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Jazzzeitung

2007/04  ::: seite 18

education

 

Inhalt 2007/04

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig
jazzle gmacht: Entjazzt
no chaser: Ohrenfaulheit
jazzfrauen-abc: Anny Xhofleer


TITEL - Vom Verlassen des Wohnzimmers
Jazzfestivals und Tourismus


DOSSIER - Club Connection & Stargastspiele

Der Jazzclub Regensburg feiert sein 20. Jubiläum mit Festival

… und mehr im Inhaltsverzeichnis

Der Welt natürlichstes Instrument

Stimmen-Talente gingen in Bonn fürs Jazzchor-Leiter-Seminar in Klausur

„Jetzt mal alle den Akkord halten!“ Schon bald flutet eine spannungsvolle Nonakkord-Jazzharmonie durch den Probensaal in der Bonner Andreas-Hermes-Akademie. Der Ensembleleiter Dr. Matthias Becker agiert gleichsam locker-lässig wie unerbittlich. Er setzt noch einmal nach, ermuntert zu längerem Halten des Klanges. Aus vielen Kehlen gespeist macht die Reinheit der Intonation auch diesen eher rudimentären Moment der Probe zu einem hochmusikalischen Erlebnis! Klar wird: Die 56-köpfige Runde, die hier um Flügel und Rhythmuscombo gruppiert ist, besteht aus Profis, zumindest aus profunden Könnern mit Talent und ausgebildeten Stimmen.

Also keineswegs irgendein Chor bei seiner Probe – vielmehr ging in Bonn eine hochmotivierte Teilnehmerschar zum Internationalen Jazzchor-Seminar des Deutschen Musikrats nun schon zum zweiten Male eine ganze Woche in Klausur.

Frisch und leicht greifen jetzt alle einen Samba auf, flechten einen vibrierenden melodischen Teppich mit dem natürlich-sten Instrument der Welt, der menschlichen Stimme. Es groovt und swingt, man hat sich locker gemacht. Nahtlos geht es dann unter Jens Johansens Federführung weiter – jetzt stehen Popsongs auf dem Programm. George Michaels „Freedom“ und Stevie Wonders „As“ erstrahlen ganz neu durch die ihnen zugute kommende vokale Aufbereitung.

Matthias Becker und Jens Johansen aus Dänemark gehören beide zu den führenden Kapazitäten der internationalen Vocal-Jazz-Szene, und es kommt einer Pionierarbeit gleich, wie sie für den Chorgesang ganz neue Welten jenseits aller klassischen Oratorienformate erschlossen haben. Wenn hier in Bonn von Jazzgesang die Rede ist, so ist das Jazzchorleiter-Seminar des Deutschen Musikrats auf einen eher weiträumig auszulegenden Jazzbegriff fokussiert. Entsprechend vieles fließt hier ein von Jazz über Latin, bis hin zum Pop- und Musicalbereich.

„Natürlich wollen wir, dass die Klassik-Leute mal Jazz und anderes kennen lernen“, erläutert Matthias Becker in einer kurzen Probenpause. Die rege Nachfrage belegt, dass hier längst eine echte Nischen-Szene entstanden ist – „die Gemeinde wächst also“, freut sich Becker. Diesen Trend hat der Deutsche Musikrat erkannt, wie er dem lebendigen Chorwesen in Deutschland Rechnung trägt und dafür das Jazz-Segment im Programm des alljährlich stattfindenden Deutschen Chorwettbewerbs etabliert hat. Wie weit das Feld hier ist, können die circa 50 angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmer, in der Regel selbst Chorleiter, aus berufener Quelle erfahren und erlernen.

So haben sie etwa unter der Leitung von Roger Treece die polyphonen Circle-Song-Techniken erarbeitet, wie dieser sie normalerweise in Bobby McFerrins Vocal-Ensemble praktiziert. Jens Johansen hat sich vor allem auf Jazz- und Rock-Arrangements für Chöre spezialisiert. Wo Jazz viele seiner Wurzeln in Afrika hat, darf auch die dortige Ensemble-Gesangstradition nicht unterschlagen werden. Um dies zu erschließen, ist Rhiannon, die ebenfalls bei Bobby McFerrin mitsingt, die richtige Spezialistin.

Jazz als improvisierte Musik mit einem Einzelsolisten im Vordergrund – zu diesem stereotypen Bild passt ein Jazzchor an sich, aber auch die Aktivitäten in Bonn nur bedingt. Aber Jazz heißt auch, dass sich Konträres nicht ausschließt. Ein Beispiel sind im Gruppenensemble eingesetzte Scat-Techniken, bei der ähnlich wie im Bigband-Solo, einzelne Stimmen aus dem Gesamtgefüge virtuos heraustreten – Reinette van Zijetvel-Lustig widmet sich diesem Prinzip gleich auf mehreren Leistungsstufen.

Auf einem Festival sorgte unlängst ein Beatbox-Solist für Furore – bislang ist dies auf Live-Bühnen noch eine sehr exotische Erscheinung! Aber auch diese perkussive Vokaltechnik hat ihre Traditionen, viele universell einsetzbare kreative Potenziale sowieso. Dass dies so ist, demonstrierte in Bonn Andrea Figallo von den a-cappella-Superstars „Flying Pickets“.

Samstagabend: Jetzt sind alle in der Bonner Trinitatiskirche versammelt, und es vereint sich hier das neu zusammengewachsene Vokalensemble mit dem Bonner Jazzchor unter Leitung von Tono Wissing. Zwar wirkt das Erscheinungsbild vor den etwa 400 Menschen etwas „offizieller“ als in den Proben – doch dann legen alle los mit einem taufrisch erarbeiteten Repertoire und ernten stehende Ovationen als Früchte dieser einwöchigen, inspirierenden Zusammenarbeit.

Stefan Pieper

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