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Jazzzeitung

2004/10  ::: seite 16

portrait

 

Inhalt 2004/10

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
jazzfrauen:
Carolyn Breuer
no chaser:
Mein erstes Handy
jäzzle g'macht:
Herre und Landgren als Eheberater
farewell: Tony Mottola / Die Jazzzeitung verabschiedet sich von ...


TITEL / DOSSIER


Titel: Parlando mit Metallzungen
Jean Toots Thielemans·German Jazz Trophy Preisträger 2004
Dossier. Beitrag zur Weltausstellung
Wie man beim Jazz Treff Karlshorst in Berlin Geschichte erlebt


BERICHTE


Jazz First im Veranstaltungsforum Fürstenfeld // JazzBaltica zog wieder tausende in den Bann // Bobby Burgess Big Band Explosion in Stuttgart // 15. Jazzfest München der Jazzmusiker-Iniative J.I.M.


 JAZZ HEUTE


Wunscherfüllung
Gespräch mit Roland Beneke rund um den Jazz in der Semperoper


 PORTRAIT / INTERVIEW


Abdullah Ibrahim 70 // George Benson mit neuer CD // Nils Petter Molvaer auf dem aktuellen Album „Streamer“ // Das britische Label Leo Records


 PLAY BACK / MEDIEN


Medien. Smooth Jazz Berlin hat große Pläne
CD. CD-Rezensionen 2004/10
Bücher. Neue Bücher zu Eric A. Dolphy und Muddy Waters
Noten. Neues für Pianisten, Sänger und Bassisten
Instrumente. Sechsaiten-Bässe von Harley Benton

Medien. link-tipps


 EDUCATION


20 Jahre Jazz am Lozzi
Gespräch mit Erich M. Mayer, Landesbauftragter für Jazz an Schulen

Kurse, Fortbildungen etc.


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2004/10 als pdf-Datei (Kalender, Clubadressen, Jazz in Radio & TV (185 kb))

Ein viel freierer Geist...

Das britische Label Leo Records feiert seinen 25. Geburtstag

Über 400 Veröffentlichungen sind mittlerweile im Katalog des 1979 gegründeten britischen Labels Leo Records zu finden, und sehr viele von ihnen repräsentieren den jeweils fortgeschrittenen Stand zeitgenössischer Improvisationsmusikentwicklung. Künstlerisch geprägt wird das Label durch viele Aufnahmen des Art Ensembles of Chicago, Anthony Braxton, John Wolf Brennan, Eugene Chadbourne, Marilyn Crispell, des Ganelin Trios, von Joelle Leandre, Joe and Mat Maneri, Simon Nabatov, Sainkho Namchylak, Lauren Newton, Evan Parker, Ned Rothenberg, Sun Ra, Cecil Taylor und Reggie Workman. Neben den gestandenen Vertretern freier Jazzmusik widmet sich Leo Records mit seinem Sub-Label Leo Lab auch neuen, suchenden jungen Künstlern und Projekten. Das Sub-Label „Golden Years of New Jazz” (GY) bringt Dokumentation von vorher noch nicht veröffentlichten „Sternstunden”-Aufnahmen des freien Jazz heraus.

Gründer und Kopf von Leo Records: Leonid Feigin. Foto: Leo Records

Gründer und Inhaber, Leonid Feigin, ein aus der damaligen Sowjetunion stammender Russe, vereint eine tiefempfundene Hingabe an musikalische Kreativität und Eigenständigkeit mit einem deftigen Schuss Geschäftssinn – sehr zugunsten der Musik. „Ohne Leo Records wäre unsere Wahrnehmung dessen, was zeitgenössische Musik ausmacht und was sich in ihr entwickelt, völlig anders”, urteilte das CODA Musikmagazin und trifft damit wohl auch heute noch den Nagel auf den Kopf. Und der „The Penguin Guide to Jazz on CD, LP and Cassette” bezeichnet Leo Records als „eines der allerwichtigsten unabhängigen Labels der letzten Zeit.”

Klar, wie bei anderen Projekten zeitgenössischer Improvisationsmusik auch, viel Geld ist mit Leo Records wohl nicht zu verdienen, weder als Label-Inhaber noch als Musiker. Der entscheidende Aspekt ist ein anderer: das Label macht eine ansonsten im Unbekannten verbleibende Musik bekannt – und damit auch deren hohe Qualität und deren Musiker. „Man kommt miteinander gut aus”, schmunzelt verständnisvoll Gebhardt Ullmann, der als Komponist und Saxophonist mehrere CDs bei Leo Records veröffentlicht hat, „Leo will sein Label am Laufen halten, und wir Musiker wollen unsere Musik bekannter machen.” Und bei Feigin geht das über zwei Faktoren: künstlerische Originalität und künstlerische Eigenständigkeit – wer für eine CD-Veröffentlichung ausgewählt ist, hat dann alle Freiheiten, seine individuellen Vorstellungen im Rahmen seiner eigenen finanziellen Möglichkeiten zu realisieren. Ullmann: „Das ist der eigentliche Vorteil. Wer bei Leo Records veröffentlicht, kriegt damit so eine Art Qualitätssiegel – gewissermaßen Leo-proofed, also Leo-geprüft –, und das zählt sowohl in Veranstalterkreisen als auch bei Journalisten.”

Angefangen hatte Feigin, der 1974 aus dem damaligen Leningrad (nun wieder St. Petersburg) nach Großbritannien kam und dort bei der BBC als Redakteur und Produzent für das russische Programm arbeitete, im Jahre 1979. Da nämlich erhielt er ein aus der DDR hinausgeschmuggeltes Band mit Live-Aufnahmen des Ganelin-Trios, das in Ost-Berlin aufgetreten war. Feigin war dermaßen elektrisiert von dieser Musik, dass er sich entschloss, sie herauszubringen – die Idee eines eigenen Labels war geboren. Doch mit einem damals im Westen völlig unbekannten Act ein neues Label starten war kaum erfolgversprechend, also nahm Feigin zunächst noch Amina Claudine Myers und Keshavan Maslak auf, mit denen er sein „Leo Records” startete, um dann Ganelin herauszubringen. Die Herausgabe fast aller LPs /CDs des Ganelin Trios gehört seither ebenso zu den wesentlichen Veröffentlichungsaktivitäten wie die vieler weiterer hochinteressanter Jazzmusiker aus der damaligen Sowjetunion – unlängst ist der Teil IV der Reihe „Golden Years of the Soviet Jazz” (4-CD-Box) erschienen, vor einiger Zeit ein Mitschnitt des Wiedervereinigungskonzertes des Ganelin-Trios von der Frankfurter Buchmesse am 8. Oktober 2002 („15-Year-Reunion”, LR 375).

Darüber hinaus engagiert sich Leo Feigin seit Jahren systematisch für bestimmte Künstler, deren Œuvre er auf diese Weise entscheidend mitprägt, so beispielsweise Ivo Perelman, Carlo Actis Dato, Gebhardt Ullmann und auch Anthony Braxton. Neben der soeben erschienenen, bemerkenswerten 4er-CD „23 Standards (Quartet) 2003” sind noch weitere 23 (!) Braxton-CDs auf Leo Records beziehungsweise auf dem Leo-Sub-Label GY erschienen.

Der Leo-Records-Katalog verführt mit einer überbordenden stilistischen Fülle und eigentlich jeder einzelne Titel bietet Hörerlebnisse der feinen Art. Verblüffend sind die an diversen Vogelgesängen orientierten Reed-Duette Peter A. Schmids mit Vinny Golia („Birdology”, LR 389), beunruhigend schön die harten, dunklen Akkordeon-Solo-Stücke der Russin Evelyn Petrova („Year’s Cycle”, LR 395), atemberaubend die CDs der Ensembles um Simon Nabatov („Autumn Music”, LR 397) und Joelle Leandre („For Flowers”, LR 396), um nur einige wenige CDs aus der jüngsten Vergangenheit zu nennen.
Ganz besonders die schon erwähnte aktuelle 4er-Box „23 Standards” sollte eigentlich in keiner CD-Sammlung mit zeitgenössischem Jazz fehlen. Herausragende Musiker (neben Braxton der außerordentlich kommunikativ und sensibel trommelnde Kevin Norton, der versierte Bassist Andy Eulau und Kevin O’Neil, einer der faszinierendsten Gitarristen des neuen Jazz der Gegenwart) re-interpretieren bekannte („Crazy Rhythm”, „Giant Steps”, „Round Midnite”) und weniger bekannte Kompositionen aus der Welt des Jazz und der Popmusik („Only the Lonely”) – und sie tun das in einer Weise, die alle Stil- und Epochengrenzen nichtig macht und die uns diese „Standards” neu entdecken lässt.

Die Platte enthält freie Passagen, ist aber alles andere als Free Jazz; sie klingt stellenweise wie Swing, zeugt aber von einem viel freieren Geist. Ganz große klasse!

Anlässlich des 25. Geburtstags des Labels sind verschiedene Leo-Records-Festivals im Herbst geplant, so in Köln, Seattle, Leeds, in der Schweiz und in Moskau. Das in Moskau allerdings ist wieder unsicher geworden: der dortige Festivalmacher und rastlose Jazzaktivist Nick Dmitriev, Feigins Partner vor Ort, ist 48-jährig am 9. April verstorben.

Mathias Bäumel

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