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Jazzzeitung

2002/10  ::: seite 22

dossier

 

Inhalt 2002/10

standards
Editorial
News
break
musiker-abc:
Benny Goodman
all that jazz:
Begegnungen, Ereignisse
no chaser:
Durcheinander
Farewell.
Zum Todes des Vibraphonisten Lionel Hampton

titel
Von der Freiheit des Hörens.
Jazzanova: jung, lässig, erfolgreich – Clubjazz aus Deutschland

berichte
Berlin. Das Berliner Dunkelrestaurant Nocti Vagus
Fürstenfeld.
Mo’Vibes 2002 im Veranstaltungsforum
Heidelberg.
Zwei Fragen an die Loungeband DePhazz
Montreux.
Zum 36. Montreux Jazzfestival 2002
Saalfelden.
Jazzfestival Saalfelden und die Grenzen des Zeitgeistes

jazz heute
 Ein Name, der verpflichtet.
Der Dresdner Jazzclub Neue Tonne startet ins Herbstprogramm

portrait / interview
Erneuerer und Entertainer.
Dizzy Gillespie zum 85. Geburtstag
Zwischen der Kulturen.
Nguyên Lê spielt die Musik von Jimi Hendrix
In der Musik zu hause.
Die zahlreichen Leben des Münchener Jazzgeigers Marcus Woelfle
Prüfung bestanden.
Der Pianist Christian Elsässer

play back / medien
Austria Akzente.
Das Quinton Label in Wien
Internet. Link-Tipps

education
Fortbildung. Fortbildung
Abgehört 9
Joshua Redman „My Foolish Heart“
Neulinge, Profis und Talente.
30 Jahre Jazzkurse der IG Jazz Burghausen
Patchwork von Antworten
Felix Janosas Arbeitsheft zum Thema „Was ist Jazz?“
Ein Label mit Stil und eine Diva
Neue Jazzbücher aus London und aus den USA

dossiermitteldeutschland
Domizil für Jazzdokumente.
Das International Jazz Archive in Eisenach
Impressionen einer Erkundung.
Die Jazzzeitungsredaktion auf großer Tour durch Thüringen und Sachsen
Spendenaufruf

service
Critics Choice
Rezensionen 2002/10
Service-Pack 2002/10 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (698 kb))

 

Domizil für Jazzdokumente

Das International Jazz Archive in Eisenach

Seit zwei Jahren, seit seiner offiziellen Eröffnung durch den Oberbürgermeister am 7. Mai 1999, gibt es in Eisenach ein zweites deutsches Jazz-Archiv neben dem Darmstädter Jazz-Institut. Sein wissenschaftlicher und kultureller Rang kann wohl kaum überschätzt werden. Wenn man sich darüber einig ist, dass der Jazz eine Musikform ist, welche die Kunst des 20. Jahrhunderts in origineller und innovativer Weise nachhaltig geprägt hat, dann hat das zur unvermeidlichen Konsequenz, dass sich die Bewahrung seiner Dokumente als kulturelle Aufgabe ersten Ranges stellt. Diese den unmittelbaren Kunstgenuss übersteigende Pflicht kommt weltweit erst schüchtern zum Tragen. Auch in den Vereinigten Staaten gibt es lediglich drei institutionalisierte Jazz-Archive. Das International Jazz Archive Eisenach hat deshalb alle Chancen, sich zur anerkannten Adresse zu entwickeln.

Die ehemalige Malzfabrik beherbergt das Archiv, Konferenzräume und einen Jazzkeller, in dem regelmäßig Konzerte stattfinden.

Die Wartburgstadt kann stolz darauf sein, neben ihrem Bach und ihrem Telemann einer Musiktradition des 20. Jahrhunderts Heimstatt zu bieten. Die Stadtväter haben denn auch die Anfangsschritte tatkräftig begleitet und neben Finanzspritzen einen höchst ansprechenden, ja stimmungsvollen Raum in einem Fabrikdenkmal bereitgestellt. Die „Alte Mälzerei“ beherbergte schon seit längerem den Jazzkeller des Jazzclubs Eisenach, in dem regelmäßig die Sessions in- und ausländischer Jazzer abgehen, und das interessante Off-Theater der Stadt. Nun gibt rechter Hand eine breit dimensionierte Glastür den Blick frei in einen weiten Raum mit einer historisch anmutenden Balkenkonstruktion und einer links ins Obergeschoß führenden Treppe. In die Seiten eingepaßt stehen Staffeln von Metall-Regalen, dicht gefüllt mit Schallplatten, Büchern, Ordnern und den für lose Blätter unverzichtbaren Pappschubern. Die Einrichtung sowie der Computer und anderes sind angeschafft von Sponsorengeldern und Spenden. Die Thüringer Landesregierung, das Generalkonsulat der Vereinigten Staaten in Leipzig und städtische Unternehmer verdienen besondere Erwähnung. Die Mitte des Raums füllt ein ansehnlicher runder Tisch, beladen mit Stapeln von Papieren, Fotos und CDs. Es ist der Hauptarbeitsplatz der freiwilligen Helfer des Jazzclubs, die allmontaglich Schicht machen, um Ordnung ins Geschäft zu bringen. An der Rückseite über einem Sofa blickt Günter Boas von einem postergroßen Foto auf das kleine, feine Reich, das er quasi begründet hat.

Innenansicht des Jazz Archive: in den Regalen rechts und links lagern die Schätze – Schellacks, LPs, Jazz-Zeitschriften, Briefe und mehr…

Es war natürlich ein Glücksumstand, dass der 1920 geborene und 1993 verstorbene deutsche Jazzpionier aus Sympathie für den ortsansässigen regen Jazzclub seinen Nachlass als Schenkung an die Stadt Eisenach verfügte. Boas initiierte nach 1945 in Frankfurt am Main mit Carlo Bohländer, Olaf Hudtwalker, Horst Lippmann, Emil Mangelsdorff, Heiner Merkel, Werner Wunderlich und anderen die neue deutsche Jazzszene (vgl. auch Willi Geipel, „50 Jahre Jazzkeller Frankfurt am Main“, Jazzpodium 51.7/8 (2002), S. 18–25). 1949 gründete er die legendären Two Beat Stompers, die sicherlich aufregendste deutsche Traditional-Band der Nachkriegszeit. Sein schon damals umfangreicher Plattenbesitz bildete die Grundlage seiner regelmäßigen und wirkungsvollen Vortragsabende im Frankfurter Hotclub und für seine ab 1949 im AFN gesendete Reihe „Blues for Monday“. Die durch zahlreiche enge Verbindungen nach Amerika ständig erweiterte, unvergleichliche Sammlung mit dem Schwerpunkt archaischer und klassischer Blues also wurde zum Grundstock des Jazz Archive Eisenach, dessen Institutionalisierung Kulturamtsleiter und Jazzclub-Vorsitzender Reinhard Lorenz fast ein Jahrzehnt lang betrieben hat. Das Boas-Erbe umfasst zirka 6.000 Schellacks, etwa 8.000 LPs und EPs, Jazz-Zeitschriften mit raren französischen, belgischen und holländischen Titeln und eine umfangreiche Korrespondenz mit Jazzgrößen, die der wissenschaftlichen Auswertung harrt. Immer noch ist Lore Boas, Günters Witwe, die unverzichtbare Gewährsfrau bei der Identifizierung mancher Photo-Gesichter und Handschriften.

Ehrenamtliche Arbeit am runden Tisch rechts im Bild macht die Existenz und die kontinuierliche Weiterentwicklung des Archivs erst möglich.

Mittlerweile ist der Bestand durch manche kleinere private Schenkung beträchtlich erweitert worden. Einen substantiellen, den Anfangsumfang quantitativ noch übertreffenden Zuwachs erfuhr das Archiv durch die Übereignung der Sammlung des Jazzenthusiasten Fritz Marschall, einem Intensivkenner der Geschichte des Jazz und seiner Plattenverbreitung. Ungefähr 22.000 Tonträger, darunter manche Rara, kamen hinzu – vom frühen Jazz und Blues bis zum Bebop – und erweiterten das Spektrum der repräsentierten Jazzhistorie beträchtlich. Mit 1.000 Büchern und Zeitschriften wurde die Schriftenabteilung substantiell erweitert.

Im Moment bemüht sich Reinhard Lorenz um Materialien aus dem Nachlaß des in Eisenach geborenen Boas-Freundes, Jazzimpressarios, Festivalgründers und Plattenproduzenten Horst Lippmann, der 1997 gestorben ist. Die Familie hat bereits Korrespondenzen, Programmhefte und anderes übergeben. Für die Erforschung der deutschen Musikindustrie der sechziger und siebziger Jahre erschließt sich hier eine Fundgrube. Der weitere Erwerb von Lippmanns Besitz erscheint schon deshalb wünschenswert, weil die auch bauliche Erweiterung des Archivs geplant ist. Ein in der Konzeption befindliches „Horst-Lippmann-Haus“ auf dem Gelände der „Alten Mälzerei“ soll zu einer Kultur-, Begegnungs-, Besuchs- und Forschungsstätte der Stadt Eisenach werden.

Ausgehend vom angewachsenen Bestand sowie den geographischen und biographischen Kontexten (Boas wurde 1943 wegen BBC-Hörens verhaftet und als Häftling des KZ Buchenwald als Leiharbeiter in die Reimag-Rüstungswerke in Kahla überstellt) hat das Archiv, unterstützt vom Leipziger Jazzkritiker Bert Noglik, seine Schwerpunkte bestimmt: der Blues in seiner Geschichte, die Geschichte des Jazz in Osteuropa und in der DDR, Jazz im Nationalsozialismus sowie Jazz im Exil. Mit bislang vier Symposien zum osteuropäischen Jazz wurde der Anfang zu weiterer Konferenzaktivität gelegt. Sammelgegenstände sind überdies Fotos und Plakate. Mehr als 10.000 Bilddokumente zur Jazzgeschichte, zum Teil von ziemlicher Einmaligkeit, und aus der aktuelleren Eisenacher Gastspielpraxis werden von Presse und Forschern bereits rege genutzt. Im Plakate-Fundus haben die Arbeiten von Günther Kieser, der alle Entwürfe für das Deutsche Jazz Festival gemacht hat und zu Lippmanns Hausgrafiker avancierte, einen Ehrenplatz.

Rainer Lorenz ist Kulturdezernent der Stadt Eisenach und ehrenamtlicher Vorsitzender des Jazzclubs. Alle Fotos: Ursula Gaisa

Die Pläne reichen weit. Eine Kooperation mit der Musikhochschule „Franz Liszt“ in Weimar wird gerade angebahnt, um Fachforschung und studentische Praktika anzusiedeln. Aber ein Archiv zu führen, bedeutet auch den mühevollen Alltag des Katalogisierens, Bewahrens, Weitersammelns, der Betreuung der Nutzer, des Publizierens, der Öffentlichkeitsarbeit. Forschungs- und Erwerbungsstrategien sind zu entwickeln. Dazu bedarf das International Jazz Archive einer dauerhaften personellen und finanziellen Ausstattung. Die bisherigen positiven, ja begeisterten Äußerungen von Besuchern, Benutzern und aktiven Jazzern aus aller Welt unterstreichen die Bedeutung dieses kulturellen Kleinods in den Mauern Eisenachs.

Wolfgang Wicht

International Jazz Archive Eisenach, Palmental 1, 99817 Eisenach. Tel. 03691-612525 oder 670410 E-mail: info@jazzarchiv-eisenach.de Web: http://jazzarchiv-eisenach.de

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