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Jazzzeitung

2002/05  ::: seite 19

medien

 

Inhalt 2002/05

standards
Editorial
News
no chaser: Jazz für Senioren
Musiker-ABC: Kenny Clarke
break

titel
Fun De Siecle. Sich selbst zitieren, das macht Spaß

berichte
Dresden. Pascal bot Kultkonzert
Halle. Das Stockholmer Esbjörn Svensson Trio
Memmingen. Marilyn Mazurs „Future Song“
München.
Oregon im Nightclub des Hotels Bayerischer Hof
Nimes/Grenoble.
Fresu en France
Nürnberg.
Marty Ehrlich in der Tafelhalle
Regensburg.
Martin Taylor, Jermaine Landsberger und Davide Petrocca im Leeren Beutel
Sachsen-Anhalt.
Das Jugendjazzorchester Sachsen-Anhalt in seiner 20. Arbeitsphase

jazz heute
  Fischmarkt 13–16. Zwanzig Jahre Jazzclub Erfurt
  UND WER SCHÜTZT GERSHWIN? Arrangeure haben Narrenfreiheit, Komponisten haben Rechte
  Engagement für die Sache. Verband der Deutschen Jazzveranstalter feiert 50-jähriges Jubiläum

portrait / interview
Im Bebop-Himmel. Der Pianist Claus Raible
Blues aus der Dämmerung. Ein Portrait der Jazzsängerin Cassandra Wilson
Sensible Linien Jubiläum: die Vokalistin Karin Krog
Im Auftrag der Musik. YVP – Wie ein kleines Label mit italienischem Jazz Erfolg hat

play back / medien
Der Tonmeister des Jazz. Neue Rudy-Van-Gelder-Reissues vorgestellt
The Look of Love. Julian Benedikts Film über Claxton: „Jazz Seen“

education
Fortbildung. Fortbildung
Abgehört 6
Cannonball und Nat Adderley spielen über Nats „Teaneck“
Vierzig Jahre Jazz, Rock und Pop. An der Dresdner Hochschule Carl Maria von Weber wurde zuerst gejazzt
Dem Schüler in die Finger schreiben. Manfred Schmitz’ Standardwerk „Jazz Parnass“ neu aufgelegt
Inspiration und Timing. Neue Noten und Unterrichtsvideos

dossier
Jazz und Spassgesellschaft. Vom alten Jazz-München zum Ist-Zustand

medien/service
Critics Choice
Internet. Link-Tipps
Rezensionen 2002/05
Service-Pack 2002/05 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (269 kb))

 

The Look of Love

Julian Benedikts Film über Claxton: „Jazz Seen“

„Way Out West...“ – mitten in der Mojave-Wüste ist 1957 das Foto entstanden, das zu einer Ikone wurde: Sonny Rollins mit Horn, Stetson und Patronengurt im Wilden Westen, auf dem „trail“ von der Ostküste an die sonnige Westküste. Der Mann, der diesen magischen Moment mit der Kamera inszenierte, war William Claxton, der „Cowboy aus Hollywood“, wie ihn Miles Davis nannte. Julian Benedikt („Blue Note – A Story of Modern Jazz“) hat „Clax“ nun einen ganzen Film gewidmet: „Jazz Seen“ (Bundesstart: 25. April 2002, Soundtrack bei Universal, Buch bei Taschen).

Den „Look“ des Westcoast-Jazz hat keiner so geprägt wie William Claxton. „Was dem Jazzmusiker sein Instrument“, sagt Claxton, „ist dem Fotografen seine Kamera. Ein Werkzeug nämlich, auf das man am liebsten verzichten würde, das man jedoch braucht, um die Gedanken, oder was immer man ausdrücken will, zu transportieren.“ Jazz und Fotografie ähneln sich für Claxton in ihrem Gefühl für Spontaneität und Improvisation: „Genau in dem Moment, in dem man etwas hört oder sieht, wird es durch die Aufnahme festgehalten.“

Kultfotografie:
Chet Baker mit Helima.
Foto: William Claxton

Verweile doch, Augenblick, du bist so schön… Wenn man die alten Fotos aus den Fünfzigern und Sechzigern auf der Leinwand wiedersieht, ist es wie eine Begegnung mit einer alten Freundin: die „magic moments“ haben sich eingebrannt ins Unterbewusstsein, wie die alten Melodien, die uns einst begleiteten.

Als siebenjähriger Junge legte Claxton ein Sammelalbum an, das er mit Bildern von Duke Ellington, Cab Calloway, Lena Horne oder Fred Astaire füllte. Damals träumte er davon, einen Nachtclub zu besitzen wie aus einem Astaire-Musical: „Ein Club, in dem alles schwarz-weiß ist, außer den bunt zusammengewürfelten Gästen aller Hautfarben.“

Ein Traum, der freilich in den Dreißigern nicht nur Lichtjahre von der amerikanischen Wirklichkeit entfernt war, sondern auch von Hollywood. Fred Astaire selbst trat damals noch in Minstrel-Show-Manier mit „blackface“ als Mister Bojangles auf. Die Art-Deco-Welten Hollywoods haben jedenfalls seine Fantasie angeregt wie die alten Bildbände über Ägypten, in denen er so gerne blätterte.

Irgendwann in den späten Vierzigern war es dann so weit. Claxton trieb sich selbst in den Clubs rum, in denen seine Idole auftraten, Miles Davis oder Charlie „Bird“ Parker, den er sogar in das Haus seiner Eltern einlud. Durch seine Begeisterungsfähigkeit und Gastfreundlichkeit war der große schlaksige Kerl einer der ihren geworden. Und so wurde er 1952 zum Art-Director und Fotografen von Dick Bocks neu gegründetem Westcoast-Label „Pacific Jazz“. Dort entstanden innerhalb weniger Jahre die klassischen Aufnahmen von Art Pepper, Gerry Mulligan und Chet Baker. Es war Claxton, der das Image des „James Dean des Jazz“ entscheidend prägte. Zwar wurden sie keine dicken Freunde, aber sie teilten eine Schwäche für schnelle Autos, Claxton stand auf Sportwagen, Baker bevorzugte dagegen Straßenkreuzer.

Chet war begeistert von seinen Fotos, machte aber nie viel Worte darum. „Wenn ich ihm ein neues Foto zeigte, sah er es sich an. Er betrachtete es aufmerksam – studierte es genau. Dann legte sich ganz langsam ein Lächeln auf sein Gesicht und er sagte ‚Yeah, Clax.‘“ Zu dieser Zeit ist auch eine Fotoserie mit Chet Bakers schwarzer Geliebten Helima entstanden: „An einem warmen Sommertag besuchte ich Chet in seinem Wohnort Redondo Beach, um ein paar Fotos für ein Plattencover zu machen. An der Tür begrüßte mich eine junge Frau mit Namen Helima. Sie sah in ihrem Sommerkleid so frisch und hübsch aus, dass ich sie unbedingt mit auf den Fotos haben wollte. Ich nahm die beiden mit zu einem unbewohnten Nachbarhaus, das gerade umgebaut wurde. Dort setzte ich sie auf eine nackte Fensterbank. Von hinten strömte ein weiches Licht durch das Fenster, das für die richtige Stimmung sorgte.“ Die Fotos wurden 45 Jahre später zum Vor-Bild für eine Serie mit dem Trompeter Till Brönner und einem schwarzen Model. Was gedacht war als Hommage an Chet Baker („Chattin’ with Chet“), führte bei den Puristen zu einem Missverständnis. Man warf Brönner, der für „Jazz Seen“ den famosen Soundtrack geliefert hat, Rassismus vor. Dabei war alles nur eine Idee des „Träumers“ Claxton gewesen.

Hollywoodreif war Claxtons Begegnung mit seiner Muse Peggy Moffitt, die Julian Benedikt – wie so vieles im Leben des Fotografen – nachinszeniert hat. In einer stürmischen Nacht gewann er die Frau seines Lebens und gleichzeitig verlor er wegen eines sintflutartigen Regens einen Großteil seines Kapitals, seine Negative. In den Sechzigern stand Claxton etwas im Schatten seiner Frau, denn Peggy Moffitt war als Model des Designers Rudi Gernreich zur Mode-Ikone der Sixties geworden. Doch Claxton erfreute sich am Erfolg seiner Frau und freundete sich mit dem Schauspieler Steve McQueen an, den er wegen seiner typisch amerikanischen Mischung, „extrem intelligent, extrem ungebildet“ sehr verehrte.

Im Film kommt es irgendwann zu einem Gipfeltreffen in Monte Carlo: William Claxton meets Helmut Newton. Jeder der ewigen Jungs bewundert die Arbeit des anderen. Doch während der Erotomane Newton, den Benedikt ebenfalls portraitiert hat, seine Models nur als „Frischfleisch“ oder Rohmaterial betrachtet und keinerlei Beziehung mit ihnen eingehen will, braucht Claxton die Interaktion. „It’s a chemical reaction, that’s all“, singt Hildegard Knef als Ninotschka. Und das könnte Claxtons Credo sein: die Chemie muss stimmen. Und wie man einen solchen „magic moment“ inszenieren kann, verrät uns Claxton auch bei einer Fotosession mit Cassandra Wilson und dem Pianisten Jacky Terrasson. Sie sollen sich etwas ins Ohr flüstern, bittet er sie. Freilich sei es unwichtig, was sie nun genau miteinander anstellen würden, gesteht er danach freimütig relaxt, denn er wolle mit dieser Bitte nur ein verlegenes Gefühl erzeugen. Den erotischen Moment danach, den dagegen halte er mit der Kamera fest, den „in-between moment“.

Immer wieder geht es in Julian Benedikts zärtlichem Film über Jazz und Fotografie um Timing und Rhythmus. An einer Stelle verrät der Arrangeur Russ Freeman das „Geheimnis“ des coolen Westcoast-Sounds. Die Modedroge Nr. 1 sei dort Heroin gewesen, meint er: „Jeder, der denkt, dass er durch Heroin besser spielt, ist verrückt. Es macht einen nur langsamer.“ Einige der Musiker haben später diese Entdeckung der Langsamkeit mit dem Leben bezahlt. Aber so weit sollte Claxtons Empathie nie gehen. Lieber hörte er ihnen einfach mit seinen Augen zu.

Viktor Rotthaler

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