz. Randy lebt in Brooklyn und in Marrakesch. Wir arbeiten mit marokkanischen Musikern, den Gnawa, einem alten Stamm. Es ist mir eine Ehre, mit ihm zu spielen. Er ist einer der besten Pianisten, die ich je gehört habe. Sein Spiel geht bis Monk und James P. Johnson zurück, und es kommt dabei immer Randy Weston heraus. Er sucht immer die Essenz. Im Spiel der Gnawa hört er den Blues.“

Am 26. Juni 2010 hat Benny Powell für immer seine Posaune aus der Hand gelegt.

Marcus A. Woelfle

 

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