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Jazzzeitung

2008/03  ::: seite 11

berichte

 

Inhalt 2008/03

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig / Die Abenteuer des Werner Steinmälzl, Teil 3


TITEL -
Young lions, old cats
Aktuelle Entwicklungen im deutsch-amerikanischen Jazz-Zirkus


DOSSIER
- Jazzfestivals im Sommer (als pdf)

Berichte
50 Jahre Birdland Jazzclub in Neuburg an der Donau // Impressionen vom 23. INNtöne-Festival // Die soziale Funktion von Musik in Schulprojekten als Thema der „jazzahead!“ // 37. Moers-Festival


Portraits

Die nigerianische Sängerin Asa // Das Bundesjugendjazzorchester feierte Geburtstag // Wolfgang Haffner mit neuer Live-CD // Lee Konitz im Portrait // Pat Metheny im Interview // Titus Waldenfels // Jamie Wong-Li // …


Jazz heute und Education
Wolfram Knauer organisierte Podiumsdikussion in New York // Das Konzertprogramm der BMW-Welt in München // ...

… und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

Eine Rechtfertigung ist nicht notwendig

Die soziale Funktion von Musik in Schulprojekten als Thema der „jazzahead!“

Am 18. April 2005 trat im Nationaltheater Managua ein Blockflötenensemble mit einem klassischen Programm auf. Datumgenau drei Jahre danach berichtete Peter Klein (Foto li.), Hauptschullehrer in Bücken (zwischen Hannover und Bremen) bei der „jazzahead!“ in Bremen davon, wie dieses Ensemble aus etwa 20 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sich den Weg aus den Armenvierteln auf das zentrale Podium der Hauptstadt von Nicaragua gebahnt hatte.

Seine Beobachtungen zu den „Klängen hinter dem Horizont“ hat Peter Klein gefilmt, die Beteiligten interviewt und porträtiert. Dabei wird evident, dass dieses Projekt „Musica en los Barrios“ mittlerweile ein kulturelles Netzwerk und ein „Klangwunder“ für Managua geworden ist, weil die Kinder und Jugendlichen außerhalb der Schule nicht nur Musikunterricht von Elementarkenntnissen bis zur Konzertreife erhalten, sondern zugleich auch soziale Fähigkeiten ausbilden. Die Familien sind stolz auf ihre Kinder, die von professionellen Lehrerinnen motiviert werden, sich in eine Gruppe zu integrieren. Blockflöte zu spielen ist zu einem Statussymbol geworden. Für manche ist es so wichtig, dass sie es sogar gegen abwertende Reaktionen ihrer Freunde, die nicht Musik machen wollen, verteidigen und unverdrossen in den Projekträumen proben und zu Hause üben. Solche Szenen konnten davon überzeugen, dass Musik einen positiven sozialen Effekt hat, indem Ensemblemitglieder nach einer gewissen Zeit bessere Leistungen hatten und den Unterricht an den Regelschulen nicht so schnell abbrachen. Deshalb wird „Musica en los Barrios“ in Managua enthusiastisch fortgeführt. Ebenso gibt es in Brasilien und Chile ähnliche Projekte. Übereinstimmend ist auch da nach Meinung der Erzieher eine Rechtfertigung nicht notwendig, denn gemeinsam Musik machen verhindere soziale Verwahrlosung und mindere Konfliktpotenziale.

Was „hinter dem Horizont“ von Europa unmittelbar einleuchtet, wird „vor dem Horizont“ an Schulen in Deutschland eher misstrauisch betrachtet. Obwohl Peter Klein in Bücken durch eine Schulini­tiative ähnlich wie in Lateinamerika feststellen konnte, dass Schüler in der Musik ungeahnte eigene Talente und eine neue Wertschätzung der Persönlichkeit entdecken konnten, Grundhaltungen wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit verstärkt wurden, also notwendige Eigenschaften zur kollektiven Erarbeitung von Liedern oder Partituren, sind Bildungspolitiker nicht so einfach auf diesen Kurs der Musikerziehung zu lenken. Wofür in Latein­amerika der Praxisbeweis reicht, braucht man in Deutschland allerdings mit Daten gefütterte Studien, um etwa Instrumentalunterricht zu rechtfertigen.

Martin Koch (Foto re.), Co-Autor der Bastian-Studie (s.u.), berichtete in diesem Zusammenhang über Argumentationsprobleme: „Soziale Kompetenz wird oft als Fähigkeit definiert, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, Empathie für andere aufzubauen und damit die Gefühle, das Denken und das Handeln von anderen besser zu verstehen und mit dem eigenen in Einklang zu bringen. An zwölf Modellschulen in Berlin ist diese Fähigkeit von 1992 bis 1998 durch drei zusätzliche Stunden Instrumentalunterricht gefördert worden. Immerhin hat unsere Studie bewirkt, dass trotz der heiklen Budgetsituation in Berlin dieses Modell nicht gestoppt, sondern im Gegenteil um drei Schulen erweitert wurde. In Hessen gab es eine politische Diskussion, den Musikunterricht auf eine Wochenstunde zu verkürzen. Nachdem unsere Studie zur Kenntnis genommen war, ist dieser Plan revidiert worden. Darauf sind wir sehr stolz, dass wir nicht nur eine wissenschaftliche Debatte ausgelöst, sondern unsere Ergebnisse auch politische Entscheidungen zugunsten des Musikunterrichts beeinflusst haben. Es ist schon ein ermutigendes Signal, dass wir verstärkt über Bildung mit und durch Musik diskutieren. Die Chance solcher Modellprojekte ist, dass Schüler aller sozialen Schichten erreicht werden können, weil Instrumente kostenlos zur Verfügung gestellt werden und die Teilnahme verpflichtend ist. Wir sind optimistisch, dass intensiver Musikunterricht eine sozial integrative Langzeitwirkung hat. Davon bin ich überzeugt.“

Sicher ist Musikerziehung kein omnipotentes Therapeutikum. Auch kann zusätzlicher Musikunterricht nicht Maßnahmen zur sozialen Integration sogenannter bildungsferner Schichten ersetzen. Legitimationsdruck entsteht immer durch finanzielle Engpässe, durch politische Diskussionen um Prioritäten. Das Dilemma ist, dass Erziehung in Musik nicht direkt ökonomisch verwertbar ist. Doch die Verweigerung, sich Erfahrungen wie in den „Musica en los Barrios“ zu verweigern oder Argumente wissenschaftlicher Studien zu ignorieren, könnte politisch fatal sein. „Beats statt Schläge“, so der Titel bei den Veranstaltungen auf der „jazzahead!“, sind sinnvoller als kleinkarierte Effektivitätsgedanken auf der politischen Bühne. Konzerte von Schulensembles aus Bremen und Niedersachsen haben auf der „jazzahead!“ gezeigt, dass junge Menschen sich in der Freude, Musik zu machen, selbst finden können.

Hans-Dieter Grünefeld

Infos
Hans Günther Bastian: Kinder optimal fördern – mit Musik,Schott Verlag, ISBN 3-254-08381-4
www.kleinkunstdiele-buecken.de/vonklaengen.html

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