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Jazzzeitung

2008/03  ::: seite 22-23

farewell

 

Inhalt 2008/03

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig / Die Abenteuer des Werner Steinmälzl, Teil 3


TITEL -
Young lions, old cats
Aktuelle Entwicklungen im deutsch-amerikanischen Jazz-Zirkus


DOSSIER
- Jazzfestivals im Sommer (als pdf)

Berichte
50 Jahre Birdland Jazzclub in Neuburg an der Donau // Impressionen vom 23. INNtöne-Festival // Die soziale Funktion von Musik in Schulprojekten als Thema der „jazzahead!“ // 37. Moers-Festival


Portraits

Die nigerianische Sängerin Asa // Das Bundesjugendjazzorchester feierte Geburtstag // Wolfgang Haffner mit neuer Live-CD // Lee Konitz im Portrait // Pat Metheny im Interview // Titus Waldenfels // Jamie Wong-Li // …


Jazz heute und Education
Wolfram Knauer organisierte Podiumsdikussion in New York // Das Konzertprogramm der BMW-Welt in München // ...

… und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

Treffen in der Unendlichkeit

Die parallelen Leben von Jimmy Giuffre und Phil Urso

Jimmy Giuffre und Phil Urso hatten bei Woody Herman ihren Durchbruch und machten sich als italoamerikanische Tenoristen im West Coast Jazz einen Namen. Doch zur gleichen Zeit, als Urso nach 1956 zunehmend in Vergessenheit geriet, ging Giuffres Stern erst richtig auf.

Jazz ist nicht was du tust, es liegt darin, wie du es tust”, meinte einmal der Klarinettist, Tenorsaxophonist, Baritonsaxophonist, Sopransaxophonist, Bassklarinettist, Flötist, Komponist, Arrangeur und Bandleader Jimmy Giuffre, ein beneidenswertes Multitalent, dem es jahrzehntelang gelungen ist, in seinem vielfältigen Schaffen moderne Abstraktion und Nähe zu den folkloristischen Wurzeln auf einen Nenner zu bringen. Er war ein Avantgardist, ein Mann der Freiheit, dessen Musik atmete, weil er jedem Zuviel, sei es an Tönen, Lautstärke oder Instrumenten entsagte. Aller Innovation zum Trotz konnten seine Melodien die Einfachheit von Volks-, ja Kinderliedern aufweisen und von ihm gespielt in ihrer Essentialität ans Herz rühren.

Jimmy Giuffre. Foto: Hans Kumpf

Bild vergrößernJimmy Giuffre. Foto: Hans Kumpf

James Peter Giuffre erblickte am 26. April 1921 in Dallas, Texas das Licht der Welt. Wenn ein Saxophonist aus der Heimat hartgesottener Cowboys kommt, dann erwartet man von ihm einen machtvollen Sound, eine heißblütige Spielweise und viel Bluesfeeling. Giuffre schien mit seiner ganz zurückgenommenen Musik, seiner Kultivierung der leisen und leisesten Töne geradezu einen Gegenpol zu all den heißen Texanern von Herschel Evans bis Feathead Newman zu bilden. Und doch: Auch sein charakteristisches ultracooles Flüsterhorn setzte das Hot-Idiom seiner Kollegen voraus, um es zu negieren. Und damit transportierte der Italoamerikaner ein Bluesfeeling, das nicht weniger tief war als das der schwarzen Texaner. Wenige wissen, wie hot er aber blasen konnte, wenn er wollte. Er beherrschte das texanische Hot-Idiom wie eine Fremdsprache, die man gut, aber fast nie spricht. Er tat dies zum Beispiel 1952 bei Boots Brown and his Blockbusters – ein Pseudonym für eine Gruppe cooler Westküstenmusiker, die sich da fast schon parodistisch hot im R&B austobten.

Witzigerweise kam Giuffres Bluesfeeling weit mehr zum Tragen, wenn er so cool blies, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Zum Blues kam ein ausgeprägtes Gespür für andere folkloristische Elemente und so nannte Jimmy Giuffre die Musik seiner Trios in den 50er-Jahren bisweilen geradewegs „Folk Jazz“. Herausragende Beispiele dafür sind die „Western Suite“ und ein Stück, das vor allem durch den Film „Jazz an einem Sommerabend“ unsterblich geworden ist, aber von Giuffre auch im Dokumentarfilm „The Sound Of Jazz“ in einer vollendeten Fassung dargeboten wurde: „The Train and the River“. Mit solchen kammermusikalischen Kleinoden, deren Markenzeichen seine sanft angepustete Klarinette war, unterstrich er, dass er bei aller Experimentierlust „Down Home“ war, übrigens ein Titel aus dem Album “The Jimmy Giuffre Clarinet”.

Giuffre wuchs in einer italienischen Familie auf und wurde ab dem 10. Lebensjahr im Klarinettenspiel unterwiesen. Harmonielehre und Komposition studierte er am North Texas State Teachers College, wo er 1942 sein Studium als Bachelor of Music abschloss. Während seines Militärdienstes sammelte er in einer Armeeband Erfahrungen als Klarinettist und Saxophonist.

Als er Profimusiker wurde, war man auch zunächst mehr an seinen Fähigkeiten als Komponist und Arrangeur interessiert. Ab Ende 1946 findet man ihn als vielseitiges Allround-Talent im wegweisend progressiven Orchester des Boyd Raeburn, sowie bei Jimmy Dorsey und Buddy Rich. Der eigentliche Durchbruch für den Arrangeur und Komponisten Jimmy Giuffre erfolgte im Herbst 1947. Da formierte Woody Herman seine „second herd“. Dafür engagierte Herman eine Saxophongruppe, die im Pontrelli’s Ballroom von L.A. in einer Band unter der Leitung des Trompeters Tommy Di Carlo arbeitete: der blutjunge Stan Getz, Zoot Sims, Herbie Steward und Jimmy Giuffre waren aber vier Tenorsaxophonisten – Alt und Bariton fehlten! Giuffre, damals noch kein bedeutender Baritonsaxophonist, wurde durch den Baritonisten Serge Chaloff ersetzt, leistete Herman aber als Arrangeur gute Dienste. Er komponierte die Featurenummer für die Saxophongruppe: „Four Brothers“. Der Sound der „Four Brothers“, wie man sie nach dem Stück nannte, wirkte einflussreich auf den Cool Jazz. Die damalige Einzigartigkeit des von Giuffre arrangierten Saxophonsatzes bestand in der Kombination von drei weich und vibratoarm blasenden Tenoren und einem Bariton, wobei die vier Stimmen in engen Intervallen zusammengeführt wurden, um einen homogenen Klang zu erzeugen. Der Saxophongruppe Hermans gehörten später unter anderem auch Al Cohn und ab 1949 Jimmy Giuffre selbst an. Er hat dieses Orchester und unzählige andere Formationen mit swingenden Charts bereichert.

Auch als Solisten bilden die Saxophonisten der Herman-Band eine Vorreiterrolle: als Hauptvertreter der modernen Lester Young-Schule, die rhythmische Elemente des Bop mit einer coolen Klangästhetik verbanden. In den frühen 50er-Jahren, insbesondere an der Westküste, war es die führende Tenorspielweise, die zum Beispiel auch von Richie Kamuca, Bill Perkins, Bob Cooper, Allen Eager, Brew Moore gepflegt wurde. Einer von ihnen, Phil Urso, ist am 7. April in Morrison, Colorado von uns gegangen. Sein cooler Sound und sein relaxtes Spiel machen ihn zu einem typischen Sohn der Brüder, doch das war nur eine Seite der Medaille. Urso spielte einen Tick extrovertierter, eine Spur härter, sprich hardboppiger, als man es von Vertretern dieser Schule erwartete. Auch Chu Berry und Sonny Rollins waren seine Idole.

Am 2. Oktober 1925 erblickte der Sohn eines italienischen Wirts in Jersey City, New Jersey das Licht der Welt. Als er 10 Jahre alt war, zog er mit seiner Familie nach Denver, wo er drei Jahre später begann, das Klarinettenspiel zu erlernen. Sein Lehrer empfahl ihm den Wechsel zum Tenorsaxophon, was seine Chance auf einen Posten in einer der zahlreichen Bigbands jener Jahre erhöhte. 1943, während seines Militärdienstes bei der Navy im Pazifik, fiel ein japanischer Bomber auf seinen Flugzeugträger und er fiel dabei ins Meer. Er entkam den Flammen, indem er lange forttauchte. Nach der traumatischen Erfahrung, die ihn immerhin aus dem Krieg holte, ließ er sich an der Ostküste nieder, wohin seine Familie gezogen war. Dort trat er regelmäßig mit gastierenden Größen auf, darunter die Saxophonisten Al Cohn, Gerry Mulligan, Zoot Sims und Lester Young. Mit dem noch blutjungen Bill Evans besuchte er die Hartnett Music School und gründete mit dem Pianisten auch ein Quartett. 1948 kam er zum Orchester Elliot Lawrence, für das auch Gerry Mulligan seine Arrangements schrieb. Mulligan brachte Urso Klavierspielen und Arrangieren bei. Mitte 1950 bis Mitte 1951 wurde Urso Nachfolger von Al Cohn im Orchester Woody Herman. Bisweilen schob dieser bei Auftritten altmodische Stücke ein, die er mit kleinerer Besetzung darbot, um dem Orchester eine Schnaufpause zu gewähren. Da vertrieb sich Urso eines Tages die Zeit damit, hinter dem Bandleader einen Affen zu imitieren. Das Publikum brach in Gelächter aus. Statt Schimpfe bekam er von Herman den Auftrag, jedesmal bei diesem Stück seine Pantomime aufzuführen.

Nach seiner Zeit bei Woody Herman wandte sich Urso nach New York, wo er an den Jam Sessions im Birdland teilnahm. Dort spielte er mit Charlie „Bird“ Parker, Kenny Clarke, Charles Mingus, Fats Navarro und Horace Silver, ja sogar unter Birds Leitung in einer leider nicht auf Platte dokumentierten Band mit Jackie McLean, Duke Jordan, Oscar Pettiford und Kenny Clarke und zwar aus einem Grund, den Urso so beschrieb: „Bird schuldete uns allen Geld. Die einzige Möglichkeit zur Rückzahlung bestand darin, dass er uns engagierte.“

In den 50er-Jahren studierte Phil Urso beim Pianisten Lennie Tristano, dem blinden Guru des Cool Jazz. Vor allem aber hat sich die Verhaltenheit und lyrische Grundhaltung Lester „Pres“ Youngs Ursos Saxophonspiel eingeprägt, das aber in einer gewissen Erdigkeit auch stark an Zoot Sims erinnert. „Little Pres“ nannte Lester „Pres“ Young seinen Schüler. Und Urso nannte so auch ein Stück aus dem Jahr 1953 aus seiner ersten Platte, die im Down Beat mit 5 Sternen ausgezeichnet wurde. In den frühen 50er-Jahren musizierte Phil Urso auch mit Jimmy Dorsey, Oscar Pettiford, Bob Brookmeyer und Tony Fruscella. Ende 1953, Anfang 1954 spielte er zusammen mit J.J. Johnson und Milt Jackson sechs Monate bei Miles Davis, der ihn sehr schätzte. Leider fiel das Engagement in eine Zeit, in der Davis keine Platten aufnahm. Mit Davis’ Rhythmusgruppe – Horace Silver, Percy Heath und Kenny Clarke – sowie dem Ventilposaunisten Bob Brookmeyer spielte er 1954 wieder Aufnahmen unter eigenem Namen ein.

Mittlerweile war Jimmy Giuffre, der sich 1950 in Kalifornien niedergelassen hatte, ein gefragter Arrangeur und Sideman. Man kann bisweilen die irreführende Meinung lesen, er habe zunächst konventionelle Musik wie „Four Brothers“ gemacht, um dann Avantgardist zu werden. Nichts ist falscher als das! Mit „Four Brothers“ stand Giuffre bereits an der Vorderfront musikalischer Entwicklung, obgleich diese Art moderner Schreibe erfolgreich war und Stücke wie „Four Brothers“ bald von jedem zweiten Orchester gern gespielt wurden. Allerdings engte ihn der Erfolg des Stückes ein. Immer wieder wurde er nach Stücken in dieser Machart gebeten, obgleich er sich in eine andere Richtung entwickelte. Einmal liefert Giuffre zum Beispiel ein Stück namens „Four Others“, das Giuffre auch als Mitglied von Howard Rumsey’s Lighthouse All Stars eingespielt hat.

Aus Musikern dieser Gruppe gingen auch die Giants und das Orchester des Trompeters Shorty Rogers hervor, der den auf vielen Blasinstrumenten herausragenden Giuffre solistisch herausstellte. West Coast Jazz war keine einseitige Angelegenheit. Er reichte vom reinen Tanzvergnügen zur kühnen Neutönerei. Giuffre gebot über die ganze Palette, gehörte aber zu den experimentellsten Geistern, ging es ihm doch um die Befreiung von konventionellen Harmonieschemata und um die Erkundung der Ausdrucksmöglichkeiten von Sound an sich. 1954 nahm er zum Beispiel im Trio mit Shorty Rogers und Shelly Manne das Stück „Abstract No. 1“ auf, eine ungeprobte, freie Gruppenimprovisation ohne vorherige Absprachen auf ein Thema oder ein Akkordschema – trotz Lennie Tristanos fünf Jahre älterer Aufnahme „Intuition“ war dies noch ein völlig unübliches Vorgehen im Jazz.

Der Höhepunkt in der Karriere Phil Ursos waren die an der Seite von Chet Baker verbrachten Jahre 1954 bis 1956. Nach der Auflösung seines Quartetts mit Russ Freeman hatte Chet Baker zunächst ein pianoloses Quartett gründen wollen, um an seine Erfolge bei Gerry Mulligan anzuschließen. Urso sollte also zunächst in Mulligans Fußstapfen treten, doch das neue pianolose Quartett klang nicht gut, die Idee wurde aufgegeben und Urso Mitglied eines Quintetts mit Klavier, das auf ihren diversen Plattenaufnahmen von Größen wie Bobby Timmons und Carl Perkins gespielt wurde. Höhepunkte der Zusammenarbeit findet man auf dem Album „Chet Baker & Crew“, die auch Ursos beachtliche Schreibe dokumentiert. Zu Ehren von Chet Bakers damaliger Frau komponierte Trauzeuge Phil Urso die Ballade „Halema“. Der pakistanische Name Halema war damals so ungewöhlich, dass auf den ersten Platten „Helena“ zu lesen war – ein Fehler, der bis heute immer wieder nachgedruckt wurde. Auch an Bakers Aufnahmen mit Pepper war Urso beteiligt – er braucht sich vor den beiden Solisten mit den weit berühmteren Namen keinen Augenblick zu verstecken.

Mitte der 50er-Jahre etablierte sich Jimmy Giuffre als Klarinettist. Kaum je zuvor war das Instrument im Jazz mit solcher Zartheit und Zurückhaltung geblasen worden. Mit seinem fast schon flüsternden Klang, meist im tiefen Chalumeau-Register und seiner sich auf das Essentielle beschränkenden, relaxten Spielweise, für die das Weglassen von Tönen genau so wichtig war wie das Spielen, ist Giuffre aus hunderten Klarinettisten herauszuhören. Die Suche nach Freiheit in der Musik wurde Jimmy Giuffre im Laufe der 50er-Jahre immer wichtiger. In diesem Zusammenhang stehen seine Experimente, auf Klavier und oder Schlagzeug zu verzichten. Ist heute so etwas selbstverständlich, so war es das damals ja noch lange nicht. Vom „Stampfen der Rhythmusgruppe“ frustiert wurde ihm vor allem die Auffassung wichtig, dass man die Schläge eines Taktes nicht verklanglichen muss. Mit zahlreichen Gruppen, vor allem Trios, trat Giuffre den Beweis an, wie man ohne Schlagzeug und mit nur impliziertem Beat swingen kann, wenn man nur die Time stets im Kopf hat.

Vom Indianerlied zur Zwölftonreihe, zerbrechlich Zartes und nur vorgestellte Rhythmen – es scheint als sei es Jimmy Giuffres Aufgabe gewesen, im Jazz Saiten zum Schwingen zu bringen, die sonst nur selten angeschlagen wurden. Es ist klar, dass eine so originelle Musikerpersönlichkeit früher oder später vor allem als Bandleader in Erscheinung tritt. Jimmy Giuffre hat – trotz umfassender Tätigkeit als Arrangeur und gelegentlicher Zusammenarbeit mit Größen wie zum Beispiel Lee Konitz oder dem MJQ – seine hoch originelle Musik meist in eigenen Klein- und Kleinstformationen verwirklicht: Im Quintett, Quartett, meist im Trio, aber auch ganz Solo. Sein erstes Trio besetzte Jimmy Giuffre mit dem Gitarristen Jim Hall und dem Bassisten Ralph Pena, der dann vom Bassisten Jim Atlas abgelöst wurde. Hall entwickelte bei Jimmy Giuffre seine herausragenden Fähigkeiten. Zunächst hatte er schon im Quintett des Schlagzeugers Chico Hamilton sozusagen die Rolle des Pianisten eingenommen. Im Trio Giuffres, der mit seiner Neigung zu Neuer Musik und Folk ein inspirierendes Umfeld bot, war Halls Rolle sogar noch zentraler. Hier reifte seine Konzeption von der Begleitung als Dialog. Der begleitende und „wie ein Horn“ improvisierende Gitarrist war sozusagen Pianist und Bläser in einem. Als der Bassist des Trios vom Ventilposaunisten Bob Brookmeyer abgelöst wurde, „ersetzte“ Hall auch noch den Bassisten.

Ende der 50er-Jahre begann Giuffre nun auch mit der Komposition von Neuer und Third Stream Music, darunter etwa die von Gunther Schuller eingespielten Werke „Pharaoh“ und „Suspensions“. Er schrieb auch Werke für Klarinette und klassisches Ensemble, „Miniatures“ mit improvisierter, „Piece for Clarinet and Orchestra“ mit auskomponierter Solostimme.

Ab Mitte der 50er-Jahre unterrichtete Jimmy Giuffre an der Lenox School of Jazz, wo er 1959 einen jungen Studenten kennenlernte, der wie er aus Texas stammte: Ornette Coleman. Die Musik des Mitbegründers des Free Jazz hatte eine zusätzlich befreiende Wirkung auf Giuffre. Sein Trio mit Steve Swallow und Paul Bley, der einmal als „leiser Genius des Free Jazz“ bezeichnet wurde, erregte zunächst wenig Aufmerksamkeit, doch später erkannte man in ihr eine der wichtigsten Gruppen der neueren Jazzgeschichte. Es war freier Jazz von kammermusikalischer Finesse, der in seiner ganz und gar leisen und entspannten Art im Gegensatz zum ultrahocherhitzten Free Jazz jener Jahre stand. Auf den Alben „Fusion“ und „Thesis“ entstand kammermusikalischer Jazz, der um Jahrzehnte bestimmte Entwicklungen des Jazz vorwegnahm, etwa die Ästhetik des Labels ECM, das konsequenterweise die Aufnahmen wiederveröffentlichte.

Die Free-Entwicklung des Trios fand einen vorläufigen Abschluss in „Free Fall“. Das Album wurde wenige Monate nach der Veröffentlichung von der Firma aus dem Verkehr gezogen. Wie Giuffre es ausdrückte, „schlossen sich damit die Türen“.
Er machte erst fast ein Jahrzehnt später wieder Aufnahmen und schrieb in der Zwischenzeit ein Handbuch „Jazz Phrasing and Interpretation“ (1969). Zwischen 1989 und 1992 kamen Giuffre, Bley und Swallow wieder zusammen, um den vor rund dreißig Jahren zuvor fallengelassenen Faden wieder aufzunehmen, etwa für das Album „Fly Away Little Bird“.

In den 70er-Jahren leitete Giuffre ein neues Trio mit dem Bassisten Kiyoshi Tokunaga und dem Drummer Randy Kaye, in dem er nun auch Flöte und Bassflöte spielte. Der Giuffre der 70er integrierte zunehmend auch asiatische und afrikanische Elemente und – von Weather Report angeregt – auch elektrisches Instrumentarium in die Musik seiner Band. Er musizierte nun mit dem Synthesizer-Spieler Pete Levin und ersetzte Tokunaga mit dem E-Bassisten Bob Nieske. Ab den 70er-Jahren war Giuffre zunehmend pädagogisch tätig, zunächst an der New York University, ab 1978 am New England Conservatory of Music in Boston.

Am 24. April ist Jimmy Giuffre 86-jährig in einem Krankenhaus in Pittsfield, Massachusetts einer Lungenentzündung erlegen, doch die ihn vermissen, tun es seit langem. Da er an Parkinson litt, trat er seit über 10 Jahren nicht mehr auf. Mit ihm starb eine der schöpferischsten Musikerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.

Verbrachte Giuffre diese letzten Jahre geehrt, doch ohne zu musizieren, so war es bei Phil Urso andersherum. Vor allem ab den späten 50er-Jahren machte sich der Einfluss seines Lieblingssaxophonisten Sonny Rollins und der von Hank Mobley bemerkbar. Allerdings hat man seit dieser Zeit wenig von ihm gehört. Mitte der 60er-Jahre hatte Urso wieder an Baker-Alben mitgewirkt, auf denen er noch moderner und zupackender musiziert. Der Trompeter schätzte Urso als Freund und Musiker und hielt ihn für einen der swingendsten und lyrischsten Tenrosaxophonisten aller Zeiten. 1971 schrieb Baker an Phil Urso: „Ich habe immer gefunden, dass Du der Unterschätzteste unter den amerikanischen Jazzmusikern und -komponisten bist.“ Urso arbeitete als Musiklehrer in Denver, als er 1973 Baker wiedertraf, beide mittlerweile im Karrieretief. Bei Bakers erstem New Yorker Gastspiel seit 1959 war Urso wieder mit von der Partie. 1985 spielte er in Denver wieder mit Baker. 1988 hätte er mit ihm auf dem North Sea Festival auftreten sollen, doch Bakers Tod verhinderte dies.

Vor einigen Jahren hat Urso mit Carl Saunders für eine Firma aus Colorado sogar noch ein Album aufgenommen. Es heißt bezeichnenderweise „Salute To Chet Baker“, wiewohl Ursos Lieblings­trompeter – trotz der Zusammenarbeit mit Chet und Miles – Conte Candoli war. In den späten 50er- und 60er-Jahren in der wohl lukrativen Anonymität der Casino- und Hotel-Bands von Las Vegas gelandet, wurde Urso dann fast vergessen. Er blieb ein Musiker der lokalen Szene von Denver und es scheint, er sei nicht einmal dort immer gebührend gewürdigt worden. 1999 erklärte er in einem Interview: „Ich habe mit einem Haufen wunderbarer Leute musiziert. Ich bin stolz auf das, was ich getan habe und möchte noch weiter spielen.“

Wenn er je nicht geswingt hat, dann muss es im stillen Kämmerlein gewesen sein.

Marcus A. Woelfle

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